In der Nacht zum 3. Februar wurde der 41-jährige georgische Ministerpräsident Surab Schwanija in der Wohnung eines Freundes und Parteifreundes, des 25-jährigen Raul Jusupow, tot aufgefunden. Angeblich hatte er dort "nur kurz" bleiben wollen, sich aber dann etliche Stunden lang nicht gemeldet. Seine Leibwächter, die draußen warteten, verschafften sich Zutritt zur Wohnung und fanden die beiden tot vor, den Freund in der Küche liegend, Schwanija im Wohnzimmer im Sessel.
Als offizielle Todesursache wird eine Vergiftung mit Kohlenmonoxid angegeben, das aus einem Gasheizgerät iranischer Herkunft ausgetreten sein soll. Obwohl in den letzten fünf Jahren in Georgien 80 Menschen auf diese Weise ums Leben gekommen sind, wird dieser Version wenig Glauben geschenkt. Zu viele Fragen sind ungeklärt.
Fraglich ist, warum die Behörden die Kohlenmonoxidvergiftung als Todesursache bekannt gaben, ohne den Abschluss der gerichtsmedizinischen Untersuchungen abzuwarten. Journalisten wird der Zugang zum Unfallort verwehrt, und Widersprüche werden nicht aufgeklärt.
So wurde bisher noch keine Fehlfunktion des Heizgerätes nachgewiesen. Es soll sich in einwandfreiem Zustand befunden und schon monatelang funktioniert haben. Darüber hinaus weisen die Verwandten Jusupows entschieden zurück, dass er diese Wohnungüberhaupt gemietet haben soll. Er lebte mit seiner Frau und seinem anderthalbjährigen Sohn in 15 Kilometer Entfernung. In diesem Zusammenhang kam ans Tageslicht, dass verschiedene Regierungsmitglieder insgesamt über Dutzende konspirativer Wohnungen verfügen.
Weiterhin ist unklar, warum sich Schwanija ohne Begleitung seiner Leibwächter in die Wohnung "seines Freundes" begeben hat. Es wird berichtet, dass dieses Treffen nur unter Vermittlung Dritter zustande gekommen sei, die "Freundschaft" also möglicherweise gar nicht so eng war.
Auch die Rolle der Leibwächter wirft Fragen auf. In einer unbekannten Lokalität ist es Routine, dass die Leibwächter zunächst Gefahrenquellen ausschließen. Außerdem hätten sie sich alle 30 Minuten bei Schwanija melden und nach dessen Zustand erkundigen müssen. Es wird sogar angezweifelt, ob die beiden in dieser Wohnung zu Tode gekommen sind. Keiner der Nachbarn will gehört haben, wie die Leibwächter zunächst vergeblich versuchten, die schwer verriegelte Wohnungstür aufzubrechen. Das anschließende Aufbrechen des Fensters geschah ebenso lautlos.
Einen Tag später, am Freitagabend den 4. Februar, wurde der 32-jährige Georgi Chelaschwili tot in seiner Wohnung aufgefunden. Sein angeblicher Selbstmord ist nicht minder mysteriös. Er soll sich mit einem Jagdgewehr in den Kopf geschossen haben. Vorher hatte er nicht das geringste Anzeichen auf seine Absicht erkennen lassen, freiwillig aus dem Leben zu scheiden.
Chelaschwili war Mitglied der Begnadigungskommission, die direkt Schwanija unterstellt ist. Noch am Vortag war er von der Polizei zu den Umständen von Schwanijas Tod befragt worden. Was er zu Protokoll gegeben hat, ist nicht bekannt.
"Rosenrevolution"
Was auch immer die wirklichen Todesursachen der beiden Politiker sein mögen, sie werfen ein bezeichnendes Licht auf das Regime, das aus der sogenannten "Rosenrevolution" hervorgegangen ist.
Mysteriöse Todesfälle sind zu einer Art Markenzeichen aller Regime geworden, die durch sogenannte "demokratische", von den westlichten Medien glorifizierte und durch westliche Regierungen mit hohen Summen gesponserte "Revolutionen" an die Macht gelangt sind. In Serbien traf es den führenden Kopf der "friedlichen Revolution" Zoran Djindjic, der unter bis heute nicht geklärten Umständen ermordet wurde. In der Ukraine kam Transportminister Georgi Kirpa auf dem Höhepunkt der "orangen Revolution" durch eine Kugel ums Leben; angeblich Selbstmord. Kirpa galt zwar als Mann des scheidenden Präsidenten Leonid Kutschma, aber auch als Rivale des gescheiterten Ministerpräsidenten Wiktor Janukowitsch. Und nun Schwanija und Chelaschwili in Georgien!
Allen Todesfällen ist gemeinsam, dass Elemente des staatlichen Sicherheitsapparats und mafiöse Elemente mit engen Kontakten zur Regierung im Verdacht stehen, verantwortlich zu sein. Alle fanden vor dem Hintergrund jener hemmungslosen Bereicherungsorgien statt, die mit der Privatisierung des staatlichen Eigentums einhergehen und den Kern der "Freiheit" ausmachen, die sich die neuen Regierungen auf die Fahne geschrieben haben. Kurz, sie ereigneten sich in einem politischen Klima, das - wie die Verhältnisse innerhalb der Mafia - Morde und ungeklärte Todesfälle geradezu herausfordert.
Das Regime, das durch die georgische "Rosenrevolution" an die Macht gelangt ist, hat keines der von ihm selbst gesteckten Ziele auch nur annähernd erreicht. An der sozialen Lage hat sich nicht das geringste verbessert, und die demokratischen Rechte werden noch stärker mit Füßen getreten als vorher.
In der sogenannten "Rosenrevolution" vom November 2003 war das bisherige Regime von Präsident Eduard Schewardnadse gestürzt worden. Ehemalige Anhänger Schewardnadses hatten, mit massiver finanzieller und politischer Unterstützung der USA und der EU, den weit verbreiteten Unmut über die enorme soziale Verelendung benutzt, um eine "Volksbewegung" gegen den alternden Präsidenten auf die Beine zu bringen. Zum Auslöser der Revolution wurden Wahlfälschungen bei den Parlamentswahlen vom 2. November 2003 und die Empörung über die grassierende Korruption und die Unterdrückung von demokratischen Rechten durch das Schewardnadse-Regime.
Die USA verfolgten mit der Unterstützung dieser Bewegung das Ziel, in Georgien eine westorientierte Regierung an die Macht zu bringen, die ihren Interessen im Südkaukasus zum Erfolg verhilft. Ihnen geht es um die Verfolgung ihrer geopolitischen und Energieinteressen in der Region, die reich an Erdöl und Erdgas ist und einen Schlüssel bei der Zurückdrängung des traditionellen russischen Einflusses bildet. Kern dieses Projektes ist die inzwischen fertiggestellte Ölpipeline vom aserbaidschanischen Baku ins türkische Ceyhan, die über georgisches Gebiet verläuft und über die ein Großteil des kaspischen Öls an Russland und dem Iran vorbei auf den Weltmarkt geleitet wird.
Obwohl das Schewardnadse-Regime etliches unternommen hatte, den Forderungen der USA entgegenzukommen - sie stimmte dem Bau der Pipeline, der Stationierung von US-Soldaten und -Offizieren zur Ausbildung der georgischen Armee sowie deren Ausrüstung mit amerikanischen Systemen zu -, galt es zunehmend als Unsicherheitsfaktor. Es erwies sich als unfähig, eine härtere Position gegenüber Russland einzunehmen. Russland hatte 1999 einseitig die Stationierung seiner Truppen in den drei abtrünnigen georgischen Teilrepubliken Abchasien, Südossetien und Adscharien verlängert.
Surab Schwanija
Beim langfristig vorbereiteten Sturz des Schewardnadse-Regimes spielte Surab Schwanija eine Schlüsselrolle. Er gehörte neben der Parlamentspräsidentin Nino Burdschanadse und dem jetzigen Präsidenten Michael Saakaschwili zu der "Revolutions-Troika", die sich an die Spitze der Bewegung stellte.
Schwanija, studierter Biologe, war Ende der achtziger Jahre durch die Gründung der georgischen Grünen Partei bekannt geworden. 1992 wurde er als einer der wichtigsten Gegner des damals gestürzten Präsidenten Swiad Gamsachurdia ins Parlament gewählt. In Schewardnadses "Bürgerunion" stieg er zum Parteivorsitzenden und Schewardnadses engstem Unterstützer auf und amtierte seit 1995 als Parlamentspräsident. In dieser Zeit wurde er als Kronprinz Schewardnadses gehandelt.
Doch Schwanija spürte bald, dass mit der steigenden Wut gegen das Schewardnadse-Regime sein Stern schnell sinken konnte, und schaffte rechtzeitig den Absprung. Der Charakter des Schewardnadse-Regimes, das aus dem "Kampf für die Unabhängigkeit des Landes und gegen die Korruption Gamsachurdias" hervorgegangen war, wurden immer deutlicher.
Das Land versank unter Schewardnadse in bis dahin ungekannte Armut. Das Sozialsystem brach völlig zusammen, Renten und Durchschnittslöhne sanken auf 7 bzw. 20 Dollar monatlich, Strom- und Wasserabschaltungen standen auf der Tagesordnung, und bis Ende der neunziger Jahre kam es zwischen rivalisierenden Mafiagruppen zu regelmäßigen Schießereien auf offener Straße. Schewardnadse überlebte mindestens drei Attentatsversuche. Auf der anderen Seite kam es zu einer hemmungslosen Bereicherung seines herrschenden Clans. So kontrolliert seine Tochter Mana die Film- und Fernsehbranche des Landes, ihrem Gatten Georgi gehört ein Drittel des Mobilfunkunternehmens Magti GSM, und Schewardnadses Neffe Nugsar hält sich an Öl- und Gasunternehmen schadlos.
Die Wut in der Bevölkerung über diese Zustände drohte sich in einer unkontrollierbaren Explosion zu entladen. Einen Höhepunkt erreichte die Krise im Sommer 2001. Im Juli war der populäre Moderator Georgi Sanaj des als unabhängig und kritisch geltenden Fernsehsenders Rustwi-2 ermordet worden. Im September ließ die Regierung die Sendeanstalt von der Steuerbehörde durchsuchen und drohte, sie wegen Schulden gegenüber dem Staat zu schließen. Zehntausende gingen auf die Straßen, und Schewardnadse sah sich im November gezwungen, die Regierung zu entlassen.
Schwanija sah für sich nun endgültig die Zeit gekommen, das sinkende Schiff zu verlassen und politisches Schicksal nicht mehr an das seines bisherigen Herren zu binden. Schon im Jahr 2000 hatte er sich vorsichtig von Schewardnadse distanziert und ihn öffentlich der Korruption beschuldigt. Nach der Regierungsauflösung trat er von seinem Posten als Parlamentssprecher zurück. Er machte es Micheal Saakaschwili nach, der schon im September von seinem Amt als Justizminister zurückgetreten und in die Opposition gegangen war.
In der folgenden Zeit kam es angesichts der rasant fallenden Popularität Schewardnadses - seine Partei bekam bei den Kommunalwahlen im Sommer 2002 nur noch 1 Prozent der Stimmen - zu einer Annäherung der oppositionellen "Reform-Blöcke" Schwanijas, Saakaschwilis und Burdschanadses.
Mit Hilfe der USA bereiteten sie sich auf den offenen Machtkampf bei den Parlamentswahlen am 2. November 2003 vor. Mehrfach reisten sie offiziell und inoffiziell in die USA und unterhielten, wie inzwischen hinreichend bekannt geworden ist, enge Kontakte zu verschiedenen Institutionen in Washington. Hauptziele waren dabei jedoch nicht, wie behauptet, "demokratische Verhältnisse" und "ein wohlhabendes Land", sondern die Rettung des herrschenden Establishments und dessen Umorientierung auf eine unbedingte Unterordnung unter Washington.
Das wahre Gesicht des neuen Regimes
Die Politik des vergangenen Jahres, seit Saakaschwili das Präsidenten- und Schwanija etwas später das Ministerpräsidentenamt übernahmen, hat das bestätigt. Das wahre Gesicht des neuen Regimes ist jetzt deutlich sichtbar: Vetternwirtschaft, nicht nachvollziehbare Geschäfte, Intrigen, Verleumdungen, ungebrochene Macht der Profiteure des Schewardnadse-Regimes und Legalisierung von deren Vermögen.
So brüstet sich Saakaschwili damit, dass die frühere Korruption beseitigt sei, weil die alten Eliten "großzügig" an den Staat zurückgezahlt hätten. Kürzlich wurde weniger lautstark bekannt gegeben, dass insgesamt nur 25 Millionen Euro auf diese Weise an den Staat geflossen sind. Für mögliche Vermögensdelikte wurde niemand verantwortlich gemacht und somit alle in den vergangenen Jahren erworbenen Großvermögen legalisiert.
Stattdessen kam es zu einer Umverteilung der Pfründe zugunsten des neuen Regierungsclans. Schwanija spielte dabei eine Hauptrolle und geriet deswegen unter wachsende Kritik. Unter seiner Ägide entstand der für die Umverteilung notwendige Mechanismus - das ehrgeizigste Privatisierungsprogramm Georgiens seit Anfang der neunziger Jahre. Es wurde im vergangenen Frühjahr vorgelegt und sieht den Verkauf von über 200 Staatsobjekten vor. Zum Verkauf stehen ehemalige Sowjetbetriebe, Ferienobjekte am Schwarzen Meer und in den Bergen sowie Infrastruktureinheiten und Schiffe.
Zweiter Verantwortlicher für das Privatisierungsprogramm war und ist der Reformminister Kacha Bendukidse. Er stieg bei der Privatisierung russischer Maschinenbaubetriebe in den neunziger Jahren zum Oligarchen mit einem Vermögen von mehreren hundert Millionen Dollar auf und wurde von Saakaschwili zunächst als Wirtschaftsminister nach Georgien geholt.
Schwanija wurde zu einem der unbeliebtesten Mitglieder der neuen Regierung. Gegenüber dem Deutschlandfunk erläuterte einer seiner früheren Kampfgefährten dessen Vorgehen. Niko Orwelaschwili vom "Georgischen Institut für Wirtschaftsentwicklung", Ende der achtziger Jahre Mitbegründer der Grünen Partei, berichtete über die Privatisierung der Schwarzmeerflotte der adscharischen Hauptstadt Batumi - einem der beiden wichtigsten Privatisierungsprojekte der neuen Regierung.
Ihm war zunächst zu Ohren gekommen, dass die 16 Schiffe für 107 Millionen Dollar verkauft wurden, was er für ein gutes Geschäft hielt. Doch dann stellte sich heraus, dass auch der Hafen selbst Bestandteil des Pakets war, der mit 20 Millionen Dollar jährlich eine wichtige Einnahmequelle des Staates ist. Laut Orwelaschwili verstößt dies gegen die Verfassung. Das Vorgehen sei typisch für Schwanijas undurchsichtiges Geschäftsgebaren, der derartige Geschäfte gewöhnlich zwischen zwei und drei Uhr nachts abgeschlossen habe.
Tatsächlich hat Schwanija bei allen Privatisierungen seine Hand im Spiel gehabt und die letzte Entscheidung getroffen. So ist allein im letzten Jahr dreimal der Wirtschaftsminister ausgewechselt worden, in dessen Ressort die Privatisierungen dem Gesetz nach eigentlich fallen. Auch wurden niemals Listen veröffentlicht, welche Objekte genau zum Verkauf stehen. In unzähligen Fällen tauchten völlig unbekannte Käufer auf und verbitterten potentielle ausländische Investoren.
Interessant ist in diesem Zusammenhang, dass bei dem zweiten wichtigen Privatisierungsbrocken die ukrainische Interpipe Corporation mitmischte, die dem ukrainischen Oligarchen Wiktor Pintschuk gehört, dem Schwiegersohn des ehemaligen ukrainischen Präsidenten Leonid Kutschma. Es ging um das Manganbergwerk Tschiaturmanganumi und das Wasserwerk Wartsiche im Wert von ebenfalls etwa 100 Millionen Dollar. Generell sollen bisher vor allem russische Käufer zum Zuge gekommen sein.
Unter diesen Umständen ist es nicht verwunderlich, dass die neue Regierung auch für Verstöße gegen Menschenrechte immer lauter kritisiert wird. Selbst der Europarat sah sich gezwungen, die georgische Regierung für den "sorglosen Umgang des Präsidenten mit Demokratie und Menschenrechten" zu rügen, wie die Frankfurter Allgemeine Zeitung am 4. Februar berichtete.
Die FAZ zitierte dazu Tina Chidascheli, die Vorsitzende der Vereinigung Junger Rechtsanwälte. Sie erklärte, dass im vergangenen Frühjahr mehr gefoltert worden sei, als zu Schewardnadses Zeiten. Leute, die Saakaschwili in die Quere kommen, werden kurzer Hand kaltgestellt und zum Teil völlig willkürlich behandelt. So berichtete Chidascheli von Sulchan Molaschwili, dem früheren Leiter des Rechnungshofes, der ein Vertrauensmann Schewardnadses war. Er sitzt ohne Strom, Sonnenlicht, Wasser und ohne einen Stuhl im Gefängnis. Eine internationale Journalistenvereinigung stufte auch das Niveau der Meinungsfreiheit im Jahr 2004 im Vergleich zum Vorjahr um 13 Prozent herab.
Über Schwanija wird berichtet, dass es zwischen ihmund Saakaschwili in den letzten Monaten eine Entzweiung gegeben habe. Zwei Vertrauensleute von Schwanija sind abgesetzt worden, um seinen Einfluss in der Regierung zu reduzieren. Schwanija galt in der Regierung als "Taube". Saakaschwili hatte den drei abtrünnigen Republiken Abchasien, Südossetien und Adscharien, über die Russland in den letzten zehn Jahren Druck auf Georgien ausübte, sofort nach seinem Amtsantritt den Einsatz der Armee angedroht, falls sie sich weiterhin weigern sollten, dem georgischen Staat beizutreten. Schon im Mai gelang es Saakaschwili, Moskaus Statthalter in Adscharien zu stürzen. Doch in Südossetien und Abchasien werden diese Widersprüche nicht so leicht zu lösen sein.
Die Ereignisse in Georgien zeigen sehr deutlich, dass keine der Fraktionen der herrschenden Elite, wie "demokratisch" oder "reformerisch" sie sich auch geben mag, die Interessen der Bevölkerung vertritt. In der Ukraine wird die Bevölkerung in den kommenden Monaten und Jahren mit der Regierung Juschtschenko-Timoschenko ähnliche Erfahrungen machen wie die georgische, die mit dem Sturz Schewardnadses vom Regen in die Traufe geraten ist.