Am Donnerstag, dem 28. April fand vor dem Bochumer Arbeitsgericht die erste mündliche Verhandlung zu den beiden fristlosen Kündigungen statt, die von der Adam Opel AG nach einem siebentägigen Arbeitskampf im Oktober letzten Jahres gegen Betriebsangehörige des Bochumer Werkes ausgesprochen worden waren.
Betroffen sind der Lagerarbeiter Richard K. und das Betriebsratsmitglied Turhan Ersin. Die Konzernleitung von Opel (General Motors) beschuldigt sie, andere Kollegen bedroht und genötigt zu haben, sich an Arbeitsniederlegungen zu beteiligen. Von beiden wird dieser Vorwurf bestritten.
Tausende von Opelarbeitern hatten am 14. Oktober die Werkstore besetzt und mit "Informationsveranstaltungen" das Werk in Bochum vollständig stillgelegt. Kurz zuvor hatte General Motors über das Fernsehen und die Massenmedien Werksstilllegungen, Massenentlassungen und Lohnsenkungen in ganz Europa, insbesondere aber für die Betriebe in Deutschland angedroht, bzw. als "notwendige Sanierungsmaßnahmen" gefordert.
Die auf diese öffentliche Kampfansage hin dann spontan erfolgte Besetzung der Werkstore wurde von den Familien der Opelarbeiter und großen Bevölkerungsteilen des Ruhrgebiets unterstützt, geschah jedoch gegen den ausdrücklichen Willen der Mehrheit des Betriebsrats, des Gesamtbetriebsrats und der Gewerkschaftsbürokratie. Nach sechs Tagen war es diesen dann mit vereinten Kräften und krummen Winkelzügen gelungen, den Abbruch der Aktionen durchzusetzen.
Damit war der Weg frei gemacht für die Durchsetzung des vom Konzern geforderten massiven Stellen- und Lohnabbaus. Frei gemacht hatten Betriebsrat und Gewerkschaft auch den Weg für Rache- und Strafaktionen der Unternehmensleitung gegen einzelne Arbeiter wie Turan Ersin und Richard K.. Der Betriebsrat legte dann anschließend zwar Widerspruch gegen die beiden Kündigungen ein. Er hatte es jedoch unterlassen, von vornherein, vor Abbruch des Arbeitskampfes mit dem Unternehmen wie sonst üblich den Ausschluss solcher Strafmassnahmen zu vereinbaren. Während die fristlose Entlassung von Richard K. trotz Widerspruch des Betriebsrates sofort wirksam war, muss Opel die Kündigung von Turhan Ersin aufgrund seiner Zugehörigkeit zum Betriebsrat vor dem Arbeitsgericht Bochum durchsetzen.
Knapp eine Woche vor der Verhandlung im Fall Turhan Ersin hatte die Adam Opel AG die Auseinandersetzung noch verschärft, indem sie einen "Hilfsantrag" nachschob, wonach Turhan Ersin, sollte das Arbeitsgericht seine Entlassung nicht bestätigen, aus dem Betriebsrat entfernt werden müsse, und zwar aufgrund seiner Äußerungen in einem Interview mit der World Socialist Website. Ersin kritisierte in diesem Interview, dass Betriebsrat und Gewerkschaft nicht mehr unternommen hatten, um den Lagerarbeiter Richard K. gegen die fristlose Kündigung zu verteidigen. Er äußerte die Ansicht, der Betriebsrat solle wenigstens die Zustimmung zu Mehrarbeit verweigern, bis das Unternehmen diese Kündigung zurücknehme.
Kein Wunder, dass die Belegschaft des Bochumer Opelwerkes der Verhandlung gegen Turhan Ersin mit Spannung entgegensah. Viele seiner Kollegen waren gekommen, um ihm vor Gericht den Rücken zu stärken. Obwohl die Sitzung öffentlich sein sollte, wurden aber nur etwa 20 Kollegen in den Saal eingelassen. Die Leitung des Arbeitsgerichtes weigerte sich, mehr Stühle herbeizuschaffen, obwohl noch genügend Platz war. Ungefähr 50 Arbeiterinnen und Arbeiter sowie andere interessierte Besucher mussten auf der Strasse vor dem Gebäude warten.
Die Arbeitgeberseite war in der Sitzung durch einen Bochumer Personalmanager, Herrn Heising, sowie den Rechtsanwalt Dr. Markus Kappenhagen von der internationalen Kanzlei Baker & McKenzie LLP vertreten. Turhan Ersin wurde von seinem Rechtsanwalt Michael Dornieden begleitet.
Auch der Bochumer Betriebsrat, vertreten durch seinen Vorsitzenden Rainer Einenkel und einen Rechtsanwalt der Gewerkschaft, nahm auf Seiten von Turhan Ersin an der Verhandlung teil. Er hatte sich wohl in letzter Minute dazu entschlossen, denn erst am 27. April - einen Tag vor der mündlichen Verhandlung - hatte er sich durch einen Schriftsatz zu dem Verfahren geäußert, so dass selbst der Vorsitzende Richter Dieter Vermaasen, wie er in seinen einleitenden Worten erklärte, "bereits den Eindruck hatte, der Betriebsrat wolle sich an dem Verfahren überhaupt nicht beteiligen".
Rainer Einenkel und sein Rechtsanwalt erklärten auf diese mit dem Ausdruck der Verwunderung ausgesprochene Feststellung des Richters, dass sie sich vollständig den Auffassungen des Rechtsanwalts Michael Dornieden anschlössen und nur deshalb keine eigenen Schriftsätze eingereicht hätten. Gegenüber der WSWS beteuerte Rainer Einenkel im Anschluss an die Verhandlung, dass er die Klage - und insbesondere den Hilfsantrag - als gegen den ganzen Betriebsrat gerichtet ansehe. Er habe persönlich, wie von Turhan Ersin in dem Interview mit der WSWS gefordert, den Antrag im Betriebsrat gestellt, zwei von Opel beantragte Zusatzschichten abzulehnen, wenn die Kündigungen nicht zurückgenommen werden. Diesem Antrag sei dann auch einstimmig nachgekommen worden. Weitere Maßnahmen seien jedoch seitdem nicht ergriffen worden, da vom Arbeitgeber keine weiteren Anträge auf Zusatzschichten mehr gestellt worden seien. Jetzt hinge ja alles vom Ausgang des Gerichtsverfahrens ab.
Doch bereits am ersten Verhandlungstag nahm dieses Verfahren eine überraschende Wendung, die ein abschließendes Urteil, wie es scheint, erst einmal in weite Ferne rückt. Zunächst müsse, erklärte Richter Vermaasen gleich zu Beginn, über zwei rein formale verfahrensrechtliche Fragen entschieden werden. Die inhaltliche Kernfrage, was denn im Herbst tatsächlich vorgefallen sei und ob die Kündigung von Turhan Ersin rechtens sei oder nicht, könne daher erst in späteren Sitzungen verhandelt werden.
Bei den Verfahrensfragen handelt es sich um folgendes: Das Unternehmen, in dem Turhan Ersin beschäftigt ist, ist ein gemeinsamer Betrieb von drei Unternehmen. Die Adam Opel AG ist eines davon, die GM-Fiat Worldwide Purchasing Opel Germany GmbH das zweite und die Opel Powertrain GmbH das dritte.
Für den Prozess vor dem Arbeitsgericht ergeben sich daraus zwei Fragen:
Erstens, müssen außer der Adam Opel AG nicht auch die beiden anderen Unternehmen an dem Verfahren beteiligt werden? Wenn dem so ist, dann muss ihnen auch rechtliches Gehör gewährt und daher eine Einladung zur Teilnahme an den Verhandlungen zugestellt werden.
Zweitens, hätten außer der Adam Opel AG nicht auch die beiden anderen Unternehmen den Antrag auf fristlose Kündigung stellen bzw. unterschreiben müssen? Für den gesamten Rechtsstreit ist besonders diese Frage von erheblicher Bedeutung, denn bei einer positiven Beantwortung wäre der ganze Prozess bezüglich fristloser Kündigung bereits hinfällig, da die beiden anderen Unternehmen dann die Zwei-Wochen-Frist für den Antrag auf eine fristlose Kündigung unwiderruflich versäumt hätten.
Erörtert wurde in dieser Verhandlung allerdings nur die erste Frage. Richter Vermaasen äußerte seine Verwunderung, dass diese Frage zwischen den Parteien so "hochgradig streitig" sei und machte deutlich, dass gerade aufgrund des von Opel eingereichten Hilfsantrages auf Ausschluss aus dem Betriebsrat des Gesamtwerkes doch logischerweise alle drei betroffenen Unternehmen an dem Verfahren beteiligt werden müssten. Rechtsanwalt Dornieden teilte diese Einschätzung. Dr. Markus Kappenhagen erklärte in der Verhandlung nur, dass das Gericht entscheiden müsse.
Turhan Ersin spricht nach dem Gerichtstermin zu Kollegen
Der Beschluss des Gerichts fiel dann tatsächlich auch in dem vom Vorsitzenden Richter bereits in der Verhandlung geäußerten Sinne aus. Die beiden anderen Unternehmen werden jetzt formell über die gerichtliche Auseinandersetzung informiert und können dann dem Verfahren beitreten, müssen dies aber nicht. Die Opel AG erhielt die Auflage, verschiedene Punkte in ihrem Antrag entsprechend diesem Beschluss umzuformulieren und eine falsch angegebene Adresse für den Sitz des Unternehmens zu korrigieren.
Die nächste mündliche Verhandlung findet dann im Laufe des Sommers vor den Werksferien statt.
Turhan Ersin wandte sich im Anschluss an die Sitzung vor dem Gerichtsgebäude an die Kollegen und Besucher, dankte ihnen für ihre Unterstützung und rief dazu auf, auch die Verhandlung gegen seinen Kollegen Richard K. - der ebenfalls anwesend war - zu besuchen. Turhan Ersin hatte bereits in dem von Opel angeführten Interview gegenüber der WSWS betont, dass es vor allem um diesen Kollegen ginge, der nicht wie er selbst den rechtlichen Schutz eines Betriebsratsmitgliedes genieße und jetzt auf der Straße sitze. Dessen Verhandlung ist für den 10. Mai 2005 um 9:30 Uhr ebenfalls vor dem Arbeitsgericht Bochum anberaumt. Die WSWS wird darüber berichten.