Streik der Telekom-Beschäftigten geht in die zweite Woche

2500 Streikende beteiligen sich an Protestkundgebung in München

Acht Tage, nachdem sich die Beschäftigten der Telekom mit überwältigender Mehrheit für einen Streik ausgesprochen hatten, versammelten sich am Freitag rund 2500 Streikende zu einer Protestkundgebung in München. Die Stimmung der Arbeiter, die vor allem aus dem bayrischen Raum angereist waren, schwankte zwischen Empörung über die arrogante und unnachgiebige Haltung der Konzernleitung und blanker Wut darüber, dass in einigen Betrieben Leiharbeiter als Streikbrecher eingesetzt werden.

Am Vortag hatte der baden-württembergische Ministerpräsident Günther Oettinger (CDU) den Streikenden gedroht und behauptet, sie würden mit ihrem Arbeitskampf "Telekom in Lebensgefahr" bringen. Das heizte die Stimmung der Beschäftigten, die mit 96,5 Prozent für Streik gestimmt hatten, weiter an. Denn in Wirklichkeit ist es genau umgekehrt. Die Pläne der Konzernführung, 50.000 Beschäftige in eine betriebseigene Servicegesellschaft auszugliedern, um die Arbeitszeit zu erhöhen und die Löhne drastisch zu senken, ruiniert die Existenzgrundlage vieler Beschäftigter und ihrer Familien.

Darüber hinaus hat die Privatisierung des Konzerns dazu geführt, dass ein gut funktionierendes Unternehmen mit einer hohen Serviceleistung ruiniert und den kurzsichtigen Profitinteressen untergeordnet wurde.

Während Wirtschaftsvertreter und Politiker die Streikenden attackieren, hat der Streik in der Bevölkerung große Unterstützung. Im neuen ZDF-Politikbarometer sagten 77 Prozent der 1260 Befragten, dass sie den Streik richtig finden, teilte der Sender mit. Diese Sympathie war auch auf der Kundgebung in der bayerischen Landeshauptstadt sichtbar. So waren auch Angestellte der Universität und der Uniklinik München, sowie anderer Einrichtungen und Unternehmen anwesend, um den Streikenden ihre Unterstützung auszudrücken.

Viele Kundgebungsteilnehmer machten auf Plakaten und Spruchbändern deutlich, dass die geplanten Lohneinbußen, die zwischen 20 und 40 Prozent liegen, das Fass zum Überlaufen gebracht hatten. In der Vergangenheit waren bereits Kürzungen hingenommen worden, weil viele Beschäftigte sich mit dem Unternehmen eng verbunden fühlten und dem Argument, nur durch vorübergehende Sparmaßnahmen könnte eine Verbesserung erreicht werden, einen gewissen Glauben schenkten.

Vor allem der neue Konzernchef René Obermann, der mit kaltschnäuziger Arroganz die Profitinteressen der Anleger vertritt, wurde auf vielen Plakaten als Repräsentant des Raubtierkapitalismus gebrandmarkt.

Reporter der World Socialist Web Site sprachen mit Kundgebungsteilnehmern, die über die Situation im Betrieb und die Auswirkungen der Kürzungen berichteten und die Notwendigkeit des Streiks betonten.

Richard K., der seit 37 Jahren bei der Telekom (früher Deutsche Bundespost) beschäftigt ist, schilderte die Stimmung unter seinen Kollegen als sehr bedrückt. "Viele fühlen sich verraten und verkauft. Die Belegschaft erwirtschaftet den Gewinn und davon fließt der größte Teil in die Taschen der Aktionäre. Seit der Privatisierung vor 12 Jahren ist alles viel schlechter geworden. Während wir für jeden Fehler gemaßregelt werden, kassierten Leute wie Ron Sommer (ehemaliger Vorstandsvorsitzender) für ihre Fehler noch Abfindungen."

Richard K. machte darauf aufmerksam, dass die jetzige Umstrukturierung im Unternehmen bei weitem nicht die erste sei, mit der die Mitarbeiter konfrontiert sind. Vor vier Jahren wurden bereits die Arbeitszeit gekürzt (mit entsprechenden Gehaltseinbußen), und es wurde das Urlaubs- und Weihnachtsgeld gekürzt beziehungsweise gestrichen. "Wir haben mitgemacht, weil wir dachten, damit sichern wir unsere Arbeitsplätze.

Die geplanten niedrigeren Löhne kommen für ihn einer Katastrophe gleich. "Ich habe vier Kinder. Drei studieren und eines ist in Ausbildung. Ich weiß nicht, wie ich sie finanziell unterstützen soll. Ab diesem Jahr muss jedes 500 Euro Studiengebühren bezahlen. Ich weiß wirklich nicht, wie das für einen normalen Arbeitnehmer zu schaffen ist."

Detlev S. und Klaus P., die beide ebenfalls seit weit über 30 Jahren bei der Telekom beschäftigt sind, erklärten ähnliches. "Die vielen Umstrukturierungen der letzten Jahre hatten für uns und die Kunden nur Nachteile. Viele Kollegen haben mittlerweile resigniert." Falls die vom Vorstand geplante Auslagerung der 55.000 Stellen umgesetzt wird, "hat dies Auswirkungen auf die ganze Wirtschaft. Dadurch öffnet man Tür und Tor, mit den Mitarbeitern umzuspringen wie mit Sklaven."

Dass die Bundesregierung mit 32 Prozent der Aktienanteile einen großen Einfluss auf die Geschäftspolitik ausübt, ändere nichts an der Situation. "Die lassen Leuten wie Obermann freie Hand, egal ob es ihren Wählern dabei an den Kragen geht."

Der Unterschied zwischen den Arbeitern, die sich an der Demonstration beteiligten und der Kompromissbereitschaft den Gewerkschaftsfunktionären, die den Arbeitskampf auf Sparflamme halten wollen, war auffallend. Auf der Kundgebung, auf der neben einigen Bezirks- und Bereichsvertretern von Verdi auch Gewerkschaftschef Frank Bsirske anwesend war und die Hauptrede hielt, konnte man sich des Eindrucks nicht erwehren, dass die Gewerkschaftsvertreter -trotz der obligatorischen kämpferischen Parolen - den rücksichtslosen Angriffen des Telekom-Vorstandes nichts entgegenzusetzen haben und dass sie den Streik lieber heute als morgen beendet sehen würden.

In seiner Rede klagte der bayrische Verdi-Landesleiter Josef Falbisoner über die grenzenlose Verantwortungslosigkeit des Telekom-Managements und der Politiker. In diesem Zusammenhang nannte er die Privatisierung des ehemals staatlichen Unternehmens die "größte Pleite". In markigen Worten beklagte er sich mehrmals über das Management und dessen Fehler, die daran Schuld seien, dass heute die Telekom etwa 120.000 Mitarbeiter weniger hat als vor der Privatisierung.

Doch diese Erkenntnis hinderte ihn nicht daran, sich zum Abschluss seiner Rede eben diesem Management anzubieten. Falbisoner forderte die Vertreter der Geschäftsführung auf, an den "Verhandlungstisch zu kommen" und über eine "Sozialvertrag zu verhandeln".

Ähnlich war die Rede von Verdi-Chef Bsirske. Nach einigen Allgemeinplätzen über die soziale Ungleichheit im Lande griff er die Politik des Telekom-Vorstands an. Er kritisierte, dass die Gewinne des Unternehmens, die auf dem Rücken der Beschäftigen erwirtschaftet werden, direkt an die Aktionäre "durchgereicht" würden.

Er wandte sich gegen die massiven Drohungen und Einschüchterungsversuche seitens der Geschäftsführung gegen streikende Mitarbeiter und gegen die von der Telekom ausgesetzte "Streikbrecherprämie". Bsirske warf dem Management Unkenntnis der Betriebsabläufe vor. Diese "Dilettanten" hätten durch die bisher 18 Umstrukturierungen im Unternehmen der Telekom geschadet. In diesem Zusammenhang bot er dem Unternehmen die Zusammenarbeit an. Die Gewerkschaft habe ein "Bündnis für Servicequalität" ins Leben gerufen, um im Interesse des Kunden die Leistungen des Unternehmens zu verbessern.

Die Auslagerungspläne von Obermann nannte Bsirske eine Kampfansage an die arbeitenden Menschen. Dass Verdi aber die Auslagerung nicht prinzipiell ablehnt, sondern nur "sozialer gestalten" will, sagte er nicht. Die Gewerkschaft wolle den Unternehmen ihre " Grenzen aufzeigen", rief Bsirske und warnte, wenn es der Telekom gelinge, "dieses Programm durchzusetzen", würden diese Methoden auf andere Unternehmen "ausstrahlen". Doch die Schlussfolgerung daraus, den Streik auf alle anderen Bereiche auszuweiten, lehnt er entschieden ab. Stattdessen beschränkt Verdi den Arbeitskampf auf die unmittelbar Betroffenen, isoliert und schwächt damit die Streikenden.

Niemand, der die Politik von Bsirske und Verdi in den letzten Jahren verfolgt hat, kann daran zweifeln, dass sie weit davon entfernt sind, Obermann und dem Konzernvorstand ernsthaft die Stirn zu bieten. Wenn sie heute die Umstrukturierungsmaßnahmen der vergangenen Jahre kritisieren, so erwähnen sie mit keinem Wort, dass sie all diesen Maßnahmen zugestimmt haben. Vor sechs Jahren stimmten sie dem neuen Lohnsystem zu, das erhebliche Verschlechterungen beinhaltete und eine Abkehr vom damals gültigen System des öffentlichen Dienstes beinhaltete.

Mitarbeiter der WSWS verteilten auf der Kundgebung eine Erklärung der Redaktion, in der die Rolle der Gewerkschaft sehr deutlich aufgezeigt wird. Es heißt darin: "In Wirklichkeit ist Obermann nur das ausführende Organ der Regierung. Alle wichtigen strategischen Entscheidungen in Bezug auf die Telekom werden in der Regierung in enger Absprache zwischen dem Finanzministerium von Peer Steinbrück (SPD) und dem Arbeitsministerium von Franz Müntefering (SPD) getroffen.

Neben sechs Gewerkschaftern und Betriebsräten sitzen noch zwei Spitzenvertreter der SPD im Aufsichtsrat der Telekom. Ingrid Matthäus-Maier, die frühere stellvertretende Vorsitzende der SPD-Bundestagsfraktion, vertritt die Kreditanstalt für den Wiederaufbau (KfW), die sich im Besitz von Bund und Ländern befindet. An ihrer Seite sitzt Thomas Mirow, Staatssekretär im Bundesfinanzministerium und rechte Hand von Steinbrück. Mirow spielte eine Schlüsselrolle bei der Ausarbeitung und Durchsetzung der so genannten Lissabon-Strategie zur Stärkung der wirtschaftlichen Wettbewerbsfähigkeit der EU-Staaten. Viele Initiativen zur Reorganisation der Telekom in Richtung Senkung der Personalkosten stammen aus seinem Büro.

Mit Matthäus-Maier und Mirow haben die so genannten Arbeitnehmervertreter und Sozialdemokraten die Mehrheit im 15-köpfigen Aufsichtsrat und könnten, wenn sie wollten, sogar das Doppelstimmrecht des Aufsichtsratsvorsitzenden Klaus Zumwinkel aushebeln.

Hier wird deutlich, wie sehr es sich beim Verhalten der Verdi-Funktionäre um ein abgekartetes Spiel handelt. Die radikalen Töne, die gegenwärtig auf Streikversammlungen zu hören sind, dienen nur dazu, die Spuren der eigenen opportunistischen Politik zu verwischen."

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