General Motors streicht 25.000 Arbeitsplätze in den USA

General Motors (GM), der weltgrößte Autohersteller, gab am 7. Juni seine Absicht bekannt, eine noch nicht feststehende Zahl von Werken zu schließen und bis Ende 2008 25.000 betriebliche Arbeitsplätze in den USA abzubauen. Die Kürzungen würden die Zahl der bei GM Beschäftigten um 23 Prozent, von 111.000 auf 86.000 Arbeiter verringern. Noch 1991 beschäftigte GM 260.000 Arbeiter. In den späten 1970er Jahren hatte der Konzern in den USA insgesamt mehr als 600.000 Beschäftigte.

Wie die Outplacement Beraterfirma Challenger, Gray & Christmas erklärte, handelt es sich um die größte einzelne Arbeitsplatzvernichtungsaktion seit Januar 2003, als der Einzelhändler Kmart die Vernichtung von 37.000 Arbeitsplätzen beschloss, um den Bankrott zu verhindern.

GM verlangt außerdem die Zustimmung der Vereinigten Autoarbeitergewerkschaft zu Neuverhandlungen über den laufenden Tarifvertrag, der erst im September 2007 ausläuft. Der Konzern will umfangreiche Kürzungen bei der Krankenversicherung sowohl für die aktiven wie auch für die Arbeiter im Ruhestand durchsetzen.

Der GM-Vorstandsvorsitzende Rick Wagoner erläuterte die Kürzungen, die jährliche Einsparungen von 2,5 Mrd. Dollar bringen sollen, auf der Aktionärsversammlung des Konzerns in Wilmington, Delaware. Wagoner weigerte sich, die Werke zu nennen, die geschlossen werden sollen, aber Beobachter gehen davon aus, dass es ältere Montagewerke in Janesville (Wisconsin), Doraville (Georgia), Oklahoma City und Pontiac (Michigan) treffen wird.

Außerdem stehen die Motorenwerke in Livonia und Bay City (Michigan) auf der Kippe. Dieses Jahr hat GM bereits Werke in Baltimore (Maryland) und Linden (New Jersey), sowie zwei Werke in Lansing (Michigan) geschlossen oder vorübergehend stillgelegt. GM’s nordamerikanische Werke sind gegenwärtig zu etwa 85 Prozent ausgelastet, verglichen mit einer Auslastung von 107 Prozent bei dem japanischen Autohersteller Toyota.

Die Detroit News berichteten am Mittwoch: "Der Analyst Stephen Girsky von Morgan Stanley schätzte vor kurzem, dass 45 Prozent der Produktionskapazität von GM in Nordamerika - was etwa fünfzehn Werken entspricht - brachliegt oder Modelle produziert, die wenig oder keinen Profit bringen, wie zum Beispiel Fahrzeuge, die zu stark reduzierten Preisen an die eigenen Beschäftigten oder an Leihfirmen verkauft werden."

Sean McAlinden, Chefökonom des Forschungszentrums der Autoindustrie in Ann Arbor in Michigan, sagte einem Reporter, dass die Pläne von GM "auf die Schließung von etwa vier Montagewerken, ein paar Presswerken und ein paar Motorenwerken hinauslaufen".

Bestandteil von Wagoners Plan ist auch, die acht Marken des Konzerns klarer voneinander abzugrenzen. Nur Chevrolet und Cadillac werden noch eine vollständige Modellpalette anbieten, während GMC, Pontiac, Buick, Saturn, Saab und Hummer sich auf Nischenprodukte konzentrieren werden.

General Motors steckt in einer schweren Krise. Der Konzern hat in Nordamerika im ersten Quartal 2005 1,3 Mrd. Dollar verloren, und die Investmentfirma Morgan Stanley schätzt, dass GMs Vorsteuerverluste sich 2005 in Nordamerika auf vier Mrd. Dollar belaufen könnten.

Anfang Mai wurden die Schulden des Konzerns auf den Status von Junk Bonds herabgestuft, was die Aufnahme von neuen Krediten für den Konzern verteuerte. In den letzten Monaten wurden GM-Aktien auf dem niedrigsten Niveau seit zwölf Jahren gehandelt. Weil die Firma auf 1,2 Millionen unverkauften Autos sitzt, bot sie kürzlich der Allgemeinheit die gleichen hohen Rabatte an wie den eigenen Beschäftigten.

Alle Anzeichen deuten auf zunehmende Verzweiflung im Konzernvorstand hin. Viele Kommentatoren schließen inzwischen auch einen Bankrotts nicht mehr aus - ein unerhörter Vorgang angesichts der Bedeutung von GM für die US- und die Weltwirtschaft.

Der Marktanteil von GM-Autos und LKWs fiel im Mai auf 25,4 Prozent, von 27 Prozent vor einem Jahr. Noch in den 1970er Jahren baute der Autogigant jedes zweite in den USA verkaufte Auto. Der Absatz von GM ist in diesem Jahr um 5,2 Prozent zurückgegangen, besonders weil die Sports Utility Vehicles (SUVs) als Reaktion auf die schlechte wirtschaftliche Lage und die hohen Benzinpreise drastisch eingebrochen sind.

Der Marktanteil der asiatischen Autohersteller steigt in den USA weiter an und erreichte im Mai 36,5 Prozent, nach 34,3 Prozent vor einem Jahr. Toyotas Marktanteil beträgt jetzt 14 Prozent und liegt damit nur noch wenige Prozentpunkte hinter DaimlerChrysler und Ford.

Hoover’s Online schreibt: "Im Rechnungsjahr 2004 verdiente Toyota an jedem Beschäftigten netto 85,41 Dollar, im Vergleich zu 8,66 Dollar bei GM und 10,73 Dollar bei Ford.... Im vierten Quartal 2004 erwirtschaftete Toyota laut Merryl Lynch & Co einen operativen Gewinn von 9,1 Prozent, verglichen mit 0,5 Prozent bei GM und einem Minus von 2,3 Prozent bei Ford."

Die Detroit News stellten am 8. Juni fest, dass der Aktienkurs von GM nur noch ein Siebtel desjenigen von Toyota beträgt, dem zweitgrößten Autohersteller der Welt. Der Marktwert des japanischen Autokonzerns betrug im Mai 131,6 Mrd. Dollar, verglichen mit 18,5 Mrd. Dollar bei GM. Honda und Nissan, zwei weitere japanische Rivalen von GM, hatten je einen Marktwert von 44,8 Mrd. Dollar. Der Marktwert von GM ist jetzt in etwa mit dem von The Gap vergleichbar, der amerikanischen Textilkette, die nur einen Zehntel des Umsatzes des Autoproduzenten erzielt.

GMs Plan, Zehntausende Arbeitsplätze zu vernichten, geht mit der Forderung nach beträchtlichen Kürzungen der Sozialleistungen für die Arbeiter einher. GM ist der weltweit größte Privatkunde von Krankenversicherungen. Der Konzern finanziert die Krankenversicherung von 1,1 Millionen aktuellen und ehemaligen Beschäftigten und ihren Familien. Die Aufwendungen des Konzerns für die Krankenversicherung betrugen 2004 5,2 Mrd. Dollar und werden dieses Jahr wohl auf 5,6 Mrd. Dollar steigen.

Wagoner erklärte am Dienstag, dass die Kosten für die Krankenversicherung jedes einzelne bei GM produzierte Auto mit einem Betrag von 1.500 Dollar belasten. Er meinte, akzeptabler wäre eine Summe von 1.000 Dollar, eine Kürzung um 50 Prozent.

Der GM-Chef erklärte den Aktionären, der Konzern befinde sich in intensiven Verhandlungen mit der UAW, um die Last der Krankenversicherungskosten für die Firma zu reduzieren. Er sagte: "Wir haben bis jetzt noch keine Übereinkunft erzielt, und ich bin, ehrlich gesagt, nicht sicher, ob wir es schaffen."

Die meisten Wirtschaftsanalysten an der Wall Street spielten die Bedeutung von Wagoners Plan herunter oder taten ihn sogar als "zu wenig und zu spät" ab.

Rob Hinchliffe, Analyst bei USB, teilte seinen Kunden in einem Rundschreiben mit, der Plan sei nicht aggressiv genug und die Streichung von Arbeitsplätzen und die Markenkonzentration seien keine wirklichen Neuigkeiten. "Das läuft auf nicht mehr als eine 5-prozentige, natürliche Fluktuation hinaus, wie es sie in der Vergangenheit auch schon gegeben hat. Grundlegende Faktoren bleiben schwach in Anbetracht der schlechten Verkaufszahlen bei den SUVs und dem sinkenden Marktanteil."

Maryann Keller, eine Unternehmensberaterin und "langjährige Beobachterin von GM", sagte gegenüber der Presse: "Wird GM den Weg einiger Airlines gehen, oder wird es sich selbst neu erfinden? Die jüngsten Entscheidungen werden die Probleme nicht lösen."

Daniel Howes kommentierte in den Detroit News : "Wird die Wende von Wagoner ausreichen? Die Schlagzeilen werden heute hinausposaunen: ‚Bis 2008 fallen 25.000 Arbeitsplätze bei GM weg‘, aber Tatsache ist, dass bei GM jedes Jahr 5.000 bis 6.000 Arbeitsplätze durch natürliche Fluktuation und Rentenantritte verloren gehen. Etwa 36.000 gewerbliche Beschäftigte bei GM könnten sofort in Rente gehen; 50.000 hätten in den nächsten fünf Jahren Anspruch darauf. Man braucht nur nachzurechnen: Schon unter normalen Bedingungen könnte GM von jetzt bis Ende 2008 fast 24.000 Arbeitsplätze streichen. Sind diese Arbeitsplätze für die nationale Wirtschaft - und die von Michigan - verloren? Ja. Sind sie ein radikales Schrumpfen über das hinaus, das sowieso schon im Gange war? Nicht wirklich."

Die UAW lehnt zwar im Moment erneute Verhandlungen über den Tarifvertrag ab, zeigt sich aber bereit, dem GM-Management zu helfen, die Last der Konzernkrise den Arbeitern aufzubürden. In einer Presseerklärung machte der für GM zuständige UAW-Vizepräsident Richard Shoemaker klar, dass die Gewerkschaft keinen Kampf gegen massiven Arbeitsplatzabbau und Werksschließungen zu führen gedenke und man bereit sei, über die Senkung der Kosten für die Krankenversicherung bei GM zu verhandeln.

Er erklärte: "Es ist eine Sache, in einer Rede spezifische Ziele für Arbeitsplatzabbau und Werksschließungen bis Ende 2008 zu formulieren. In der Realität kommen mehrere andere wichtige Faktoren ins Spiel, wie die natürliche Fluktuation, Veränderungen des Produktionsvolumens, Marktanteile und natürlich die Tarifverhandlungen zwischen UAW und GM 2007."

Shoemaker fuhr fort: "Die UAW ist nicht davon überzeugt, dass GM sich einfach durch Schrumpfen einen Weg aus den momentanen Problemen bahnen kann. Im Mittelpunkt muss die Zurückgewinnung von Marktanteilen in den USA stehen, und der Weg dahin führt über den richtigen Produktmix an Fahrzeugen von Weltklasse-Design und Qualität."

Brett Clanton kommentierte in den Detroit News : "Mit dem drohenden Arbeitsplatzverlust bei den Detroiter Autoherstellern und wichtigen Zulieferern konfrontiert, zeigte die Gewerkschaft eine neue Bereitschaft zu Anpassung oder Kompromiss."

Die Massenmedien und ihre Experten sind einhellig der Meinung, dass Autoarbeiter und Rentner viel zu viele Leistungen bekämen, die jetzt geopfert werden müssten. Das Unternehmen, so sind sich alle Experten einig, wurde durch die Gesundheitsvorsorge und anderen Kosten "gelähmt", die ein "Hindernis" für GM’s Gewinne darstellten.

Peter Morici, Professor an der Universität von Maryland, der in der Baltimore Sun zitiert wurde, macht eine "Anspruchskultur" bei GM für die Probleme des Unternehmens verantwortlich. Bruce Belzowski, ein Analyst der Universität von Michigan, der sich mit Autotransport beschäftigt, sagte gegenüber der Detroit News : "Die einzige Option, die ich [für die UAW] sehe, ist eine Kapitulation in der Frage der Krankenversicherung." Der britische Economist erklärte kurz und bündig, "Es gibt eine Krankheit im Herzen von General Motors - die großzügige Krankenversicherung des Autogiganten für die Arbeiter."

Dieselben Kommentatoren haben nur wenig oder überhaupt nichts über die riesigen Gehälter und Gewinnpakete zu sagen, in deren Genuss die führenden GM-Manager kommen. Wegen des schlechten Abschneidens von GM im letzten Jahr ging das Entlohnungspaket von Vorstandschef Wagoner um 22 Prozent zurück und betrug "nur" zehn Millionen Dollar: 2,2 Millionen Dollar Grundgehalt - dasselbe wie 2003 - einen Bonus in Höhe von 2,5 Millionen Dollar und 400.000 Aktienoptionen im aktuellen Wert von 5,1 Millionen Dollar. Im Jahre 2003 hatte er einen Bonus von 2,9 Millionen Dollar und 500.000 Aktienoptionen erhalten. Zusätzlich hatte Wagoner 2003 noch 3,3 Millionen Dollar an langfristigen Anreizen erhalten, die im letzten Jahr (2004) wegfielen.

Der GM Vorsitzende für Nordamerika, Bob Lutz, und der leitende Finanzdirektor, John Devine, erhielten für das Jahr 2004 Entschädigungen von 4,4 bzw. 4,2 Millionen Dollar. Das Jahr vorher hatten beide etwa 6,4 Millionen Dollar erhalten. Lutz und Devine erhielten 2004 zusätzlich jeweils 160.000 Aktienoptionen im Wert von ungefähr zwei Millionen Dollar, gegenüber 200.000 im Jahr 2003. Das Gehalt des GM-Präsidenten für Nordamerika, Gary Cowgers, betrug 1,6 Millionen Dollar im Jahr 2004 und 2,3 Millionen Dollar im Jahr 2003. Cowger erhielt 2004 50.000 Aktienoptionen, 5.000 weniger als im vorangegangenen Jahr. (Detroit News, 30. April 2005)

Die neuen Stellenstreichungen werden sich auf viele Kommunen verheerend auswirken. Man muss sich nur die schlimmen Bedingungen vor Augen halten, die in Flint (Michigan) herrschen, das früher einmal von General Motors dominiert worden war. Die New York Times hob hervor, dass GM in den 1970er Jahren in Flint so viele Fabrikarbeiter beschäftigt hatte, wie nach dem bevorstehenden Arbeitsplatzabbau in den ganzen Vereinigten Staaten. John Challenger, der Generaldirektor von Challenger, Gray & Christmas, äußerte dazu: "Die massiven Jobkürzungen werden natürlich einen konzentrischen Effekt haben, weil Fabrikschließungen auf umliegende Kommunen, Zulieferer und andere Unternehmen, die von diesen Firmen substanziell abhängig sind, einen negativen Einfluss haben."

Es steht außer Zweifel, dass dem Angriff von General Motors auf die Arbeitsplätze weitgehende Einschnitte bei anderen Konzernen folgen werden. Challenger sagte dazu: "Dies wird wohl nicht der letzte Arbeitsplatzabbau in diesem Jahr sein. Auch andere Firmen kämpfen um ihre Profitabilität und mit Kosten für die Krankenversicherung, die in die Höhe schießen, ganz zu schweigen von den dauerhaften Aufwendungen für die anschwellende Rentnerzahl."

Die Ankündigung von GM ist eine ernstzunehmende Verschärfung der Angriffe des Kapitals auf die Arbeiterklasse, die von der Bush-Regierung offen und von den Demokraten stillschweigend unterstützt werden. In den letzten Wochen haben United Airlines und US Air einseitig die Betriebsrentenprogramme für ihre Beschäftigten gekündigt und damit einem umfassenden Angriff auf Renten und Krankenversicherung in allen Bereichen der Wirtschaft den Weg bereitet. Dieser Prozess, der durch die Krise des Profitsystems bewirkt wird, hat die Zerstörung aller sozialen Errungenschaften zur Folge, die sich die amerikanische Arbeiterklasse in den vergangenen hundert Jahren erkämpft hat.

Siehe auch:
Europaweiter Aktionstag der GM-Beschäftigten: Wütende Arbeiter, kompromissbereite Gewerkschaften
(20. Oktober 2004)
Opel-Betriebsrat unterzeichnet "Zukunftsvertrag" über Lohnabbau
( 9. März 2005)
Opelarbeiter klagt gegen Streikmaßregelung und Kündigung
( 7. Juni 2005)
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