Am vergangenen Donnerstag musste der amerikanische Justizminister Alberto Gonzales vor dem Rechtsausschuss im US-Senat aussagen. Sein Auftritt zeugte von der tiefen Krise, in der die Bush-Regierung steckt, machte gleichzeitig aber auch deutlich, dass die so genannte "Opposition" in Form der Demokratischen Partei weder bereit noch willens ist, die Regierung ernsthaft zu kritisieren oder gar zu bekämpfen.
Die republikanischen und demokratischen Mitglieder des Ausschusses konzentrierten sich ausschließlich auf Gonzales’ persönliches Fehlverhalten, das je nachdem als Inkompetenz, Missmanagement oder offene Lügen gedeutet wird. Die grundlegende und entscheidende Frage wird dagegen verschleiert: Die Bush-Regierung greift systematisch demokratische Rechte an und setzt sich über die Verfassung hinweg; dabei wird sie von beiden großen Parteien unterstützt.
Gonzales erschien vor dem Ausschuss, nachdem er über einen Monat hinweg in der Öffentlichkeit kritisiert worden war, weil er acht hochrangige Staatsanwälte auf einen Schlag entlassen hatte. Fast jeder zehnte Bundesstaatsanwalt der Vereinigten Staaten wurde aus offensichtlich politischen Motiven gefeuert. Alle acht stehen der Republikanischen Partei nahe und waren 2001 von Bush eingesetzt worden. Sie widersprachen der Darstellung, sie hätten ihre Posten aufgrund mangelnder Leistung verloren. Als wirklichen Grund nannten sie von ihnen eingeleitete Ermittlungsverfahren gegen Republikaner oder die Einstellung von Korruptionsverfahren gegen Demokraten.
Noch schwerer wiegt der Verdacht, die Bush-Regierung habe vor den Präsidentschaftswahlen 2004 und den Kongresswahlen 2006 Strafverfahren wegen "Wahlbetrugs" inszenieren wollen, um so ihre Gegner einzuschüchtern und den Demokraten Stimmen wegzunehmen. Der Chefberater im Weißen Haus, Karl Rove, soll angeblich auch den abenteuerlichen Plan verfolgt haben, das Ergebnis der kommenden Präsidentschaftswahlen im Jahre 2008 zu beeinflussen. Dafür benötigte er gut platzierte und bereitwillige Staatsanwälte als Helfer. Dies erklärt, warum die Entlassungen gerade in politisch umkämpften Bundesstaaten wie New Mexico, Arizona, Nevada, Michigan und Arkansas (wie auch Nord- und Südkalifornien) stattfanden.
In den Wochen vor seiner Aussage hatte Gonzales eine Reihe widersprüchliche Darstellungen über die Entlassungsgründe und seine eigene Rolle abgegeben. Der Vorsitzende des Rechtsausschusses Patrick Leahy gab seiner Verärgerung darüber mit der Frage Ausdruck: "Mein Problem ist zum Teil, dass uns eine ganze Anzahl von Stellungnahmen zur Entlassung dieser acht Staatsanwälte vorliegen. Ich möchte einfach nur wissen, welche davon korrekt ist. Ihre Aussage vom 13. Januar? Ihr Gastbeitrag in USA Today vom 7. März? Oder Ihre Worte anlässlich der Pressekonferenz am 13. März? Oder Ihr Interview mit Pete Williams von MSNBC vom 26. März? Oder Ihre schriftliche Stellungnahme, die heute früh bei uns einging? Oder das, was Sie hier heute aussagen?"
Die Anhörung gab weder auf diese noch auf andere Fragen eine Antwort. Stattdessen stellte sie eine typische Eigenschaft der der Bush-Administration zur Schau: Die Neigung des Präsidenten, sich mit politischen und moralischen Nullen zu umgeben, mit Individuen, die keine Neigung zeigen und nicht in der Lage sind, sene beschränkte, rechtslastige Mentalität in Frage zu stellen. Die intellektuellen Fähigkeiten vieler enger Mitarbeiter des Präsidenten sind noch niedriger als seine eigenen.
Gonzales selbst repräsentiert den Typus des Mitläufers in Reinkultur. Er schloss sich Bush bereits zu Beginn von dessen politischer Karriere an und diente ihm fortab loyal bei seinen verwerflichen und letztlich kriminellen Taten. Im Laufe der sechs Jahre, in denen Bush das Amt des Gouverneurs in Texas innehatte, war Gonzales für die 152 Hinrichtungen von Gefangenen direkt verantwortlich. Als Berater im Weißen Haus war er der Urheber von Richtlinien, laut denen Folter an Gefangenen im "Krieg gegen den Terror" angemessen ist, wobei er die Genfer Konvention als "veraltet" und "verschroben" bezeichnete. Als Justizminister ist er für die rechtswidrige Überwachung der Telefon- und Internetkommunikation von Millionen Amerikanern verantwortlich.
Bei der Anhörung im Rechtsausschuss schwankte Gonzales wie ein angeschlagener Boxer. Beinahe hundert Mal behauptete er, er könne sich an wichtige Ereignisse nicht erinnern, die zum Teil erst fünf Monate zurückliegen. Noch öfter erging er sich in juristischem Kauderwelsch, um die Sachlage zu verschleiern, Zeit zu schinden und die Zuschauer am Bildschirm zum Wegschalten zu bewegen.
Hier ein paar Beispiele (allesamt als Zitate wortwörtlich der Sitzungsmitschrift entnommen):
- Können Sie spezifische Gründe anführen, warum sieben Staatsanwälte am 7. Dezember 2006 entlassen wurden?
GONZALES: Senator, ich habe eine Erinnerung im Sinn bezüglich des Wissens um einige dieser Staatsanwälte. Es gibt zwei, bei denen ich mich nicht daran erinnere, gewusst zu haben, was ich als Gründe für die Entlassung angenommen hatte.
- Wurde der Staatsanwalt in Las Vegas, im Bundesstaat Nevada, Daniel Bogden, gefeuert, weil seine Behörde gegen einen republikanischen Kongressabgeordneten ermittelte?
GONZALES: Ich erinnere mich nicht, was ich über Herrn Bogden am 7. Dezember wusste. Das heißt nicht, dass ich keinen Anlass sah; ich erinnere mich einfach nicht an den Anlass. Ich habe keine eigene Grundlage oder Erinnerung an das, was ich über Herrn Bogdens Leistung wusste.
- Wurde der Staatsanwalt in Milwaukee, Stephen Biskupic, von der Liste der Entlassungsopfer gestrichen, weil seine Dienststelle gegen einen Regierungsvertreter der Demokraten in dem Bundesstaat ermittelte?
GONZALES: Senator, ich... Noch einmal, dies war ein fortlaufendes Geschehen, das für mich nicht transparent war. Ich erinnere mich nicht, - nicht transparent in Hinblick auf Herrn Biskupic.
Als Antwort auf Kritik, dass er offenbar unvorbereitet zur Anhörung erschienen war, sagte er:
GONZALES: Senator, ich habe nicht behauptet, das ich immer vorbereitet bin. Ich sagte, ich habe mich auf jede Anhörung vorbereitet.
Und schließlich die Antwort, die Inhalt und Form seiner Aussagen auf den Punkt bringt:
GONZALES: Senator... Ich erinnere mich nicht an meine Erinnerung.
Die Demokraten und Republikaner, die den Justizminister befragten, äußerten sich mit wenigen Ausnahmen verwirrt, enttäuscht oder verärgert über dessen Haarspalterei und das ununterbrochene Abblocken von Fragen.
Jeff Sessions, Senator aus Alabama und rechter Hardliner unter den Republikanern, zeigte sich verwundert, als Gonzales behauptete, er habe keinerlei Erinnerung an das Treffen vom 27. November 2006. An dem Tag hatten hohe Vertreter des Justizministeriums die Entlassung von sieben Staatsanwälten besprochen und beschlossen. "Ich mache mir Sorgen um ihre Gedächtnisleistung", sagte Sessions, "denn das ist noch nicht lange her. Es war eine wichtige Frage."
Gonzales' Darstellung "weicht in bedeutenden Teilen, wenn nicht gänzlich von den Fakten ab", erklärte das hochrangige republikanische Ausschussmitglied Arlen Specter aus Pennsylvania. Der Umgang mit den Entlassungen sei "wirklich bedauerlich", hieß es von Senator John Cornyn aus Texas, einem unerschütterlichen Anhänger Bushs. Der Republikaner Lindsey Graham aus South Carolina vermutete, Gonzales und seine Mitarbeiter hätten "Gründe für eine Entlassung erfunden, weil sie sie loswerden wollten". Und der ultra-rechte Republikaner Tom Coburn aus Oklahoma forderte Gonzales zum Rücktritt auf: "Ich meine, Sie sollten die gleichen Konsequenzen tragen, die jene erlitten haben."
In der sechsstündigen Anhörung gab es nur wenig Substanzielles. Gonzales gab zu, dass er mit Vertretern des Weißen Hauses über die Leistung der Staatsanwälte gesprochen hatte, unter anderem mit Präsident Bush, auch wenn er sich nicht an das erinnern konnte, was Bush zu ihm gesagt hatte. Karl Rove, sagte er, habe eine nachdrücklichere Verfolgung von Wahlbetrug in den Bundesstaaten New Mexico, Wisconsin und Pennsylvania gefordert. Gonzales musste eingestehen, dass er in den Monaten vor ihrer Entlassung zumindest über zwei der gefeuerten Staatsanwälte, Carol Lam aus San Diego und David Iglesias aus New Mexico, diskutiert hatte.
Als er von den Demokraten Diane Feinstein und Edward Kennedy befragt wurde, gab Gonzales zu, die Leistungsberichte zu keinem einzigen der acht Staatsanwälte gelesen zu haben, bevor er ihre Entlassung unterzeichnete. Aber er weigerte sich standhaft, dem Ausschuss zu sagen, wer die Acht für die Entlassung ausgewählt hatte. Damit steht er nicht allein. Es gibt bereits eine lange Liste von Mitarbeitern im Justizministerium, die alle unter Eid ausgesagt haben, persönlich keine einzige Entlassung vorgeschlagen zu haben. Sie alle wollen nur Namen aufgegriffen haben, die andere ins Spiel brachten. Es kam zu folgendem Wortwechsel:
FEINSTEIN: Und bis jetzt wissen wir nicht, wer letztlich die Leute ausgesucht hat, die auf der Liste standen.
GONZALES: Senator...
FEINSTEIN: Ich möchte wissen, wer die Personen auswählte, die auf der Liste standen.
GONZALES: Senator...
FEINSTEIN: Irgendwer muss es gewesen sein. Irgendein menschliches Wesen hat es getan.
Der Justizminister gab auch zu, der Entlassung von Iglesias zugestimmt zu haben, weil der Staatsanwalt nicht länger das Vertrauen von Pete Domenici, dem langjährigen republikanischen Senator aus New Mexico, genoss. Iglesias hatte ausgesagt, dass Domenici und die republikanische Kongressabgeordnete Heather Wilson aus Albuquerque seine Entlassung betrieben hätten, weil er im vergangenen Herbst kein Korruptionsverfahren gegen einen Demokraten vor Ort eröffnen wollte, als Wilsons Wiederwahl gefährdet schien.
Gonzales' bizarrste Erklärung lautete, Iglesias habe letztlich die Entlassung verdient, weil er nicht gemeldet habe, dass diese beiden einflussreichen Abgeordneten Einfluss auf die Tätigkeit seiner Behörde nehmen wollten, was als Rechtsbeugung verstanden werden könnte. "Wenn ein Kongressabgeordneter einen Staatsanwalt anspricht, um in einem bestimmten Fall Druck auszuüben, dann ist das eine sehr, sehr ernste Angelegenheit", sagte Gonzales. "Herr Iglesias meldete diese Gespräche nicht. Das war ein schwerer Verstoß. Er verletzte bewusst eine Vorschrift, die ihn selbst schützen sollte."
Die Demokraten stellten die meisten Fragen an Gonzales, aber ihre Fragen konzentrierten sich ausschließlich auf die Art und Weise der Entlassungen und Gonzales’ spezifische Rolle bei den Vorgängen. Sie sprachen weder die weiter gehenden Konsequenzen der Säuberung an, noch die allgemeine Politik von Bushs Justizministerium, das demokratische Rechte und bürgerliche Freiheiten systematisch angreift.
Scheinbar hat es im Vorfeld eine Vereinbarung zwischen den beiden Parteien gegeben, solche Fragen nicht anzusprechen. Daher wurde beispielsweise kein Wort über die illegale Überwachung von Telefonen und Emails durch den US-Inlandsgeheimdienst NSA verloren. Solche Praktiken sind von Gonzales wortreich verteidigt worden.
Als Gonzales vor dem Ausschuss aussagte, war dies Teil seiner regulären Aufgaben als Chef des Justizministeriums, und seine vorbereitete Stellungnahme bezog sich auf die Arbeit seiner Behörde im vergangenen Jahr und umfasste dementsprechend eine große Anzahl von Themen. Doch nicht ein einziger Demokrat sprach ein anderes Thema an als die Entlassungen. Mit anderen Worten, sie konzentrierten die Anhörung absichtlich auf die Behandlung von acht Staatsanwälten durch die Bush-Regierung, anstatt die viel größeren Verbrechen zu diskutieren, die gegen die amerikanische Bevölkerung, die Verfassung und das Völkerrecht begangen werden.
Nach einer Untersuchung hat das Justizministerium in den vergangenen sechs Jahren wegen Korruptionsvorwürfen gegen 298 Demokraten, aber nur gegen 67 Republikaner ermittelt oder Verfahren eingeleitet. Nicht ein Demokrat sprach diesen wohlbekannten Bericht an. Auch hat das Justizministerium seit 2001 zahlreiche Ermittlungen wegen Wahlbetrugs angestrengt, aber in keinem einzigen Fall wurde angeprangert, dass Schwarzen, Bürgern lateinamerikanischer Abstammung oder sonstigen Minderheiten das Wahlrecht verweigert wurde. Auch hierzu gab es keine Fragen.
In seinen abschließenden Bemerkungen bezog sich der demokratische Ausschussvorsitzende Leahy auf den "weit verbreiteten Missbrauch von Sicherheitsanfragen, und wir wissen, dass er noch über das hinausgeht, was uns bekannt ist. Wir haben eine Verletzung der Privatsphäre der Amerikaner in nicht da gewesenem Ausmaß. Niemals wurde in diesem Land bisher so stark in die Privatsphäre eingegriffen. Wir sehen Unregelmäßigkeiten, grobe Unregelmäßigkeiten, bei der Anwendung der Geheimdienstgesetze durch das Ministerium."
Aber während der Aussage von Gonzales verbrachte Leahy mehr Zeit damit, Anti-Bush-Demonstranten auf der Tribüne zurechtzuweisen, als den höchsten Vertreter des Justizministeriums mit solchen Fragen zu behelligen. Die Demonstranten hielten gelegentlich Plakate hoch, auf denen sie Gonzales vorwarfen, dass er Folter befürworte und Menschen ohne Prozess und ohne Recht auf Haftprüfung inhaftiere.
Der Justizminister wird die derzeitige Auseinandersetzung politisch wohl kaum überleben. Ungenannte Vertreter des Weißen Hauses beschrieben seinen Auftritt auf CNN als "sehr beunruhigend" und untragbar. Aber sein persönliches Schicksal ist kaum von Bedeutung. Dank der Feigheit und Unterstützung der offiziellen "Opposition" kann die Regierung, in der Gonzales nur ein Rädchen ist, so weitermachen wie bisher.