Die europäischen Sanktionen gegen Österreich

Erstmals in der Geschichte der Europäischen Union ist ein Mitgliedsland mit diplomatischen Sanktionen belegt worden. Die 14 EU-Partner haben auf den Eintritt der ultrarechten Freiheitlichen Partei (FPÖ) Jörg Haiders in die österreichische Regierung reagiert, indem sie die bilateralen Beziehungen zur Alpenrepublik einfroren: Es finden keine Kontakte und Botschaftertreffen auf zwischenstaatlicher Ebene mehr statt und österreichische Kandidaten werden bei der Vergabe von internationalen Ämtern nicht mehr unterstützt.

Obwohl die Sanktionen eher symbolischer als praktischer Natur sind - Österreichs Mitarbeit in den EU-Gremien, über die inzwischen fast alle internationalen Beziehungen laufen, wird davon nicht berührt -, ist darüber doch eine heftige Auseinandersetzung in ganz Europa entbrannt. Befürworter wie Gegner berufen sich dabei auf die Werte der Demokratie.

Die Befürworter erklären, dass Europa eine "Wertegemeinschaft" (Bundesaußenminister Joschka Fischer) sei, die sich deutlich von den "beleidigenden, fremdenfeindlichen und rassistischen Äußerungen Jörg Haiders" (Europaparlament-Präsidentin Nicole Fontaine) abgrenzen müsse. Es gehe den EU-Staaten um "klare Signale, eine Art symbolische Politik" (der außenpolitische Repräsentant der EU, Javier Solana).

Die Gegner warnen, der EU-Bann verstoße "gegen das fundamentale Recht einer jeden Demokratie, frei zu entscheiden, welche Parteien die Bürger wählen und welche dieser Parteien die Regierung bilden soll... Eine Kabale von EU-Regierungschefs befindet darüber, ob demokratische Entscheidungen der Völker gültig sind." ( Zeit -Herausgeber Theo Sommer)

Bei genauerem Hinsehen erweist sich die Pose des Streiters für Demokratie und Toleranz auf beiden Seiten als unhaltbar.

Die europäischen Regierungen haben sich in dieser Hinsicht allein schon durch die eigene Praxis restlos disqualifiziert. Die Verfolgung und Diskriminierung von Ausländern gehört zum Alltag in der Europäischen Union. Haider selbst lässt keine Gelegenheit verstreichen, um auf diesen Umstand hinzuweisen. Er, ein Rechter? Aber hat der deutsche Innenminister Otto Schily - ein Sozialdemokrat - nicht auch einen Zuzugsstopp für Ausländer gefordert? Und tritt Tony Blair in Großbritannien - ebenfalls Sozialdemokrat - nicht auch für eine Null-Toleranz-Politik gegenüber jugendlichen Straftätern ein? Usw.

Die Aufgeregtheit der europäischen Regierungen über Haider hat ganz andere Ursachen als dessen Fremdenfeindlichkeit und Intoleranz. Sie fürchten nicht seine Politik und noch nicht einmal seine Person - schließlich arbeitet er in seiner Eigenschaft als Kärntner Landeshauptmann seit Monaten im Brüsseler Regionalausschuss mit, ohne dass sich jemand darüber aufgeregt hätte. Was sie fürchten, sind die gesellschaftlichen Spannungen und Verwerfungen, die Haider nach oben geschleudert haben und die er geschickt zu nutzen weiß.

Haider kann man bändigen und vielleicht kann man ihm sogar trauen; aber kann er die Hoffnungen und Erwartungen bändigen, derer er sich bedient?

Die Süddeutsche Zeitung meint Nein. Sie bemerkt: "Mit seiner kruden Mixtur aus Fremdenfeindlichkeit und neoliberalen Forderungen nach Verschlankung des Staates und Entmachtung des von den ‚Altparteien‘ beherrschten Establishments, war es ihm ein Leichtes, das verängstigte, deshalb mühelos zu verhetzende Kleinbürgertum um sich zu scharen. Auf die Dauer wird aber auch Haider die hochgespannten Erwartungen seiner Klientel enttäuschen müssen, denn diese Mixtur ist keine konsistente Antwort auf die mannigfachen und komplexen Herausforderungen der Globalisierung."

Die europäischen Regierungen sehen in Österreich den Spiegel der eigenen Zukunft. Die gesellschaftliche Spannung steigt, während der eigene Einfluss rapide abnimmt. Die traditionellen konservativen Parteien befinden sich in ganz Europa im freien Fall: Die italienischen Christdemokraten - von der Bildfläche verschwunden; die britischen Tories - an den Rand gedrängt; die französischen Gaullisten - zerfasert; und jetzt auch noch die deutsche CDU!

Die Sozialdemokraten wissen, dass sie als nächste dran sind. Seit Jahren treiben sie den europäischen Einigungsprozess zum Nutzen der mächtigsten Wirtschaftsgruppen rücksichtslos voran, über die Köpfe ihrer traditionellen Wähler hinweg, die ihn nur in Form von Arbeitslosigkeit, Sparmaßnahmen, Sozialabbau und wachsender Unsicherheit wahrnehmen. Auch ihnen schlägt von unten Misstrauen und Ablehnung entgegen.

Wer wird in das entstandene Vakuum vordringen? In Österreich hat es Haider getan. In Ermangelung einer fortschrittlichen Alternative konnte er die Ängste und Empörung von Teilen der Bevölkerung in nationalistische und fremdenfeindliche Kanäle lenken.

Aber Haider gibt es nicht nur in Österreich. Aus Belgien meldet der stramm rechte Vlaams Blok Erfolge. In Frankreich hat der ehemalige Innenminister Charles Pasqua am rechten Rand der Gaullisten eine neue Partei gegründet, der noch größere Erfolge zugetraut werden, als einst dem Front National Jean-Marie Le Pens. Nicht zufällig haben die Regierungen dieser beiden Länder am heftigsten auf die Vorgänge in Österreich reagiert.

In Dänemark verzeichnet die fremdenfeindliche Volkspartei unter Pia Kjaersgard spektakuläre Erfolge. In Norwegen ist die rechte Fortschrittspartei zweitstärkste Kraft im Parlament. In Italien titelt das Zentralorgan der Lega Nord Umberto Bossis: "Haider und Lega, Wahlverwandtschaften". Und in Deutschland solidarisiert sich die bayrische CSU demonstrativ mit der neuen österreichischen Regierung.

"Hinter der Angst vor Haider lauert die Angst vor dem eigenen Wähler, vor der Ausfransung am rechten Rand, " kommentiert Die Zeit. Es drohen politische Instabilität und Gefahren für die weitere Ausdehnung der Europäischen Union. Noch in diesem Jahr stehen Grundsatzentscheidungen an, die als Voraussetzung für die geplante Osterweiterung gelten und die nun am Widerstand Österreichs scheitern könnten.

Das sind die wirklichen Gründe für die Sanktionen gegen Österreich. Die europäischen Regierungen kämpfen dabei gegen ein Frankensteinmonster, das sie selbst geschaffen haben und das sie auch weiterhin nähren. Deshalb sind die Sanktionen auch so halbherzig ausgefallen und unter der Hand zur Farce geworden. Inzwischen geht es nur noch um die Frage, ob man den österreichischen Vertretern bei den regelmäßig stattfindenden europäischen Treffen die Hand reicht und sich mit ihnen zum gemeinsamen Gruppenfoto ablichten lässt. Ein Zeitungskommentar sprach deshalb anlässlich des jüngsten Außenministertreffens in Brüssel höhnisch von einem "diplomatischen Ballet um Haiders Schatten".

Wenn die Sanktionen überhaupt etwas bewirkt haben, dann die Stärkung Haiders. Das Auftreten der europäischen Regierungen konnte den Eindruck nur verstärken, dass die Brüsseler Behörden und die europäischen Großmächte arrogant über die Belange eines kleinen Landes hinwegtrampeln. "Am schlimmsten könnte sein, dass die 14 EU-Staaten mit ihrer Entscheidung alte antieuropäische Urteile von der undemokratischen Gemeinschaft bestätigen, und so - zugespitzt ausgedrückt - die Solidarisierung der Entrechteten, die Zusammenrottung der Überforderten und Unverstandenen befördert wird," schreibt dazu die Süddeutsche Zeitung.

Daraus allerdings den Schluss zu ziehen, dass Haiders Aufstieg Ausdruck der "demokratischen Entscheidung" des Volkes sei, wie dies Theo Sommer in dem eingangs zitierten Zeit -Artikel tut, ist schlichtweg absurd. Dieses Argument ist nur ein erster Vorgeschmack auf die bevorstehende Versöhnung des europäischen Establishments mit Haider, die unvermeidlich kommen wird. In Wirklichkeit ist Haiders Erfolg das Ergebnis des völligen Fehlens von Demokratie, wenn man diese nicht nur formal, sondern real auffasst: als Möglichkeit breiter Bevölkerungsschichten, auf das politische Geschehen Einfluss zu nehmen.

In den sechziger und siebziger Jahren hatten die traditionellen Parteien noch bis zu einem gewissen Grade auf Wählerentscheidungen und auf Druck von unten reagiert. Sie mussten in ihrer Wirtschafts- und Sozialpolitik auf die Bedürfnisse breiterer Bevölkerungsschichten Rücksicht nehmen. Heute ist dies nicht mehr der Fall. Alle Parteien passen ihre Politik unterschiedslos an die Erfordernisse der Aktienmärkte an. Egal, wie eine Wahl ausgeht, die Politik bleibt dieselbe. Die Parteien streiten sich nicht mehr um unterschiedliche Programme, sondern nur noch darum, wer dasselbe wirtschaftsfreundliche Programm effektiver in die Tat umsetzt.

Haider hat es verstanden, die Enttäuschungen und Ängste, die so entstanden sind, auf seine Mühlen zu lenken. Nicht als Demokrat, der eine wirkliche Antwort auf die sozialen Bedürfnisse seiner Wähler gibt, sondern als rechter Demagoge, der die Ängste auf die Schwächsten und Unterdrücktesten der Gesellschaft ablenkt, auf Ausländer und Flüchtlinge. Das Regierungsprogramm der neuen ÖVP-FPÖ-Koalition liest sich dabei wie eine Blaupause der entsprechenden deutschen, italienischen oder britischen Programme. Im Mittelpunkt steht die Sanierung des Haushalts. Zu diesem Zweck werden Stellen abgebaut, Sozial-, Kranken-, Arbeitslosen- und Rentenversicherung "reformiert", öffentliche Betriebe privatisiert und Zwangsarbeit für Sozialhilfeempfänger eingeführt.

Von Haider geht ohne Zweifel eine wirkliche Gefahr für demokratische Rechte und Errungenschaften aus. Aber diese Gefahr lässt sich nicht bekämpfen, indem man sich mit den heuchlerischen Demokratiebekundungen der europäischen Regierungen solidarisiert. Die einzig effektive Antwort auf Haider und die rechte Gefahr, die er verkörpert, ist der Aufbau einer politischen Bewegung, die die sozialen Bedürfnisse der arbeitenden Bevölkerung gegen die Wirtschaftinteressen verteidigt, die das heutige politische Geschehen bestimmen, der Aufbau einer internationalen, sozialistischen Partei.

Siehe auch:
Haider und Europa
(5. Februar 2000)
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