Die Irakpolitik der Bush-Regierung bricht sichtbar in sich zusammen. Angesichts einer ganzen Reihe von militärisch-politischen Desastern - dem Abschuss von Helikoptern, Selbstmordattentaten, Mörserangriffen auf das Hauptquartier der amerikanischen Besatzungstruppen in der "Grünen Zone" im Zentrum Bagdads - ist ein Wendepunkt im Irakkrieg erreicht.
Die Ankündigung der US-Regierung, nun beschleunigt auf ihren Rückzug aus dem Irak hinzuarbeiten, wird mit Sicherheit keinen Truppenabzug nach sich ziehen. Alles darauf hin, dass das Weiße Haus und das Pentagon den Widerstand im Irak mit immer brutaleren Methoden bekämpfen und auch vor Massentötungen und der Errichtung von Lagern für mutmaßliche Besatzungsgegner nicht zurückschrecken werden.
Einen gewissen Einblick, welche Pläne auf höchster Regierungsebene diskutiert werden, eröffnen charakteristische Kommentare führender US-amerikanischer Medien, die in den vergangenen Wochen ein viel gewaltsameres und weiter gehendes Programm der Aufstandsbekämpfung forderten. Diese Kommentare und Leitartikel richten sich weniger an die amerikanische Öffentlichkeit - die entsprechende Kampagne wird zu gegebener Zeit einsetzen - sondern sollen der Regierung den Rücken stärken und die herrschende Elite als Ganzes auf die bevorstehenden, entsetzlichen Maßnahmen einstimmen.
An der Spitze der Kampagne steht die Washington Post, die führende Tageszeitung der amerikanischen Hauptstadt. Unter all den Zeitungen, die früher als politisch liberal galten, hat sich die Post zur entschlossensten Befürworterin eines Siegs im Irak gemausert.
In einem Leitartikel vom 29. Oktober mit der Überschrift "Die Ramadan-Offensive" verglich die Post die jüngsten Ereignisse im Irak mit der vietnamesischen Tet-Offensive, die 1968 einen Meilenstein auf dem Weg zur Niederlage der US-Truppen darstellte. Die landesweite Offensive während des vietnamesischen Neujahrsfestes (Tet) habe, so die Post, den Aufständischen zwar eine militärische Niederlage beschert, gleichzeitig aber die öffentliche Unterstützung für den Krieg stark untergraben. Heute bestehe die Gefahr, dass die Anschlagsserie des irakischen Widerstands während des heiligen islamischen Monats Ramadan die gleiche politische Wirkung entfalte.
"Im Licht der ständigen Eskalation feindlicher Angriffe stellt sich die Frage, ob die US-Truppen die für ihre Aufgabe notwendigen Taktiken entwickelt und Ressourcen herangezogen haben. Mehr Soldaten - vor allem Soldaten, die Operationen zur Aufstandbekämpfung durchführen können - wären sicherlich von Nutzen", argumentiert der Leitartikel. "Eine effektivere Kampagne der Aufstandsbekämpfung sowie Aufbauarbeiten sind die einzig verantwortbare Art, um die Ramadan-Offensive des Feindes zu beantworten."
Eine Woche später veröffentlichte die Post zwei weitere Kommentare, einen davon im Namen des Senators John McCain aus dem Bundesstaat Arizona, einem ehemaligen Kriegsgefangenen in Vietnam, der heute zu den wichtigsten Befürwortern einer weiteren Entsendung von Truppen in den Irak gehört.
Irak und Vietnam
"Irak ist nicht Vietnam", erklärt McCain. "Es gibt keinen antikolonialen Volksaufstand im Irak. Unsere Gegner, die in einem Land von 23 Millionen Einwohnern nur wenige Tausend zählen, werden von der Mehrheit der Iraker verachtet. [...] Diese Mörder können nicht das Banner des irakischen Nationalismus tragen, wie es vor Jahrzehnten Ho Chi Minh in Vietnam getan hat."
(Es ist eine bemerkenswerte Ironie, dass McCain und andere, die die Parallelen zwischen Vietnam und Irak leugnen, jetzt zugeben müssen, dass die vietnamesischen Befreiungskämpfer Massenunterstützung und Anerkennung unter der Bevölkerung Vietnams genossen. Zur Zeit des Vietnamkriegs allerdings beschrieben amerikanische Regierungsvertreter die vietnamesische Befreiungsfront Vietcong mit den gleichen Begriffen, die Bush & Co. heute für den irakischen Widerstand gebrauchen - d. h. als Terroristen, Mörder, Meuchler, Unterstützer des "Diktators" Ho Chi Minh etc.)
McCain fährt fort: "Wir unterlagen in Vietnam, weil wir den Willen zu kämpfen verloren hatten, weil wir nicht das Wesen des Kriegs verstanden, den wir führten, und weil wir uns selbst beim Einsatz der Mittel beschränkten."
Über diese Worte sollte man nachdenken. In welcher Hinsicht beschränkten sich die Vereinigten Staaten beim Einsatz der Mittel für das Militär in Vietnam? Im Vietnamkrieg kamen mehr als 500.000 Soldaten und Tausende Kriegsflugzeuge zum Einsatz, zudem Flächenbombardements im Norden und Süden des Landes, mehr Bombentonnage, als an sämtlichen Schauplätzen des Zweiten Weltkriegs zusammengenommen, Agent Orange und andere giftige Chemikalien sowie die modernsten elektronischen Überwachungsmethoden und getarnten Bomben, die zur damaligen Zeit verfügbar waren.
Die einzigen zu jener Zeit verfügbaren Waffen aus dem US-Arsenal, die nicht eingesetzt wurden, waren die Atom- und die Wasserstoffbombe. Der Grund, weshalb diese Waffen ungenutzt blieben, lag nicht in einer selbst auferlegten Zurückhaltung Washingtons angesichts des Massensterbens, das ihr Einsatz ausgelöst hätte, sondern in der unmittelbaren Gefahr, dass die Sowjetunion und China als Nuklearmächte einen Vergeltungsschlag in Erwägung ziehen könnten.
McCain schließt seinen Kommentar mit der zutreffenden Feststellung, dass die von der US-Regierung angekündigte "Irakisierung" (d. h. der Rückgriff auf einheimische Söldner) als Kriegsstrategie unsinnig sei. "Wenn das US-Militär, die beste Armee der Welt, die irakischen Aufständischen nicht besiegen kann, wie können wir dann erwarten, dass irakische Milizen dies nach wenigen Wochen Ausbildung leisten?" fragt er. Seine Schlussfolgerung lautet, dass die Bush-Regierung noch mindestens eine komplette Division in den Irak entsenden soll, "die uns die nötige Stärke verschafft, um eine gezielte Aufstandsbekämpfung im sunnitischen Dreieck durchzuführen, feindliche Gebiete abzuriegeln, Missionen zum Aufspüren und Zerstören umzusetzen und Territorien zu halten".
Am gleichen Tag forderte ein weiterer prominent platzierter Kommentar von Jim Hoagland in der Post ebenfalls eine solche intensive Kampagne militärischer Unterdrückung. Hoagland beklagte, dass in der Zeit vom 1. Mai bis zum 8. November 149 amerikanische Soldaten durch feindliches Feuer im Irak getötet wurden, während in der gleichen Zeit kein einziger Iraker für diese Angriffe hingerichtet oder inhaftiert wurde.
Auch diese Äußerung sollte man überdenken. Warum sollten Iraker, die auf amerikanische Soldaten feuern, wie Kriminelle behandelt und inhaftiert oder exekutiert werden? Immerhin sind die Vereinigten Staaten über ihr Land hergefallen. Der Krieg ist niemals offiziell für beendet erklärt worden. Die Regierung von Saddam Hussein hat sich nicht ergeben, sie hat sich einfach nur versteckt. Die amerikanischen Militärvertreter - zuletzt der US-Spitzenkommandeur im Irak General Ricardo Sanchez - bezeichnen den anhaltenden Konflikt regelmäßig als Krieg. Iraker, die in Gefangenschaft geraten, während sie bewaffneten Widerstand gegen die amerikanischen Besatzer verüben, sind daher Kriegsgefangene und müssen nach internationalem Recht und der Genfer Konvention als solche behandelt werden.
Hoagland, ein langjähriger Unterstützer von Exilgruppen wie dem Irakischen Nationalkongress von Ahmed Chalabi, fordert das Pentagon hingegen auf, folgende Mittel gegen den Widerstand einzusetzen: "Die Besatzungsbehörden sollten sofort irakischen Milizen und anderen lokalen Sicherheitskräften die Befugnis geben, die Ex-Baathisten, die den Kern des Widerstands bilden, niederzustrecken." Dies wäre die Schaffung einer irakischen Version der lateinamerikanischen Todesschwadrone, die unter der Schirmherrschaft der Vereinigten Staaten in den 1970-er und 80-er Jahren gebildet wurden, um linke Guerillas und politische Aktivisten auszuradieren.
Der Post -Kolumnist beklagt, dass das US-Militär darauf fixiert sei, in den vorwiegend von Sunniten bewohnten Regionen nördlich und westlich von Bagdad, in denen es die meisten Anschläge gab, die öffentliche Meinung für sich zu gewinnen. Hoagland argumentiert, dass die sunnitische Bevölkerung als Ganze zur Verantwortung gezogen werden müsse, weil sie "sich offenbar bereitwillig zu dem Meer gemacht hat, in dem die aufständischen Fische schwimmen".
Er schließt mit einer sarkastischen Bemerkung über die Militärführung, weil diese die Sunniten angeblich lieber überzeugen als nötigen wolle: "Wenn man die Wunder der Demokratie anpreist, hat das eine weitaus geringere Wirkung, als wenn man auf den Preis verweist, den sie zahlen müssen, wenn sie die Killerfische weiterhin in ihrer Mitte schwimmen lassen."
Hoagland führt nicht näher aus, wie dieser Preis aussieht. Um dies zu erfahren und um reinen Blutdurst kennen zu lernen, muss man die New York Times zu Hand nehmen - das einstige Sprachrohr des liberalen Establishments - und sich dem Medienimperium von Rupert Murdoch zuwenden, dem ultra-rechten Besitzer des Fernsehsenders Fox und von Presseerzeugnissen weltweit, unter anderem der New York Post.
In ihrer Sonntagsausgabe vom 16. November veröffentlichte die Times eine Kolumne von Max Boot, der auch regelmäßig für das politisch rechts stehende Wall Street Journal schreibt.
Boot beginnt mit dem Eingeständnis, dass die schweren Verluste, die die US-Truppen in diesem Monat im Irak erlitten haben, "jenen Kritikern Recht geben, die Parallelen zu Vietnam sehen".
Er stellt sodann fest, dass die Vereinigten Staaten "wichtige Lehren aus diesem früheren Krieg ziehen können, wie mit dem Feind umzugehen ist".
Insbesondere schlägt Boot vor, das US-Militär solle zu jenen Methoden greifen, die bei der Operation Phoenix in Vietnam eingesetzt wurden. Dabei setzten Sondertruppen und CIA Todesschwadrone ein, die ungefähr 26.000 mutmaßliche Unterstützer des Vietcong niederstreckten und töteten, darunter politische Aktivisten, Dorfvorsteher, Arbeiter und Bauern.
Zusätzlich zu den Massentötungen befürwortet Boot den Einsatz von Folter als angemessenem Mittel, um dem Irak "Demokratie" zu bringen. Iraker, so sagt er, sollten für diese schmutzige Arbeit rekrutiert werden.
"Unser Militär - das einen Oberstleutnant der Armee vor Gericht stellt, der mit seiner Pistole in die Luft geschossen hatte, um einen irakischen Verdächtigen einzuschüchtern und auf diesem Weg Details über einen bevorstehenden Angriff zu erfahren - ist vielleicht einfach zu pfadfinderhaft für die raue Seite eines schmutzigen Krieges", schreibt Boot. "Iraker, die unter Saddam Husseins Tyrannei gelitten haben, haben solche Gewissensbisse nicht."
Am 5. November brachte Murdochs New York Post eine Kolumne des pensionierten Obersts Ralph Peters, einem Militärkommentator, der regelmäßig im Wall Street Journal, der Los Angeles Times und anderen größeren Tageszeitungen schreibt.
Peters beginnt seine Kolumne mit der rituellen Feststellung, die Besatzung des Iraks liefe "wesentlich besser, als es von den Medien dargestellt wird", und umreißt dann einen Handlungsplan auf einer Basis, die vom Gegenteil ausgeht - dass die Vereinigten Staaten mit einer so verbreiteten und starken Opposition konfrontiert sind, dass nur die blutigsten Maßnahmen Erfolg versprechen.
"Zunächst einmal", so Peters, "müssen wir aufhören, uns an die sunnitisch-arabische Minderheit zu hängen, die den Terror ausbrütet und sich an den Gräueltaten ergötzt. Unsere Besatzungspolitik ist in Aspekten naiv und einseitig - nur Zuckerbrot, keine Peitsche."
"Wir müssen den Mumm haben, mindestens einem Terroristennest eine harte Lektion zu erteilen, damit sie den anderen ein Beispiel ist. Faludscha bietet sich logisch an."
"Wenn der Pöbel weiterhin unseren Feinden und den Feinden eines gesunden irakischen Staates Unterschlupf gewährt, müssen wir ein striktes Kriegsrecht verhängen. Anstatt weitere Entwicklungsgelder in die Stadt zu pumpen - Schmiergelder, die keine Wirkung haben - müssen wir den Strom abdrehen, Wasser rationieren, den Zugang zur Stadt beschränken und die Lebensmittelvergabe über ein Kartensystem rationieren."
Dieses Programm der Aushungerung und Unterdrückung soll auf eine Stadt mit 450.000 Menschen angewandt werden. Es ist absehbar, welche Opfer dies unter der Zivilbevölkerung kosten wird.
Peters befürwortet auch eine ökonomische Strangulierung der sunnitisch dominierten Region, wo etwa 5 der 23 Millionen Iraker leben, indem der irakische Ölreichtum nur den anderen Bevölkerungsgruppen zufallen soll. Die nördlichen Ölfelder sollen den Kurden und die südlichen den Schiiten gegeben werden - die Sunniten dagegen sollen die "entwaffnete, rohstoffarme" Region im Zentrum des Landes bekommen.
Schließlich zieht Peters eine umfassende Schlussfolgerung aus den Erfahrungen im Irak. Die Vereinigten Staaten würden in Zukunft zweifellos in andere Länder einfallen und sie besetzen, sagt er, und müssten daher vorbereitet sein.
"Es ist überfällig, dass wir von den Römern und Briten lernen und den Wert von Strafexpeditionen erkennen", erklärt er. "Exemplarische Bestrafung mag nicht mehr in Mode sein, aber sie war zu allen Zeiten eines der effektivsten Werkzeuge der Staatsführung. Wo man nicht geliebt wird, soll man gefürchtet werden."
Befürwortet Peters die Methoden der Römer gegen die Karthager - die Stadt dem Erdboden gleichmachen und den Boden versalzen, so dass nie wieder etwas wächst? Oder vielleicht die Taktik der Briten gegen aufständische Stammesführer im Irak in den frühen 1920-er Jahren, als der Kolonialminister Winston Churchill den Einsatz von Kriegsflugzeugen anordnete, die Wüstenoasen mit Maschinengewehren beschossen und Giftgas abwarfen?
Peters lässt in seiner Liste von Beispielen einen berüchtigten Vollstrecker der "Strafexpeditionen" aus - das Nazi-Regime im Zweiten Weltkrieg, das im Namen der Vergeltung für Widerstandsaktionen unzählige Gräueltaten verübte. Aber eben solche Methoden der Gestapo und Waffen-SS sind es, zu denen die amerikanischen Besatzer im Irak im zunehmenden Maße greifen werden.