Heftige Turbulenzen erschüttern die weltweiten Aktienmärkte, und die Aktienpreise schwanken fieberhaft. An der New Yorker Börse brach der Dow-Jones-Index am Dienstag, 31. Juli, in den letzten vierzig Handelsminuten um fast 300 Punkte ein und rutschte aus einem Plusbereich ins Minus. Zum Handelsschluss hatte der Dow Jones 146,3 Punkte verloren. In der Folge kam es am Mittwoch zu starken Kursstürzen an den asiatischen und europäischen Börsen.
Das nervöse Auf und Ab an der New Yorker Börse setzte sich am Mittwoch fast den ganzen Tag über fort. In den letzten vierzig Minuten gab es einen Handelsgewinn von fast 200 Punkten, was letztlich ein Plus von 150,38 Punkten bei Handelsschluss bedeutete. Für den Standard & Poor-500-Index gab es zwischen dem höchsten und niedrigsten Wert an diesem Tag eine Abweichung von 1.9 Prozent - ein außergewöhnlich starker Ausschlag für einen einzigen Handelstag.
Diesen Tumulten an den Märkten war in der Vorwoche bereits ein Absturz an der Wall Street vorausgegangen. Dabei fiel der Dow-Jones-Index am 26. und 27. Juli um insgesamt 585 Punkte. Seit er am 19. Juli die 14.000-Punktmarke erreicht hatte, hat der Dow Jones um die 638 Punkte oder 4,6 Prozent verloren und damit Hunderte Milliarden an Aktienwerten ausgelöscht.
Die plötzlichen heftigen Bewegungen an den Aktienmärkten ähneln der Fieberkurve eines Kranken im Delirium. Sie bringen die Befürchtung zum Ausdruck, der Beinahe-Zusammenbruch der Kreditmärkte im Zusammenhang mit zweitklassigen ("subprime") Hypothekenkrediten in den USA könnte sich ausbreiten und in der ganzen Wirtschaft zu einer spürbaren Kreditverknappung führen.
Der Aktienboom der vergangenen Jahre lebte zum großen Teil von billigen und hohen Krediten, die sich oft auf hochriskante Investitionen und spekulative Firmenkäufe stützten. Gerät die Kreditvergabe nun ins Stocken, dann droht dies nicht nur in den USA, sondern weltweit eine Welle von Bankrotten bei Unternehmen, Hedgefonds, privaten Equity-Gesellschaften und großen Handels- und Investmentbanken auszulösen.
Große Banken haben bereits Nachschussforderungen gegenüber unsicheren Hedgefonds erhoben, die intensiv in Immobilienhypotheken investiert haben. Sie verlangen, für bestehende Darlehensverträge höhere Zinssätze zu vereinbaren. Wie berichtet wird, vergeben Banken allgemein weniger Darlehen, teils deshalb, um gegen drohende Milliardenverluste bei ihren vergebenen Krediten besser gewappnet zu sein.
Der abrupte Einbruch am 31. Juli wurde durch Anzeichen einer tieferen Krise des Immobilienmarktes hervorgerufen. Die American Home Mortgage Investment Corp., der zehntgrößte amerikanische Hypothekenanbieter, ließ verlauten, er stehe so gut wie vor der Pleite. Daraufhin gab der Kurs seiner Aktie um mehr als neunzig Prozent nach. Das Unternehmen teilte mit, erhöhte Nachschussforderungen seitens der Banken - finanzieller Art oder in Form zusätzlicher Sicherheiten - machten es ihm unmöglich, weiterhin seine Kredite zu bedienen.
Hinzu kam, dass zwei Versicherungsunternehmen für Hauskredite erklärten, ihre Einlagen von zusammen über einer Milliarde Dollar in einem Hypothekenunternehmen namens Credid-Based Asset Servicing and Securitization oder "C-Bass" hätten möglicherweise ihren Wert verloren. Wie American Home Mortgage ist auch C-Bass von Wall-Street-Banken und Maklervereinigungen mit Nachschussforderungen konfrontiert worden.
Das Unternehmen Bear Stearns musste Anfang Juli zwei seiner Hedgefonds schließen, die überwiegend in zweitklassige ("subprime") Kredite investiert hatten. Das Unternehmen musste schließlich mitteilen, dass im Juli auch noch ein dritter Hedgefonds Verluste erlitten hatte und Forderungen von Investoren nach Rückzahlung ihrer Fondseinlagen nicht erfüllen konnte.
Die Nachricht über Schwierigkeiten des Bear Stearns Asset-Backed Securities Fund war umso beunruhigender, als dieser 850-Millionen-Fonds mit weniger als einem Prozent nur einen kleinen Kapitalanteil in Subprime-Hypotheken angelegt hatte. Die Schwierigkeiten dieses Fonds bestätigen, dass Zahlungsausfälle und Zwangsvollstreckungen nicht nur die hochriskanten Subprime-Kredite betreffen, sondern immer stärker auch Hypothekenmärkte mit Kreditnehmern erst- und hochklassiger Bonität betreffen.
Das internationale Ausmaß der Krise zeigte sich am 25. Juli in der Erklärung der australischen Macquarie-Bank. Diese Bank gab bekannt, dass Kleininvestoren zweier ihrer Fonds Verluste von bis zu zwanzig Prozent drohten. Auch die Deutsche Bank kündigte Verluste in Folge der Subprime-Krise und der allgemeinen Krise im Kreditwesen an.
Befürchtungen über eine Kreditverknappung verstärkten sich noch durch Negativmeldungen aus der gesamten Wirtschaft. Das Produktionswachstum amerikanischer Unternehmen nahm nach Angaben des Supply Management Instituts im Juli ungewöhnlich stark ab. Der Messwert veränderte sich von 56.0 im Juni auf 53,8 im Juli und zeigte die schwächste Zunahme der letzten vier Monate.
Der Index der nationalen Maklervereinigung National Association of Realtors für die Bewertung von anstehenden Immobilienverkäufen stieg, saisonal bereinigt, mit einem Jahreswert von fünf Prozent von 97,5 im Mai auf 102,4 im Juni. Jedoch lag der Index um 8,6 Prozent unter dem Niveau von Juni 2006.
Automobilproduzenten gaben in den USA deutlich geringere Verkaufszahlen für Juli bekannt und erklärten diesen Rückgang mit dem Einbruch des Häusermarkts und den hohen Gaspreisen. General Motors gab an, dass im Juli der Verkauf von Kleinwagen gegenüber dem Vorjahr um 22 Prozent gefallen sei. Ford verbuchte einen 19-prozentigen Rückgang der Verkaufszahlen bei Personenwagen und Kleinlastwagen. Die Chrysler-Gruppe berichtete von einer Abnahme um 8,4 Prozent und damit dem schlechtesten Ergebnis seit viereinhalb Jahren. Toyota registrierte im Juli einen Rückgang von 7,3 Prozent.
Eine Kolumne von Steven Pearlstein in der Washington Post beschreibt die weit reichenden Auswirkungen der Kreditkrise, die die Ursache der fieberhaften Zustände an den globalen Börsen ist. Perlstein schreibt:
"Die höheren Kosten und die eingeschränkte Verfügbarkeit von Krediten machen sich weltweit bemerkbar. Das hat Auswirkungen auf australische Hedgefonds, deutsche Banken, russische Ölgesellschaften, Warenpreise in Afrika und den Staatshaushalt in Argentinien.
Da Risiken in zunehmendem Maße neu bewertet werden, sollte die Aufmerksamkeit nicht zu sehr der Börse gelten... Die wirkliche Bewegung findet auf den Kreditmärkten statt, wo Schuldscheine, Bankendarlehen, Finanztermingeschäfte und allerlei neumodische Derivate gehandelt werden... Leute wie Buffett interessiert nur der Grad der Fremdfinanzierung der Kreditmärkte, d.h. wie viel Verschuldung eingesetzt wird, um neue Schulden zu machen.
Nach dem schlichten Modell der Vergangenheit lieh sich eine Bank im Wesentlichen Geld von ihren Einzahlern aus und verlieh es an Haushalte oder Unternehmen weiter, die Darlehen brauchen. Für jeden verliehenen Dollar musste die Bank aus ihren eigenen Geldbeständen Reserven bilden, um etwaige Verluste durch Zahlungsausfälle bei einzelnen Darlehen auszugleichen.
Mit der Deregulierung und dem Aufkommen neuer Finanzierungsinstrumente gehört das alles der Vergangenheit an. Jetzt leihen sich große Banken das meiste Geld, das sie verleihen, selbst aus, indem sie Schuldscheine an Finanzinvestoren verkaufen. Und die meisten ihrer Anleihen bleiben nicht in ihren Geschäftsbüchern stehen, sondern werden gleich wieder mit anderen Anleihen zusammengefasst und an Käufer wie etwa Hedgefonds weiter verkauft.
Im Gegensatz zu Banken sind Hedgefonds nicht verpflichtet, für eine gewisse Eigenkapitalquote zu sorgen. Deshalb kaufen sie diese Instrumente (das heißt, sie vergeben Kredite) mit so viel Geld, wie sie von einem Kreditgeber nur irgend bekommen. Und da sie ihre Investitionen nicht offen legen müssen, weiß keine Kontrollinstanz, wie hoch die Schulden im System sind und wo sie sich konzentrieren.
So werden einer Schätzung zufolge mehr als die Hälfte der Darlehen, mit Hilfe derer Firmenübernahmen finanziert werden, zur Zeit mit anderen Darlehen zu einem Paket zusammen geschnürt und als kreditbesicherte Anleihe [als collateralized debt obligation oder CDO] verkauft. Und zu den Großeinkäufern von CDOs gehören Investmentbanken, die sie wiederum mit anderen CDOs zusammenpacken und erneut verkaufen. Diese nennt man CDOs im Quadrat."
Der Artikel erklärt weiter: "Diese Finanzierungsinstrumente haben zur ständigen Schuldenanhäufung verleitet. So ist das System für einen Zusammenbruch anfälliger geworden, falls Kredite plötzlich teurer werden oder nicht mehr verfügbar sind. Und genau das ist vergangene Woche passiert."
Der Autor weist dann auf den Kern der Krise hin und erwähnt, dass große Banken möglicherweise mit Zahlungsausfällen konfrontiert werden. Er schreibt: "Mit der Entfaltung dieses Kreditmarkt-Dramas rücken die großen Banken ins Zentrum des Geschehens. Nach Angaben der Vermögensmanager bei Barings haben diese Institutionen `Brücken`-Darlehen zur Finanzierung von Firmenaufkäufen aufgenommen, weil sie davon ausgingen, ihre Darlehen schnell mit Gewinn weiterverkaufen zu können. In letzter Zeit mussten jedoch verschiedene Angebote zurückgezogen werden, weil sich keine Käufer fanden, und wahrscheinlich werden die Banken gezwungen sein, viele dieser Darlehen zu Niedrigpreisen zu verkaufen oder sie als Teilabschreibungen zu verbuchen.
Das Ausmaß dieser Teilabschreibungen wird erst in der dritten Oktoberwoche sichtbar werden, wenn Banken und Börsenmakler ihre Gewinne für das dritte Quartal bekannt geben. Sollte sich der Markt für Übernahmekredite bis dahin nicht einigermaßen erholt haben, könnte es sein, dass diese soliden Finanzhäuser Dutzende Milliarden Dollar verlieren würden."
Wall Street Journal Online schrieb am 1. August, die Großbanken reagierten bereits darauf, dass sie Darlehen nicht mehr zurückkaufen könnten, die an Hedgefonds und an jene Private-Equity-Firmen, die Firmenaufkäufe tätigten, vergeben seien. Entweder verschärften die Banken deshalb die Konditionen für neue Kredite oder sie zögen Kreditzusagen zurück. "Großbanken, auf die im Herbst Schulden in Höhe von Milliarden Dollar im Zusammenhang mit Firmenaufkäufen zukommen, schränken die Kreditvergabe an Firmen ein, die ihrerseits Kredite refinanzieren oder ihr Saldo ausgleichen müssen," schreibt das Journal.
Die Banken setzen also bei der Kreditvergabe bereits die Daumenschrauben an. Ihre Bereitwilligkeit, im Kaufrausch der ersten Jahreshälfte Firmenaufkäufe zu unterstützen, wirkt sich jetzt, wo die Finanzierung solcher Geschäfte problematisch wird, auch auf jene Unternehmen negativ aus, die ihren Bedarf auf eher herkömmliche Weise finanzieren.
"Wenn Banken die Vergabe riskanterer Kredite einschränken, könnten Firmen, die fällige Kredite zurückzahlen oder ihr Unternehmen modernisieren müssen, ohne Geldmittel dastehen. Nach Aussage von Experten könnte dies dazu führen, dass Firmen, die ums Überleben kämpfen, Schutz vor Bankrott beantragen müssen - eine Entwicklung, die die Turbulenzen auf dem Schuldenmarkt anheizen würde und die Wirtschaft umfassender tangieren könnte."
So sieht ein Szenario für eine Abwärtsspirale aus, die sich ständig fortsetzt und möglicherweise zu einer Wirtschaftskrise von gigantischem Ausmaß führt.