Am 12. und 19. Juli erscheinen in der New York Times zwei Kommentare des Kolumnisten Nicholas Kristof, die weitere Fragen aufwerfen, warum sich die amerikanische Bundespolizei FBI und die Bush-Regierung weigern, etwas gegen den Mann zu unternehmen, der im dringenden Verdacht steht, im vergangenen Herbst durch das Versenden von Anthrax-Briefen fünf Menschen getötet zu haben. Diese Kolumnen - und das nahezu völlige Schweigen der restlichen Medien - unterstreichen, dass eine ernsthafte Untersuchung der terroristischen Milzbrandanschläge, die gegen zwei führende Senatoren der Demokratischen Partei gerichtet waren, mit Unterstützung hoher Stellen unterdrückt wird.
Kristof hatte bereits zu einem früheren Zeitpunkt den Verdächtigen ausgemacht, dem er das Pseudonym "Mr. Z" gab, und gefragt, warum das FBI sich so widerwillig zeige, ihn zu verhaften. Die Vielzahl an biografischen Details, die über dieses Individuum bekannt geworden sind - Armeeausbildung bei der Eliteeinheit Green Berets, Beteiligung an Operationen zur Aufstandsbekämpfung in Rhodesien und Südafrika zur Zeit der Apartheid, frühere Anstellung beim amerikanischen Biowaffenlabor in Fort Detrick, Maryland - verweisen darauf, dass sich die Vorwürfe auf Dr. Steven Hatfill beziehen, einen ehemaligen Biowaffenspezialisten der Armee, dessen Haus mehrmals vom FBI durchsucht wurde und der in anderen Presseberichten zu dem Fall genannt wurde.
In der Kolumne vom 12. Juli führt Kristof an, dass der Täter ein bestimmtes Handlungsmuster aufweist und unter anderem falsche Milzbranddrohungen verbreitete, um in den Medien und auf staatlicher Ebene ein Interesse an Abwehrmaßnahmen gegen biologischen Terrorismus zu wecken.
Am 24. April 1997 ging bei der jüdischen Wohlfahrtsorganisation B'nai B'rith in Washington ein falscher Milzbrandbrief ein. Im Umschlag befand sich eine gallertartige Substanz, angeblich nasser Milzbrand. Nach Informationen von Kristof schrieb "Mr. Z" am gleichen Tag, an dem B'nai B'rith den falschen Anthraxbrief erhielt, einen Brief an den Organisator eines Seminars zum Thema Terrorismus in Washington, in dem er sich darüber beschwerte, dass weder er noch andere Milzbrandexperten eine Einladung erhalten hätten.
Ein zweiter Anthrax-Fehlalarm im Februar 1999 war kühner angelegt und umfasste Briefe an die Washington Post, das Büro des Fernsehsenders NBC in Atlanta, ein Postamt in Columbus in der Nähe der Armeebasis Fort Benning und das Old Executive Office, ein Regierungsgebäude in Washington. Die Art, wie Wörter und Buchstaben geschrieben sind, und das sprachliche Muster in dem Columbus-Brief - dem einzigen, den Kristof untersuchen konnte - erinnern an die Milzbrandbriefe vom vergangenen Herbst.
Von Bedeutung ist auch, dass die Briefe von 1999 ein trockenes Pulver enthielten und keine nasse Substanz - eine Veränderung, die der Arbeitsbiografie von "Mr. Z" entspricht. Laut Kristof findet sich im Lebenslauf des Verdächtigen von 1999 eine Angabe, die in der Version von 1997 noch nicht vorhanden war: "Arbeitserfahrung im Bereich von nassen und trockenen Wirkstoffen zur biologischen Kriegsführung, Großproduktion von Krankheitserregern und Giftstoffen zur biologischen Kriegsführung."
Kristof sagt, dass den beiden Fachleuten für Dokumente, die für die laufenden Untersuchungen zu den Milzbrandbriefen eingestellt wurden, niemals die älteren, falschen Anthraxbriefe zu Vergleichszwecken gezeigt worden sind. Außerdem vermutet Kristof, dass die angeleckten Briefmarken auf den Umschlägen von 1999 keinem Gentest unterzogen wurden, wodurch sich der Absender identifizieren ließe.
Kristofs Kolumne vom 19. Juli führt Hunderte Seiten aus internen Armeedokumenten an, die als erstes vom Hartford Courant entdeckt wurden. In diesen Dokumenten wird über weitgehende Sicherheitslücken im Labor von Fort Detrick über einen Zeitraum von zehn Jahren berichtet, über fehlende Inventarbestände in bedeutenden Mengen an Ebolaviren, Hantaviren, Milzbrandsporen und anderen Krankheitserregern und über unzureichende Kontrollen dessen, was die Forscher aus dem Komplex mit heraus nahmen.
Wie sehr in Fort Detrick geschludert wurde, zeigt sich daran, dass im letzten April nach einem Besuch von Senatorin Mary Landrieu, einer Demokratin aus Lousiana, Anthraxsporen in einem Korridor und Verwaltungsbereich des Gebäudes gefunden wurden. Kristof kommt zu dem Schluss: "Milzbrandsporen scheinen es auf Demokratische Senatoren abgesehen zu haben."
Dies ist ein indirekter Hinweis auf den bedeutendsten Aspekt der terroristischen Milzbrandanschläge: die offensichtliche politische Motivation, da die tödlichen Bakterien an den Führer der Demokratischen Partei im US-Senat, Tom Daschle, und an den Vorsitzenden des Rechtsausschusses im Senat, den Demokraten Patrick Leahy, gesandt wurden.
Während die zwei Senatoren in der Öffentlichkeit zu dem Anthrax-Fall schweigen, haben sie vom FBI persönliche Informationen zu den Ermittlungen eingefordert. Das Magazin Newsweek berichtete in seiner Ausgabe vom 15. Juli, dass in den vergangenen Wochen zweimal Vertreter des FBI in den Senat bestellt wurden, um den Gang der Ermittlungen hinter geschlossenen Türen zu diskutieren. Ein Treffen fand mit Leahys Mitarbeiterstab, das andere mit Daschle persönlich statt.
Newsweek berichtete, dass beide Senatoren die Fragen ansprachen, die von Barbara Rosenberg als Vertreterin der Föderation Amerikanischer Wissenschaftler in ihrer Kritik an den Ermittlungen aufgeworfen worden waren. Fünf Monate vor dem Erscheinen von Kristofs Kolumnen hatte Rosenberg ein Memorandum veröffentlicht, in dem sie Details über den Hauptverdächtigen aufführte und erklärte, dass sein Name dem FBI schon wenige Tage nach den Anschlägen genannt worden war. Sie warf dem FBI vor, die Ermittlungen zu verschleppen, damit keine Informationen über die illegale Biowaffenforschung der amerikanischen Regierung an die Öffentlichkeit gelangen.
An Stelle einer ernst zu nehmenden Untersuchung hat das FBI eine aufwendige Scharade inszeniert. Obwohl es scheinbar nur 50 Wissenschaftler gibt, die in Fort Detrick arbeiten bzw. gearbeitet haben und über die Kombination von Fähigkeiten und Zugangsmöglichkeiten verfügen, die zur Ausführung der Anschläge notwendig war, hat das FBI Dutzende von Stabsleitern und Hunderte von Ermittlern angestellt, 5.000 Leute befragt, 1.700 Vorladungen verschickt, Hunderte Tests am Lügendetektor durchgeführt und mehr als einhundert verschiedene Datenbanken angelegt. Die Untersuchung ist die zweitgrößte nach den ebenfalls ergebnislosen Ermittlungen zu den Selbstmordanschlägen des 11. Septembers, die derzeit vom FBI durchgeführt wird.
Obwohl die Polizeibehörde 20.000 Briefe an Mikrobiologen versandt hat, in denen sie um Kooperation bei den Untersuchungen bittet, wurde der Milzbrandbrief an Leahy über zwei Monate lang nicht einmal geöffnet, wurden erst nachdem bereits fünf Monate verstrichen waren Anthraxproben aus staatlichen und universitären Labors eingeholt und bis heute nicht die grundlegendsten forensischen Tests durchgeführt. Diese angebliche Untersuchung ist ein Deckmantel für die hohe Protektion, die der Hauptverdächtige genießt.
Es ist nur nicht klar, wie hoch diese Protektion eigentlich geht. Aber im vergangene Monat kam im Rahmen eines Gerichtsverfahrens eine vielsagende Tatsache ans Licht. Die rechte Organisation Judicial Watch hatte unter Berufung auf die Informationsfreiheit auf Einsicht in Dokumente zu den Milzbrandanschlägen geklagt. Judicial Watch behauptete, und das Weiße Haus hat dies nun bestätigt, dass das Anti-Milzbrand-Medikament Cipro am 11. September, also beinahe vier Wochen vor Bekanntwerden des ersten Milzbrandanschlags, an die Mitarbeiter des Weißen Hauses ausgegeben worden war.
Larry Klayman von Judicial Watch sagte in einer Presseerklärung: "Wir glauben, dass das Weiße Haus wusste oder Grund zu der Annahme hatte, dass ein Milzbrandanschlag unmittelbar bevorstand oder vorbereitet wurde." Der Sprecher des Weißen Hauses Gordon Johndroe erklärte, dass das Medikament "in den frühen Stunden des 11. September" verteilt worden sei, bevor das exakte Wesen der Terroranschläge in New York und Washington feststand.
Diese Enthüllungen zeigen ein Bild von dem Leben im offiziellen Washington, das sich sehr von dem unterscheidet, das man in den typischen Medienberichten über parlamentarische Auseinandersetzungen oder die Positionierung für die Wahlkämpfe 2002 und 2004 finden kann. Die höchsten Parteiführer der Demokraten sind sich darüber im Klaren, dass sie Ziel eines Mordanschlags vonseiten eines ehemaligen Angehörigen einer Spezialeinheit waren, der über enge Verbindungen zum Militär- und Geheimdienstapparat verfügt und dessen Identität zwar bekannt ist, der aber aus irgendeinem Grund nicht verhaftet werden kann. Ihnen wird gesagt, dass das FBI absichtlich die Ermittlungen im Sande verlaufen lässt, während die Bush-Regierung behauptet, dass es keine Verdächtigen und nur wenig Informationen über die Anschläge gibt. Doch die Führer der offiziellen politischen Opposition äußern sich öffentlich nicht über das, was auf einen versuchten politischen Staatsstreich hinausläuft, und die willfährigen Medien unterstützen die Vertuschung.