Die israelische Militärführung plant eine Invasion der Westbank und des Gazastreifens. Ihr Ziel wäre es, die palästinensische Autonomiebehörde zu zerschlagen, ihren Führer Jassir Arafat zu stürzen und ins Exil zu treiben und die bewaffneten Organe der Autonomiebehörde entweder zu töten oder gefangen zu nehmen.
Die britische Zeitschrift Foreign Report, die vom Informationsdienst Jane's herausgegeben wird, berichtet, israelische Generäle hätten am Vergangenen Wochenende der Regierung die Grundzüge eines entsprechenden Plans vorgestellt. Unterschiedlichen Berichten zufolge wurde der Bericht unter dem Titel "Die Zerstörung der Autonomiebehörde und die Entwaffnung aller bewaffneten Organe" oder "Gerechtfertigte Rache" vom israelischen Generalstabschef Brigadegeneral Shaul Mofaz vorgelegt.
Der Angriff solle geführt werden, sobald der nächste große Selbstmordanschlag mit zahlreichen Toten und Verletzten den nötigen Vorwand liefere. Die israelischen Generäle haben demnach eine militärische Operation von bis zu einem Monat Dauer im Auge, die Tausende palästinensische und Hunderte israelische Opfer kosten könnte. Der überwiegende Teil der etwa 40.000 Mann starken palästinensischen Streitkräfte solle entwaffnet und entweder getötet oder in Internierungslager gesperrt werden.
Die Offensive solle mit schweren Luftangriffen mit F-16 und F-15 Bombern auf alle wichtigen Installationen der Autonomiebehörde in Gaza und Ramallah beginnen. Dann solle Israel etwa 30.000 Fallschirmjäger, Infanteristen und gepanzerte Brigaden entsenden. Der Plan geht davon aus, dass bis zu 300 israelische Soldaten getötet werden könnten, wenn die Palästinenser ernsthaft Widerstand leisten sollten.
Es wird damit gerechnet, dass die internationale Reaktion minimal sein und erst einsetzen werde, wenn israelische Position bereits gefestigt ist. Möglicherweise werde dann eine Art Friedenstruppe geschickt werden, um die Palästinenser zu schützen, die jedoch erst einträfe, nachdem vollendete Tatsachen geschaffen seien.
Der Plan soll die Möglichkeit einer ernsthaften Reaktion der arabischen Nachbarn Israels gering einschätzen. Die militärische Aufklärung hat starke Zweifel, dass Ägypten, Jordanien oder Syrien ein Interesse daran hätten, für die Palästinenser Krieg zu führen. Ägypten würde vielleicht Truppen auf den Sinai entsenden, was Israel mit der Einberufung seiner Reserven beantworten würde. Vielleicht würde der Irak seine Truppen mobilisieren, aber sie würden von israelischen Flugzeugen vernichtet werden, bevor sie auch nur die jordanische Grenze erreichten.
Die Koalitionsregierung aus Likud und der Arbeitspartei unter der Führung von Premierminister Ariel Scharon hat den Bericht dementiert, aber die Dementis waren keineswegs einheitlich.
Der israelische Außenminister, Shimon Peres von der Arbeitspartei, bezeichnete den Bericht von Jane's als nicht zutreffend. Dem israelischen Radio sagte er: "Ich freue mich, dass eine so wichtige Zeitschrift eine solche Phantasie hat. Aber es hat einfach nicht stattgefunden." Weiter warnte Peres vor der Annahme, es gebe eine militärische Lösung für den Konflikt oder die Beseitigung Arafats mache die Lage für Israel leichter.
Die Sprecherin des amerikanischen Außenministeriums Susan Pittman erklärte am Donnerstag ebenfalls, dass "Israel uns nichts über einen solchen Plan gesagt hat. Wir haben mehrfach wiederholt, dass es für diesen Konflikt keine militärische Lösung gibt."
Likuds Dementi war wesentlich weniger deutlich. Scharons Sprecher Raanan Gissin sagte: "Es gibt drei Optionen: Kapitulation vor Arafat, Umsetzung dieses Plans - d.h. Besetzung - oder Fortsetzung des gegenwärtigen Kurses der Zurückhaltung und der Selbstverteidigung. Die Regierung hat versichert, dass sie dem Frieden verpflichtet ist, aber diese Situation kann nicht von Dauer sein."
Andere Berichte deuten darauf hin, dass Jane's Darstellung glaubwürdig ist. Ein Militärsprecher teilte der Nachrichtenagentur der Autonomiebehörde mit, dass schon für den 2. Juni ein großer Angriff geplant gewesen sei, nachdem am Tag zuvor ein Selbstmordattentäter 21 junge Leute vor einer Diskothek in Tel Aviv getötet hatte. Er wurde jedoch verschoben, weil Arafat einen Waffenstillstand verkündete.
Für die Palästinenser erklärte Planungsminister Nabil Shaath: "Ich weiß, dass sowohl Präsident Bush wie auch [der französische Präsident] Chirac in klaren Worten mit Scharon über diese Frage gesprochen und ihn vor den Folgen einer solchen Politik gewarnt haben... Man muss es aber ernst nehmen, denn andere Drohungen wurden wahr gemacht." Mohammed Dahlan, der Sicherheitschef der Autonomiebehörde in Gaza, beschuldigte Israel ebenfalls, militärische Aktionen zum Sturz der Autonomiebehörde zu planen.
Kommentatoren haben auf Ähnlichkeiten zwischen dem Invasionsplan und dem Plan hingewiesen, den Scharon als Verteidigungsminister 1982 im Libanon durchführte. Auch damals war das Ziel, die Infrastruktur und die Waffen der PLO zu zerstören und Arafat und seine Truppen zu vertreiben oder zu töten.
Der in Quatar erscheinenden Tageszeitung Al Watan zu Folge hat Israel kürzlich europäischen Vertretern eine Liste von acht möglichen Nachfolgern Arafats zukommen lassen. Ungenannte Quellen in London zitierend, schreibt Al Watan, die Liste umfasse auch Palästinenser, die dem Friedensprozess gegenüber flexibler eingestellt seien, z.B. Arafats Stellvertreter Abu Mazen.
Das überzeugendste Argument für die Existenz des Plans ist aber, dass die israelische Rechte und die Medien seit Wochen offen eine militärische Invasion diskutieren und in vielen Fällen sogar fordern.
Die vehementesten Forderungen kommen von den zionistischen Siedlern auf der Westbank und im Gazastreifen. Der Yesha-Rat, der die 200.000 Siedler vertritt und bisher die stärkste Stütze Scharons war, gab eine Erklärung heraus, in der er den Premierminister aufforderte, "die Armee anzuweisen, die Autonomiebehörde, die größte terroristische Organisation der Welt, aufzulösen".
In der Knesset haben die Minister Rehavam Ze'evi, Avigdor Lieberman, Tzahi Hanegbi, Uzi Landau und andere Likud-Minister einen Militärschlag gefordert. Am 12. Juli forderte der Abgeordnete Herut-Michael Kleiner Israel auf, Arafat entweder zu stürzen oder zu töten, selbst wenn das bedeute, dass die Hamas an seine Stelle treten sollte. Weil Hamas als terroristische Organisation angesehen wird, würden zukünftige Aktionen Israels gegen die Palästinenser nicht mehr verurteilt werden.
In den letzten Tagen kam es zur stärksten Eskalation der Kämpfe seit Beginn des letzten Waffenstillstands. Am Donnerstag feuerten israelische Panzer Granaten auf zwei palästinensische Polizeiposten ab und töteten einen Nachrichtenoffizier. Siedler zerstörten palästinensisches Eigentum und brannten Felder auf der Westbank nieder. Palästinenser eröffneten das Feuer auf ein israelisches Auto und verletzten drei Personen, darunter ein Baby. Bei einem weiteren Straßenüberfall nahe Hebron wurde ein Israeli schwer verwundet, und ein Feuergefecht dauerte bis in die frühen Morgenstunden des Freitag.
Zusammenstöße am Freitag forderten in Hebron ein israelisches Todesopfer und 23 verletzte Palästinenser, nachdem israelische Soldaten in den palästinensisch kontrollierten Teil der Stadt eingedrungen waren und drei Polizeistationen zerstört hatten. Bei einem anderen Zwischenfall im Gazastreifen wurde ein Palästinenser von israelischen Soldaten erschossen.
Während eines Besuchs in Rom erklärte Scharon, die militärischen Reaktionen Israels würden eskalieren. Sein Sicherheitskabinett habe mehrere Schritte gebilligt, und "ich schätze, nach einer gewissen Zeit werden wir sie umsetzen".