Die Verleihung des Goldenen Bären bei der Abschlusszeremonie des 51sten Berliner Filmfestivals an den französischen Film Intimacy war begleitet von einer Mischung aus Applaus und Buh-Rufen eines Publikums, das in erster Linie aus Medienvertretern und Filmleuten bestand. Meiner Meinung nach war Patrice Chéreaus neuer Film (siehe unten) der schlechteste der wenigen europäischen Filme, die am Wettbewerb des diesjährigen Filmfestivals teilnahmen. Die besten Beiträge für den Wettbewerb, an dem insgesamt 23 Filme teilnahmen, kamen aus asiatischen Ländern. Einige der wichtigsten asiatischen Beiträge werden in einem Folgeartikel vorgestellt.
Von den amerikanischen Filmen blieben Bamboozled von Spike Lee (wird noch besprochen) und Forester - gefunden von Gus van Sant - ohne Auszeichnung. Traffic von Steven Soderbergh erhielt eine Auszeichnung für den besten Schauspieler. 13 Days(Roger Donaldson) und Quills - Macht der Besessenheit(Philip Kaufman), die kürzlich für das wsws besprochen wurden, nahmen nicht am Wettbewerb teil.
Die deutsche Filmindustrie hatte harte zwölf Monate hinter sich. Die Publikumszahlen fielen im Jahr 2000, betroffen waren sowohl deutsche Produktionen wie auch Hollywood-Filme. Unglücklicherweise sind die Stimmen, die die Antwort auf ein schwindendes Publikumsinteresse in einer Verbesserung des deutschen Films sehen - ihn nachdenklicher und anspruchsvoller zu gestalten - immer noch in der Minderheit. Der schlechte Zustand des derzeitigen deutschen Films zeigte sich in der Tatsache, dass nur eine deutsche Co-Produktion, der enttäuschende deutsch-griechische Film My Sweet Home, am Wettbewerb teilnahm.
Drei europäische Filme: Duell - Enemy at the Gates, Intimacy, Italienisch für Anfänger
Der neue Film des französischen Regisseurs Jean-Jacques Annaud, Duell - Enemy at the Gates, eröffnete die diesjährige Berlinale und ist der teuerste europäische Film, der jemals gedreht wurde (eine deutsch-britische Co-Produktion für 180 Millionen DM). Der Film ist "Geschichte light" und auf das abgestimmt, was Annaud für den Geschmack des Massenpublikums hält. Schauplatz ist die Schlacht um Stalingrad 1942/43, als Hunderttausende russischer Soldaten die Ruinen der Stadt gegen verschiedene Einheiten der deutschen Armee unter General Paulus verteidigten. Der Sieg der sowjetischen Truppen bedeutete die Wende im Krieg gegen Hitler, aber zu einem horrenden Preis. Heute stimmen Historiker überein, dass über eine Million Soldaten und Zivilisten auf sowjetischer Seite starben und die deutschen Truppen fast eine Million Gefallene hatten - ein Gemetzel, das nur mit den erbittertsten Schützengrabenkämpfen im Ersten Weltkrieg verglichen werden kann.
Annaud ( Am Anfang war das Feuer, Der Bär) reduziert die Geschichte auf eine leicht verdauliche Anordnung, die nur entfernt auf den Ereignissen beruht, die bei der Belagerung Stalingrads wohl stattgefunden haben. Im Laufe des Films wird kaum ein Klischee ausgelassen. Die Handlung konzentriert sich auf Vassili Zaitlev (Jude Law), einen russischen Bauern und exzellenten Schützen, der als Scharfschütze für die Rote Armee im Einsatz ist. Vassili sucht sich systematisch Verstecke im Schutt von Stalingrad und schießt dann deutsche Offiziere einzeln ab. Als Vergeltungsmaßnahme schickt das deutsche Kommando seinen eigenen besten Scharfschützen Major König ins Feld, der Vassili aufspüren und eliminieren soll. Inmitten der Ruinen beginnt das Katz-und-Maus-Spiel zwischen den beiden Männern.
Zweifellos hatte man die Wünsche amerikanischer Studiobosse im Kopf, als man die Rollen der Russen an britische Schauspieler mit Arbeiterklasse-Akzent vergab (Bob Hoskins als oberster russischer Kommissar Nikita Chruschtschow). Der amerikanische Schauspieler Ed Harris, der seinen prächtigsten eisigen Blick zur Schau trägt, spielt die Rolle des Major König.
Vassilis Aktivitäten werden von dem russisch-jüdischen politischen Offizier und bekennenden Kommunisten Danilov (Joseph Fiennes) für die russische Kriegspropaganda benutzt. Beide Männer sind in das Mädchen Tania verliebt, die den unbeeinflussten (und besser aussehenden) Vassili dem doktrinären Danilov vorzieht. Gegen Ende des Films verstecken sich Danilov und Vassili gemeinsam in der Ruine eines Gebäudes. Sie werden aus einem benachbarten Gebäude von Major König beobachtet, der mit dem Finger am Abzug auf die Gelegenheit wartet, eines der menschlichen Ziele abzuschießen.
Als Danilov schließlich einsieht, dass er mit dem jungen Vassili beim Werben um Tania nicht mithalten kann, hält er seine letzte Rede als politischer Offizier. Er gesteht ein, seine eigene Eifersucht auf Vassili beweise, dass Konkurrenz und Neid tief in der menschlichen Seele verwurzelt seien. In Folge dessen habe sich sein langer und leidenschaftlicher Kampf für eine sozialistische Gesellschaft, die auf menschlicher Güte basiert, als Sackgasse erwiesen. Er tut das Einzige, was einem aufrichtigen aber desillusionierten Kommunisten übrig bleibt - er wird Vassili helfen, die Position des Scharfschützen König ausfindig zu machen. Danilov richtet sich dann auf und kriegt einen Schuss aus Königs Gewehr sauber zwischen die Augen verpasst.
Laut Presseberichten führten die Bedenken von amerikanischen Studios ("Wir stehen am Beginn einer Rezession, die Leute wollen kein unglückliches Ende!") dazu, dass das Ende des Films geändert wurde und also Tania überlebt, um Vassili wiedertreffen zu können. Stalingrad mit Happy End? Der Film verströmt den kommerziellen Opportunismus, der derzeit die Filmindustrie in Europa und Amerika beherrscht.
Intimacy ist der neue Film des französischen Regisseurs Patrice Chéreau - zu dessen früheren Werken Die Bartholomäusnacht(1994) und Die mich lieben, nehmen den Zug(1999) zählen. Die Geschichte ist schnell erzählt. Jay ist ein Barkeeper, der in einem völlig heruntergekommenen Haus in London lebt. Aus Gründen, die uns nicht mitgeteilt werden, hat er Frau und Familie verlassen. Zu Beginn des Films klopft eine Frau an seine Tür und er bittet die Fremde herein. Nach einem bloßen Austausch von Scherzen fallen sich die Beiden in die Arme und lieben sich dann wie Wahnsinnige. Als er fertig ist, ziehen sie sich wieder an und sie geht, ohne dass groß ein Wort gesprochen wird. In der nächsten Woche ist sie zur selben Zeit wieder da und die Prozedur wiederholt sich mit kleinen Abweichungen in der Art, wie sie sich lieben.
Der Film verursachte Aufsehen bei den Festspielen wegen seiner Konzentration auf die Liebesspiele des Paares - gefilmt bei einem halben Dutzend verschiedener Gelegenheiten. Patrice Chéreau erschien irgendwie unaufrichtig, als er sich bei der offiziellen Pressekonferenz des Festivals über die Fragen der Reporter nach der Rolle von Sex im Film aufregte.
Chéreaus Film bearbeitet ein Gebiet, dass von anderen französischen Regisseuren bereits erkundet wurde, so zum Beispiel von Bruno Dumont (Das Leben Jesu - mit einer geringeren Betonung auf Sex) und Catherine Breillat (Romance - mit sogar einer stärkeren Betonung auf Sex). Alle diese Filme konzentrieren sich auf ein proletarisches Milieu oder die untere Mittelklasse. Wir werden durch eine Welt geführt, in der vieles schäbig und schmuddelig ist und die von Charakteren bewohnt wird, die kaum miteinander kommunizieren.
In Intimacy wissen wir, dass die weibliche Hauptperson Claire das Potenzial zur Kommunikation hat - sie ist Schauspielerin - aber in ihrem Umgang mit Jay bevorzugt sie die Anonymität. Getrieben von Verzweiflung - an einer Stelle im Film kommentiert ein Freund von Jay dessen Beziehung zu Claire und fragt ihn: "Woher weißt du, dass sie weniger verzweifelt ist als du?" - werden Konversationen und Intimitäten als Bedrohung wahrgenommen. In den Ruinen ihres emotionalen Lebens bleibt für Jay und Claire nur der anonyme Sex.
Es wäre idiotisch zu leugnen, dass Millionen Menschen heute eine Form der Verzweiflung erleben, die derjenigen von Jay und Claire ähnelt. Das Unbefriedigende an Chéreaus Werk ist aber gerade die klaustrophobische Intimität, mit der der Regisseur seinen Charakteren folgt. In Interviews sagte Chéreau, dass es für ihn wichtig war, seinen Charakteren so eng wie möglich zu folgen. Doch mit seiner Weigerung oder Abneigung, die Kamera wegzuziehen, ein größeres Bild zu zeigen und auf einige der sozialen Bedrohungen und den gesellschaftlichen Druck hinzuweisen, die Menschen solchermaßen verzweifeln lassen, vermittelt Chéreaus Film Intimacy den unvermeidbaren Schluss, dass diese schäbige, elende Existenz alles ist, was es gibt - Verzweiflung als natürlicher Zustand des modernen Individuums.
Italienisch für Anfänger, ein erfrischender Film der dänischen Regisseurin Lone Scherfig, war einer der besseren europäischen Beiträge bei den Festspielen. Produziert nach den Dogma-Regeln, die von Lars von Trier und Thomas Vinterberg aufgestellt wurden, zeigt der Film einige der Vorteile, die die Anwendung der direkten Dogma-Vorschriften hat. Dogma verbietet den Einsatz jeglicher Spezialeffekte beim Abdrehen des Films. Der Filmemacher muss sich auf den Kern des Films konzentrieren - die Charaktere.
Scherfigs Film handelt von den emotionalen Problemen und der Einsamkeit einer Gruppe von Leuten in einer dänischen Kleinstadt. Sie sind nicht mehr ganz jung, einige von ihnen haben ihr Leben ihren kränkelnden Eltern gewidmet und nun fehlen ihnen die sozialen Fähigkeiten, um sich in der Gesellschaft wieder einzufinden und einen Partner kennen zu lernen. Der Film hat viele amüsante und ergreifende Momente, wenn er zeigt, wie die verschiedenen Charaktere zurecht zu kommen versuchen. Im Gegensatz zu den manipulativen Aspekten, die man in einigen Filmen Lars von Triers findet, hat man den Eindruck, dass Scherfig fest auf der Seite ihrer Charaktere steht.
Fritz Lang
Einer der Höhepunkte der Festspiele war die umfassende Rückschau auf die Filme von Fritz Lang. Eine sorgfältige Betrachtung seiner Filme bringt viele Fragen auf, die eine große Bedeutung für die heutige Film- und Kulturarbeit haben. Hinsichtlich der Themen seiner Filme hat Lang immer an den Grenzen des Kinos gerüttelt, um neue Inhalte aufzugreifen. Sein erster Kinofilm handelte von einem Kinderschänder - M - eine Stadt sucht einen Mörder(1931) - und war eines seiner besten Werke. Sein Film Die Bestie(1956) handelt von einem Serienmörder und der Reaktion der Medien. Trotz des möglichen Sensationscharakters seiner Themen galt Langs Aufmerksamkeit zuerst der einfühlsamen Darstellung der Figuren und ihrer Gefühle - von Opfer und Täter.
Auf seine lange Karriere zurückschauend schrieb Lang, dass ein Regisseur "alles über das Leben wissen muss. Er muss am Leben interessiert sein. Er muss die Menschen lieben. Wenn er die Menschen nicht liebt, weiß er nicht, wie sie funktionieren, kann er keine Anweisungen geben." Zu viele am Mainstream orientierte Filme beim Festival (hervorzuheben hier besonders Ridley Scotts ekeliger und frauenfeindlicher Film Hannibal) verströmten ein gewisses Desinteresse an ihren Figuren und Geringschätzung für ihre Charaktere, die zu zufälligen Elementen in einem formelhaften, leicht verdaulichen Produkt gemacht wurden. Der letzte Teil dieser Artikelreihe zur Berlinale wird sich mit einigen Werken von Fritz Lang näher beschäftigen.