Filme der 50. Berlinale

Jenseits der Schatten Milosevics

The Punishment von Goran Rebic

Etwa zur gleichen Zeit, als die Medien den österreichischen Schriftsteller Peter Handke als Freund des Milosevic-Regimes verunglimpften, weil er von Anfang an die Bombardierung Serbiens als "Verbrechen" bezeichnet hatte, begann der junge österreichische Regisseur Goran Rebic mit den Dreharbeiten zu The Punishment.

Rebic, 1968 in Jugoslawien geboren, wuchs in Wien auf. Der Dokumentarfilm gibt seine Eindrücke von Belgrad wieder, die Monate vom Ende der ersten Bombardements an bis hin zum Feuerwerk der Milleniumsnacht am 31. Dezember.

Man sieht keine aufwühlenden Bilder, die darauf ausgerichtet sind, vordergründig auf die Gräuel des Krieges aufmerksam zu machen. Der Film bezieht seine starke Wirkung nicht zuletzt daraus, dass er die Kriegssituation mitten im Alltäglichen zeigt. Wir sehen eine zerbombte Ölraffinerie, dann wiederum junge Mädchen, die in Sommerkleidung durch Belgrad schlendern. Vor der malerischen Kulisse eines romantischen Sonnenuntergangs mit friedlich tuckernden Motorbooten auf der Donau erklärt ein Mann, wie man alles auch drehe und wende, die Situation im Land sei insgesamt "niederschmetternd".

Die Eingangsszene zeigte ein Brautpaar vor dem Standesamt, als plötzlich die Sirene heult - Fliegeralarm. Die Hochzeitsgesellschaft schaut etwas irritiert, man lacht verlegen. Jemand nestelt an einer Videokamera. Auf der Straße gehen die Leute normal weiter. Schließlich hat die NATO ja erklärt, sie bombardiere nur militärisch wichtige Objekte. Der abschwellende Sirenenton verschmilzt mit dem Motorengeräusch eines vorbeifahrenden Lastwagens, bevor er schließlich verebbt.

Auf der Autobahn nach Belgrad. Das Wetter ist sommerlich schön, der Himmel blau. Wir sehen neben zerstörten Donaubrücken später auch zerbombte Häuser mitten im lebendigen Großstadttreiben. Ein Kameramann steht vor dem völlig zerstörten Gebäude des staatlichen Fernsehens und berichtet von jener Nacht, in der mindestens sechzehn seiner Kollegen in dem zusammenstürzenden Haus den Tod fanden, mitten bei der Übertragung der Nachrichtensendung. Er könne nachvollziehen, dass man Objekte zerstöre, die einen Gegner militärisch schwächen, aber nicht, dass ein Nachrichtensender bombardiert wird, weil der NATO die Informationen, die er verbreitet nicht gefallen.

Im verseuchten Wasser der Donau wäscht eine Frau Wäsche, um sie herum quirlen ihre fünf Kinder, während ein älterer Mann dem Filmteam erklärt, die ökologische Katastrophe werde im Ausland übertrieben dargestellt, sonst hätte man die Bevölkerung ja schließlich gewarnt.

Rebic interviewt neben besorgten Künstlern und Intellektuellen vor allem Jugendliche aus Belgrad. Er wollte, erklärte der Regisseur, diejenigen zu Wort kommen lassen, die der Öffentlichkeit etwas zu sagen hätten, aber weder in den einheimischen, noch den ausländischen Medien eine Plattform haben. Was sie uns sagen, entspricht weder der offiziellen Meinung der serbischen Regierung, noch dem Bild, das die offiziellen Medien in den USA und Europa während der Bombardements verbreiteten, nach dem die Serben kulturlose Fanatiker seien, denen man mit Gewalt die Einhaltung der "universellen Menschenrechte" beibringen müsse.

Wer dagegen protestiere, dass die jungen Männer von der Universität direkt den Krieg geschickt werden, dem wird vorgeworfen, "für die Bombardements der NATO zu sein" erklärt eine junge Frau und beklagt den "Nationalismus und Chauvinismus" in Serbien. Sie selbst sei für demokratische Verhältnisse - wie in Frankreich. "Wenn Frankreich jedoch schwächere Länder angreift, will ich das nicht mehr, aber auch nicht, dass bei uns alles beim alten bleibt." Dann fügt sie hinzu: Trotzdem die EU die Grenzen geöffnet hat, teile man Europa ein in "höhere und niedere Kasten und Klassen. Wir gehören zu den Ärmeren. Die Vertreter der westlichen Kultur, die uns erzogen haben erklären plötzlich: "Nein, nein. Du gehörst zum wilden Orient." Eine serbische Kollektivschuld für den Krieg erklärt sie für unsinnig. Die wirklich Verantwortlichen im Land würden dadurch nicht bestraft. "Sie haben Atombunker, Stromgeneratoren (...) Sie fürchten sich nicht im Winter, sie fürchten gar nichts." Ein älterer Mann stellt sich vor. Vor dem Krieg lebte er in Prizren im Kosovo. Nun muss er sich, fern der alten Heimat, in Belgrad zurechtfinden. "Ich bin Serbe. (...) Meine Nationalität war niemals höher als meine Persönlichkeit."

Wie schwer es unter den momentanen Bedingungen gerade für Kinder und Jugendliche ist, eine eigene Identität zu finden, erläutert eine Psychologin. In der Pubertät stellt sich die Frage: "Wer bin ich?" sehr stark. Die Jugendlichen leiden darunter, dass das gegenwärtige gesellschaftliche Klima verlangt, unter Identität in erster Linie Nationalität zu verstehen. "Warum fragt man nicht, welche Musik ich gerne höre, welche Filme ich gern sehe. Warum die erste Frage: Bist du Kroate?" klagte eine Schülerin in der Sprechstunde.

Wir sehen Jugendliche durch Belgrads Straßen ziehen. Sie kleiden sich modern, tragen die gleichen, auch in Deutschland beliebten EASTPAK-Rucksäcke aus den USA. Sie sind geprägt durch eine Kultur, die zunehmend internationale Formen angenommen hat und die sie als Bereicherung empfinden.

Der Regisseur unterhält sich mit einigen Gymnasiasten über den auf sie zukommenden Wehrdienst nach dem Schulabschluss. Einer von ihnen erklärt, er glaube nicht an ein Ende des Krieges, das habe man schon ein paar Mal gedacht. "Morgen kann es die Vojvodina sein, (...) es wird bloß das Zerstückeln weitergehen." Er hätte keinen Hass auf das amerikanische Volk, meint ein anderer, sondern auf deren Politik. Sein Land sieht er bedroht von den Interessen multinationaler Konzerne und antwortet auf die Frage, ob er zur Waffe greifen würde, wenn die Regierung es fordert: "Ich würde eine Waffe nehmen, egal wie die Politik meiner Regierung ist. Es ist die moralische Pflicht aller das Land zu verteidigen, das eine jahrhundertealte Tradition verkörpert." Dann fügt er resignierend hinzu: "Wir können uns nur moralisch erheben. Aber wir werden in jedem Fall verlieren." Schließlich spricht er von seinen Hoffnungen, von einem globalen Verständnis füreinander. Er habe noch solche Träume.

Die kalte Jahreszeit ist hereingebrochen. Die Anzeigetafel vom Belgrader Flughafen zeigt nur einen einzigen Flug für den Tag an: Moskau. Früher flogen hier 70-80 Maschinen überall hin, erklärt in verbittertem Ton die 35jährige Schauspielerin, die uns die leere Wartehalle zeigt.. "Das Embargo hat unser Volk zerstört." Den reichsten Familien ermögliche man jedoch ein enormes Einkommen. Sie hätten Mobiltelefone und eigene Jeeps. Sie selbst hätte 1993 nicht einmal das Geld gehabt einen Brief nach Amerika abzuschicken. "Ich habe keinen Boiler und die WC-Spülung ist nicht in Ordnung. (...) Wie können alle Werke der medialen Revolution in die Hände von Wirtschaft und Militär fallen? - sagt sie nachdenklich, meint damit nicht nur Serbien, auch das internationale Klima. Dann spricht sie aus, was auch viele ihrer Freunde empfinden: "Sie haben uns das Recht auf ein internationales Leben genommen."

Die verbreitete Auffassung, der um sich greifende Nationalismus im ehemaligen Jugoslawien habe eine breite soziale Basis und würde, bedingt durch jahrhundertealte kulturelle Wurzeln, quasi von Generation zu Generation weitervererbt, widerlegt der Film sehr anschaulich. Statt dessen zeigt er Menschen, die sich als Teil des internationalen gesellschaftlichen Lebens betrachten, aber sowohl von der eigenen Regierung als auch von der NATO bewusst isoliert werden. Der Film bringt ihre Hilflosigkeit darüber zum Ausdruck. Sie suchen nach einer Antwort jenseits der nationalistischen Sackgasse, wissen jedoch keine und fühlen sich von allen Seiten allein gelassen.

Man kann diesem Film nur wünschen, dass viele Menschen die Gelegenheit bekommen ihn zu sehen.

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