Im Rahmen der französischen Proteste ereignete sich am Morgen des 25. Januar in Lille während einer Demonstration von drei- bis vierhundert Feuerwehrleuten ein folgenschwerer Zwischenfall. Dem kurz vor seiner Pensionierung stehenden Berufsfeuerwehrmann Edouard Walczak (54) wurde durch die Explosion einer Tränengaspatrone die rechte Hand abgerissen. Die CRS, eine Sondereinsatzgruppe der Polizei, hatte die Patrone unter die Demonstranten geworfen, und sie explodierte in der Hand Walczaks, als dieser sie aufhob und aus den Reihen seiner Kollegen hinauswerfen wollte.
Elf Feuerwehrleute wurden verletzt, vier wurden von Polizisten geschlagen, gefesselt und zum Verhör in das Zentralkommissariat von Lille gebracht. Ihnen droht nun ein Gerichtsverfahren wegen Gewalt gegen die Ordnungskräfte, Rebellion und Störung der öffentlichen Ordnung.
Mit ihren Protesten im Rahmen des Aktionstags zur Verteidigung der Rente wollten die Feuerwehrleute auf ihre miserablen Arbeitsbedingungen aufmerksam machen. Neben den ca. 200.000 freiwilligen gibt es in Frankreich um die 27.000 Berufsfeuerwehrleute, die wegen ihrer militärisch hierarchischen Organisierung und ihrer Kasernierung auch "soldat du feu" oder "sapeurs-pompiers" genannt werden. Ihre Arbeit ist körperlich und psychisch belastend und gesundheitsschädigend. Aus diesem Grund kämpfen sie um die Einstufung ihrer Arbeit als "ungesund", was eine Herabsetzung des Rentenalters auf 50 Jahren bedeuten würde.
Es fehlt an Mitteln, und die Stellen von 500 Feuerwehrleuten sind allein im Departement Nord inzwischen nicht mehr besetzt. Zudem sind sie mit der Umorganisierung des SDIS konfrontiert (SDIS - service départemental d'incendie et de secours, Rettungs- und Hilfsdienst im Departement). Seit die konservative Regierung von Alain Juppé 1996 mit der "Departementalisierung" die Zuständigkeit für die öffentlichen Hilfs- und Rettungsdienste von den Gemeinden auf die SDIS-Zentralen übertrug, hat die Arbeitsbelastung enorm zugenommen. Die SDIS koordiniert nun die Einsätze aller Dienste des ganzen Departements, wodurch die personellen Ressourcen voll ausgeschöpft und der Personalbestand dezimiert werden sollen. Wie die Zeitung Libération berichtet, dauert es oftmals fünf Jahre, bis Kollegen, die in Rente gehen, ersetzt werden. Frisch Ausgebildete müssen zwei Jahre auf ihre Einstellung warten.
Die Feuerwehrleute erleben tagtäglich Einsätze, die personell unterbesetzt und dadurch gefährlich sind, sowohl für die Opfer wie für die Helfer. "Wöchentlich 48 Stunden Wache, mit zwanzig Einsätzen, Verwaltungsaufgaben und körperlichem Training - da bleibt keine Minute für die Fortbildung übrig", so ein Feuerwehrmann zu Libération. Er berichtete auch über die zunehmende Gefahr, wenn unzureichend weitergebildete Kollegen damit konfrontiert werden, dass Brände unbekannte toxische Stoffe freisetzen. Trotz diesen vielfachen Belastungen gibt es zur Zeit Pläne, die sowieso schon kurzen Ruhepausen noch zu beschneiden.
Das Département Nord, ein mit 2,5 Millionen außerordentlich bevölkerungsreiches Département, in dem sich der Konflikt mit der CRS ereignete, ist seit Jahrzehnten eine Hochburg der Sozialistischen Partei; in Lille soll demnächst Martine Aubry, die vor kurzem als Lionel Jospins Sozialministerin zurückgetreten ist, das Bürgermeisteramt übernehmen.
Schon seit Anfang 1999 unternahmen die Pompiers immer wieder Aktionen, um ihre missliche Lage zu verbessern. Zum Beispiel wurden Bummelstreiks durchgeführt, bei denen zwar noch Einsätze gefahren, aber keine Verwaltungsaufgaben mehr erledigt wurden. Nachdem die Besatzungen vielerorts ihre Forderungen mit weißer Farbe auf ihre Einsatzwagen geschrieben hatten, erließ der SDIS ein Verbot über die Beschriftung der Fahrzeuge; 218 Feuerwehrmänner wurden deshalb verwarnt. An den schlechten Arbeitsbedingungen hat sich jedoch trotz Protestaktionen und runden Tischen unter Beteiligung von Gewerkschaften, Landräten und Sicherheitsbeamten nichts geändert. Dies alles erklärt, warum die Feuerwehrleute bei den jüngsten Protesten ganz vorne mit dabei waren.
Ihre Demonstration wurde jedoch von den Spezialpolizisten der CRS angegriffen, die begannen, Tränengaspatronen unter die Demonstranten zu werfen, um sie vom Platz zu drängen. Die Feuerwehrleute waren in ihren Uniformen und Helmen erschienen, was später von der Polizei als Grund für den Übergriff bezeichnet wurde. Als sie angegriffen wurden, gingen die Pompiers dazu über, die Polizisten von einer ausgefahrenen Feuerwehrleiter herab mit Löschschaum zu besprühen.
Nach der schweren Verletzung von Edouard Walczak blieben zweihundert Demonstranten bis zum Nachmittag auf dem Platz vor der Präfektur und setzten sich dann gegen Abend an die Spitze einer Demonstration von einigen Tausend Menschen, die in Lille gegen die Heraufsetzung des Rentenalters protestierten.
Der Präfekt für die öffentliche Sicherheit des Nordens, Jacques Franquet, nannte den Einsatz mit Tränengaspatronen später "unentbehrlich zur Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung". Der verunfallte Walczak und weitere Kollegen von ihm erklärten jedoch, sie seien vor dem Angriff der CRS nicht ein einziges Mal zur Auflösung der Demonstration aufgefordert worden. Außerdem sei völlig ungeklärt, welcher Art die verwendete Waffe wirklich war, die von einem Offizier der CRS zynisch als "grenade administrative" (Patrone auf Befehl von oben) bezeichnet wurde. Sie hätten noch niemals erlebt, dass eine Tränengaspatrone derart laut explodiert sei.