Als "Wendepunkt" und "historische Vereinbarung" feiern die Medien international das Abkommen, das am Dienstag vergangener Woche bei den Sechs-Parteien-Gesprächen in Peking zwischen den USA und Nordkorea ausgehandelt wurde. Nun biete sich eine Chance, die Konfrontation zwischen den beiden Ländern zu beenden, die seit mehr als fünf Jahrzehnte anhält.
Nichts könnte der Wahrheit ferner liegen. Das Abkommen markiert keinen grundlegenden Wandel in der militaristischen Ausrichtung der Bush-Regierung. Es handelt sich vielmehr um eine vorübergehende taktische Neuausrichtung, mit der eine potenziell explosive Frage auf Eis gelegt wird, während sich die USA auf einen Krieg mit dem Iran vorbereiten.
Zumindest oberflächlich betrachtet erscheint das Abkommen wie eine Kehrtwendung der USA. Nach ihrer Amtsübernahme hatte die Bush-Regierung das Genfer Rahmenabkommen mit Nordkorea von 1994 aufgekündigt und weigerte sich seither strikt, direkte Verhandlungen mit Pjöngjang zu führen oder "schlechtes Verhalten zu belohnen" - d.h. Nordkorea mit Anreizen dazu zu bewegen, das Atomprogramm aufzugeben. 2002 nannte Bush Nordkorea als Teil einer "Achse des Bösen" und beschimpfte den nordkoreanischen Führer Kim Jong Il als "Tyrannen" und "Diktator".
Im vergangenen Jahr verzichtete Bush darauf, die nordkoreanische Führung zu verunglimpfen. Vor der aktuellen Runde der Sechs-Parteien-Gespräche traf sich US-Chefunterhändler Christopher Hill direkt mit seinem nordkoreanischen Gegenüber in Deutschland und bereitete die Vereinbarung vor, die letzte Woche verabschiedet wurde. Ein Schlüsselelement des Abkommens besteht in der Lieferung von Heizöl oder gleichwertigem Brennstoff gegen Zusagen Nordkoreas bezüglich des Atomprogramms.
Beim näheren Hinsehen zeigt sich allerdings, dass sich die USA - vor allem langfristig - zu sehr wenig verpflichten. Die einzige konkrete, zeitlich festgelegte Vereinbarung betrifft die Lieferung von 50.000 Tonnen Heizöl in den nächsten sechzig Tagen gegen das Einfrieren aller Aktivitäten im nordkoreanischen Reaktor Jongbjon und die Rückkehr von Inspektoren der Internationalen Atomenergieagentur (IAEA) in das Land. Nordkorea hat sich weiter verpflichtet, eine Liste aller Atomprogramme vorzulegen. Unter anderem muss Pjöngjang Rechenschaft über die Plutoniumgewinnung aus Brennstäben ablegen.
Auf der anderen Seite sind alle Versprechungen der USA leicht rückgängig zu machen. Die USA werden bilaterale Gespräche "aufnehmen", um "in Richtung" volle diplomatische Beziehungen zu wirken. Die USA "beginnen", die Ächtung Nordkoreas als staatlichen Förderer von Terrorismus zu beenden. "Arbeitsgruppen" werden eingerichtet, die eine atomfreie Zone auf der koreanischen Halbinsel, die Normalisierung der amerikanisch- nordkoreanischen und der japanisch-nordkoreanischen Beziehungen sowie regionale Sicherheit und Wirtschaftszusammenarbeit diskutieren sollen.
In einem zweiten Schritt, für den noch kein Zeitplan existiert, verpflichtet sich Nordkorea, alle seine Atomanlagen permanent außer Betrieb zu setzen, darunter seinen Forschungsreaktor und seine Plutoniumwiederaufarbeitungsanlage. Als Gegenleistung soll das Land zusätzliche 950.000 Tonnen Heizöl erhalten. Pjöngjang gibt mit dieser Vereinbarung seinen Anspruch auf die Lieferung von zwei Leichtwasserreaktoren auf, die ihm unter dem Genfer Rahmenabkommen versprochen worden waren, und sagt zu, alle seine Atomprogramme zu beerdigen. D.h. es soll seinen wichtigsten Verhandlungsjoker für recht vage Versprechungen auf normalisierte Beziehungen mit den USA und Japan aufgeben. Nordkorea hat diesem Abkommen nur unter enormem Druck besonders seitens seines Verbündeten China zugestimmt.
Die Bush-Regierung hat das Abkommen nicht viel gekostet. Die gesamte konkret zugesagte Hilfsgütermenge - eine Million Tonnen Heizöl - ist ungefähr 400 Millionen Dollar wert und damit gerade einmal so viel, wie nach dem alten Genfer Rahmenabkommen für einen Zeitraum von nur zwei Jahren an Hilfe zugesagt war. Südkorea - neben Russland, China and Japan ein weiterer Teilnehmer an den Sechs-Parteien-Gesprächen - wird den größten Teil der Hilfslieferungen finanzieren. Die fünftägigen Gespräche gerieten vorübergehend ins Stocken, als Japan sich weigerte, überhaupt etwas zur Finanzierung der Hilfen beizutragen. Tokio nimmt eine ähnlich aggressive Haltung gegenüber Pjöngjang ein wie Washington.
Die internationale Presse spekuliert munter über die Bereitschaft der nordkoreanischen Führung, ihren Teil des Abkommens zu erfüllen. Tatsächlich stellt sich aber die Frage, wie lange es dauern wird, bis die Bush-Regierung einen Vorwand konstruiert, um sich aus der Vereinbarung zurückzuziehen und einmal mehr ihre drohende Haltung einzunehmen. Aus ihrem bisherigen Verhalten zu schließen, wird dies eher früher als später der Fall sein.
Das Abkommen provoziert schon jetzt ein vernehmliches Grummeln aus den Reihen der militaristischsten Elemente in der Bush-Regierung und unter ihren rechtesten Anhänger. Der ehemalige amerikanischer UN-Botschafter John Bolton, der bald stellvertretender Außenminister werden soll, verurteilte das Abkommen sogleich als "schlechten Handel". "Es widerspricht wichtigen Grundlagen der Politik, die der Präsidenten in den letzten sechs Jahre vertreten hat", sagte er. "Und zweitens lässt es die Regierung zu einer Zeit schwach erscheinen, [...] zu der sie sich im Irak eigentlich stark zeigen müsste."
Das Wall Street Journal veröffentlichte am Mittwoch einen Leitartikel, in dem es sich über das Abkommen als "Weiterverbreitung auf Vertrauensbasis" lustig machte. Zuerst stellt die Zeitung Vermutungen darüber an, dass "Bush das Abkommen vielleicht für das Beste hält, was er in der Endzeit seiner Regierung noch zustande bringen kann". Dann weist sie vorsichtig auf den wirklichen Zweck des Handels hin: "Oder - und das wäre die wohlwollenste Interpretation - er will das Thema vom Tisch bekommen, um von einer stärkeren politischen Position aus die atomaren Ambitionen des Irans unter Kontrolle zu halten", kommentiert das Blatt.
Der Widerspruch in der unterschiedlichen Haltung der Bush-Regierung zum Iran einerseits und zu Nordkorea andererseits ist nicht zu übersehen. Im Gegensatz zu Nordkorea, wo schon ein primitiver Sprengsatz gezündet wurde, ist der Iran dem Atomwaffensperrvertrag beigetreten, hat sich an dessen Bestimmungen gehalten und betont, dass das Atomprogramm ausschließlich friedlichen Zwecken dient. Doch Washington hat sich immer wieder geweigert, Gespräche mit Teheran zu führen, verschärft den Propagandakrieg gegen den Iran und bedroht das Land massiv mit einer Armada von Kriegsschiffen im Persischen Golf.
Auch wenn das Wall Street Journal und Bolton warnen, der Handel mit Nordkorea könnte ein falsches Signal an den Iran senden, macht die Bush-Regierung keinerlei Anstalten, in ihren Kriegsvorbereitungen nachzulassen. Unbeschadet eventueller Differenzen im Weißen Haus über die Nordkorea-Frage besteht Einmütigkeit über die aggressive Konfrontation, die rücksichtslos gegen Teheran vorbereitet wird. Das Wall Street Journal weist darauf hin, dass die logische Erklärung für die Vereinbarung mit Nordkorea ist, dass sie "klar Schiff macht".
Eine Stimme fehlt in der öffentlichen Debatte bisher auffällig - die von US-Vizepräsident Dick Cheney, der immer für eine aggressive Politik gegen Nordkorea und einen "Regimewechsel" in Pjöngjang eingetreten ist. Cheney hat bisher vehement gegen eine Verwässerung der amerikanischen Haltung gegenüber Nordkorea und gegen selbst kleine Zugeständnisse an Pjöngjang gestritten.
Als das US-Außenministerium im Jahre 2003 fieberhaft bemüht war, die Sechs-Parteien-Gespräche wieder zu beleben, sabotierte Cheney diese Bemühungen praktisch, als er die Grundlage der Verhandlungen ablehnte. Zahlreiche Zeitungen druckten am 19. Dezember jenes Jahres folgende Bemerkungen des Vizepräsidenten gegenüber hohen Regierungsvertretern: "Ich habe vom Präsidenten den Auftrag erhalten, dafür zu sorgen, dass mit keiner Tyrannenregierung in der Welt Verhandlungen geführt werden. Wir verhandeln nicht mit dem Bösen, wir besiegen es."
Bei der letzten Runde der Sechs-Parteien-Gespräche im September 2005 war ein grober Rahmen für eine Lösung erarbeitet worden, dem alle Seiten zustimmten. Nur wenig später scheiterte die Vereinbarung aber, als Pjöngjang erfuhr, dass das amerikanische Finanzministerium nordkoreanische Vermögen in Höhe von 24 Millionen Dollar bei der Banco Delta Asia (BDA) in Macao eingefroren hatte, weil sie angeblich aus verbotenen Aktivitäten stammten. Dieser Schritt und weitere finanzielle Embargomaßnahmen empörten die nordkoreanische Führung, die Washington vorwarf, unehrlich zu verhandeln. Das Land weigerte sich danach zunächst, an den Verhandlungstisch zurückzukehren.
Mehrere Medienberichte vertraten die Ansicht, dass Cheney seine Hand im Spiel gehabt hatte. Die Spannungen kochten erneut hoch, als Nordkorea internationale Warnungen ignorierte und im vergangenen Juni eine ballistische Langstreckenrakete und im Oktober eine kleine Atombombe testete. Japan und die USA drückten - mit Unterstützung Chinas und Russlands - zwei UN-Resolutionen durch, die Sanktionen über Nordkorea verhängten.
Wenn die militaristischsten Elemente der Bush-Regierung unter der Führung von Cheney diesmal (noch) nicht ihr Veto gegen das Abkommen eingelegt haben, so bedeutet dies nicht, dass sie sich eines Besseren besonnen hätten. Vielmehr haben sie eingesehen, dass die USA nicht zusätzlich eine Krise mit Nordkorea durchstehen können, während sie gleichzeitig noch im irakischen Sumpf stecken und eine neue Aggression gegen den Iran vorbereiten.
Langfristig können die USA einer Konfrontation in Nordostasien aber nicht aus dem Weg gehen. So wie die Kriege im Nahen und Mittleren Osten darauf abzielen, diese ölreiche Region zu beherrschen, so ist die Konfrontation der Bush-Regierung mit Nordkorea von Amerikas strategischen und ökonomischen Interessen bestimmt. Die Spannungen mit Nordkorea waren ein willkommener Vorwand, um die amerikanische Militärpräsenz in der Region zu stärken und Druck auf die Konkurrenten der Vereinigten Staaten, insbesondere China, auszuüben.
Das Wall Street Journal stellte fest, die jüngste Vereinbarung sei "ein Sieg für China. Das Land ist bemüht, sich auf dem globalen diplomatischen Parkett hervorzutun und hat bei den Gesprächen eine entscheidende Rolle gespielt." Mit anderen Worten: Bushs "diplomatischer Erfolg" hat die Position der USA in Nordostasien geschwächt. Eine solche Situation ist für die herrschende Elite Amerikas schlicht und einfach unakzeptabel.