Der britische Auswärtige Ausschuss (Foreign Affairs Committee) hat sich geradezu überschlagen, um Premierminister Tony Blair vom Vorwurf freizusprechen, er habe über den irakischen Besitz von Massenvernichtungswaffen gelogen und Großbritannien in einen illegalen, US-geführten Krieg getrieben. Der Ausschuss hat es Blair, seinem Berater Alastair Campbell und anderen hochrangigen Persönlichkeiten zwar ermöglicht sich herauszuwinden, sie wirklich zu entlasten ist ihm aber nicht gelungen.
Die am 7. Juli veröffentlichten Ergebnisse des Ausschusses wären für die Regierung nicht so günstig ausgefallen, wenn das Gremium nicht von Labour-Abgeordneten beherrscht würde - und wenn sich die oppositionellen Konservativen und Liberaldemokraten nicht als derart rückgratlos erwiesen hätten. Aber die Aussagen sind immer noch peinlich für Blair.
Der Bericht "Die Kriegsentscheidung gegen den Irak" tut sein Bestes, um das Vorgehen und die Absichten der Regierung in gutem Licht erscheinen zu lassen. Er begrüßt, dass "der Krieg im Irak anders als frühere Konflikte erst nach einer deutlichen Mehrheitsentscheidung im Parlament stattfand", und behauptet, dass die Kriegsentscheidung "auf Geheimdienstinformationen beruhte - auch dies eine begrüßenswerte Neuerung der Regierung...".
Er sagt nichts darüber, dass das Parlamentsvotum im Gegensatz zum ausdrücklichen Willen der Bevölkerungsmehrheit stand. Diese hielt die von der Regierung veröffentlichten Geheimdienstinformationen größtenteils für plumpe Propaganda, die wiederlegt wurde, sobald man die Auswirkungen des zwölfjährigen Boykotts gegen den Irak und seine fast lückenlose Überwachung durch die UN-Waffeninspektoren ernsthaft in Betracht zog.
Der Ausschuss hat sogar den Nerv, die Regierung vom Vorwurf der willentlichen Täuschung mit der Begründung freizusprechen, sie habe sich auf die besten Informationen gestützt, die verfügbar waren. Er stellt dann allerdings fest, dass diese Informationen alles andere als gut waren - was unweigerlich die Frage aufwirft, warum die Regierung so erpicht darauf war, derart mangelhafte Informationen zu nutzen.
Der Bericht stellt fest, der britische Geheimdienst habe sich anscheinend zu stark auf irakische "Abtrünnige und Exilanten (gestützt), die ihre eignen Ziele verfolgten". Die Frage, ob die Regierung die Bedrohung durch irakische Massenvernichtungswaffen übertrieben habe, beantwortet er folgendermaßen: "Es scheint wahrscheinlich, dass verlässliche menschliche Geheimdienstquellen im Irak selbst nur beschränkt zur Verfügung standen, und dass daher das Vereinigte Königreich in großem Maße auf technische Erkenntnisse der USA angewiesen war sowie auf Abtrünnige und Exilanten, die ihre eigenen Ziele verfolgten."
Weiter heißt es: "Wir schließen daraus, dass es zu früh ist zu sagen, ob sich die Behauptung der Regierung über die chemischen und biologischen Waffen des Irak bestätigt. Wir haben jedoch keine Zweifel daran, dass die Bedrohung der Streikkräfte des Vereinigten Königreichs aufrichtig als real existierende Gefahr wahrgenommen wurde."
Der Bericht stimmt dem ersten Geheimdienstdossier, das die Regierung im September 2002 vorlegte, anerkennend zu, weil dieses "aller Wahrscheinlichkeit nach aufgrund der damals zugänglichen Erkenntnisse wohlbegründet war". Aber dann gesteht er ein, dass sich eine der schwerwiegendsten Behauptungen - der Irak habe versucht, Uran vom Niger zu erhalten - als plumpe Fälschung herausgestellt hat.
Das Außenministerium hat bisher nicht erklärt, wann genau es von der US-Regierung erfuhr, dass einige der Dokumente, die diese Behauptung stützten, gefälscht waren. "Wir schließen daraus, dass es doch recht sonderbar ist, dass die Regierung versichert, sie habe sich nicht auf die Beweise gestützt, die sich seither als gefälscht erwiesen haben, aber acht Monate später die anderen Beweise immer noch prüft."
Wie nicht anders zu erwarten war, wird Campbell von dem Vorwurf entlastet, er habe das Dossier vom September durch das Einfügen der Behauptung "verschärft", der Irak könne innerhalb von 45 Minuten Massenvernichtungswaffen abschießen. Aber im weiteren Verlauf geht der Bericht näher auf Campbells Rolle ein, was diesen Freispruch ziemlich lächerlich erscheinen lässt. Blairs einflussreichster Berater hat eine Kampagne gegen die BBC und deren Journalisten Andrew Gilligan entfesselt, weil dieser über die Beschuldigung eines nicht genannten, hohen MI6-Geheimdienstagenten berichtet hatte, Campbell habe die 45-Minuten-Behauptung selbst in den Text eingefügt.
Auch der Ausschuss muss aber eingestehen, dass die 45-Minuten- Behauptung "von einer einzigen Quelle" stammt, dass es "keinerlei unterstützenden Beweise gibt", dass sie "vom Premierminister besonders hervorgehoben wurde, als er das Dossier dem Parlament vorstellte", und dass "eine Sitzung zur Erörterung des Dokuments, die auf Anfrage einiger Minister von John Scarlett, dem Vorsitzenden des gemeinsamen Geheimdienstkomitees, vorbereitet wurde, unter dem Vorsitz von Mr. Campbell tagte", der selbst kein gewählter Abgeordneter ist.
Im Bericht heißt es: "Die Irak-Kommunikationsgruppe unter Vorsitz von Mr. Campbell und des ihm unterstellten Coalition Information Centre genoss eine enorme Autonomie, und außerdem war die Rechenschaftspflicht in diesem Verfahren außerordentlich mangelhaft. All diese Faktoren trugen zur Affäre mit dem schwammigen Dossier' bei." Dieses Dossier, das im Februar veröffentlicht wurde, war in weiten Teilen ein Plagiat einer Arbeit des amerikanischen Forschungsstudenten Ibrahim a-Marashi. Die Änderungen im Text zielten darauf ab, die Behauptung stützen, der Irak habe Beziehungen zu terroristischen Gruppen wie der al-Quaida.
Der Bericht folgert: "Es ist vollkommen inakzeptabel, dass die Regierung ein Plagiat einer Arbeit ohne Quellenangabe vornimmt und diese zitiert, ohne die Zitate zu kennzeichnen oder die Zustimmung ihres ursprünglichen Autors einzuholen." Die Unterlassung der Irak-Kommunikationsgruppe, ihre Quellen zu nennen, sei dafür verantwortlich, dass Blair das Dossier gegenüber dem Parlament "irrtümlicherweise" als Beweisstück des Geheimdienstes ausgegeben habe. Daraus wird dann der Schluss gezogen, die "zentrale Anschuldigung", "einige Minister [hätten] das Parlament irregeführt", sei falsch.
Der Ausschuss sah sich jedoch gezwungen, eine Reihe von Einschränkungen hinzuzufügen. Die wichtigste lautet, dass "es nicht möglich ist, ein endgültiges Urteil über den Wahrheitsgehalt des September-Dossiers zu fällen, bis solide Beweise über die Massenvernichtungswaffen des Irak oder deren Zerstörung vorliegen".
Das Februar-Dossier, für das Campbell direkt verantwortlich war, bezeichnet der Ausschuss dann als "durch und durch kontraproduktiv". Es sei dem Parlament in "völlig falscher" Art und Weise vorgelegt worden, wodurch Blair "eine schlechte Situation ohne Absicht noch verschlimmert" habe.
Der Ausschuss stellt der Regierung vier Fragen, die in den nächsten zwei Monaten beantwortet werden müssen: Ist das Urteil des September-Dossiers über die Bedrohung durch chemische und biologische Waffen des Irak immer noch gültig? Wie wird heute die im September-Dossier ausgesprochene Warnung vor Samoud-2-Raketen und die Behauptung eingeschätzt, der Irak besitze zwanzig Hussein-Raketen, über deren Verbleib keine Rechenschaft abgelegt wurde? Wann wurde Außenminister Jack Straw darüber informiert, dass die Dokumente über irakische Versuche, Uran von Niger zu erhalten, gefälscht waren? Und wird die 45-Minuten-Behauptung im Licht der Tatsache, dass der Irak keine Massenvernichtungswaffen einsetzte, immer noch als zutreffend betrachtet?
Der Bericht wirkt beinahe schizophren. Er stellt in einem Absatz Blair, Campbell, Straw und Verteidigungsminister Geoff Hoon einen Persilschein aus, um im nächsten unbequeme Fragen aufzuwerfen, die die Regierung weiteren Angriffen aussetzen.
Der Hauptgrund dafür ist, dass der elfköpfige Auswärtige Ausschuss Zugeständnisse an seine Mitglieder von den Tories und den Liberalen machen musste. Die drei Konservativen und der eine Liberale hatten mehrere Abstimmungen erzwungen, um den Bericht schärfer zu fassen. Gelegentlich erhielten sie sogar Unterstützung vom Ausschussvorsitzenden Donald Anderson von der Labour Party und noch öfter von dem exotischen Labour Hinterbänkler Andrew Mackinlay. Campbell wurde von dem Vorwurf, die 45-Minuten-Behauptung eingefügt zu haben, letztlich nur durch die entscheidende Stimme von Anderson freigesprochen. Mit dessen Stimme wurde ein Zusatz der Tories abgelehnt, in dem es hieß, die Sache sei "nicht entschieden", da die Abgeordneten keine ausreichenden Dokumente erhalten hätten, um sich wirklich ein Urteil bilden zu können.
Die Zugeständnisse im Hauptbericht verhinderten ein noch schlimmeres Szenario. Die Nicht-Labour Mitglieder hätten sonst leicht einen Minderheitsbericht abgeben und den Ausschuss nach Parteizugehörigkeit spalten können. Selbst jetzt erklärte ein Tory-Mitglied des Auswärtigen Ausschusses, Richard Ottaway, öffentlich: "Ich bin zu der Auffassung gelangt, dass die Regierung die Gründe für einen Krieg in der Vorbereitung auf die Abstimmung im Parlament übertrieben hat". Sowohl der Führer der Tories, Ian Duncan Smith, wie auch der Vorsitzende der Liberaldemokraten, Charles Kennedy, haben eine unabhängige Untersuchung gefordert.
Die Zustimmung der Tories und der Liberaldemokraten zu dem von Anderson angebotenen Kompromiss bezeugt ihre eigene politische Mitverantwortung für die Kriegsvorbereitungen gegen den Irak. Sie glauben, sich aus drei Gründen keinen offenen Konflikt leisten zu können:
Erstens würden dadurch ihre eigenen Parteien, genau wie die Regierung, der Verantwortung überführt, einen Krieg unterstützt zu haben, der mit einer Lüge begründet wurde. Niemand hätte ihnen im Ernst geglaubt, dass sie von den dürftigen nachrichtendienstlichen Dossiers von Blair und Konsorten getäuscht worden seien.
Zweitens hätte eine Offensive in dieser Frage einen Konflikt mit der Bush-Regierung in Washington heraufbeschwören können. Washington wird jedoch auch von diesen Parteien als Großbritanniens wichtigster Verbündeter betrachtet, den man sich besser nicht zum Feind machen sollte.
Drittens könnte das Infragestellen der Kriegsgründe Opposition gegen die Regierung in der Bevölkerung schüren. Das würde nicht nur die fortgesetzte britische Besatzung des Irak und die britische Teilnahme an der Ausbeutung des irakischen Ölreichtums gefährden. Es würde auch die politische Situation zu Hause verändern, weil die wachsende Erbitterung über die ständigen Angriffe auf den Lebensstandard und die Sozialleistungen einen Kristallisationspunkt erhielte.
Die Tories und die Liberalen wollen den Schaden für die Regierung lieber auf die ehrwürdigen Hallen des Parlaments beschränken, das sie zu kontrollieren und für ihre eigenen Zwecke zu nutzen hoffen. Aber unabhängig von den Überlegungen, die ihr vorsichtiges Vorgehen bestimmen, war das Ansehen der Regierung noch nie tiefer, und sie ist noch immer sehr verwundbar. Blairs Probleme haben sich in den letzten Tagen vervielfacht.
Der Entschluss der Regierung, sich auf die BBC einzuschießen, erweist sich immer mehr als Rohrkrepierer. Am Tag vor der Veröffentlichung des Berichts gab der Premierminister dem Observer ein Interview, in dem er wieder die BBC angriff und von ihr eine Entschuldigung verlangte, weil sie "meine Integrität auf die schlimmstmögliche Weise angegriffen hat".
Die BBC hat es erneut abgelehnt, klein beizugeben. Sie argumentiert, der Bericht des Auswärtigen Ausschusses habe ihre Entscheidung bestätigt, über die Unzufriedenheit in den Geheimdiensten zu berichten. Um sich gegen Blair zu verteidigen, gewährte sie dem Observer Zugang zu Protokollnotizen eines Treffens ihrer Führung mit dem Chef des MI6, Sir Richard Dearlove, in dem dieser erkennen ließ, dass Syrien und der Iran angeblich eine größere Gefahr für die Sicherheit der Welt darstellten als der Irak. Dies habe sie in ihrer Entscheidung bestärkt, die kritischen Kommentare ihres Informanten über Campbell zu veröffentlichen.
Der Auswärtige Ausschuss hat die Frage noch zugespitzt, indem er sich für eine Durchleuchtung der Kontakte des Journalisten Andrew Gilligan im MI6 aussprach. Wenn dies tatsächlich geschieht, befände sich die Regierung schon bald auf der Suche nach Sündenböcken unter Geheimagenten, die ohnehin schon unzufrieden sind, weil sie beschuldigt werden, wertlose Erkenntnisse zu liefern, offenkundige Fälschungen zu akzeptieren und geklautes Material zu verwenden. Viele von ihnen hatten die Entscheidung für den Krieg sowieso nicht unterstützt.
Am gleichen Tag, an dem der Bericht des Auswärtigen Ausschusses bekannt wurde, veröffentlichte auch das Verteidigungsministerium seine eigene vorläufige Einschätzung über den Irakkrieg und die Zeit danach. Der Bericht "Erste Einschätzung über die Operationen im Irak 2003" macht das verheerende Eingeständnis, wegen mangelnder Geheimdienstinformationen hätten weder Großbritannien noch die USA gewusst, ob Saddam Husseins Kommandanten in der Lage sein würden, Massenvernichtungswaffen gegen die Koalitionstruppen einzusetzen.
Der katastrophale Zustand der irakischen Armee, der im Krieg sichtbar wurde, wird mit den Worten erklärt: "Erst im Rückblick war es möglich, das tatsächliche Ausmaß des Zusammenbruchs der organisatorischen und gesellschaftlichen Infrastruktur des Irak zu ermessen, wie er sich in Jahren staatlicher Vernachlässigung, krimineller Machenschaften, internationaler Sanktionen und in Folge von Kriegsschäden entwickelt hatte." Tatsächlich bildeten diese offenkundige Fakten für jeden sachkundigen Beobachter, der kein starkes Eigeninteresse am Krieg hatte, stets der Ausgangspunkt zur Widerlegung der Propaganda aus Washington und London.
Vom Liaison Comittee, das sich aus den Leitern der Parlamentsausschüsse zusammensetzt, wurde Blair am 7. Juli gefragt, ob nicht er selbst, Straw und Hoon die Gefahr der Massenvernichtungswaffen übertrieben hätten. Er versuchte, der Frage auszuweichen, indem er den Bericht des Auswärtigen Ausschusses angriff und sagte: "Für mich ist das letzte Urteil noch nicht gesprochen.... Ich habe absolut keinen Zweifel, dass wir noch Beweise für die Programme zur Entwicklung und Herstellung von Massenvernichtungswaffen finden werden."
Aber Blairs Großspurigkeit kann das volle Ausmaß der Krise, mit der er konfrontiert ist, nicht verschleiern. Ein Hinweis darauf ist die Tatsache, dass sogar seine politischen Freunde gezwungen sind, die Möglichkeit seines Sturzes ins Auge zu fassen. So schrieb der Kolumnist Nicholas D. Kristof von der New York Times vor kurzem: "Es gehört zu den traurigsten Resultaten unseres Krieges im Irak, dass er schneller das Ende von Tony Blair als das von Saddam Hussein herbeiführen könnte. Wo ich in Großbritannien auch hingehe, nennt man Mister Blair verächtlich Präsident Bushs Pudel.... In Anbetracht der Tatsache, dass Mister Blair demnächst möglicherweise viel Zeit hat, könnte ihn Mister Bush vielleicht als Berater einstellen."