Die Beziehungen zwischen den USA und Europa sind so gespannt wie nie seit dem Ende des Kalten Kriegs, nachdem Washington am Montag im UN-Sicherheitsrat in provokanter Weise sein Veto eingelegt hat, um eine Verlängerung der UN-"Friedensmission" in Bosnien zu verhindern, und damit droht, ähnliche internationale Operationen zu boykottieren oder zu unterbinden.
Um zu erzwingen, dass amerikanische Militärangehörige und Zivilbeamte gegenüber dem neu errichteten Internationalen Gerichtshof vollständige Immunität genießen, setzt die Bush-Regierung ihre europäischen Verbündeten mit allen Mitteln unter Druck.
Es gibt einen direkten Zusammenhang zwischen dem Beharren der USA, dass sie für ihre globalen Interventionen keinem internationalen Organ verantwortlich sind, und dem gewalttätigen und raubgierigen Charakter dieser Interventionen. Das hat ein Massaker an afghanischen Zivilisten am Vorabend des Vetos erneut unterstrichen. Bei der Bombardierung einer Hochzeitsfeier wurden Hunderte getötet oder verwundet, größtenteils Frauen und Kinder.
Gleichzeitig verdichten sich die Hinweise, dass die USA im vergangenen November und Dezember an der Massenexekution Tausender gefangener Taliban beteiligt waren. Mittlerweile sind amerikanische Streitkräfte an Operationen auf den Philippinen, im Jemen, in Kolumbien, im früheren Jugoslawien und mehreren anderen Ländern beteiligt und bereiten eine umfassende Invasion des Irak vor.
Washington hat der Welt zu verstehen gegeben, dass es nicht gewillt ist, sich die Hände auch nur durch die entfernteste Möglichkeit binden zu lassen, dass in diesen Regionen begangene Kriegsverbrechen durch ein internationales Gericht geahndet werden könnten.
Das Veto vom 1. Juli wurde für einige Tage aufgeschoben, um den aufgeregten europäischen Diplomaten die Möglichkeit zu geben, eine Kompromissformel zu finden, welche die von Washington verlangten Garantien erfüllt und die amerikanische Unterstützung für 18 internationale UN-Missionen aufrechterhält.
Die USA stellen weniger als 700 der 45.000 Soldaten, Polizisten und Zivilpersonen, die an diesen Missionen beteiligt sind. (In Bosnien sind nur 46 Amerikaner an der 1.500-köpfigen Mission beteiligt, die dem Aufbau der Polizei gilt, mehrere tausend US-Soldaten dagegen an der getrennten, von der Nato geführten Besatzungsstreitmacht.) Washington finanziert allerdings über ein Viertel der Kosten dieser "friedenserhaltenden Einsätze" der UN, und ihr Rückzug würde fast automatisch zu einer Finanzkrise und ihrem möglichen Ende führen.
"Aufgrund unserer globalen Verantwortung sind wir besonders angreifbar und werden es stets sein. Wir können daher nicht zulassen, dass unsere Entscheidungen von einem Gericht hinterfragt werden, dessen Rechtssprechung wir nicht anerkennen", sagte John Negroponte, der US-Botschafter bei der UNO, zur Begründung des Vetos.
Negroponte kennt sich mit diesem "Hinterfragen" aus eigener Erfahrung aus. Er ist ein Veteran des illegalen Kriegs, der in den achtziger Jahren mit Unterstützung der CIA gegen Nicaragua geführt wurde. Damals war er als US-Botschafter in Honduras für die Überwachung der Contra-Operationen in diesem Land zuständig. Nicaragua erreichte damals vor dem Haager Weltgerichtshof eine Verurteilung der USA wegen krimineller Aggression, was zum Rückzug der USA aus dem Gericht führte.
Das jüngste Veto der USA stieß in Europa auf Empörung. Es gab Warnungen, Washington und die Mitgliedsstaaten der Europäischen Union befänden sich auf Kollisionskurs. "Es ist ein weiterer Schritt zum Bruch zwischen Europa und den USA, den wir um jeden Preis verhindern müssen", sagte der Präsident der Europäischen Kommission Romano Prodi.
Auch Per Stig Moeller, der Außenminister Dänemarks, das soeben die Präsidentschaft der EU übernommen hat, verurteilte das Vorgehen der USA. "Ich bedaure diesen dramatischen Schritt zutiefst, der die UN-Friedensoperationen insgesamt in Frage stellt", sagte er.
Clare Short, die britische Entwicklungsministerin, kommentierte die Haltung der USA mit den Worten, sie sei "eine enorme Enttäuschung für alle auf der Welt, die für einige grundlegende Verhaltungsregeln eintreten, die für alle Herrschenden zu jeder Zeit und an jedem Ort gelten."
Vertreter Großbritanniens zeigten sich besonders enttäuscht über die Haltung der USA, weil der Vertrag zur Errichtung des Internationalen Gerichtshofs so abgefasst wurde, dass er US-Soldaten und -Beamte weitgehend davor schützt, jemals wegen Kriegsverbrechen vor Gericht erscheinen zu müssen. Premier Tony Blair bezeichnete die von Präsident Bush geäußerte Befürchtung, US-Soldaten könnten "vor das Gericht gezerrt [sic]" werden, als "unbegreiflich".
"Wir verstehen die Befürchtungen der USA, es sind legitime Befürchtungen, aber wir glauben fest daran, dass ihnen entgegengekommen wird", sagte Blair, der sich mit wachsenden Schwierigkeiten bemüht hat, den Vermittler zwischen Europa und Amerika zu spielen.
Änderungen im Statut des Gerichtshofs, die auf Druck der amerikanischen Unterhändler zustande kamen, stellen so gut wie sicher, dass ausschließlich politische und militärische Führer von zerstörten und verarmten Ländern je angeklagt werden. Der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen, in dem die USA ein Vetorecht haben, ist bevollmächtigt, jedes Verfahren für zwölf Monate auszusetzen. Darüber hinaus kann der internationale Gerichtshof auf unbeschränkte Dauer nicht mehr tätig werden, sobald die Justiz in dem Land des Angeklagten eigene Ermittlungen veranlasst.
Diese Regelungen bedeuten, dass der neue Gerichtshof höchstwahrscheinlich nur ähnlich gelagerte Fälle verhandeln würde wie die beiden, die momentan unter Aufsicht der UN vor zwei ad hoc gebildeten Geschworenengerichten stattfinden. Der erste ist das Verfahren gegen den früheren jugoslawischen Staatschef Slobodan Milosevic. Die jugoslawische Regierung hat im Anschluss an den Sturz von Milosevic nach den Wünschen der USA diesem Prozess zugestimmt. Der zweite Fall ist das Verfahren gegen die ehemaligen Hutu-Staatsmilizen in Ruanda. Sie wurden von Truppen mit Unterstützung der USA geschlagen, nachdem sie Massaker in diesem Land organisiert hatten.
Großbritannien und Frankreich, die ihre eigenen Militäreinsätze im Ausland betreiben und globale imperialistische Strategien verfolgen, werden sich sicher nicht vor einem internationalen Gerichtshof Kriegsverbrechen vorwerfen lassen. Dabei nehmen sie aber eine etwas andere Haltung ein als die USA. Ein internationaler Gerichtshof, der den Anschein von Objektivität und Allgemeinverbindlichkeit verbreitet, ist in ihren Augen ein nützliches Instrument der Außenpolitik.
Washingtons Forderungen - z. B., dass alle ihre Truppen auf "friedenserhaltenden Einsätzen" von vornherein Immunität genießen müssten und dass der UN-Sicherheitsrat über alle Vorwürfe abstimmen müsse, bevor sie dem Gericht überhaupt vorgelegt werden - würden es der amerikanischen Regierung de facto ermöglichen, jedes Verfahren gegen Kriegsverbrechen der USA per Veto zu verhindern.
Der arrogante Anspruch der USA, über das internationale Recht erhaben zu sein, begann keineswegs mit dem Veto gegen den internationalen Gerichtshof. Die Bush-Regierung hat in diesem Jahr auch - ein für die Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg beispielloses Vorgehen - Clintons Unterschrift unter das Abkommen zur Schaffung des Gerichtshofs wieder zurückgezogen. Entsprechend hat sie außerdem einseitig das ABM-Abkommen zur Rüstungsbeschränkung gekündigt und sich geweigert, das Kyoto-Abkommen zum Klimaschutz zu unterzeichnen.
Deutlich zeichnet sich das Muster des Unilateralismus ab: Washington gibt zu erkennen, dass es sich nur insoweit mit anderen Mächten verbündet, wie sich diese den strategischen Interessen der USA unterordnen und dem amerikanischen Militär die uneingeschränkte Kontrolle überlassen.
Die Bush-Regierung hat kein Interesse an der Zulassung neuer Institutionen, die auch nur im Ansatz die Vorstellung wecken könnten, dass die amerikanische Militärmacht an internationale Rechtsvorschriften gebunden ist. Aus diesem Grund sind die USA bestrebt, den Internationalen Gerichtshof zu unterhöhlen und zu zerstören, bevor er seine Arbeit überhaupt aufnehmen kann.
Diese Haltung hat die Unterstützung des rechten Flügels der Republikanischen Partei, in dessen Augen schon die Vereinten Nationen als solche eine Verschwörung darstellen, die es nur darauf abgesehen hat, die Macht der USA zu knebeln. Als der Entwurf für die Schaffung des Internationalen Gerichtshofs vorlag, ging das von den Republikanern dominierte Repräsentantenhaus sogar so weit, ein Gesetz zu verabschieden, das in Europa gelegentlich als "Einmarschbefehl in die Niederlande" bezeichnet wurde, weil es die Regierung zum Einsatz von militärischer Gewalt ermächtigt, um US-Bürger zu "retten", die in Den Haag vor Gericht gestellt werden sollen.
Washingtons Veto im UN-Sicherheitsrat zielt auch auf die "Friedenseinsätze" der UN selbst. Der rechte Flügel der Republikanischen Partei, der in der Bush-Regierung den Ton angibt, hält diese Missionen schon lange für unsinnig. Er hatte bereits dem Weißen Haus unter Clinton einen angeblichen "Fimmel mit dem Aufbau von Nationen" und eine Außenpolitik "im Mutter-Teresa-Stil" vorgeworfen.
Auch die Spitze des Pentagon äußerte sich verächtlich über UN-Einsätze und betonte, dass das US-Militär eigentlich dafür da sei, Kriege zu gewinnen, und nicht Konfliktvermittlung zu betreiben.
Die Londoner Financial Times veröffentlichte am 2. Juli einen Kommentar unter der Überschrift "Die USA ergreifen die Gelegenheit zur Beanstandung von Friedenseinsätzen". Sie zitierte ein namentlich nicht genanntes Regierungsmitglied, das "die Schaffung des IGH genau verfolgte", mit den Worten: "[US-Verteidigungsminister] Donald Rumsfeld und [US-Unterstaatssekretär für Rüstungskontrolle und internationale Sicherheit] John Bolton zeigen ein befriedigtes Lächeln. Sie haben zwei verhasste Dinge auf einmal im Visier."
Wieder unter Hinweis auf dieselbe ungenannte Person fuhr der Kommentar fort: "Er fügte hinzu, dass hartgesottene Konservative, wie Mr. Bolton, Mr. Rumsfeld und Condoleezza Rice... meinen, dass sie nun Friedenseinsätze und den Internationalen Strafgerichtshof mit einer Klappe schlagen können."
Im Jahr 2000 hatte Condoleezza Rice, die heutige Nationale Sicherheitsberaterin von Bush, ihre Haltung in einem Artikel der Zeitschrift Foreign Affairs im Einzelnen dargelegt: "Der Präsident darf nicht vergessen, dass das Militär ein ganz besonderes Instrument darstellt. Es ist tödlich, und das soll es auch sein. Es ist keine zivile Polizeitruppe. Es ist kein politischer Schiedsrichter. Und es ist ganz sicher nicht dazu geschaffen, eine Zivilgesellschaft aufzubauen."
Wegen dieser Ansichten sind Washington und London in Afghanistan aneinander geraten. Die Bush-Regierung stemmt sich gegen jede Ausweitung der sogenannten Friedenstruppen über die Hauptstadt Kabul hinaus und verlässt sich lieber auf die Luftangriffe, die Anfang der Woche Dutzende Zivilisten das Leben gekostet haben. Vertreter der britischen Regierung hingegen warnen, dass das Land rasch wieder in den Bürgerkrieg abgleiten werde, falls die Provinz nicht aktiv polizeilich überwacht wird.
Der Internationale Strafgerichtshof ist nur der jüngste Streitpunkt, an dem sich die immer gespannteren Beziehungen zwischen Europa und Amerika entzünden. Der Unilateralismus der USA erstreckt sich mittlerweile auch auf das Gebiet der Handelsbeziehungen. Amerika verhängte Einfuhrzölle für europäische Stahlexporte, und die Europäer bereiten eine ganze Batterie energischer Gegenmaßnahmen vor.
Im "Krieg gegen den Terrorismus", der kurzfristig zu einer oberflächlichen Solidarität der EU mit Washington führte, äußern sich die Regierungsvertreter der EU mittlerweile offen abschätzig über Bushs Politik. Sie halten en Anti-Terror-Feldzug für einen bloßen Vorwand dafür, dass Amerika seine militärischen Muskeln spielen lässt und auf der ganzen Welt seine ökonomischen und geopolitischen Interessen verfolgt. Einige europäische Regierungen äußerten schwere Bedenken angesichts der Verstöße gegen die Genfer Konvention, derer sich die USA bei der Behandlung von Gefangenen im Marinestützpunkt Guantanamo Bay in Kuba und anderswo schuldig machen.
Auch distanzierten sie sich von Bushs jüngster Forderung nach dem Rücktritt des Palästinenserführers Yassir Arafat als Vorbedingung für weitere Nahost-Friedensverhandlungen unter Vermittlung der USA. Seit Bush dieses Ultimatum stellte, reisten eine ganze Reihe hochrangiger europäischer Minister demonstrativ nach Ramallah, um sich gemeinsam mit dem Präsidenten der Palästinensischen Autonomiebehörde ablichten zu lassen.
Die Vorbereitungen der USA auf Militärschläge gegen den Irak, um einen "Regierungswechsel" herbeizuführen, werden von keiner europäischen Macht gutgeheißen. In ähnlicher Weise unterhalten die meisten europäischen Regierungen normale Beziehungen zum Iran, einem Land, das Bush als Bestandteil der "Achse des Bösen" gebrandmarkt hat. Europa hat in dieser Region, aus der es einen Großteil seines Ölbedarfs deckt, eigene Interessen und sieht mit Missbehagen, wie die USA dort ihre militärische Stellung ausbauen.
Und schließlich bestehen erhebliche Meinungsverschiedenheiten über die Frage der strategischen Verteidigung. Die von Bush betriebene Wiederbelebung des Projekts, ein Raketenabwehrsystem im Weltraum zu schaffen, wird von den europäischen Regierungen offen in Frage gestellt, und Washington verurteilt seinerseits die Pläne Europas, ein eigenes Satellitensystem namens Galileo zu installieren. Amerika sieht darin eine Konkurrenz für sein eigenes Global Positioning System und eine potenzielle militärische Bedrohung.
Als nüchterner Vertreter globaler Konzerninteressen verlieh die Financial Times der Frustration Europas über Washington ungeschminkt Ausdruck und trat dafür ein, dass Europa aufgrund der zunehmenden Zerwürfnisse eine unabhängigere Militärpolitik betreiben solle.
"Die EU darf ihre Grundsätze nicht aufgeben", schrieb das Blatt in einem Leitartikel vom 2. Juli. "Sie hat zu Recht die Überzeugung geäußert, dass das Gericht einen Fortschritt im internationalen Rechtswesen darstellt. Die Drohung der USA ändert nichts an diesem Dafürhalten. Wenn es bedeutet, dass sich Washington aus den friedenserhaltenden Missionen zurückzieht und die EU einen größeren Teil der Last trägt - so sei es. Gerechtigkeit hat ihren Preis."
Die "Gerechtigkeit", um die es der europäischen herrschenden Elite geht, besteht nicht in abstrakten universalen Rechtsgrundsätzen, sondern im Zugang zu strategischen Ressourcen und internationalen Märkten. Sie fürchtet, durch die militärische und politische Vormachtstellung der USA von diesen Zielen abgeschnitten zu werden.