Der internationale Bund der Kriegsverbrecher

Ein britischer Haftbefehl gegen die frühere israelische Außenministerin und jetzige Oppositionsführerin Tzipi Livni bestätigt die internationale Rechtsmeinung, dass Israel wegen seines Vorgehens gegen die Palästinenser der Prozess wegen Kriegsverbrechen gemacht werden sollte.

Livni war während der Operation "Gegossenes Blei" gegen Gaza vom 27.Dezember 2008 bis zum 18. Januar 2009 ein Mitglied des Kriegskabinetts. Mehr als 1.400 Palästinenser - die Mehrzahl Zivilisten, darunter 400 Frauen und Kinder - wurden getötet, mindestens 5.000 verletzt und 21.000 Häuser sowie die lebensnotwendige Infrastruktur zerstört.

Im Oktober billigte der UN-Menschenrechtsrat einen Bericht des südafrikanischen Richters Richard Goldstone, der feststellte, der Krieg sei "ein willkürlicher, unangemessener Angriff" gewesen und habe das Ziel verfolg, "die Zivilbevölkerung zu bestrafen, zu erniedrigen und zu terrorisieren, ihre Wirtschaftskapazität und damit die Möglichkeit zu arbeiten und sich selbst zu versorgen radikal zu schwächen und ihr das Gefühl ständig wachsender Abhängigkeit und Verwundbarkeit aufzuzwingen".

Der Haftbefehl gegen Livni wurde vom Amtsgericht Westminster auf Antrag von Rechtsanwälten erlassen, die 16 klagende Palästinenser vertreten. Livni sollte am 13. Dezember vor der Konferenz des Jewish National Fund sprechen, aber sie sagte ihr Erscheinen dort ab, angeblich wegen "Terminschwierigkeiten". Die New York Times berichtete jedoch am Donnerstag letzter Woche dass Livni wegen des Haftbefehls und der drohenden Verhaftung einen Hinweis erhalten habe.

Dies ist bei weitem nicht das erste Mal, dass israelische Politiker oder Militärs gerichtliche Verfolgung droht. 2001 erließ Belgien einen Haftbefehl gegen den früheren Premierminister Ariel Sharon, den früheren Generalstabschef der Armee Raphal Eitan und den Befehlshaber des Nordkommandos der Israelischen Streitkräfte (IDF) Amos Yaron wegen der Rolle, die sie 1982 bei den Massakern in Sabra und Schatila gespielt hatten.

Im September 2005 sollte der frühere Befehlshaber des Südkommandos der IDF Doron Almog im Vereinigten Königreich verhaftet werden, weil er den Befehl erteilt hatte, 59 palästinensische Häuser zu zerstören. Der Haftbefehl war nach britischem Recht angeblich geheim ausgestellt worden, aber israelische Diplomaten hatten einen Hinweis erhalten und Almog weigerte sich zwei Stunden lang, sein Flugzeug zu verlassen, bevor es wieder in Richtung Israel abhob.

Auch von Spanien wurde ein Haftbefehl gegen sieben Israelis erlassen, die im Juli 2002 in die Bombardierung eines Wohnblocks in Gaza Stadt verwickelt waren, durch den der militärische Führer der Hamas Salah Shehadeh und 14 Zivilisten getötet wurden, einschließlich seiner Frau und einiger Kinder. Unter den Angeklagten waren Moshe Ya’alon, der stellvertretende israelische Premierminister und Minister für strategische Angelegenheiten, sowie der frühere Verteidigungsminister Benjamin Ben-Eliezer.

Im September lag beim Gericht in Westminster ein Antrag vor, nach dem Strafgesetz von 1988 einen Haftbefehl gegen den israelischen Verteidigungsminister Ehud Barak wegen seiner Verantwortung für den Gaza-Krieg auszustellen. Das Gericht akzeptierte aber die Erklärung des auswärtigen Amtes, dass er ein amtierender Minister sei, der seinen britischen Kollegen treffen wolle und deshalb nach dem Immunitätsgesetz von 1978 Immunität genieße.

Ehemalige Minister, die wie Livni kein öffentliches Amt mehr innehaben, genießen dagegen keine Immunität. Aus diesem Grund haben auch Ya’alon und Avi Dichter, der derzeitige Minister für öffentliche Sicherheit und Chef des Geheimdienstes Shin Bet, Einladungen zu Veranstaltungen in Großbritannien abgesagt.

Die israelische Regierung von Premierminister Benjamin Netanjahu hat eine Kampagne begonnen, um künftig die Möglichkeit von Verhaftungen nach dem Weltrechtsprinzip auf Grund der Genfer Konvention und anderer internationaler Gesetze auszuschließen. Was die Verbündeten Israels angeht, rennt er damit allerdings offene Türen ein.

Immer wenn die Verhaftung eines israelischen Amtsträgers drohte, hat Washington Druck ausgeübt, um sie zu verhindern. Das führte dazu, dass die belgische Anklage gegen Sharon und andere fallen gelassen und die belgischen Gesetze so geändert wurden, dass derartige Anklagen in Zukunft schwieriger sind. Im Juni dieses Jahres stellte ein spanisches Gericht seine Ermittlungen zu der Bombardierung von Gaza Stadt ein. Darüber hinaus stimmten die USA zusammen mit sechs weiteren Ländern, darunter Deutschland, gegen den Goldstone-Bericht, während sich Frankreich und Großbritannien der Stimme enthielten.

Großbritanniens Reaktion auf den offiziellen Protest Israels gegen den Haftbefehl für Livni war mehr als unterwürfig. Außenminister David Miliband und Premierminister Gordon Brown versprachen das Gesetz zu ändern, durch das nicht-britische Staatsbürger vor britische Gerichte gestellt werden können.

In der ungeschminkten Sprache imperialistischer Realpolitik erklärte Miliband: "Israel ist ein strategischer Partner und enger Freund des Vereinigten Königreichs. Wir sind entschlossen diese Verbindung zu schützen und weiter zu entwickeln." Soviel zu den Behauptungen der westlichen Mächte Völkerrecht und demokratische Rechte hochzuhalten!

Wie hinter der amerikanischen steckt auch hinter der britischen Reaktion viel mehr als bloße Loyalität zu einem Bündnispartner. Es geht um Selbsterhaltung.

Vertreter Israels haben immer wieder darauf aufmerksam gemacht, dass die führenden Politiker der Großmächte - darunter George Bush und Tony Blair wegen des Irakkriegs und Gordon Brown und Präsident Barack Obama wegen Afghanistan - Strafverfolgung nach der universalen Gerichtsbarkeit drohen könnte. Netanjahu selbst warnte hinsichtlich des Goldstone-Berichts: "Das ist nicht allein unser Problem.... Wenn sie IDF-Offiziere, IDF-Kommandeure, IDF-Soldaten, IDF-Piloten und sogar Politiker anklagen, dann werden sie Euch auch anklagen. Kämpft nicht auch die NATO an diversen Orten? Kämpft nicht auch Russland an verschiedenen Orten?"

Die universale Gerichtsbarkeit erlaubt die Verfolgung durch internationale oder nationale Gerichte, wenn der Fall als Verbrechen gegen die Menschlichkeit erachtet wird und es unwahrscheinlich ist, dass er in dem Staat vor Gericht gebracht wird, dem der Beschuldigte angehört. Sie ist die Grundlage einer ganzen Reihe von Gerichten, wie des Internationalen Strafgerichtshofs (ICC), der 2002 gegründet wurde, des Internationalen Strafgerichtshofs für das frühere Jugoslawien und des Internationalen Gerichtshofs (ICJ). Die USA und andere Großmächte haben es begrüßt, wenn diese Gerichte gegen Regimes vorgingen, die - wie das serbische - ihren Interessen im Wege standen. Wenn es sie selbst betrifft, lehnen sie aber, wie auch Israel, die universale Gerichtsbarkeit ab. Sie haben sich weder dem ICC noch dem ICJ angeschlossen.

Als Obama letzte Woche seine Nobelpreisrede hielt, befürwortete er ausdrücklich den Krieg als Instrument der US-Außenpolitik. Er verteidigte ein militärisches Eingreifen auch, wenn es einen Zweck verfolge, "der über Selbstverteidigung oder Verteidigung einer Nation gegen einen Angreifer hinausgeht". Er beharrte darauf, dass solche imperialistischen Präventivkriege - wie im Irak und in Afghanistan - notwendig seien, um die Rolle der USA im Zentrum der "Friedensarchitektur" aufrecht zu erhalten, die nach dem Zweiten Weltkrieg geschaffen wurde.

Das schließe mit ein, dass die USA "bestimmte Verhaltensregeln" einhielten und als "Garanten für eine regelgerechte Kriegsführung" dienten. Obama machte deshalb viel Aufhebens davon, dass er persönlich "Amerikas Verpflichtung zur Einhaltung der Genfer Konvention" und "andere internationale Kriegsgesetze" bestätigt habe.

Dies ist nur eine von vielen Lügen. So haben einige Zeitungen behauptet, Spanien und Großbritannien hätten das Konzept der universalen Gerichtsbarkeit eingeführt, als der spanische Richter Baltasar Garzon 1998 die Auslieferung des früheren chilenischen Diktators Augusto Pinochet beantragte. In Wirklichkeit wurde dieses Rechtskonzept am 12. August 1949 mit der Genfer Konvention begründet.

Die Unterzeichnernationen, darunter Großbritannien und die USA, haben sich darin verpflichtet, bei Kriegsverbrechen, "alle notwendigen gesetzgeberischen Maßnahmen zur Festsetzung von angemessenen Strafen für solche Personen zu treffen, die irgendeine der im folgenden Artikel umschriebenen schweren Verletzungen des vorliegenden Abkommens begehen oder zu einer solchen Verletzung den Befehl erteilen". Artikel 129 stellt dann fest, dass jeder Unterzeichner sich verpflichtet, nach Personen zu suchen, "die der Begehung oder der Erteilung eines Befehls zur Begehung der einen oder andern dieser schweren Verletzungen beschuldigt sind, und sie ohne Rücksicht auf ihre Staatsangehörigkeit vor seine eigenen Gerichte zu ziehen".

Das ist der Grund, weshalb der Goldstone-Bericht die Unterzeichnerländer der Konventionen ausdrücklich auffordert, ihre "universale Gerichtsbarkeit" anzuwenden und nach den Israelis und Hamas-Führern zu suchen, denen er Kriegsverbrechen vorwirft.

Tatsächlich handeln die imperialistischen Mächte und ihre Verbündeten de facto als ein internationaler Bund von Kriegsverbrechern, der sich der wechselseitigen Verteidigung und Selbsterhaltung widmet. Das ist der Grund, warum die USA die universelle Gerichtsbarkeit ablehnen, wenn sie auf ihre Freunde, oder auch auf ihre eigenen Politiker und ihr Militär angewendet werden soll.

Jetzt haben Brown und Miliband zu erkennen gegeben, dass sie auch die Unabhängigkeit der Gerichte abschaffen wollen, um die Verfolgung von Kriegsverbrechen zu verhindern, die sich gegen die strategischen Interessen des britischen Imperialismus richten. Dadurch, so hoffen sie wohl, können sie sich selbst vor einem Prozess bewahren. Aber sie sollten wissen, dass einige Verbrechen zu groß sind, als dass sie für immer der Strafverfolgung entgehen können.

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