"War Spin", ein Dokumentarfilm der BBC, der am Sonntag den 18. Mai in der Reihe Correspondent gezeigt wurde, zieht eine verheerende Bilanz der Fehlinformationen, mit denen die amerikanische und britische Regierung und Armee die Öffentlichkeit während des Irakkriegs hinters Licht führten - unterstützt von mehreren Hundert gefügigen "eingebetteten" Journalisten.
Der Dokumentarfilm wurde vom BBC-Kriegskorrespondenten John Kampfner präsentiert und trug den Untertitel: "Saving Private Jessica: Fact or fiction?" (Rettung der Soldatin Jessica: Fakt oder Fiktion?). Er machte deutlich, dass die umfangreiche Berichterstattung über die Bergung der Soldatin Jessica Lynch durch Ledernacken mehr mit einem Mythos aus Hollywood als mit der Realität zu tun hatte.
Die 19-jährige Lynch, Armeeangestellte einer Nachschubeinheit, war am 23. März in Gefangenschaft geraten, als der Konvoi ihrer 507. Instandhaltungskompanie in einen Hinterhalt geriet, nachdem er in der Nähe der südirakischen Stadt Nasirijah vom Weg abgekommen war. Neun weitere US-Soldaten wurden bei dem Angriff getötet.
Als sie herausfanden, dass Lynch in ein Krankenhaus in Nasirijah gebracht worden war, inszenierten US-Army-Rangers und Ledernacken am frühen Morgen des 2. April eine Rettungsoperation, stürmten das Gebäude und brachten die schwerverwundete Soldatin in Sicherheit.
Kaum zwei Stunden später wurden im Pressehauptquartier Centcom in Doha die Journalisten zu einer Sonderpressekonferenz zusammengetrommelt. Das Pentagon zeigte einen fünfminütigen Videofilm von der Rettung, der mit der Nachtsichtkamera der Armee aufgenommen war. Laut diesem Bericht war der "wagemutige" Angriff auf ein Krankenhaus geführt worden, in dem es von Fedayin-Kämpfern, Mitgliedern von Saddam Husseins paramilitärischer Märtyrerbrigade, wimmelte. Die US-Spezialkräfte hätten trotz mehrmaligem Feuerbeschuss die Soldatin herausgeholt, von der es hieß, sie leide an Stich- und Schussverletzungen und sei misshandelt worden.
General Vincent Brooks, der US-Sprecher in Doha, erklärte: "Um das möglich zu machen, haben ein paar tapfere Kerle ihr Leben riskiert, denn sie stehen zu ihrem Credo und jeder kann sich darauf verlassen, dass kein in die Hände des Feindes gefallener Kamerad je im Stich gelassen wird."
Rasch folgten breit ausgewalzte Berichte über die Zeit der Soldatin Lynch in Gefangenschaft: Man erfuhr, wie mutig sie gekämpft hatte, wie sie schoss, bis ihr die Munition ausging, und trotz ihrer eigenen Verwundungen noch mehrere irakische Soldaten verletzte und tötete. Spätere Berichte legten nahe, man habe Lynch einige Schusswunden gar erst in Gefangenschaft, während der brutalen Verhöre, zugefügt.
Die Medien berichteten dann von einem irakischen Rechtsanwalt, Mohammed Odeh al-Rehaief, der bei Lynchs Rettung geholfen habe; er habe sich eingemischt, als er beobachtete, wie sie von einem Gefängniswärter geschlagen wurde. Nach Berichten des Pentagon hatte al-Rehaief sein Leben riskiert, um mehrere Reisen zu unternehmen, Informationen über den Aufenthaltsort der Soldatin herauszuschmuggeln und dem US-Militär zu übermitteln.
In den Vereinigten Staaten wurde die junge Soldatin zur Heldin. Obwohl sie immer noch in Behandlung ist und ihre Ärzte sagen, sie habe keine Erinnerung an das Geschehen und werde sich auch nie mehr daran erinnern können, hat sie schon verschiedene Angebote erhalten, ihre Story zu einem Film zu verarbeiten, der ein Kassenschlager werden soll. Al-Rehaief und seine Familie erhielten in den USA Asyl, und er hat einen Vertrag über 500.000 Dollar unterzeichnet, um ein Buch herauszubringen.
In Kampfners Augen sind diese ganzen Berichte über die Rettung zum großen Teil "ein vom Pentagon fabriziertes Script für Hollywood".
Als der US-Krieg im Irak auf Widerstand stieß und die Behauptungen in sich zusammenbrachen, der Weg der Koalitionskräfte sei von Tausenden jubelnden irakischen Einwohnern gesäumt, nahm der Widerstand gegen die Invasion auch in der amerikanischen Öffentlichkeit zu. Die Rettung der Soldatin Lynch war deshalb so wichtig, sagt Kampfner, weil damit die öffentliche Unterstützung zurückgewonnen und die amerikanische Übermacht unter Beweis gestellt werden sollte. Aus diesem Grund wurden Lynchs gefallene Kameraden kaum erwähnt, deren Leichen während der gleichen Mission aus ihren behelfsmäßigen Gräbern geholt wurden.
Das BBC- Correspondent -Team kehrte nach Nasirijah zurück, um Augenzeugen des Vorfalls zu interviewen, und stieß auf eine vollkommen andere Geschichte. Ärzte bestanden darauf, dass Lynch keineswegs misshandelt worden sei, sondern ganz im Gegenteil die bestmögliche Behandlung erfahren habe. Man hatte ihr das einzige Spezialbett und eine von nur zwei Krankenschwestern auf diesem Stockwerk zugewiesen, und das medizinische Personal hatte sogar Blut gespendet, um sie trotz einer Blutknappheit zu versorgen.
Dr. Harith al-Houssona, der Lynch während ihrer Behandlung betreute, sagte den Reportern: "Ich untersuchte sie, ich stellte fest, dass sie einen Arm und einen Oberschenkel gebrochen und einen Knöchel ausgerenkt hatte. Dann führte ich eine weitere Untersuchung durch. Es gab keine Spuren von Schusswunden, keine Kugeln in ihrem Körper, keine Stichwunden - die Verletzungen stammten lediglich von einem Verkehrsunfall. Es war ein RTA (road traffic accident)", wiederholte er. "Man will das Bild verfälschen. Ich weiß nicht, warum man glaubt, es wäre besser, sie hätte eine Schussverletzung gehabt."
Die Ärzte beteuerten, dass das irakische Militär schon 24 Stunden vor der Ankunft der US-Spezialkräfte das Krankenhaus verlassen hatten. Ein Augenzeuge bestätigte, dass die US-Soldaten dies gewusst hatten. Hassam Hamoud, ein Kellner eines benachbarten Restaurants, sagte, ein US-Vorausteam sei zu ihm gekommen und habe ihn gefragt, ob noch Fedayin im Krankenhaus seien. Er habe ihnen gesagt, sie hätten es bereits verlassen.
Auch hätten die US-Spezialkräfte wild um sich geschossen, als sie in das in nächtlicher Ruhe liegende Krankenhaus eindrangen. Dr. Anmar Uday sagte den Reportern: "Wir hörten den Helikopterlärm. Wir waren überrascht. Was machten sie da? Hier war kein Militär, keine Soldaten im Krankenhaus. Es war wie in einem Hollywood-Film. Sie schrien: Go, go, go’, und da waren Schüsse und Blitzlicht und der Knall von Explosionen. Sie boten eine Show - einen Actionfilm wie bei Sylvester Stallone oder Jackie Chan; sie sprangen herum, schrien und traten Türen ein." Auch seien Ärzte und Patienten an die Betten gefesselt worden.
Doktor al-Houssona behauptete, dass zwei Tage vor Ankunft des Eingreifteams das Krankenhauspersonal versucht habe, Lynch bei ihrer Flucht zu helfen. Sie sollte im Rettungswagen zum nächsten US-Checkpoint gebracht werden. Als der Fahrer aber unter amerikanisches Feuer geriet, musste er umkehren.
Kampfner berichtete, er habe Bryan Whitman, den stellvertretenden US- Verteidigungsminister, aufgefordert, die ungekürzte Videoaufzeichnung der Befreiung statt der redigierten Version zu veröffentlichen, um dadurch die Widersprüche der verschiedenen Versionen aufzuklären. "Er lehnte ab. Whitman weigerte sich zu sagen, mit welchem irakischen Widerstand die Amerikaner konfrontiert waren. Genauso wenig wollte er die Verletzungen kommentieren, die Lynch tatsächlich erlitten hatte. Ich weiß, dass es dort draußen widersprüchliche Informationen gibt und bin mir sicher, dass mit der Zeit die ganze Geschichte ans Licht kommen wird’, sagte er."
Kampfner vermutete, dass die Ähnlichkeit mit einem Hollywoodfilm kein Zufall sei. Jerry Bruckheimer, Produzent von Black Hawk Down, und Bertram van Munster von der amerikanischen Realityshow Cops besuchten im Jahr 2001 das Pentagon, um Profiles from the Front Line (Front-Porträts) vorzuschlagen. Diese patriotische Fernsehshow zur besten Sendezeit sollte US-Soldaten in Afghanistan begleiten und "menschliche Geschichten, durch die Augen der Soldaten gesehen" erzählen. Van Munster erklärte Kampfner: "Wenn du ein Cheerleader unseres [amerikanischen] Standpunkts bist... dann gehen diese Typen aus sich heraus und riskieren ihr eigenes Leben."
"Das war perfektes Reality-TV," sagte Kampfner, "in aktiver Zusammenarbeit mit Donald Rumsfeld produziert und direkt vor dem Irakkrieg gesendet.... Dem Pentagon gefiel, was es sah. Es übernahm die Methode und entwickelte sie auf dem Schlachtfeld im Irak."
Im Dokumentarfilm heißt es: "George Bush und Tony Blair wussten, wie wichtig es war, den Krieg und den Kriegsgrund geschickt zu präsentieren." Dabei war es von zentraler Bedeutung, dass die 600 beim Militär eingebetteten Journalisten die ihnen zugedachte Rolle spielten. Das hieß, sie mussten unter besonders ausgewählten Soldaten leben, essen und schlafen, um "live" und scheinbar "objektiv" über das militärische Vorgehen zu berichten. Selbst wenn nicht alle Eingebetteten unbedingte Befürworter des Krieges gegen den Irak waren, so wurde ihre Berichterstattung durch die Abhängigkeit ihres Lebens von der jeweiligen Militäreinheit doch schwer kompromittiert.
Walter Rogers von CNN erzählt in der Sendung, dass einige seiner Kollegen dazu übergegangen waren, die Uniform des US- Militärs zu tragen. "Ich glaube, sie haben dort eine Grenze überschritten," sagte er. Trotzdem konnte Rogers seine Begeisterung über die Arbeit beim Dritten Schwadron der Siebenten Kavallerie der US-Armee nicht verbergen: "Es hat Spaß gemacht.... Es nötigte uns schon Respekt ab, zuzusehen, wie das Militär vor unsern Augen alles überrollte, und man wusste, dass es auf der anderen Seite nichts gab, das sie hätte stoppen können."
Clive Myrie von BBC News erzählte den Reportern, wie er bei Kommandos der 40. Einheit eingebettet war: "Die hatten wirklich was zu tun. Das heißt, wir hatten eine sehr, sehr produktive Zeit mit vielen Actionaufnahmen."
Dieser Enthusiasmus überschritt nicht nur die Grenze zwischen objektiver Reportage und offener Militärpropaganda, sondern die Journalisten fanden sich plötzlich in der Rolle, dem Militär aktiv zu helfen. Ein sichtlich verlegener Myrie erinnerte sich an ein Erlebnis während einer Konfrontation mit irakischen Truppen: "Da flogen überall Kugeln herum. Wir stiegen aus dem... Land Rover und duckten uns in einen Graben. Ein Marine sagte: Warum machst du dich nicht nützlich?’... Und er wirft mir die Leuchtraketen zu und ich werfe sie dem Typen zu, der sie anzünden und abschießen muss, und ich denke: Warum, was mache ich eigentlich hier?"
Kampfners Darstellung zeigt, dass einigen britischen Politikern die "Saving Private Lynch" Affäre peinlich war, hielten sie doch die offizielle Version für so unglaubwürdig, dass sie die gesamte Lügenwelt der Medien kompromittieren könnte. Aber für die britische Kriegsführung sind die Enthüllungen von "War Spin" mindestens genau so verheerend.
Craig Copetas von Bloomberg TV berichtet, er sei angehalten worden, keine "Aufnahmen oder Beschreibungen britischer Soldaten unter Waffen zu machen. Mir wurde gesagt, es habe eine Entscheidung von Downing Street gegeben, dass die militärischen Aufpasser den Journalisten dort unten unmissverständlich klarmachen sollten, keine Briten, keine britischen Männer und Frauen, als Kämpfer darzustellen. "Sie sollten als Befreier erscheinen, die nicht vorhätten, Leute zu töten. Die Medienaufpasser waren sehr schnell unzufrieden und drohten damit, einem den Status als Eingebetteter zu entziehen."
Das hätte entweder, bedeutet den Irak zu verlassen oder einer jener Unabhängigen zu werden, die versuchten, eigenständig zu berichten - zehn davon wurden im Gefecht getötet, oft durch sogenanntes "friendly fire"(freundliches Feuer). Der ITN- Reporter Terry Lloyd war einer der ersten, der starb. Daniel Demoustier, der mit Lloyd reiste, berichtet, wie sie in das Feuer von US- Panzern gerieten.
Der amerikanische Militärsprecher Jim Wilkinson macht keinen Hehl aus seiner Einstellung zu den "Unabhängigen". "Die gingen uns ständig auf den Wecker", erzählte Wilkinson dem Filmteam. Die "echten Superstars dieses Krieges waren die eingebetteten Journalisten", fuhr er fort und prahlte: "General Franks unterschreibt meinen Scheck und ich mache Nachrichten zu seinen Bedingungen."
Michael Wolff vom Magazin New York erzählt, wie er von Wilkinson behandelt wurde, als er auf einer Pressebesprechung kritische Fragen stellte. "Er sagte: Es ist Krieg, A...loch.’ Er sagte: Scher Dich nicht um Dinge, von denen Du nichts verstehst.’ Schließlich hieß es: Keine weiteren Fragen von Ihnen, warum hauen Sie nicht einfach ab?’"
Wenn ihm die Eingebettete nicht reichten, schrieb das Militär einfach seine eigenen Berichte oder produzierte seine eigenen Filme und verteilte sie an die Nachrichtensender, die sie noch etwas aufbereiteten, erklärt Kampfner.
Oder sie logen einfach.
Als bei einer Bombenexplosion auf einem Bagdader Straßenmarkt 14 Menschen getötet wurden, vertuschten die amerikanische und die britische Armee zuerst, dass sie etwas damit zu tun zu hatten, und leugneten es dann. Selbst nach einem weiteren Bombenangriff auf einen Markt zwei Tage später, bei dem Teile von einer US-Rakete entdeckt wurden, behaupteten US- und britische Kräfte, dass das irakische Militär verantwortlich wäre. Der britische Verteidigungsminister Geoff Hoon sagte, dass Berichten von Journalisten nicht getraut werden könne, bevor sie nicht offiziell abgesegnet worden seien. "Das bedeutet, dass wir alle sehr skeptisch in Bezug auf solche Berichte sein und nur auf bekannte und anerkannte Fakten vertrauen sollten", sagte er.
Die BBC Dokumentation wurde von US- Behörden wütend verurteilt. Whitman sagte, die Behauptung, die Rettung der Soldatin Lynch sei ein Schauspiel gewesen, sei "lächerlich, ich weiß nicht, wie ich das sonst nennen soll. Die Vorstellung, wir brächten Soldaten unnötigerweise in Gefahr, um einen unserer POWs zu befreien, ist einfach lächerlich."
Das US Militär habe nie behauptet, dass seine Kräfte unter Feuer geraten seien, als sie in das Krankenhaus eindrangen. Ebenso wenig habe es einen Bericht über das erstellt, was Lynch passiert war, weil "sie es uns nie gesagt hat", sagte er. "Einige Fakten über das, was anderen Soldaten zugestoßen ist, wurden durcheinandergebracht mit dem, was Jessica passiert sein könnte", behauptete Whitman.