Die Entsendung von über tausend britischen Elitesoldaten nach Sierra Leone stellt die Weichen für künftige direkte Interventionen in Afrika. Sie wird ernste Auswirkungen sowohl für die afrikanischen Massen als auch die Arbeiter in der westlichen Welt haben.
Wie schon die Militäroperationen der Regierung Blair im Nahen Osten und auf dem Balkan, wurde auch die Intervention in Sierra Leone erst im Parlament diskutiert, als sie bereits angelaufen war. Auch wurde die britische Bevölkerung vor der Truppenentsendung nicht informiert. Die undemokratische Beschlussfassung entspricht dem Wesen dieser Operation als kolonialistischem Abenteuer. Sie verfolgt zwei Ziele: unmittelbare britische Interessen in Sierra Leone zu sichern und Londons Großmachtrivalen zu zeigen, dass man mit Großbritannien in Afrika rechnen muss und dass es über genügend militärische Stärke verfügt, seine wirtschaftlichen und politischen Ziele durchzusetzen.
Großbritannien hat de facto die Regierungsmacht in seiner früheren Kolonie wieder übernommen. Es hat die Kontrolle über die UNO-Mission, die Armee von Sierra Leone und die regierungstreuen Milizen erlangt, indem es einfach erst eine kleine Gruppe britischer "Berater" und SAS-Beamte [SAS = paramilitärische britische Eliteeinheit] und danach eine schlagkräftige Streitmacht entsandte.
Die Militäroperation in Sierra Leone ist die größte unabhängige britische Militäroperation Großbritanniens, seit Margaret Thatcher 1982 Truppen zu den Malwinen (Falkland-Inseln) schickte. Sie besteht aus 800 Mitgliedern des Fallschirmjäger-Regiments, 40 Angehörigen des Special Air Service und weiteren 600 Marinesoldaten, die an der Küste in Kampfbereitschaft vor Anker liegen. Im Hafen der Hauptstadt Freetown liegen der Flugzeugträger HMS Illustrious, das mit Hubschraubern bestückte Schlachtschiff Oregon, drei Versorgungsschiffe und eine Fregatte.
Die Labour-Regierung unter Premierminister Tony Blair hatte ursprünglich erklärt, es sollten lediglich britische Staatsangehörige evakuiert werden, und Kampfhandlungen seien nicht beabsichtigt. Mittlerweile spricht die Regierung von "militärischer Diplomatie".
Sprecher der Regierung hatten zunächst betont, dass sich die britischen Truppen nicht auf direkte Kampfhandlungen mit den Rebellen von Foday Sankohs "Vereinigter Revolutionärer Front" (Revolutionary United Front, RUF) einlassen würden. Mittlerweile haben die Fallschirmjäger vier RUF-Mitglieder getötet, und Brigadebefehlshaber David Richards kündigte an, er würde seinen "Missionsauftrag" großzügig auslegen.
Trotz aller humanitären Rhetorik hat die britische Regierung fast kein Geld aufgewandt, um die verzweifelte Armut in Sierra Leone zu bekämpfen oder die Wirtschaft wiederzubeleben. Der größte Teil der britischen Wirtschaftshilfe ist in die Ausbildung von Armee und Polizei geflossen. Die Frage, wer die reichen Rohstoffe Sierra Leones und letztlich ganz Afrikas kontrolliert, ist das wichtigste Anliegen der Blair-Regierung.
Sierra Leone, offiziell das am wenigsten entwickelte Land der Welt, wird von einem Bürgerkrieg um die Diamantenvorkommen des Landes heimgesucht. Nach Angaben des amerikanischen Außenministeriums exportiert Liberia jährlich Diamanten im Wert von ca. 65 Millionen DM, von denen die meisten aus Sierra Leone kommen und von der RUF geliefert werden.
Ahmed Tejan Kabbahs "Volkspartei von Sierra Leone" war im Februar 1996 mit dem Versprechen gewählt worden, das Land zu stabilisieren und es für ausländische Investoren sicher zu machen. Im Mai 1997 führte jedoch Generalmajor Johnny Paul Koroma, ein Verbündeter der RUF, einen Militärputsch durch. Die westafrikanischen Länder schickten eine von Nigeria dominierte Eingreiftruppe, während die UNO ein Waffen- und Treibstoffembargo über Sierra Leone verhängte.
Da das Londoner Außenministerium sich nicht mit seinen beschränkten Möglichkeiten, selbst direkt zu intervenieren, abfinden wollte, schloss es einen Vertrag mit der Söldnerfirma Sandline International ab, um das UNO-Embargo zu durchbrechen und regierungstreue Kräfte zu unterstützen. Sandline hatte insbesondere den Auftrag, die Kontrolle über die Regionen mit Diamantenproduktion wieder zu erlangen.
Kabbah wurde am 10. März 1998 zwar wieder an die Macht gebracht, aber als im Mai der Vertrag mit Sandline publik wurde, hatte die Regierung Blair einen Skandal am Hals. Als Sandline daraufhin abziehen musste und die westafrikanische Eingreiftruppe zerfiel, ging die Initiative in Sierra Leone an die USA über - die mit Jesse Jackson im Juli 1999 eine Schlüsselrolle bei einem Friedensabkommen mit der RUF spielten.
Die Rebellen erhielten Regierungsämter und eine Amnestie für begangene Kriegsverbrechen, Sankoh wurde Bergbauminister. Die Kämpfe zwischen der RUF und UNO-Truppen gingen jedoch ebenso weiter wie Entführungen, Vergewaltigungen und andere Gräueltaten. Sankoh war nicht bereit, seine Kontrolle über den Diamantenhandel aufzugeben, und als diese Anfang des Jahres bedroht wurde, nahmen seine Kämpfer etwa 500 UNO-Soldaten als Geiseln.
Zur Zeit der Enthüllungen über Sandline behauptete die Blair-Regierung, sie handle "im Geist" des UNO-Beschlusses - weil es ihr darum gehe, eine demokratisch gewählte Regierung an die Macht zu bringen und einen Militärputsch zu beenden. Nun allerdings hat Großbritannien Truppen geschickt, ohne sich um die UNO zu kümmern. Außerdem arbeiten die britischen Truppen direkt mit dem früheren Putschisten Koroma und seinen Söldnern zusammen und behaupten, dieser habe sich aufrichtig zur Demokratie bekehrt.
Man fühlt sich hier an das Buch Heart of Darkness von Joseph Conrad erinnert, der klassischen Beschreibung von Kolonialverbrechen während des "Spiels um Afrika" im 19. Jahrhundert. Darin arbeiten britische Truppen in der Figur des "Mr. Kurtz" mit allen und jedem zusammen, die Zivilisten folterten und vergewaltigten, wenn es nur ihren Zielen diente. Wie Kurtz würde Großbritannien heute sein Handeln mit der Behauptung rechtfertigen, dass "wir durch unseren bloßen Willen praktisch unbegrenzte Macht und Güte ausüben können".
Vorbote von künftigen Konflikten zwischen den Großmächten
Dies ist die erste unilaterale Aktion einer europäischen Macht, nachdem die USA ein Jahrzehnt lang in der Lage war, der NATO und UNO entweder ihre Diktate aufzuzwingen oder sie einfach zu ignorieren. In den Kriegen gegen den Irak, in Bosnien und Kosovo, Somalia und Sudan haben die USA ihre europäischen NATO-Verbündeten gezwungen, ihre Aktionen zu unterstützen, und auf die UNO kaum einmal auch nur Bezug genommen. Dass Großbritannien jetzt ebenso verfährt wie Amerika, zeigt, in welchem Maße die traditionellen Mechanismen unterhöhlt sind, die die Beziehungen zwischen den Imperialisten regeln.
Die UNO ist angesichts der wachsenden Entschlossenheit der USA und ihrer europäischen Rivalen, aggressiv ihre eigenen Interessen zu verfolgen, in eine tiefe Krise geraten. Am 10. Mai griff UNO-Generalsekretär Kofi Annan die einflussreicheren UNO-Mitglieder an, weil sie keine Truppen nach Sierra Leone geschickt hätten, und kritisierte insbesondere die USA. Annan war so verzweifelt, dass er Großbritanniens einseitige Aktion begrüßte und erklärte: "Immerhin haben sie sich bewegt, sie haben etwas getan."
Wie die unmittelbare Antwort der USA und der europäischen Großmächte auf die britische Initiative in Sierra Leone auch aussehen mag, die unilaterale Aktion zeigt, dass es keine gemeinsame Position der imperialistischen Länder hinsichtlich der Verteidigung ihrer Interessen in Afrika und anderswo mehr gibt. Dies lässt zukünftige Konflikte von möglicherweise ernsterem Charakter erahnen.
Fast die ganze Periode nach dem zweiten Weltkrieg lang mussten die Ambitionen der Westmächte in Afrika den Kalten Krieg mit der Sowjetunion berücksichtigen. Die unterschiedlichen Interessen von Großbritannien, Frankreich und besonders der Vereinigten Staaten blieben weitgehend dem gemeinsamen Interesse untergeordnet, die Ausdehnung des sowjetischen Einflusses zurückzudrängen. Die unmittelbare Kolonialherrschaft wurde aufgegeben und verschiedenen bürgerlich nationalen Regierungen die nominelle Unabhängigkeit zugestanden. Diese setzten oftmals sozialistische Phrasen und begrenzte Reformen ein, um die sozialen und demokratischen Ambitionen der Arbeiter und unterdrückten Massen zu beschwichtigen. Dies wurde mit einer Politik verknüpft, die Konzerninvestitionen in Afrika zu sichern und die Schulden an den IWF und die Weltbank abzuzahlen.
Nach dem Zusammenbruch der UdSSR wird die Bipolarität, die bisher die Afrika-Politik bestimmte, von einem neuen Wettlauf um Afrika abgelöst: Amerika wähnt sich in der Lage, seine Interessen direkter zu sichern, und die ehemaligen europäischen Kolonialmächte sind weniger geneigt, sich den Bedürfnissen der US-Außenpolitik unterzuordnen.
Handel und Investitionen der Westmächte sind in Afrika immer noch auf einem sehr niedrigen Niveau, verglichen mit dem Rest der Welt. Um diese Situation zu verbessern, haben die Vereinigten Staaten, Großbritannien und Frankreich in den letzten zehn Jahren jeweils einige Manöver unternommen, um ihren Einfluss auf dem Kontinent zu vergrößern.
Alle westlichen Regierung haben enormen Druck auf afrikanische Regime ausgeübt, um mehr "Transparenz" und "gutes Regieren" zu erreichen, womit gemeint war, dass sie gegenüber IWF und Weltbank, die auch über den Schuldendienst entschieden, dem Großkapital Rechenschaft ablegten. Heute jedoch wetteifern die westlichen Regierungen darum, separate Abschlüsse über Schuldenerlass und Hilfspakete zu abzuschließen.
Vor zwei Jahren haben sich die USA entschlossen, aus dem Rückzug Frankreichs von seinen Afrika-Operationen und aus den Problemen Nutzen zu ziehen, die sich aus Europas Lomé-Konvention ergaben, welche die Wirtschaftsbeziehungen mit Afrika, der Karibik und dem Pazifik regelt. Clinton kündigte eine Aufstockung des Friedenskorps, das in dreißig afrikanischen Staaten eingesetzt wird, von 6.500 auf 10.000 Soldaten an und erklärte Afrika zum "neuen Grenzgebiet".
Es folgte eine Präsidentschaftsreise in fünf afrikanische Länder, und gleichzeitig wurde das Gesetz über Wachstum und Förderung Afrikas beschlossen, das beinhaltet, die Zollgrenzen für 1.800 Produkte aus dem Subsaharagebiet aufzuheben. Die stellvertretende Staatssekretärin für afrikanische Angelegenheiten, Susan Rice, beschrieb Afrika als einen kaum erschlossenen Markt von 700 Millionen Einwohnern, mit großem und bisher kaum ausgebeuteten Reichtum.
Seither hat Amerika direkt oder im Geheimen in vielen afrikanischen Ländern interveniert. Es hat jedoch auch Rückschläge erlitten. Die militärische Intervention in Somalia 1992-93 geriet zum Debakel, und Clintons Initiative, "neue Führer" in Afrika einzusetzen, die offenere Ohren für die westlichen Forderungen hätten, ist angesichts bitterer Bürgerkriege und ethnischer Konflikte, die in Äthiopien, Eritrea und im Kongo ausgebrochen sind, nicht gerade weit gekommen.
Trotzdem versuchen die USA weiterhin, Afrika zu kontrollieren, wobei sie sich auf Regime wie das von Museveni in Uganda oder das von Obasanjo in Nigeria stützen. Nigeria erhielt kürzlich ein militärisches Hilfspaket über zehn Millionen Dollar, mit dem eine private Sicherheitsfirma bezahlt wurde, die seine Armee wieder auf Vordermann brachte, und Transportflugzeuge gekauft wurden, um in regionalen Konflikten eingreifen zu können.
Gemeinsam mit Großbritannien machten die USA im Januar Druck für eine UN-Friedenstruppe für Sierra Leone und für den Kongo; Frankreich hatte sich für eine wesentlich größere Unternehmung eingesetzt, weil es dann eine führende Rolle hätte spielen können. Großbritannien bedient sich seiner alten Commonwealth-Verbindungen, zu denen es Mozambique hinzugefügt hat. Auch Frankreich benutzt seine ehemaligen Kolonien, um Einfluss auf neue diplomatische Initiativen zu nehmen, nachdem seine Unterstützung für das ruandische Hutu-Regime offen geworden war, das 1994 den Völkermord an der Tutsi-Bevölkerung verübte. Frankreich hat ein Verteidigungsabkommen mit Südafrika abgeschlossen und gewährt Tansania Unterstützung, das es in seine Liste der "primär zu unterstützenden Länder" aufgenommen hat.
Ein Anzeichen für das zunehmende Interesse der Großmächte an Afrika ist der Zufluss - zugegebenermaßen auf sehr niedrigem Niveau - von ausländischen Direktinvestitionen in die subsaharischen Länder, die sich nach einem kürzlich veröffentlichten Bericht von 1992 bis 1995 verdreifacht und damit die Zunahme in anderen unterentwickelten Ländern übertroffen haben.
Buchstäblich alle Konflikte im heutigen Afrika haben mit Bodenschätzen, besonders mit Diamanten, zu tun - im Kongo, in Sierra Leone (durch Liberia) und in Angola. Hier liegt das hauptsächliche Interesse des Westens an Afrika.
Die USA haben ihre Haltung gegenüber Angola wegen seines Ölreichtums geändert. Vor der Küste Angolas sind in der letzten Zeit mehr Erdölvorkommen entdeckt worden, als in irgend einem anderen Land, und 75 Prozent des angolanischen Öls gehen in die USA. Libyen, eines der größten Erdölproduzenten der Welt, schließt jetzt Handelsverträge und Investitionsabkommen mit den Ländern der EU, insbesondere mit seiner früheren Kolonialmacht Italien ab.
Jüngste Forderungen nach Sanktionen gegen den Handel mit Diamanten aus dieser Region kommen vor allem aus den USA und Großbritannien, die gegenwärtig von solchen Verkäufen nicht profitieren. Der südafrikanische De Beers Konzern besitzt beinahe ein Monopol über den Diamantenhandel, und achtzig Prozent des weltweiten Diamantenhandels wird über Antwerpen in Holland abgewickelt.
Stoppt imperialistische Intrigen gegen Afrika!
Bevor nicht Großbritannien und die anderen imperialistischen Mächte gezwungen werden, ihre militärischen und ökonomischen Intrigen gegen die afrikanischen Massen zu beenden, kann es keine progressive Lösung für die sozialen und politischen Probleme Sierra Leones und des ganzen afrikanischen Kontinents geben.
Wer behauptet, die britischen Truppen würden die Leiden und das Blutvergießen in Sierra Leone beenden, der ignoriert die Verantwortung, die der Imperialismus geschichtlich für die Armut und das soziale Elend sowie für das Schüren von Stammesfehden trägt. Erneut versucht der Imperialismus seine nackten ökonomischen Interessen hinter moralisierenden Phrasen zu verbergen und die Parole von der "Bürde des weißen Mannes" wiederzubeleben, mit der Großbritannien seine Vergewaltigung Afrikas in der zweiten Hälfte des vorigen Jahrhunderts rationalisierte.
Ein Beispiel für eine solche Rechtfertigung des Neokolonialismus mit seinen rassistischen Untertönen ist ein Artikel von Richard Dowden, dem Afrikakorrespondenten des Economist, im Oberserver vom 14. Mai. Er schrieb dort: "Vielleicht werden wir uns in zwanzig Jahren mit wehmütigem Lächeln einen Filmbericht über britische Truppen ansehen, die sich in afrikanischem Boden eingraben - der letzte Versuch der Weltgemeinschaft, Afrika vor sich selbst zu retten. Es wird eine bewegende Gedenkveranstaltung für die Männer des ersten Bataillons des Fallschirmjägerregiments geben, die bei der Verteidigung eines wertlosen Fleckens Erde starben, der einmal Sierra Leone hieß... Dann werden wir schreckliche Szenen von Kämpfen und Hunger in den Ruinen von Johannesburg, Lagos und Nairobi sehen."
Dowdens selbstgerechte Ergüsse sagen mehr aus, als er vielleicht selber bemerkt. Werden nach der Invasion in Sierra Leone Nigeria und Kenia als nächste drankommen? Die imperialistischen Mächte sind Afrikas Peiniger, nicht seine Retter. Ihr wiedererwachtes Interesse an seinen Angelegenheiten wird nur weiteres Leiden, Kriege und Entbehrungen bringen. Sie werden versuchen, die Krise in Sierra Leone zu ihrem eigenen Vorteil zu nutzen und sich dabei auf Handlanger wie Kabbah oder auf Tyrannen wie Taylor in Liberia stützen.
Selbst wenn die RUF unter Kontrolle gebracht wird - nichts wird sich in Sierra Leone grundlegend ändern. Eine Lösung für Afrika erfordert die unabhängige politische Mobilisierung der afrikanischen Arbeiterklasse an der Spitze der unterdrückten Massen gegen die Westmächte, ihre lokalen Vertreter und kriminelle Banden wie die RUF. Die wirklichen Verbündeten der afrikanischen Massen in ihrem Kampf für wirtschaftlichen und sozialen Fortschritt sind nicht die westlichen Mächte oder die UNO, sondern die Arbeiter Großbritannien, Europas und Amerikas.