Mitglieder der amerikanische Socialist Equality Party und Reporter der World Socialist Web Site nahmen am 15. November in Kokomo (Indiana) an einer Versammlung von Autoarbeitern teil. Das Meeting diente dazu, den geplanten, drastischen Lohnkürzungen und Entlassungen bei Delphi, einem Zulieferer der Autoindustrie, entgegenzutreten. Die Veranstaltung wurde von etwa Zweihundert Arbeitern aus Indiana, Michigan, Illinois und Wisconsin besucht. Arbeiter von Delphi, General Motors und anderen Unternehmen waren anwesend.
In Kokomo ist das Zentrum von Delphis Elektronik- und Sicherheitsabteilung angesiedelt. 5.000 Arbeiter, einschließlich 2.300 stundenweise Beschäftigte, sind dort tätig. Ein vertraulicher Plan, der kürzlich der Detroit News zugespielt wurde, sieht vor, dass neben anderen Produktionsstätten auch Delphis Werk 9 in Kokomo im Jahre 2010 geschlossen werden soll.
Delphi fordert, dass die Löhne seiner 33.000 in der Gewerkschaft United Auto Workers (UAW) organisierten Arbeiter von 27 auf 10 Dollar pro Stunden gesenkt und gleichzeitig die Pensionszusagen und Zahlungen für die Krankenversicherung gestrichen werden. Das Unternehmen führt eine Tendenz zur beispiellosen Rückführung des Lebensstandards der Arbeiter in der gesamten US- Autoindustrie an.
General Motors, der größte Autoproduzent der Welt, kürzte vor einiger Zeit die finanzielle Unterstützung zur medizinischen Versorgung seiner beschäftigten und pensionierten Arbeiter um einige Milliarden Dollar. Es wird erwartet, dass das Unternehmen im kommenden Monat einen Umstrukturierungsplan vorstellt, der die Schließung von Werken und den Abbau von 25.000 Arbeitsplätzen vorsieht. Viele Wirtschaftsanalysten sind der Meinung, dass nach Delphi auch GM vor das Konkursgericht gehen wird.
Bei Ford, der Nummer zwei unter den US- Autoherstellern, werden zum Ende des Jahres ähnliche Pläne erwartet.
Trotz dieser Angriffe setzen die Spitzen der Gewerkschaft United Auto Workers ihre langjährige Politik der Kollaboration mit den Unternehmensführungen zur Senkung der Löhne und Steigerung der Profite fort. Sie gehen sogar so weit, die pensionierten Arbeiter von GM davon abzuhalten, gerichtlich gegen die Kürzung ihrer medizinischen Unterstützung vorzugehen.
Den Vorsitz während der Versammlung in Kokomo, der eine ähnliche Versammlung in Grand Rapids eine Woche zuvor voranging, führte Gregg Shotwell, ein UAW-Vorstandsmitglied in den Delphi-Werken von Cooperstown (Michigan). Er unterstützt die Gruppierung New Directions innerhalb der UAW.
Die anwesenden Arbeiter verliehen ihrer Wut über den Betrug der UAW-Bürokratie Ausdruck und waren offen für eine Diskussion über eine neue politische Strategie zur Verteidigung der Arbeiterklasse.
Shotwell versuchte die Diskussion dagegen auf betriebliche Aktionen zu beschränken - wie den Vorschlag, einen Bummelstreik durchzuführen, der kürzlich vom UAW-Präsidenten Ron Gettelfinger befürwortet wurde.
Obwohl Shotwell die weitverbreitete Feindschaft gegenüber der UAW-Bürokratie zugab, erklärte er, die Versammlung sei nicht zur Diskussion über eine Alternative zur UAW oder zur Organisation eines politischen Kampfes unabhängig von den Gewerkschaften einberufen worden. "Wir haben uns getroffen um über den Widerstand gegen Delphi, nicht über weitere politische Ursachen zu diskutieren", sagte er. "Wir müssen uns auf die Tarifkämpfe konzentrieren. Wir können es uns nicht erlauben, uns stundenlang durch eine politische Diskussion ablenken zu lassen, die am Ende dann doch nichts löst."
Schnell wurde klar, dass dieser Versuch, die politische Diskussion abzuwürgen, mit der Perspektive verbunden war, Illusionen in die UAW zu schüren und einen Bruch mit der Demokratischen Partei zu vermeiden.
Anschließend sprach Warren Davis, ein ehemaliger Gebietsleiter der UAW in Cleveland und langjähriges Mitglied des Vorstandes der UAW. Er gab zu, dass die UAW von der Unternehmensleitung weitgehend gekauft sei und dass die US-Gewerkschaften die "schlimmste Unterordnungs"-Perspektive in die Welt exportieren würden, die zum weltweiten Sinken der Löhne führe.
Dennoch empfahl er den Vorschlag Gettelfingers zum Bummelstreikt aufzugreifen und sich auf einen Streik vorzubereiten, weil dies der Tarifkommission der UAW "Hebel" in den Verhandlungen mit Delphi in die Hand geben würde. Davis beharrte auf seiner Position, von unten Druck auf die Gewerkschaftsführung auszuüben, obwohl er zugestand, dass die UAW-Offiziellen "kooptiert" seien und die Arbeiter nur "ausverkaufen" würden.
Diese falsche Perspektive wurde von Jim Lawrence, dem Kandidaten der SEP für das Amt des Vizepräsidenten im Jahre 2004, abgelehnt. Lawrence ist UAW-Mitglied und arbeitete vor seiner Pensionierung im Bremsenwerk von General Motors in Dayton (Ohio), dass 1999 zu Delphi ausgegliedert wurde.
"Du willst auf dieser Versammlung keine Politik haben?", fragte Lawrence. "Aber genau das ist Politik." Obwohl ein Arbeitskampf notwendig sei, "stehen die Arbeiter weltweit vor einer neuen Situation". Er verwies auf die Ausdehnung der transnationalen Unternehmen, die heute den ganzen Globus nach billiger Arbeitskraft absuchen. "Wir waren 1996 davon in Dayton betroffen und nun ist dort nichts weiter übrig geblieben als die Fundamente, auf denen das Werk einmal stand."
"Hier geht es nicht allein um einen gewerkschaftlichen Kampf", betonte Lawrence, "sondern um einen politischen Kampf." Er fuhr fort: "Neunzig Prozent der Arbeiter sind nicht gewerkschaftlich organisiert. Wir müssen die ganze Arbeiterklasse für den Kampf gegen das Profitsystem vereinen."
Zum Schluss rief Lawrence zum Bruch mit der UAW und zur Formierung einer unabhängigen politischen Bewegung der Arbeiterklasse auf. "Delphi und GM haben zwei politische Parteien an ihrer Seite und wir haben nicht einmal eine", sagte er.
Er bekam Applaus von den anwesenden Arbeitern, und die Diskussion begann einen anderen Verlauf zu nehmen. Die Arbeiter begannen die Begrenztheit von Shotwells Vorschlägen zu hinterfragen und suchten nach anderen Möglichkeiten, um Delphi, dem Konkursgericht und der Bush-Regierung entgegenzutreten.
Jerry Isaacs, ein Reporter der wsws, ergriff das Wort: "Ihr könnt nicht im 21. Jahrhundert die transnationalen Unternehmen mit der Taktik des Arbeitskampfes aus dem 19. Jahrhundert bekämpfen." Er argumentierte, dass die Arbeiter mehr als fähig seien, einen couragierten Arbeitskampf zu führen, dass jedoch das politische Verständnis und die Orientierung am wichtigsten seien. Nachdrücklich sagte er den Arbeitern, dass sie sich die verratenen Streiks der UAW und AFL-CIO in Erinnerung rufen sollten, angefangen beim Streik der Fluglotsen von PATCO über die Kämpfe bei Caterpillar bis hin zum jüngsten Verrat bei Northwest Airlines. Die Gewerkschaften, so Isaac, seien nicht mehr Organisationen der Arbeiter, sondern der Arbeiterbürokratie, die den Arbeitern feindlich gegenüberstehen.
Isaacs bestand darauf, dass ein politischer Kampf notwendig sei, der das gesamte ökonomische und politische System umwälzt. Das Profitsystem nütze lediglich dem obersten einen Prozent der Gesellschaft, den reichen Anlegern und den Chefs der Unternehmen, wie beispielsweise Steve Miller von Delphi.
Er fuhr fort, dass das grundlegende Ziel eines solchen Kampfes der Sozialismus sein müsse. Lange habe die UAW-Bürokratie den Antikommunismus dazu genutzt, um ihre Kritiker auszugrenzen - neben den Sozialisten auch die Linken, die in den dreißiger Jahren die UAW gründeten. Die Arbeiterklasse müsse die gesamte Wirtschaft der bürgerlichen Klasse entreißen und unter ihre demokratische Kontrolle stellen.
"Wir müssen die Zwangsjacke der alten, bürokratischen Gewerkschaften abstreifen und wir müssen mit der Demokratischen Partei brechen, die den Interessen der Kapitalisten dient", sagte er. Die Arbeiter von Delphi müssten ihren Kampf mit dem der Jugend, deren Perspektive in Billiglöhnen und Kriegseinsätzen zum Nutzen der Ölgesellschaften bestehe, verknüpfen.
Seine Worte wurden mit Applaus aufgenommen, und es schlossen sich Diskussionen und Nachfragen aus dem Publikum an. Scott, ein junger Mann, der seit sieben Jahren bei Delphi in Kokomo arbeitet, ergriff das Wort und wandte sich an Shotwell: "In 60 Tagen werden wir alles verlieren, wenn das Gericht die Lohnkürzungen beschließt. Wie können wir den Panzer namens Delphi mit der Erbsenschleuder eines Bummelstreiks bekämpfen?"
Während der ganzen Versammlung gaben Unterstützer von "linken" Tendenzen wie von Labor Notes und der International Socialist Organization (ISO) ihr bestes, um Illusionen in die UAW-Bürokratie und den Reformismus wiederzubeleben. In einem Redebeitrag sagte ein Mitglied der ISO: "Auch ich brenne für den Sozialismus und die Revolution. Aber die UAW ist noch nicht bereit dafür" - das bedeutet, dass eine Organisation, die jahrzehntelang ihre Aufgabe darin sah, das Profitsystem zu verteidigen und eine Politik der Klassenkollaboration zu verfolgen, sich irgendwie in ein Instrument des Klassenkampfes verwandeln könnte.
Obwohl die Verwirrung unter den Arbeitern weiterhin groß war, einschließlich der Vorstellung, dass Appelle an das Konkursgericht und die Bush-Regierung die Dinge zum Besseren wenden könnten, förderte das Eingreifen von wsws und SEP die Ernsthaftigkeit der Diskussion und warf die grundlegenden politischen Fragen auf, vor denen die Arbeiter stehen.
Nach der Versammlung zeigten die Arbeiter großes Interesse an einer Diskussion über Sozialismus, die Geschichte der SEP und ihren Kampf gegen die UAW-Bürokratie. Mehrere kauften Literatur und unterhielten sich mit den Reportern der wsws.
Chris, ein Leser der wsws, der zwölf Jahre bei Chrysler in Kokomo gearbeitet hat, äußerte sich wütend über die Lohnkürzungen und das Streichen der Zuschüsse durch Delphi. "Es ist der Profit, die Gier und das kapitalistische System - der Klassenkampf", sagte er. "Die Kapitalisten stopfen sich auf Kosten der Arbeiter die Taschen voll.
Ich habe Bedenken wegen der Bummelstreik-Strategie. Ich glaube die Unternehmen werden Wege finden, um dem entgegenzutreten. Ich sagte es schon früher und jetzt wieder - das ist mehr als ein gewerkschaftlicher Kampf, das ist ein gesellschaftlicher Kampf, ein Kampf der Arbeiterklasse. Es gibt Millionen nicht in Gewerkschaften organisierte Arbeiter, die für Wal Mart oder sonst irgendwo arbeiten. Heute mehr denn je müssen die Arbeiter sich zusammenschließen, egal ob sie in der Gewerkschaft sind oder nicht. Es ist wichtig, dass die ganze Arbeiterklasse zusammensteht. Nur gemeinsam können wir die Gier des Kapitalismus besiegen."
Scott, der junge Arbeiter, der Shotwell während der Versammlung herausgefordert hatte, sagte, die wsws sei ihm gut bekannt. Über die Gewerkschaften sagte er, dass ihnen "jemand entgegentreten" müsse. "Man kann sie nicht reformieren." Gefragt, was er vom Versuch halte, die Diskussion über Politik aus der Versammlung herauszuhalten, sagte Scott: "So wie es mit der Politik steht, steht es mit der UAW."
Dick, der nach 30 Jahren bei GM in Rente ging, sagte der wsws : "Was Ihr sagtet, machte mehr Sinn als alles andere." Gefragt, was er von der UAW-Bürokratie halte, antwortete er: "Sie sind Parasiten."