Historische und internationale Grundlagen der Socialist Equality Party (Großbritannien)

Hier der elfte Teil der Historischen und Internationalen Grundlagen der Socialist Equality Party (Großbritannien). Das Dokument wurde auf dem Gründungskongress der Socialist Equality Party (SEP) in Manchester vom 22. bis 25. Oktober 2010 einstimmig verabschiedet. Es untersucht die wichtigsten politischen Erfahrungen der britischen Arbeiterklasse und konzentriert sich insbesondere auf die Nachkriegsgeschichte der trotzkistischen Bewegung.

 

Es wird in elf Teilen auf der WSWS veröffentlicht.

Teil 11
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Die Socialist-Equality-Parteien

262. Die Umbenennung der International Communist Party in Socialist Equality Party 1996 erfolgte im Rahmen einer Diskussion des Internationalen Komitees, um die notwendigen Schlussfolgerungen aus seiner Analyse der Zusammenbruchs der alten Arbeiterorganisationen zu ziehen. In der Nachkriegsphase hatten alle Sektionen bis zur Gründung der WRP die Form von Bünden angenommen.

Hierdurch sollte die Tatsache anerkannt werden, dass viele sozialistisch gesonnene Arbeiter, Intellektuelle und Jugendliche noch den stalinistischen und sozialdemokratischen Parteien die Treue hielten. Die Aufgabe des Aufbaus einer revolutionären Partei konnte deshalb nur vonstattengehen durch einen systematischen Kampf, um die Illusionen in den sozialistischen Charakter dieser Parteien, einschließlich ihrer linken Repräsentanten, zu zerstreuen und für eine Radikalisierung ihrer Mitgliedschaft und denen der Gewerkschaften, die sie kontrollierten, zu arbeiten.

263. Nun war es in der Beziehung zwischen der Arbeiterklasse und diesen Organisationen zu einem Gezeitenwechsel gekommen. Sie genossen nicht länger die aktive und militante Unterstützung der fortgeschrittenen Arbeiter, die sie inzwischen als offene Vertreter der Wirtschaft ansahen. Folglich war es keine Frage der Entlarvung von Illusionen in andere Strömungen mehr, sondern der direkten Durchsetzung des Rechts der trotzkistischen Bewegung, die Arbeiterklasse zu führen.

264. Die Gründung einer Partei war nicht einfach eine Frage des Namenswechsels, sondern ein Prozess, der in Erwartung einer Massenrebellion gegen die alten Organisationen begonnen wurde. Sein Ziel war es, die Sektionen des Internationalen Komitees mit dieser sich entwickelnden Situation in Einklang zu bringen. Der Name Socialist Equality Party wurde nach ausgiebiger Diskussion angenommen, um die Arbeiterklasse wieder mit dem wesentlichen Ziel der sozialistischen Bewegung seit ihren Anfängen zu verbinden – der Abschaffung der Klassen-Unterdrückung. Er stellt das Internationale Komitee nicht nur direkt gegen die schreckliche Ungleichheit, die sich in der gegenwärtigen Gesellschaft entwickelt, sondern auch gegen alle jene Strömungen, die sozialistische Phrasen missbrauchen, um Unterstützung für den Kapitalismus und bürokratische Privilegien zu legitimieren und ethnische Herkunft, Geschlecht oder sexuelle Orientierung zur Achse ihrer Politik machen.

265. Eine besondere Aufgabe besteht für die SEP darin, die politische Rolle zu klären, die die Pablisten und andere ehemals linke Gruppen spielen, die eine wirklich sozialistische Alternative zu den maroden ehemaligen Arbeiterorganisationen ablehnen. Sofern sie sich gezwungen sehen, sich politisch von der rechten Politik der Bürokratie zu distanzieren, behaupten diese Gruppen, dass Kämpfe von angeblich „linken“ Teilen der Gewerkschaften und der Sozialdemokraten angeführt werden müssen. Dies ist im Wesentlichen die Rolle der neuen Anti-Kapitalistischen Partei, die von der französischen Sektion des Vereinigten Sekretariats gegründet wurde, und der Linkspartei in Deutschland, die aus einem Bündnis ehemaliger ostdeutscher Stalinisten mit einer Fraktion der sozialdemokratischen Gewerkschaftsbürokratie gebildet wurde.

266. Diese Beziehung zur Bürokratie und nicht ihre pseudo-sozialistische Rhetorik bestimmt den Charakter dieser Strömungen. Sie sind keine Vertreter der Arbeiterklasse, sondern eine kleinbürgerliche Schicht, die zum großen Teil Stellungen innerhalb des öffentlichen Sektors oder im akademischen Apparat bekleidet. Ihre Theorie, der Sozialismus könne mit Hilfe des „stumpfen Werkzeugs“ der einen oder anderen nationalen Bürokratie erreicht werden, war der Mechanismus, durch den sie nicht nur in die oberen Schichten vieler Gewerkschaften aufgestiegen sind, sondern auch Regierungspositionen im kapitalistischen Staat übernommen haben.

Die World Socialist Web Site

267. Die größte Errungenschaft des Internationalen Komitees in der Übergangszeit von Bündnissen zu Parteien war 1998 die Einführung der World Socialist Web Site (WSWS). Die trotzkistische Bewegung machte sich revolutionäre Entwicklungen der Computertechnologie zunutze und war dadurch zum ersten Mal in der Lage, ein Medium zu etablieren, mit dem es mit einer Stimme zu einem weltweiten Publikum sprechen konnte. Die WSWS erlaubt dem Internationalen Komitee, das in seinem Kader verkörperte akkumulierte theoretische Kapital der Partei einzusetzen, um eine marxistische Einschätzung der Weltereignisse zu liefern. Es ist das notwendige Instrument für die Arbeit der Partei dar, um die Arbeiterklasse international zu vereinigen.

268. Die WSWS gründet sich auf ein historisch hergeleitetes Verständnis der Vorbedingungen für die Entwicklung einer revolutionären Bewegung. Diese wurden von David North in einem Bericht an das 18. Plenum des IK im Juli 1998 ausgeführt:

“(1) Das Beharren des IK auf dem Primat des Internationalismus als der Grundlage der strategischen und taktischen Organisation der Arbeiterklasse. (2) Der kompromisslose Charakter des Kampfes, den das IK gegen die Beherrschung der Arbeiterklasse durch die reaktionären Arbeiterbürokratien führt. (3) Die Betonung der Wiederbelebung einer wirklich sozialistischen politischen Kultur innerhalb der Arbeiterklasse als einer wesentlichen intellektuellen und, wie man hinzufügen könnte, „spirituellen“ Voraussetzung einer neuen internationalen revolutionären Bewegung. Das sind die wesentliche intellektuelle Substanz und die Vorbedingung sozialistischer Revolution. (4) Der Kampf gegen Spontaneismus und Fatalismus gegenüber der Entwicklung der Krise des Kapitalismus, dem Klassenkampf und der sozialistischen Revolution.“86

Imperialistischer Krieg und Militarismus

269. Die Analyse des Internationalen Komitees über die Auswirkungen der Globalisierung, des Niedergangs des US-Kapitalismus und der Degeneration der alten Arbeiterorganisationen bereitete die internationale Bewegung auf den Ausbruch von Militarismus und Krieg vor, der der Auflösung der Sowjetunion folgte. Das Internationale Komitee war in der Lage, im Ausbruch der US-Aggression auf dem Balkan, im Persischen Golf und in Zentralasien die Widersprüche zu erkennen, die die Grundlagen der gesamten imperialistischen Weltordnung zersetzten.

270. Mit dem Zusammenbruch der Sowjetunion war das Haupthindernis beseitigt, das die USA davon abhielt, ihre globale Herrschaft auszuüben. Aber er fiel zusammen mit dem historischen Abstieg der USA als weltgrößte Wirtschaftsmacht. Washington beschloss, seine militärische Übermacht zu nutzen, um seine schwächer werdende wirtschaftliche Position gegenüber seinen Hauptkonkurrenten auszugleichen und sich so die Kontrolle über geostrategische Regionen und Ressourcen in aller Welt zu sichern. Obwohl die USA bei der Ankurbelung des Militarismus die herausragende Rolle spielen, liegen die Wurzeln dieses Strebens in den geopolitischen und ökonomischen Spannungen, die objektiv aus dem kapitalistischen Nationalstaats-System entstehen. Die Konkurrenz zwischen den USA, Japan, Russland und den europäischen Mächten wie auch China und Indien bedeutet, dass weitere Beutekriege um geopolitische Dominanz und die Kontrolle von Energieressourcen unausweichlich sind.

271. Aufgrund der geringeren Rolle, die sie in der Welt spielt, hat die britische Bourgeoisie im Großen und Ganzen verstanden, dass sie Washingtons führende Rolle akzeptieren und unter dem Schirm der Nato arbeiten muss, um ihre globalen Interessen als Militärmacht durchzusetzen. Nach Zusammenbruch der osteuropäischen stalinistischen Staaten wurde das noch dringender. Die Wiedervereinigung hatte die Position Deutschlands als führendem Staat auf dem Kontinent konsolidiert, während die deutsch-französische Allianz sich nachteilig auf den Einfluss des Vereinigten Königreichs auswirkte.

Dass die Blair-Regierung als enthusiastischster Verbündeter des US-Imperialismus und seiner Politik des “Präventiv”-Krieges und damit verbundener Verbrechen agierte, hatte nur einen Grund: Sie versuchte sich der Herausforderung zu erwehren, die Großbritanniens europäische Rivalen darstellten. Dass die britische Bourgeoisie darauf pochte, die „besondere Beziehung“ zu erhalten und zu vertiefen, lag nur daran, dass sie sich ihren Anteil an der Beute sichern wollte. Alle Einrichtungen des Staates – Parlament, Verwaltung, Geheimdienste und Streitkräfte – wurden für die Aggressionskriege im Irak und in Afghanistan instrumentalisiert. Im Namen des „Krieges gegen den Terror“ wurde der juristische Rahmen für einen Polizeistaat geschaffen.

272. Labour versuchte, die Rückkehr zum Neo-Kolonialismus mit dem Deckmantel “humanitärer” Interventionen und der Schaffung westlicher “demokratischer Werte” zu legitimieren Die neuzeitige Berufung auf „die Last des Weißen Mannes“ wurde von einer erheblichen Schicht derer aufgenommen, die einst das kleinbürgerlich-liberale „linke“ Milieu ausgemacht hatten. Während der 1960er und 1970er Jahre hatte diese Schicht ihr Links-Sein nicht auf den unabhängigen Kampf der Arbeiterklasse gegründet, sondern auf den stalinistischen und sozialdemokratischen Apparat. Der Zusammenbruch dieses Apparates beseitigte die Grundlage für derartige Protestpolitik. Das bedeutete, dass die liberalen „Linken“ ihr eigenes gesellschaftliches Vorankommen nicht mehr als mit der Arbeiterbewegung verbunden betrachteten. Im Gegenteil, sie gehörten zu den Nutznießern des Spekulations-Booms und der Abschaffung des Sozialstaates, die unter Thatcher begonnen worden war und unter New Labour weitergeführt wurde.

273. Eine bösartige Rolle spielten auch jene kleinbürgerlichen Gruppen, die die Führung der Massenproteste gegen den Irak-Krieg 2003 übernahmen. Einmal mehr kam es zum Schulterschluss der SWP, der Stalinisten und anderer mit den pazifistischen Aufrufen der Vereinten Nationen, der europäischen Mächte und der britischen Liberal-Demokraten. Das Scheitern dieser Bewegung und ihr anschließender Zusammenbruch unterstreichen, dass der Kampf gegen den Krieg eine vereinigte politische Bewegung der internationalen Arbeiterklasse zum Sturz des Kapitalismus und seines Nationalstaatensystems erfordert.

Die Weltwirtschaftskrise und die Aufgaben der SEP

274. Zu Beginn des einundzwanzigsten Jahrhunderts hat die herrschende Elite die Eigenschaften des Ancien Régime im vorrevolutionären Frankreich angenommen, eines Krebsgeschwürs, das keinen Beitrag zur Gesellschaft leistet. Die ehemalige „Werkstatt der Welt“ ist zum Tummelplatz für Finanzspekulanten und Oligarchen und zum weltgrößten Offshore- Steuerparadies geworden, während die City von London sich zum globalen Zentrum für Schwindel und Geschäftemacherei entwickelt hat. Dieses Parasitentum ist die Kulmination des langen Zerfalls- und der Fäulnisprozesses des britischen Kapitalismus. Er infiziert den ganzen politischen Überbau und findet seinen vollendeten Ausdruck in der Labour Party und den Gewerkschaften, die nichts als pure Vertreter der Finanzaristokratie sind und für die Durchsetzung immer größer werdender sozialer Ungleichheit sorgen.

275. Die Kriegshetze der Labour Party wurde durch einen nie dagewesenen Transfer gesellschaftlichen Reichtums von den arbeitenden Menschen zu den Superreichen begleitet. Jeder Aspekt des Lebens wurde dem Markt untergeordnet. Hemmungslos wurde gesellschaftliches Vermögen geplündert, Rentenfonds ausgeräumt, und Konzernprofite in der Form massiver Aktienanteile und Boni verteilt. Die Annahme aller Geheimrezepte des Thatcherismus wurde durch Gordon Browns Erklärung versinnbildlicht, dass es Labour gelungen sei, dafür zu sorgen, dass es keine Rückkehr zur „boom-and-bust“-Wirtschaftspolitik geben werde.

276. Es gibt in der modernen Geschichte nur wenige Beispiele einer größeren Kurzsichtigkeit. Der ökonomische „Aufschwung“ der 1990er Jahre ruhte auf einem instabilen Fundament – einer massiven Akkumulation fiktiven Kapitals, ohne Beziehung zu einer tatsächlichen Entwicklung wirtschaftlicher Produktion, und der resultierenden kreditgetriebenen Schuldenexplosion. Ab 1997 wurden die großen Aktienmärkte von einer Serie von Schocks erschüttert, jeder ernster als der vorhergehende. 2008 brach das gesamte Gebäude des internationalen Kapitals fast zusammen und erzeugte die schwerste wirtschaftliche Rezession seit den 1930er Jahren. Wie der nationale Sekretär der SEP (Australien), Nick Beams, erklärte:

„Wenn wir von ‚Zusammenbruch’ sprechen, meinen wir nicht ein einzelnes Ereignis - ein Punkt, an dem der Kapitalismus plötzlich erstarrt und zum Erliegen kommt -, sondern einen historischen Prozess. Die weitreichenden Veränderungen in der Struktur des globalen Kapitalismus - die Implosion des Finanzsystems, der Zusammenbruch des Kreditwesens und der Finanzmärkte und der Bankrott großer Banken und Investmenthäuser - sind das Ergebnis von Entwicklungen, die über Jahre und sogar Jahrzehnte unter der Oberfläche des Wirtschaftslebens stattgefunden haben.

Ein Zusammenbruch bedeutet nicht, dass der Kapitalismus zum Stillstand kommt. Er signalisiert den Beginn einer neuen Periode der Geschichte, in der alte Strukturen, ökonomische wie politische, sowie Ideologien und Denkweisen, weichen und neue Formen politischer Kämpfe sich entwickeln, in denen das Schicksal der Gesellschaft entschieden wird.“87

277. Letztlich ruhte die Beherrschung der britischen Arbeiterklasse durch die reformistischen Bürokratien auf einer expandierenden Produktion und den daraus resultierenden Bedingungen relativen Wohlstands. Diese Phase ist nun vorüber. Nach dem größten Finanzcrash seit einem Dreivierteljahrhundert verfolgen Regierungen in aller Welt die Absicht, den Lebensstandard der Arbeiter in der ganzen Welt zu senken, um sich dem Diktat der transnationalen Konzerne und der internationalen Finanzoligarchie zu beugen.

279. Die SEP wird die Entwicklung des Klassenkampfes und die Schaffung neuer unabhängiger Organisationen ermutigen, mit denen die Arbeiterklasse die Durchsetzung ihrer Interessen vorantreiben kann. In diesen Klassenkämpfen muss es das primäre Ziel der revolutionären Bewegung sein, den Graben zwischen der Reife der objektiven Situation und dem gegenwärtigen Bewusstseinsstand der Arbeiterklasse zu überwinden. Es darf kein Nachlassen im Kampf zur Überwindung der lähmenden Kontrolle der Labour- und Gewerkschaftsbürokratien und ihrer Apologeten geben, und niemand darf glauben, dass der objektive Trend zur Revolution die Krise der Führung und der Perspektive in der Arbeiterklasse automatisch lösen wird. Der Einfluss der Bürokratien, die noch immer auf massive Ressourcen zurückgreifen können und die als die wesentlichen Stützen des Kapitalismus fungieren, kann nur überwunden werden durch die Verinnerlichung der strategischen Lehren der Kampfes, den Marxisten führen, um eine revolutionäre Partei der Arbeiterklasse aufzubauen.

280. Nur das Internationale Komitee der Vierten Internationale, das die programmatischen, taktischen und organisatorischen Lehren aus einhundertfünfzig Jahren Arbeiterbewegung verkörpert, kann die politische und ideologische Homogenität der revolutionären Vorhut sicherstellen. Das IK allein liefert die Grundlage, auf der sich die Arbeiterklasse ihrer historischen und internationalen revolutionären Rolle bewusst werden und sich organisieren kann, um die sozialistische Weltrevolution durchzuführen. Die Socialist Equality Party erklärt im Einklang mit Leo Trotzki:

„Die fortgeschrittenen Arbeiter, die in der Vierten Internationale vereinigt sind, zeigen ihrer Klasse den Weg aus der Krise. Sie bieten ein Programm, das sich auf internationale Erfahrungen im Kampf des Proletariats und aller Unterdrückten dieser Welt für die Befreiung stützt. Sie bieten ein unbeflecktes Banner.“88

Ende

Anmerkungen:

86 David North, 18th plenum of the ICFI, July 1998, http://www.wsws.org/articles/2010/mar2010/ih11-m11.shtml [aus dem Englischen]

87 Nick Beams, Der Zusammenbruch des Kapitalismus und die revolutionäre Perspektive der Vierten Internationale (18. Oktober 2008), http://www.wsws.org/de/2008/okt2008/beam-o18.shtml

88 Leo Trotzki, Das Übergangsprogramm, Der Todeskampf des Kapitalismus und die Aufgaben der Vierten Internationale, Essen, 1997.

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