Etwa 2.500 Vertreter der Wirtschafts- und Politikelite aus der ganzen Welt nahmen am jährlichen Weltwirtschaftsforum teil, das vom 28. Januar bis 1. Februar im schweizerischen Alpenkurort Davos stattfand. Unter den Teilnehmern befanden sich 41 Regierungschefs und Dutzende Minister. Das diesjährige Forum fand inmitten eines globalen Finanzzusammenbruchs und einer Wirtschaftsrezession statt. Die bisher von allen akzeptierte angebliche Überlegenheit des "freien Unternehmertums" war in den Grundfesten erschüttert, und das Forum bot ein Bild der tiefen Krise und Uneinigkeit unter den Führern des Weltkapitalismus.
Die vorherrschende Stimmung war nach allen Berichten depressiv und von schlechten Erwartungen geprägt. Keiner der Teilnehmer stellte in Frage, dass die Welt mit der schwersten Wirtschaftskrise seit der großen Depression konfrontiert ist. Die Reden und Diskussionen jedoch unterstrichen, dass es über die grundlegenden Ursachen der Krise keine Übereinstimung gibt, wie auch keine einheitliche Vorstellung, was dagegen zu tun sei.
Die Washington Post zitierte den Medienzar Rupert Murdoch mit den Worten, die Teilnehmer seien "depressiv und traumatisiert". Die Zeitung fügte hinzu, nach dem Zusammenbruch der US-Investmentbank Lehman Brothers seien "50 Billionen Dollar an persönlichem Reichtum" seit der Beschleunigung der Krise im September letzten Jahres vernichtet worden.
Die Post schrieb weiter, der Milliardär George Soros habe gesagt: "Das Problem ist heute größer als in den 1930er Jahren."
Das Weltwirtschaftsforum wurde von seinem Gründer und aktuellen Präsidenten, dem schweizerischen Ökonomen und Geschäftsmann Klaus Schwab, 1971 während einer Finanzkrise ins Leben gerufen. Diese Krise führte im August 1971 zum Zusammenbruch des Währungssystems von Bretton Woods, jenes Systems, das auf der Grundlage der Umtauschbarkeit von Dollars in Gold der wirtschaftlichen Expansion der Nachkriegszeit Stabilität verliehen hatte. Seit jener Zeit entwickelte sich das Treffen zu einem halboffiziellen Ereignis von Wirtschaftsführern und Regierungsvertretern, die in Davos globale Wirtschaftsfragen und politische Probleme erörtern.
In jüngerer Zeit, besonders nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion, wurde auf dem Treffen häufig der angebliche Triumph der "freien Marktwirtschaft" gefeiert. Die amerikanischen Investmentbanker hielten Hof und wurden von einer kleinen Armee von Ökonomen und Medienvertretern umschwärmt, die von Filmstars und anderen Berühmtheiten begleitet wurden.
Vor einem Jahr machte sich nach dem Zusammenbruch des amerikanischen Häusermarktes und dem Ausbruch der Finanzkrise erstmals Besorgnis auf dem Forum breit. Diese bedenkliche Entwicklung war praktisch von niemandem vorhergesehen worden. Doch gelang es amerikanischen Bankern und Politikern, die Sorgen zu dämpfen, indem sie versicherten, die Störung werde schnell wieder behoben, und schlimmstenfalls stehe eine schwache und kurze Rezession in den USA bevor. Die meisten Diskussionen drehten sich um die populäre Theorie des "Entkoppelungs"-Phänomens, dem zufolge die Probleme der amerikanischen Finanzmärkte nicht nach Europa oder Asien ausstrahlen würden.
Diese Jahr gab der Manager des Forums, Robert Greenhill, den Ton des Forums vor, als er sagte: "Diese Veranstaltung wurde in einer Zeit der Gegensätze und Unsicherheiten in den 1970er Jahren gegründet, und dieses Jahr kehren wir zu den Wurzeln zurück. Man kommt hierher, um Ideen auszutauschen, wie man aus dieser ernsten Krise herauskommt."
Wie ernst und allumfassend die Krise tatsächlich ist, unterstrich am Eröffnungstag eine Publikation des Internationalen Währungsfonds, in der die erwartete Wachstumsrate für die Weltwirtschaft für 2009 auf nur noch 0,5 Prozent nach unten korrigiert wird. Es wird erwartet, dass z.B. die amerikanischen, britischen, französischen, deutschen und japanischen Volkswirtschaften massiv schrumpfen. In der Vorwoche hatte der IWF eine Vorhersage veröffentlicht, dass der Welthandel 2009 um 2,8 Prozent einbrechen werde. Ebenfalls am Mittwoch warnte die Internationale Arbeitsagentur, dieses Jahr könnten weltweit 51 Millionen Arbeitsplätze verloren gehen.
Das diesjährige Forum war von allgemeinem Schock und von Panik geprägt. Die Krise hat unwiderstehlich und mit großer Geschwindigkeit alle Versuche der Zentralbanken und Regierungen zunichte gemacht, die Banken zu stützen und die wirtschaftliche Tätigkeit wieder anzuschieben. Auch Billionen Dollar an Krediten, Garantien und direkten Einlagen konnten daran nichts ändern. Außerdem kam auf dem Forum der völlige Prestige- und Glaubwürdigkeitsverlust Amerikas zum Ausdruck.
Die Financial Times schrieb am Mittwoch: "Am meisten fällt auf, dass das Vertrauen, dass ein Mix aus Globalisierung, Finanzinnovationen und freier Marktkonkurrenz zu einem besseren Finanzsystem führen werde, unter der Last riesiger Verluste der Banken geschwunden ist. Die kritische Frage, die deshalb über dem diesjährigen Treffen in Davos schwebt, lautet: Kann überhaupt irgendetwas diesen Glauben ersetzen? Und wenn ja, was?’"
Ähnlich die New York Times. Sie zitierte am Freitag James Rosenfeld, einen Mitbegründer von Cambridge Energy Research Associates, mit den Worten: "Wir haben dieses große, integrierte Finanzsystem aufgebaut. Aber wir haben uns keine Gedanken darüber gemacht, was passiert, wenn es einmal zerfällt."
Wie sehr die Position der Vereinigten Staaten geschwächt ist, wurde deutlich, als am Eröffnungstag der chinesische Ministerpräsident Wen Jiabao und der russische Premierminister Wladimir Putin das Wort ergriffen. Beide gingen scharf mit den USA ins Gericht, ohne ihren Namen direkt zu nennen. Sie machten Amerika für die Weltkrise verantwortlich und forderten Maßnahmen, um den Einfluss der USA auf die internationalen Finanzmärkte zu verringern.
Wen Jiabao drängte auf eine Ausweitung "der Regulierung des internationalen Finanzsystems mit besonderer Berücksichtigung der Aufsicht über wichtige Reservewährungen". Er sagte, die Finanzkrise sei "einer falschen makroökomischen Politik einiger Länder und ihrem nicht nachhaltigen Entwicklungsmodell geschuldet, das von einer langfristig geringen Sparquote, hohem Konsum und einer exzessiven Aufblähung der Finanzinstitute auf der blinden Jagd nach Profit gekennzeichnet ist". Er verurteilte auch "das Versagen der Finanzaufsicht".
Putin war eher noch unverblümter. Er attackierte das Konzept einer "unipolaren Welt", forderte ein Ende der privilegierten Rolle des Dollar als Weltreservewährung und sagte: "Noch vor einem Jahr haben amerikanische Delegierte von dieser Tribüne verkündet, die amerikanische Wirtschaft sei grundlegend stabil und habe eine strahlende Zukunft." Er fuhr fort: "Heute haben die Investmentbanken, der Stolz der Wall Street, praktisch aufgehört zu existieren. Innerhalb von nur zwölf Monaten haben sie Verluste geschrieben, die die Profite der letzten 25 Jahre übersteigen."
Der Princeton-Ökonom und ehemalige Vizechef der Notenbank antwortete: "Es ist traurig, dass wir darüber vor kurzem noch gespottet haben. Aber wir haben wirklich die Welt nach unten gezogen."
Die Obama-Regierung signalisierte ihr Desinteresse an einer ernsthaften Kooperation und Regulierung der Finanzmärkte, indem sie nicht einen einzigen hochrangigen Vertreter zu dem Forum entsandte. Während eine ganze Phalanx von Regierungschefs aus aller Welt anwesend waren, unter ihnen Kanzlerin Merkel, der britische Premierminister Gordon Brown und der japanische Ministerpräsident Taro Aso, tauchte keiner der angekündigten führenden US-Delegierten auf. Weder Wirtschaftsberater Lawrence Summers, noch Finanzminister Timothy Geithner, noch der Nationale Sicherheitsberater General James Jones oder der Chef des US-Zentralkommandos General David Petraeus ließen sich blicken.
Dieser praktisch offizielle Boykott der Vereinigten Staaten unterstreicht die bitteren Spannungen und Spaltungen, die sich unter der Oberfläche der diplomatischen Etikette auf dem Forum ausbreiteten. Trotz aller wortreichen Schwüre gegen Protektionismus in Davos, und trotz aller Warnungen vor den katastrophalen Folgen einer derartigen Politik für die Weltwirtschaft ist der Wirtschaftsnationalismus auf dem Vormarsch. Weniger als eine Woche vor der Eröffnung des Forums hatte US-Finanzminister Geithner eine provokative Drohung mit möglichen Wirtschaftssanktionen gegen China ausgesprochen. Er hatte China beschuldigt, "seinen Wechselkurs zu manipulieren", um sich einen Handelsvorteil gegenüber den USA zu verschaffen.
Steven Roach von Morgan Stanley Asia sprach in Davos von einer "aufsteigenden Welle von Wirtschaftsnationalismus". Delegierte aus so genannten Entwicklungsländern beschwerten sich darüber, dass die massiven amerikanischen Defizite, die für Obamas Konjunkturprogramm und die Rettungspakete für die Banken aufgenommen werden müssen, die privaten Kreditmärkte weltweit leer saugen.
"Große Volkswirtschaften grasen die internationalen Kapitalmärkte für sich selbst ab", sagte Trevor Manuel, Finanzminister Südafrikas. Ernesto Zedillo, der ehemalige mexikanische Präsident, der während der mexikanischen Finanzkrise von 1994 im Amt war, sagte: "Die USA müssen einen Plan für die Lösung ihres Haushaltsproblems vorlegen. Wir als Entwicklungsländer müssen die Zuversicht, haben, dass wir nicht aus den Kapitalmärkten gedrängt werden, was schon im Gange ist."
Die New York Times zitierte Lord Adair Turner, den Vorsitzenden der britischen Finanzaufsicht, mit ähnlichen Bedenken. Dieser beklagte "das Risiko eines neuen Merkantilismus", bei dem statt um den Handel um verfügbaren Kredit gestritten werde.
Diese Spannungen brachen am Donnerstag offen auf, als auf einer Podiumsdiskussion über die Gazakrise der türkische Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan nach einem Wortwechsel mit dem israelischen Präsidenten Shimon Peres von der Bühne stürmte. Erdogan, dessen Regierung enge politische und militärische Beziehungen mit Israel pflegt, beschuldigte Peres: "Töten könnt ihr gut."
Das Forum in Davos unterstreicht die Unmöglichkeit, im kapitalistischen Rahmen des Privateigentums an den Produktionsmitteln, der Finanzwirtschaft und der Aufteilung der Welt in konkurrierende Nationalstaaten eine vernünftig koordinierte, internationale Politik zur Lösung der Wirtschaftskrise zu entwickeln. Putin, der durchaus den Kapitalismus verteidigte, ging in seiner Rede auf den Finanzparasitismus ein. Dieser habe der Finanzaristokratie in den letzten drei Jahrzehnten riesige Vermögen in die Kassen gespült. Putin sprach von "einer Pyramide von Erwartungen, die früher oder später zusammenbrechen musste", und wies auch daraufhin, wer dafür bezahlen müsse: "Das war unverdienter Reichtum, ein Kredit, den zukünftige Generationen zurückzahlen müssen."
In diesem wirtschaftlichen und politischen System gibt es nur eine Zukunft von Armut und Unterdrückung. Das Anwachsen nationaler Antagonismen wird - wie in der letzten großen Depression - unvermeidlich in einen globalen Krieg mit allen seinen Schrecken münden.
Das Gespenst, das die Versammelten in Davos schreckte, ist eine unabhängige Bewegung der Arbeiterklasse, die für die Abschaffung des Kapitalismus und für den Aufbau einer sozialistischen Gesellschaft kämpft, in der die Befriedigung der Bedürfnisse der Menschen an erster Stelle steht, und nicht der private Profit. Der Zerfall der Weltwirtschaft erfordert mit großer Dringlichkeit einen einheitlichen Kampf der Arbeiterklasse auf der Grundlage eines internationalen sozialistischen Programms.