Die Bezüge der Siemens-Vorstandsmitglieder werden ab 1. Oktober um 30 Prozent steigen, wie Anfang letzter Woche bekannt wurde. Der Aufsichtsratsvorsitzende des Konzerns, Heinrich von Pierer, rechtfertigte die üppige Erhöhung damit, dass die Bezüge der Vorstände im Vergleich mit anderen Dax-Unternehmen nur im unteren Mittelfeld lägen und die Top-Manager seit drei Jahren keine Gehaltserhöhung mehr erhalten hätten.
Verglichen mit dem Einkommen des Deutschen-Bank-Vorstandschefs Josef Ackermann, der es im letzten Jahr auf 11,9 Millionen Euro Jahreseinkommen brachte, nehmen sich die Bezüge von Siemens-Vorstandschef Klaus Kleinfeld mit 3,3 Millionen Euro und Pierers Einkommen mit 4,6 Millionen Euro tatsächlich "bescheiden" aus!
In der Belegschaft und breiten Teilen der Öffentlichkeit löste die Ankündigung über diese dreiste Gehaltserhöhung Reaktionen aus, die von Unverständnis über Empörung bis Wut reichen. Dies umso mehr, als es für die Siemens-Belegschaft seit Jahren nur noch abwärts geht.
In vielen Teilen des Konzerns werden Tausende von Arbeitsplätzen abgebaut. Ganze Bereiche, die nicht ausreichend Profit abwerfen, werden ausgegliedert, verkauft oder stillgelegt. Für große Teile der Arbeiter und Angestellten gelten Ergänzungstarifverträge, die mit Arbeitszeitverlängerung ohne Lohnausgleich, massiven Einkommenskürzungen durch Wegfall von Urlaubs- und Weihnachtsgeld sowie einer niedrigeren Eingruppierung verbunden sind.
Aktuell werden beim IT-Dienstleistungsbereich SBS (Siemens Business Services) weltweit 5.400 Arbeitsplätze abgebaut. Für die restliche Belegschaft wird über einen Sondertarifvertrag verhandelt, der längere Arbeitszeiten und niedrigere Löhne und Gehälter vorsieht. Ähnliche Verhandlungen laufen bei dem Gemeinschaftsunternehmen Fujitsu-Siemens-Computer (FSC).
Der Unternehmensbereich COM (Kommunikationstechnik) wurde im Frühsommer zerschlagen, weil er auf absehbare Zeit die von Siemens-Chef Kleinfeld vorgegebenen Renditeziele nicht erreichen wird. Die Netzwerksparte wurde an ein Gemeinschaftsunternehmen unter Führung des finnischen Nokia-Konzerns abgegeben, was allein zum Verlust von 9.000 Arbeitsplätzen führen wird, ein großer Teil davon im bisherigen Siemens-Bereich.
Der COM-Bereich, der für die Telekommunikationsgeschäfte mit Unternehmen zuständig ist, wurde jetzt in selbstständige GmbHs unter dem Oberbegriff Siemens Enterprise ausgegliedert. Auch hier fürchten Tausende Betroffene um ihren Arbeitsplatz, müssen Versetzungen und schlechtere Konditionen in Kauf nehmen.
Bereits im vergangenen Jahr wurden die für Vertrieb und Service zuständigen regionalen Zweigniederlassungen von Siemens unter dem Dach einer einzigen Regionalorganisation Deutschland zusammengefasst. Im Rahmen dieser Neuorganisation wurde den etwa 20.000 Beschäftigten ein Ergänzungstarifvertrag aufgezwungen, der sie deutlich schlechter stellt. Die Arbeitszeit steigt ohne Lohnausgleich von 35 Stunden auf 38,5 Stunden pro Woche, Weihnachts- und Urlaubsgeld (zusammen ein gutes Monatsgehalt) fallen weg, die Beschäftigten werden mit einer geringeren tariflichen Absicherung neu eingruppiert und Neueingestellte sowie übernommene Auszubildende erhalten ein niedrigeres Einstiegseinkommen.
All diese Vereinbarungen - sowie vergleichbare in anderen Unternehmensbereichen - tragen die Unterschrift von IG Metall und Betriebsräten. Diese haben ihre Zustimmung mit dem vagen Versprechen der Unternehmensleitung gerechtfertigt, aufgrund der Zugeständnisse der Belegschaft werde es bis 2009 keine betriebsbedingten Kündigungen geben.
Wie die jüngste Entwicklung in den Bereichen SBS und COM zeigt, sind diese Versprechen nichts wert. Der Tarif- und Arbeitsplatzabbau dient lediglich der Kostensenkung zu Lasten der Beschäftigten auf der einen und der maßlosen Bereicherung an der Spitze des Konzerns auf der anderen Seite.
IG-Metall-Funktionäre, wie der Bezirksvorsitzende von Bayern Werner Neugebauer, haben die Erhöhung der Vorstandsbezüge zwar ebenfalls als maß- und geschmacklos gerügt: "Ihren Beschäftigten predigen die Siemens-Manager Wasser, während sie selber ihre Weinvorräte kräftig aufstocken." Tatsächlich tragen sie aber selbst einen großen Teil der Verantwortung für diese Entwicklung.
So berichtete die Frankfurter Rundschau vom 21. September: "Beschlossen hat die Gehaltserhöhung das Präsidium des Aufsichtsrats. Es besteht aus dem Vorsitzenden Heinrich von Pierer, Deutsche-Bank-Boss Josef Ackermann und Gesamtbetriebsratschef Ralf Heckmann. Wie letzterer gestimmt hat, ist unbekannt. Weder Siemens noch der Betriebsrat nehmen dazu Stellung.,Man sollte sehen, dass die Arbeitgeberseite im Präsidium die Mehrheit hat’, sagte ein Sprecher des Betriebsrats vage. Zum Abstimmungsverhalten in dem Gremium mache man grundsätzlich keine Angaben. Für eine Kommentierung der stark steigenden Vorstandsbezüge sieht die Personalvertretung ebenfalls keinen Anlass."
Dass sich der Siemens-Vorstand auf Betriebsrat und IG-Metall verlassen kann, ist in den vergangenen Jahren immer wieder deutlich geworden. So im Sommer 2004, als die Belegschaften der Siemens-Werke in Bocholt und Kamp-Lintfort wochenlang gegen die drohende Stilllegung der Werke und die Verlagerung der Produktion von Mobiltelefonen und schnurlosen Telefonen nach Ungarn protestierten.
Die IG Metall reagierte mit eigenen Gutachten und Vorschlägen zur Senkung der Produktionskosten und vereinbarte für die damals 4.000 Beschäftigten eine Erhöhung der Wochenarbeitszeit von 35 auf 40 Stunden und die Streichung von Weihnachts- und Urlaubsgeld. Für diese Zugeständnisse wurde eine Sicherung der Arbeitsplätze für zwei Jahre zugesagt. Tatsächlich ermöglichten sie es Siemens, die Werke kostengünstig abzustoßen.
Bereits ein Jahr später, 2005, wurde die Handyproduktion an den taiwanesischen Konzern BenQ verkauft. Da der Verkauf von Siemens-BenQ-Handys gegenüber anderen Mitbewerbern und aufgrund von technischen Problemen weit hinter den Erwartungen der neuen Geschäftsleitung zurück liegt, trägt sich auch BenQ bereits wieder mit Auslagerungs- und Stilllegungsplänen. Sollte das Weihnachtsgeschäft nicht den erhofften Verkaufserfolg bringen, drohen erneut die Schließung der Produktionsstätten und der Verlust von mehreren Tausend Arbeitsplätzen.
Die Siemens-Vorstände brauchen sich deshalb keine Sorgen machen. Zusätzlich zur exorbitanten Erhöhung ihrer Bezüge erhalten sie noch weitere Vergünstigungen, wie der Spiegel kürzlich meldete. Das Magazin berichtete über eine nur wenigen bekannte Gesellschaft namens Berliner Vermögensverwaltung (BVV), die Grundstücke und Häuser in besten Lagen vorhält, um sie an Vorstände zu verpachten oder zu vermieten und diesen so den Bau von Eigenheimen oder den Bezug einer exklusiven Bleibe zu erleichtern. Pierer rechtfertigte laut Spiegel diese Praxis so: "Wenn Sie einen Topmanager, der vorher im Ausland wohnte, nach München oder Erlangen zurückholen wollen, muss man ihm doch helfen, eine attraktive und repräsentative Wohnmöglichkeit in der Nähe seines Arbeitsplatzes zu finden."
So wurde Klaus Kleinfeld, als er Ende 2003 in den Zentralvorstand befördert wurde, die Rückkehr aus den USA durch ein 3.500 Quadratmeter großes Grundstück im Münchner Edelvorort Grünwald erleichtert. Weiter heißt es in dem Spiegel -Bericht: "Selbst Umzugskosten in Höhe von rund 500.000 Euro wurden Kleinfeld nach den hausinternen Richtlinien großzügig erstattet."
Die Kampagne zur Verlängerung der Arbeitszeit ohne Lohnausgleich bei Siemens hatte der damalige Vorstandsvorsitzende und heutige Aufsichtsratsvorsitzende Heinrich von Pierer losgetreten, der sich auch für die Agenda 2010 der rot-grüner Regierung Schröder und für deren Hartz-Gesetze stark machte. Aus gutem Grund. Die mit Hartz IV verbundenen Angriffe auf Arbeitslose setzen auch regulär Beschäftigte unter Druck: Verlieren sie ihren Arbeitsplatz, fallen sie innerhalb eines Jahres auf Sozialhilfeniveau. Sie können daher leichter erpresst werden.
Der 48-jährige Klaus Kleinfeld, der Pierer im letzten Jahr als Vorstandsvorsitzender von Siemens ablöste, hatte sich davor als harter Sanierer bei Siemens in den USA für Führungsaufgaben profiliert. Nun hat er für alle Unternehmensbereiche eigene Renditeziele aufgestellt. Werden diese voraussichtlich nicht oder nicht schnell genug erfüllt, wird der entsprechende Bereich gnadenlos abgestoßen.
Kleinfeld verkörpert damit einen Unternehmensstil, der sich ausschließlich an der kurzfristigen Bereicherung der Aktionäre und der Topmanager orientiert. In den USA ist dies seit langem üblich, mit verheerenden gesellschaftlichen Folgen.
David North, der Chefredakteur der WSWS, hat dies kürzlich folgendermaßen beschrieben: "Geschäftspläne und Unternehmensstrategien werden beinahe ausschließlich unter dem Gesichtspunkt ihrer voraussichtlichen Auswirkung auf das persönliche Einkommen der Firmenchefs festgelegt. ... Die längerfristigen Folgen der Entscheidungen, die in der blindwütigen Hatz nach unvorstellbarem und wirklich obszönem Ausmaß persönlichen Reichtums getroffen werden, interessieren die herrschende Elite nicht wirklich. Diese Entscheidungen wirken sich so aus, dass den Firmen die Mittel für Forschung, Entwicklung und für die Modernisierung ihrer Produktionsanlagen entzogen werden, dass Mittel aus produktiven Investitionen in undurchsichtige, gedankenlose und gesellschaftlich schädliche Finanzspekulationen umgeleitet werden, und vor allem in der Zerstörung der sozialen Infrastruktur und der Verarmung immer größerer Teile der Gesellschaft. Die herrschende kapitalistische Elite ist genauso blind für die Folgen ihres Handelns wie die französische Aristokratie, die sich am Hof von Versailles vergnügte." ("Fünf Jahre seit dem 11. September 2001: Eine politische Bilanz", 11. September 2006)
Während das Ausmaß der sozialen Ungleichheit in Europa von dem in Amerika noch ein ganzes Stück entfernt ist, gehen die Entscheidungen der Regierungen und der Unternehmensvorstände in dieselbe Richtung: Rücksichtslose Durchsetzung der eigenen Interessen, während gleichzeitig den Beschäftigten soziale Grausamkeiten ohne Ende mit dramatischen Folgen für ganze Städte und Gemeinden zugemutet werden.