Eine Serie von Raketenangriffen und Autobomben hat den Bemühungen der USA, den Anschein einer erfolgreichen Befriedung des Irak zu erwecken, einen vernichtenden Schlag versetzt.
Pläne Washingtons, das Sechsmonats-Jubiläum von Bushs Erklärung über das Ende der Kampfhandlungen mit Hinweisen auf die Geberkonferenz in Madrid und eine triumphale Irak-Tour des stellvertretenden Verteidigungsministers Paul Wolfowitz zu verknüpfen, sind kläglich gescheitert. Am Sonntag musste ein sichtlich schockierter Wolfowitz aus dem von Raketen getroffenen Raschid-Hotel fliehen, und am folgenden Morgen wurden drei Polizeistationen in Bagdad und die Zentrale des Internationalen Komitees des Roten Kreuzes innerhalb von 45 Minuten in einer koordinierten Aktion mit Bomben angegriffen.
Die Angriffe zeigten, dass der bewaffnete Widerstand gegen die US-Besatzung des Irak an Stärke zunimmt, und dass das amerikanische Personal und seine einheimischen Handlanger selbst in den am schärfsten bewachten und befestigten Enklaven der Hauptstadt nicht sicher sind.
Bush bekräftigte am Montag im Weißen Haus an der Seite von Paul Bremer, dem Chef des US-Besatzungsregimes im Irak, seine Entschlossenheit, an seinem Kurs festzuhalten, und kündigte verstärkte Maßnahmen zur Aufstandsbekämpfung an. Bremer und andere US-Vertreter führten die zunehmenden Guerillaangriffe im Irak auf die Anwesenheit ausländischer Kämpfer zurück und deuteten auf Iran und Syrien.
Ohne jeden Zweifel wird die Antwort der amerikanischen Regierung auf die zunehmende Organisiertheit und Effektivität des irakischen Widerstands in einer brutalen Eskalation der Angriffe auf das irakische Volk bestehen, wie auch in verstärkten Provokationen und Kriegsvorbereitungen gegen Iraks östliche und westliche Nachbarn.
Der Raketenangriff auf das Raschid-Hotel, in dem die meisten amerikanischen Zivilisten und viele Militärpersonen untergebracht sind, war der Höhepunkt einer ganzen Serie von Guerillaangriffen während der Reise von Wolfowitz, die am Freitag begann und unter anderem nach Kirkuk und in Saddam Husseins Heimatstadt Tikrit führte.
Die Reise sollte in erster Linie demonstrieren, dass sich die Sicherheitslage und die Lebensbedingungen im ganzen Irak verbessert haben. Wolfowitz besuchte bewusst irakische Polizeistationen und US-Basen, um zu zeigen, dass die Iraker immer mehr Polizeifunktionen im Land selbst in die Hand nähmen und den anti-amerikanischen Widerstand unterdrückten.
Eine am Vorabend von Wolfowitz' Besuch veröffentlichte Umfrage, die in beiderlei Hinsicht zur gegenteiligen Schlussfolgerung gelangte, wurde von den amerikanischen Medien weitgehend ignoriert. Die Umfrage, die am Donnerstag vom unabhängigen, privat finanzierten Irakischen Zentrum für Forschung und strategische Studien veröffentlicht wurde, zeigte, dass mehr als 60 Prozent der Iraker wenig oder kein Vertrauen haben, dass die US-Truppen und ihre Verbündeten ihre Sicherheit verbesserten. Sie zeigte weiter, dass der Prozentsatz von Irakern, die die Amerikaner als Befreier ansehen, in den letzten sechs Monaten von 43 Prozent auf 14,8 Prozent zurückgegangen ist.
Ebenso wenig ist es der PR-Offensive Washingtons gelungen, die öffentliche Meinung in Europa zu beeinflussen. Eine Umfrage im Auftrag der EU-Kommission zeigte, dass zwei Drittel der EU-Bürger glauben, die Invasion des Irak sei nicht gerechtfertigt gewesen, und die USA sollten den Wiederaufbau des Landes finanzieren.
Die meisten amerikanischen Medien unterstützten kritiklos Wolfowitz' Propaganda. Die New York Times veröffentlichte zum Beispiel am Sonntag einen lobhudelnden Artikel unter der Schlagzeile "Wolfowitz jubelt im Irak und wird bejubelt".
Über eine Reihe beunruhigender Tatsachen wurde kaum berichtet. Die Reise des Strategen aus dem Pentagon wurde von Raketenangriffen auf US-Basen in Samara, Bakuba und Balad begleitet, die Dutzende Opfer forderten, einige von ihnen tödlich. Auch ein Elektrizitätswerk in Bagdad wurde getroffen.
Der Polizeichef der Südprovinz Amarah wurde am Wochenende niedergeschossen, und am Samstag wurde ein amerikanischer Black-Hawk-Hubschrauber in der Nähe einer Basis im Zentralirak von Guerilleros unter Feuer genommen und zerstört, kaum dass Wolfowitz den Ort verlassen hatte.
Der Angriff auf das Raschid-Hotel vom Sonntag war der erste ernste Guerillaangriff auf eine amerikanische Einrichtung in der sogenannten "grünen Zone", einer schwer bewachten und verbarrikadierten Enklave im Zentrum von Bagdad, zu der normale Iraker keinen Zugang haben. Die Zone umgibt das Nervenzentrum des US-Besatzungsregimes: den Republikanischen Palast, das Hauptquartier Bremers und seiner wichtigsten Helfer, das Gebäude, in dem die Büros des irakischen Regierungsrats untergebracht sind, und das Hotel Al Raschid, das vielleicht prominenteste Symbol amerikanischer Kolonialherrschaft.
Der Angriff ist umso bedeutsamer, als Wolfowitz zu dem Zeitpunkt Ehrengast im Hotel war. Eine der Raketen schlug in dem Stockwerk unterhalb seines Zimmers ein, was vermuten lässt, dass die Angreifer über Insiderkenntnisse verfügten. Der Vizeverteidigungsminister kam nur knapp mit dem Leben davon.
Das von einer hohen, mit Stacheldraht gesicherten Betonmauer umgebene Al Raschid gehört zu den bestgesicherten Gebäuden von Bagdad. Die Guerilleros überwanden die Verteidigungsanlagen, indem sie eine improvisierte Raketenbatterie bastelten, die sie in der Attrappe eines mobilen Stromgenerators verbargen. Sie schafften den Raketenwerfer bis auf 150 Meter an das Hotel heran und programmierten ihn so, dass er kurz nach sechs Uhr morgens seine Geschosse abfeuerte. Acht bis zehn 68mm und 85mm Luft-Boden-Raketen, die normalerweise von Hubschraubern abgefeuert werden, trafen das Hotel, töteten einen amerikanischen Oberst und verwundeten siebzehn weitere Militärs.
Sonntag Nacht gab es zwei weitere Explosionen in der Nähe des Hotels. Hunderte Zivilisten und Militärpersonal wurden aus dem Gebäude evakuiert und anderswo untergebracht.
Die erschütternde Wirkung der Raschid-Attacke auf die Bush-Regierung zeigte sich bei Auftritten führender Regierungsvertreter in Nachrichtensendungen des Fernsehens am Sonntag Morgen. Außenminister Colin Powell sagte in NBC's "Meet the Press", die Regierung habe keinen "so intensiven und so langen" Widerstand der Iraker erwartet.
Bremer bestätigte, dass die Guerillakräfte immer raffinierter vorgingen, wiederholte aber die Linie der Regierung, dass sie in keiner Weise eine tiefgehende Opposition der irakischen Bevölkerung gegen die US-Besatzung widerspiegelten. Er erklärte, dass alle Angriffe auf US-Kräfte und ihre Verbündeten das Werk von "Mördern" seien, die er in drei Kategorien einteilte: Anhänger von Saddam Hussein, einfache Kriminelle und ausländische Terroristen.
Am nächsten Morgen, dem ersten Tag des für die Moslems heiligen Fastenmonats Ramadan, wurde Bagdad von einer Serie von vier Autobomben erschüttert, die sich um ungefähr 8.30 Uhr in schneller Folge ereigneten. Bei den Anschlägen wurden 42 Menschen getötet, darunter ein US-Soldat, zwei irakische Angestellte des Internationalen Roten Kreuzes und acht irakische Polizisten. Weitere 224 Menschen wurden verletzt, unter ihnen 65 irakische Polizisten. Es war der blutigste Tag in Bagdad seit Beginn der US-Besatzung.
Das Internationale Komitee vom Roten Kreuz kündigte an, sein gesamtes ausländisches Personal aus dem Irak abziehen zu wollen; damit wäre es die zweite westliche Institution, die ihre Anwesenheit wegen des wachsenden Guerillakriegs drastisch reduziert. Im August zog die UNO den größten Teil ihres ausländischen Personals nach dem Autobombenanschlag auf ihr Hauptquartier in Bagdad zurück.
Neben dem im Raschid-Hotel getöteten Armeeoberst und dem durch die Autobomben getöteten amerikanischen Soldaten verloren am Sonntag drei weitere US-Soldaten bei anderen Angriffen in Bagdad ihr Leben. Damit erreicht die Zahl der Opfer unter den amerikanischen Truppen durch feindliches Feuer 113, seit Bush die "Mission" am 1. Mai für "erfüllt" erklärt hatte.
Gleichzeitig stieg die Zahl der von US-Truppen getöteten irakischen Zivilisten weiter an, da am Montag eine Gruppe von Zivilisten in Falludschah erschossen wurde.
Der Rauch der Autobomben vom Montag hatte sich kaum verzogen, als einige amerikanische Militärsprecher und Mitglieder des US-gestützten Regierungsrats aus Syrien und Iran infiltrierte Terroristen dafür verantwortlich zu machen versuchten. Brigadegeneral Ahmed Ibrahim, der stellvertretende Innenminister, behauptete, dass ein Autobombenattentäter, der erschossen worden war, bevor er eine Polizeistation in die Luft sprengen konnte, einen syrischen Pass bei sich getragen habe. Später erklärte US-Brigadegeneral Mark Hertling auf einer Pressekonferenz: "Wir hatten bisher noch keine Angriffe, die wir ausländischen Kämpfern zuschreiben konnten. Heute haben wir sie."
Diesen Behauptungen widersprachen andere amerikanische Militärvertreter. Generalmajor Raymond Odierno, Kommandeur der 4. Infanteriedivision der US-Armee, der die amerikanischen Einheiten im sogenannten "sunnitischen Dreieck" befehligt, sagte, ausländische Kämpfer machten nur einen sehr, sehr kleinen Teil des Widerstands aus. Brigadegeneral Martin E. Dempsey, Kommandeur der 1. gepanzerten Division, die für die Sicherheit von Bagdad verantwortlich ist, sagte am Sonntag: "Wir können keinen Zustrom ausländischer Kämpfer in Bagdad bestätigen."
Ungeachtet solcher Differenzen hat im amerikanischen politischen und militärischen Establishment und in der Bush-Regierung schon eine Kampagne begonnen, die Operationen zur Aufstandsbekämpfung drastisch zu verstärken. Verteidigungsminister Donald Rumsfeld eröffnete die öffentliche Kampagne, als er in seinem internen Memorandum "entschlossenere Maßnahmen" im Irak forderte. Das Memorandum war, wie gemutmaßt wurde, auf Rumsfelds eigene Veranlassung hin vergangene Woche an die Presse durchgesickert.
Was Rumsfeld meinte, konnte man einem langen Gastkommentar in der Washington Post vom Sonntag entnehmen, der unter der Schlagzeile "Der richtige Kampf jetzt: Aufstandsbekämpfung statt Vorsicht ist die Antwort im Irak" erschien. Die Kolumne stammte von zwei Autoren rechter Think Tanks, die gute Beziehungen zu Rumsfeld und anderen Kriegsfalken wie Wolfowitz und Richard Perle haben. Tom Donelly, einer der Autoren, ist beim American Enterprise Institute beschäftigt, und der andere Autor, Gary Schmitt, ist Direktor des Project for a New American Century [Projekt für ein neues amerikanisches Jahrhundert].
Sie argumentieren, dass der irakische Widerstand "entscheidend besiegt werden" müsse und beziehen sich auf Vietnam, wo "klassische Aufstandsbekämpfungsstrategien und -taktiken erfolgreich waren - wenn genügend Zeit und Mittel investiert wurden".
"Die Vereinigten Staaten wissen, wie man solche Kriege führt", erklären sie und fahren fort: "Im Irak würde das bedeuten, dass Koalitionstruppen, unterstützt von neu ausgebildeten irakischen Polizisten und Soldaten, massiv in ein bestimmtes Gebiet einfallen, um Aufständische und ihre unterstützende Infrastruktur zu entwurzeln.... Eine erfolgreiche Aufstandsbekämpfung würde von den amerikanischen Bodentruppen Aufgaben und Operationen verlangen, die das heutige sich reformierende' Militär, das Soldaten zunehmend durch Feuerkraft ersetzt, nur schwer erfüllen kann."
Was für Aufgaben und Operationen? Was ist mit "ein Gebiet überschwemmen" und Aufständische und ihre "unterstützende Infrastruktur" entwurzeln gemeint?
Es bedeutet die umfassende Rückkehr zu den Taktiken von Massenterror, die in Vietnam eingesetzt wurden und zum Synonym für die Barbarei des amerikanischen Imperialismus wurden: die Mordkampagnen des Phönix-Programms, das Einsperren von Zivilisten in sogenannten Strategischen Dörfern (ein Euphemismus für Konzentrationslager) und ähnliche Methoden. Das ist die unvermeidliche Dynamik der US-Politik im Irak und, wenn eine unabhängige Bewegung der amerikanischen und internationalen Arbeiterklasse es nicht verhindert, in anderen, noch zu "befreienden" Ländern.