Pakistans Militär und Justiz fordern Musharrafs Rücktritt

Mehr als zweihundert pensionierte hochrangige pakistanische Offiziere fordern einstimmig den Rücktritt des Präsidenten des Landes, Pervez Musharraf, und die Übergabe der Macht an den abgesetzten Vorsitzenden Richter des Obersten Verfassungsgerichts Iftikhar Mohammad Chaudhry, damit dieser eine "neutrale Übergangsregierung" zur Überwachung nationaler Wahlen bilden könne.

Die Offiziere - darunter Generäle, Admirale, Luftwaffenadmirale und mindestens ein ehemaliger Oberbefehlshaber des pakistanischen Militärs -, die in der pakistanischen Veteranen-Vereinigung organisiert sind, trafen sich am Donnerstag in Islamabad.

Der frühere Luftwaffen-Oberbefehlshaber Asghar Khan, der den Vorsitz des Treffens innehatte, erklärte später gegenüber der Presse, Musharraf solle "Richter Chaudhry die Macht übergeben, der immer noch der verfassungsmäßige Oberste Richter sei", um "das Land vor einem sich weiter verschlimmernden politischen Aufruhr zu bewahren".

Chaudhry und zirka 60 andere Richter am Obersten Gericht und am Obersten Verfassungs-gericht wurden von Musharraf willkürlich aus ihren Ämtern entfernt, als er am 3. November letzten Jahres de facto den Ausnahmezustand verhängte.

Khan bezeichnete die Parlamentswahlen und die Wahlen zu den Provinzversammlungen, die Musharraf für den 18. Februar versprochen hat, als Betrug. "Wir lehnen jede Wahl unter Musharraf und der gegenwärtigen Wahlkommission ab ... Jegliche Wahlen unter Musharraf werden nicht frei und gerecht sein." Er erklärte, dass die gegen Musharraf eingestellten Generäle darauf drängen, einen weiteren entlassenen Richter des Obersten Verfassungsgericht, Rana Bhagwandas, zum Bevollmächtigten für die Durchführung der Wahlen zu ernennen.

Khan erklärte, die pensionierten Offiziere müssten noch darüber entscheiden, wie sie ihrer Forderung nach Musharrafs Rücktritt Nachdruck verleihen wollten. Er betonte aber, dass sie sich dem Protest der Juristen am 5. Februar anschließen werden. Trotz oftmals brutaler Unterdrückung protestieren die Juristen seit Monaten gegen die Versuche des Militärregimes, die Gerichte zu nötigen, Musharrafs neuesten Versuchen, die Verfassung zu untergraben und seine Herrschaft fortzusetzen, den juristischen Segen zu erteilen. Am Donnerstag gingen erneut Tausende von Juristen in Islamabad und den vier Provinzhauptstädten auf die Straße, um die Wiedereinsetzung der entlassenen Richter zu verlangen.

Neben Khan trat Ex-Armeechef Mirza Aslam Beg auf der Pressekonferenz auf. Beg, der von 1988 bis 1991 Chef des Militärs war, leitete nach der Ermordung des damaligen pakistanischen Militärdiktators General Zia ul-Haq in führender Position den Übergang zu einer gewählten Zivilregierung.

Laut der Zeitschrift Dawn behauptet Beg, er sei von den Regierungen von sieben Ländern kontaktiert worden, seit die Veteranenvereinigung letzte Woche einen Brief veröffentlicht hatte, der Musharraf zum Rücktritt aufforderte, und der von etwa hundert pensionierten Offizieren unterschrieben worden war.

Weitere Persönlichkeiten, die die Anti-Musharraf-Kampagne unterstützen, sind General Hameed Gul - ein ehemaliger Leiter des wichtigsten pakistanischen Geheimdienstes, der Inter-Services Intelligence Agency (ISI), allgemein bekannt wegen seiner engen Beziehungen zur islamischen Rechten - sowie General Faiz Ali Chishti, der wie Luftwaffenoberst Asghar Khan ein enger Mitarbeiter des Diktators General Zia war.

Musharraf, der sich auf einer Tour durch Europa befand, als die pensionierten Offiziere ihren Brief veröffentlichten, verwarf ihn und erklärte, die Unterzeichner des Briefs seien im gegenwärtigen Pakistan ohne Bedeutung.

Die wiederholten Aufrufe von Offizieren, die höchste Positionen im pakistanischen Militär inne hatten, deuten jedoch auf die Entstehung von bedeutsamen Rissen innerhalb der Institution hin, die mit Abstand Musharrafs wichtigste Stütze war, seit er 1999 mit einem Militärputsch die Macht ergriff.

Nur mit dem größten Widerwillen trat Musharraf Mitte Dezember unter starkem Druck aus dem In- und Ausland als Oberbefehlshaber der pakistanischen Armee zurück, nachdem er die Verfassung mehrmals unverhohlen verletzt hatte, was seinen Höhepunkt in der De-Facto-Verhängung des Ausnahmezustands vom 3. November fand.

Das Offizierskorps hat von den letzten acht Jahren Militärherrschaft außerordentlich profitiert: es hat sich an den 10 Milliarden Dollar Hilfsgeldern bereichert, die die USA seit September 2001 zur Verfügung gestellt haben, und haben ihre Kontrolle über die Regierung dazu benutzt, sich Land anzueignen und Aufträge für sich sowie ihre politischen und Unternehmer-Freunde an Land zu ziehen.

Die pensionierten Offiziere erkennen jedoch, dass das Militär mit einer feindseligen Bevölkerung und einer sich verschärfenden wirtschaftlichen und politischen Krise konfrontiert ist, die die privilegierte Stellung des Offizierskorps innerhalb des pakistanischen Staates, und möglicherweise seine Einheit und Unversehrtheit bedroht, dessen wichtigste Institutionen, einschließlich des Militärs, seit langem von einer kleinen pandschabischen Elite dominiert werden.

Umfragen haben gezeigt, dass eine Mehrheit der Pakistaner das Militär, seine politischen Verbündeten oder deren Zahlmeister in Washington für die Ermordung der Vorsitzenden der Pakistanischen Volkspartei, Benazir Bhutto, am 27. Dezember letzten Jahres verantwortlich machen. Der Mord an Bhutto führte zu einer Welle von Demonstrationen und Ausschreitungen, die das Land drei Tage lang erschütterten.

Obwohl Musharraf damit prahlt, dass es während seiner Amtszeit ein nie da gewesenes wirtschaftliches Wachstum gegeben habe, sind Armut und wirtschaftliche Unsicherheit dramatisch angewachsen. Mehrer Jahre galoppierender Inflation bei den Lebensmittelpreisen haben in den letzten Wochen zu Mehl- und Getreide-Engpässen geführt, was zu Lebensmittelunruhen führen könnte.

Darüber hinaus wird die Musharraf-Regierung wegen ihrer Söldner-Dienste bei der Unterstützung der US-Invasion und Besetzung Afghanistans und Iraks geschmäht. Die brutalen Versuche des Militärs, die Unterstützung für Aufständische zu unterdrücken, die gegen das Marionettenregime in Afghanistan kämpfen und die in der paschtunisch sprechenden Grenzregion Unterschlupf gefunden haben, hat zu großer Opposition im Militär geführt. Fahnenflucht ist bei einfachen Soldaten weit verbreitet.

Am Tag vor dem Treffen der pensionierten Offiziere veröffentlichte der entlassene Oberste Richter, der seit dem 3. November unter Hausarrest steht, einen offenen Brief an die europäischen Staats- und Regierungschefs, den Vorsitzenden des Weltwirtschaftsforums Klaus Schwab und US-Außenministerin Condoleezza Rice. Wegen der anhaltenden Beschränkungen seiner Bewegungsfreiheit und Aktivitäten musste der Brief herausgeschmuggelt werden.

Chaudry erklärte, er sei gezwungen auf die Lügen und Verleumdungen zu antworten, die Musharraf über ihn verbreitet habe, als er vor europäischem Publikum versuchte, die sechswöchige Aussetzung der Verfassung und die Säuberung der Richterschaft zu rechtfertigen.

In seinem Brief fasste Chaudhry noch einmal zusammen, wie Musharraf den Ausnahmezustand verhängt hatte, um der Entscheidung des Gerichts über die Verfassungsmäßigkeit seiner manipulierten Wiederwahl für weitere 5 Jahre zuvorzukommen.

Er wies auch die Korruptionsvorwürfe zurück, die die Regierung gegen ihn erhoben hatte, als sie im vergangenen März zum ersten Mal versucht hatte, ihn zu entlassen - Vorwürfe, die Musharraf immer noch lautstark verbreitet, obwohl der Oberste Gerichtshof sie im letzten Juli abgewiesen hatte. "Der Oberste Gerichtshof", schreibt Chaudhry, "hat festgestellt, dass die Beweise, die von der Regierung gegen mich vorgebracht wurden, so offensichtlich frei erfunden und falsch waren, dass das Gericht die beispiellose Entscheidung traf, die Regierung mit einer Geldstrafe von 100.000 Rupien [1.100 Euro] zu belegen..., weil sie eindeutig gefälschte und arglistige Dokumente vorgelegt hatte; außerdem entzog sie dem verantwortlichen Rechtsanwalt die Lizenz, weil er gefälschte Dokumente eingereicht hatte.

Chaudhry verurteilte die westlichen Regierungen, weil sie einen Herrscher unterstützten, der sich nicht nur geweigert hat, das Gesetz zu befolgen, sondern Säuberungen an Gerichten durchgeführt hat, um Richter zu ernennen, die ihm gegenüber persönlich loyal sind.

Chaudhry erklärt: "Gibt es in der Geschichte, in der gesamten Geschichte, einen Präzedenzfall, bei dem 60 Richter, darunter drei Oberste Richter (des Obersten Verfassungs-Gerichtshofs und zwei von Pakistans vier Obersten Gerichtshöfen) entlassen, verhaftet und aufgrund der Willkür eines einzelnen Mannes inhaftiert wurden? Ich habe keinen solchen Fall gefunden, selbst nicht im Mittelalter unter Kaisern, Königen und Sultanen, selbst unter Diktatoren aus letzter Zeit nicht, die die absolute militärische Macht über ein Land hatten. Aber dieser unglaubliche Skandal hat sich im 21. Jahrhundert zugetragen unter einem extremistischen General, der sich auf einer,Charmeoffensive’ durch die westlichen Hauptstädte befindet und vom Westen unterstützt wird."

Chaudhry war selbst jahrelang ein loyaler Unterstützer des Militärregimes. Er hat zwar mehrere Urteile verkündet, die die Ziele des Militärregimes durchkreuzt haben: er verhinderte das Abkommen, mit dem die pakistanische Stahlindustrie privatisiert werde sollte und befahl dem Militär angebliche Terrorverdächtige herauszugeben, die das Militär hatte verschwinden lassen; aber wie er selbst zugibt, wurde er erst sauer auf Musharraf, als der im letzten März versuchte, ihn zu entlassen, weil er ihm nicht ausreichend willfährig erschien.

Chaudhry versucht offensichtlich, die Popularität, die er durch seine Unbotmäßigkeit gegenüber Musharraf erworben hat, auszunutzen, um die bürgerliche Herrschaft wieder zu stabilisieren. Dafür tut er sich mit der bürgerlichen Opposition, der PPP, zusammen, aber auch mit Nawaz Sharif’s Pakistan Muslim League. Als Partei von Geschäftsleuten und Großgrundbesitzern, die historisch vom Militär unterstützt wurde, versucht die PML ihre Popularität zu stärken, indem sie die Richterfrage zum Zentrum ihrer Wahlkampagne macht. Die PPP dagegen hat - den Wünschen Washingtons entsprechend - die Frage der Richter heruntergespielt, denn eine Wiedereinsetzung der entlassenen Richter würde jedes Abkommen mit Musharraf über eine Beteiligung an der Macht ausschließen.

Die Bush-Regierung hat Musharraf durch dick und dünn nachhaltig unterstützt, auch dadurch, dass sie bei der Entlassung der Richter beide Augen zugedrückt, die Verhängung des Ausnahmezustands entschuldigt und von Anfang an geleugnet hat, dass das Militärregime etwas mit der Ermordung Bhuttos zu tun haben könnte. Washington hat jedoch versucht, den pakistanischen Diktator dazu zu bewegen, sich mit der bürgerlichen Opposition zu einigen, speziell mit der PPP, um der militärisch dominierten Regierung eine demokratische Fassade zu verleihen.

Pakistan ist sehr wichtig für die US-Besatzung in Afghanistan und spielt eine große Rolle bei den amerikanischen Plänen für ein militärisches Eingreifen gegen seinen westlichen Nachbarn Iran.

In Washington gibt es eine parteiübergreifende Übereinstimmung, die fünf Jahrzehnte währende Partnerschaft zwischen dem Pentagon und dem pakistanischen Militär aufrechtzuerhalten und auszubauen. Mit ihrer Hilfe haben die USA mehrere Diktaturen unterstützt und finanziert. Es existieren jedoch Bedenken, dass die Bush-Regierung die amerikanischen Interessen wie im Irak schlecht vertritt - in diesem Fall, weil sie zu stark an dem Diktator Musharraf festhält.

Bei einer Anhörung im Repräsentantenhaus am 30. Januar äußerten mehrere Kongressabgeordnete, Republikaner wie Demokraten, die Befürchtung, dass eine offenkundig manipulierte Wahl zum Ausbruch von regierungsfeindlichen Protesten führen könne.

Der Kongressabgeordnete Chris Shays erklärte: "Was in Kenia passiert ist, scheint mir auch in Pakistan wahrscheinlich, und ich weiß nicht, wie man darauf reagieren sollte." Auch die demokratische Abgeordnete Betty McCollum, äußerte sich besorgt, dass eine manipulierte Wahl Unruhen im Volk auslösen könnte. "Ich mache mir große Sorgen um einen Zerfall und die Auswirkungen, die das auf die regionale Stabilität hätte."

John Tierney, der demokratische Vorsitzende des Ausschusses, erklärte, die USA hätten "eine völlig konfuse Botschaft" über die Notwendigkeit von freien und gerechten Wahlen von sich gegeben. Er erklärte, die Frage sei nicht, ob die Wahlen einen Makel haben werden. "Die einzige Frage ist, wie groß der Makel bei diesen Wahlen sein wird", sagte er. "Die Regierung scheint damit zufrieden zu sein, den Ball einfach die Straße hinunterzukicken und sich um die Folgen später zu kümmern; ich glaube, das ist beunruhigend."

Am Tag zuvor hatte Richard Boucher, Stellvertretender Außenminister für süd- und zentralasiatische Angelegenheiten, in einer Pressekonferenz auf dem Kapitol die Politik der Regierung verteidigt, Musharraf und die fingierten Wahlen des Regimes am 18. Februar zu unterstützen.

Er wies Forderungen nach einer Wiedereinsetzung der entlassenen Richter zurück, und erklärte. "Unserer Ansicht nach kann das Problem einer unabhängigen Richterschaft sehr einfach gelöst werden."

Er gab zu, dass das Regime mit großer Wahrscheinlichkeit Wahlbetrug begehen werde, aber er tat das nur, um einem Prozess den Anschein von Legitimität zu verleihen, der eine völlige Perversion von Demokratie darstellt, weil er durch einen sechswöchigen Ausnahmezustand "vorbereitet wurde", der dazu diente, Musharraf illegaler Weise bis 2012 als Präsidenten einzusetzen, die Richterschaft zu säubern und der Presse neue Beschränkungen aufzuerlegen.

Boucher erklärte: "Wir akzeptieren nicht unbedingt ein gewisses Maß an Betrug, aber wenn die Geschichte und die gegenwärtigen Berichte als Orientierung dienen können, sollten wir Betrug erwarten... Auf einer Skala von schlimm bis groß wird er irgendwo in der Mitte liegen."

Siehe auch:
Pakistan: US-Elite stellt sich hinter das Militär-Regime
(20. November 2007)
Pakistan: Musharraf verhängt Kriegsrecht mit Billigung Washingtons
( 8. November 2007)
Bush-Regierung droht mit Militärintervention in Pakistan
( 27. Juli 2007)
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