Der kanadische Ministerpräsident Stephen Harper nutzte jüngst eine Reise nach New York, um für noch engere wirtschaftliche, militärische und geopolitische Bindungen zwischen Kanada und den USA zu werben.
Harpers zentrales Argument lautet dabei, dass von einer engeren amerikanisch-kanadischen Partnerschaft beide Seiten profitieren: Sie ist demnach ebenso wichtig für die Verwirklichung der globalen Ambitionen des US-Imperialismus wie für die bescheideneren, aber nicht weniger von Gewinnsucht geprägten Ziele des kanadischen Kapitals.
In einer Rede vor dem New Yorker Wirtschaftsclub - der eine Art Inbegriff der amerikanischen Finanz- und Wirtschaftselite ist - hob Harper eifrig hervor, wie viel "Kanada zu bieten hat". Er betonte vor allem den Nutzen, den die Vereinigten Staaten als überragende Wirtschafts- und Militärmacht "angesichts der globalen Herausforderungen" aus den engen Beziehungen zu Kanada ziehen könnten.
Dieses Argument verband er mit der Bitte an die US-Elite, Kanadas Beitrag zur Aufrechterhaltung der amerikanischen Macht besser zu würdigen. Er bat darum, dass die USA ihre Politik den kanadischen Vorstellungen entsprechend in einigen wenigen Bereichen verändern und die geopolitische Bedeutung Kanadas ebenso anerkennen wie die kanadische Entschlossenheit, eine Rolle in der Weltpolitik zu spielen.
Harper begann den Hauptteil seiner Rede mit einer Frage: "Warum, Ladies und Gentlemen, sollten Sie in einer unruhigen und unsicheren Welt, in der unsere Wirtschaft und unsere Sicherheit von weit entfernten Ländern beeinflusst wird, ihre Aufmerksamkeit und Energie auf Kanada richten?"
Der größte Teil der restlichen Rede Harpers drehte sich darum, diese Frage zu beantworten. Die folgenden Absätze verdeutlichen die zentrale Aussage und den Ton seiner Rede:
"Weil Kanada eine stabile und positive Kraft auf der Seite des Guten ist", ein Staat zudem, der "in chaotischen und schweren Zeiten einiges zu bieten hat" und der entschlossen ist, auf Weltebene "eine Rolle zu spielen".
Harper benannte dann "drei Dinge, die Kanada den USA zu bieten hat":
"Erstens eine starke und robuste Ökonomie und, vor allem, eine Energiewirtschaft, die sich auf dem Weg an die Weltspitze befindet;
zweitens eine starke Partnerschaft beim Aufbau eines wettbewerbsfähigeren und sichereren Nordamerika;
und drittens den Willen, zusammen mit unseren demokratischen Verbündeten unsere gemeinsamen Werte und Interessen in der Welt zu vertreten."
In seinen weiteren Erläuterungen zur jetzigen und möglichen Rolle Kanadas als Wirtschaftspartner der USA hob Harper die Tatsache hervor, dass alle kanadischen Regierungen der vergangenen Jahre eine neoliberale Wirtschaftspolitik mit einem "ausgeglichenen Haushalt" und niedrigen Unternehmens- und Einkommensteuern vertreten haben, so dass die Unternehmenssteuern heute in Kanada niedriger sind als in den USA.
Besonders betonte er aber die Fähigkeit Kanadas, den USA "Energiesicherheit" zu bieten. Harper bemerkte, dass Kanada heute schon der größte Lieferant von Öl, Gas, Elektrizität und Uranerz an die Vereinigten Staaten sei. Die ölreichen Teersände von Alberta könnten sich künftig zu einer noch wichtigeren Energiequelle entwickeln.
Die USA, sagte Harper, hätten eine "Energie-Supermacht" als Nachbarn, und dieser Nachbar teile den Glauben der Wall Street "an den freien Markt und die Gültigkeit von Verträgen".
Um ein "blühendes, konkurrenzfähiges und sicheres" Nordamerika aufzubauen und im Handel mit den aufstrebenden Mächten China und Indien sowie der erweiterten EU bestehen zu können, argumentierte Harper, müssten Kanada, die USA und Mexiko eine "Antwort des Kontinents" in Form einer engeren Zusammenarbeit finden.
"Im Frühjahr haben Präsident Bush, Präsident Vincente Fox und ich in Cancun Schritte vereinbart, diese Partnerschaft durch die Konzentration auf die nordamerikanische Konkurrenzfähigkeit, Energiesicherheit, Regulierungskooperation, das Energiemanagement und eine intelligente Grenzsicherung zu entwickeln."
Als Beweis für Kanadas Bereitschaft, gemeinsam mit den USA den Kontinent zu sichern, wies Harper auf die Milliardenbeträge hin, die Kanada seit den Terroranschlägen vom 11. September in Grenzsicherung und Notfallvorsorge gesteckt hat. Er schlug auch vor, das kürzlich zwischen Kanada und den USA geschlossene Abkommen, den NORAD-Luftverteidigungspakt, auf die gemeinsame Kontrolle der nordamerikanischen Küstengewässer auszudehnen.
Harper schloss seine Hymne auf die Vorteile, die Kanada den USA und der Wall Street zu bieten hat, mit dem Hinweis auf die wichtige Rolle, die sein Land jetzt schon bei der Unterstützung der Bush-Regierung und ihrem "Krieg gegen den Terror" spiele, z.B. in Afghanistan. Er betonte, dass Ottawa erst kürzlich Milliarden in die kanadische Armee investiert habe und gewillt sei, "Kanadas Rolle in der Welt über die Grenzen des Kontinents hinweg zu erweitern".
"So wie wir für ein sicheres und blühendes Nordamerika zusammenarbeiten", sagte er, "müssen wir für eine stabilere und gerechtere Welt zusammenarbeiten."
Harper wollte sein Publikum davon überzeugen, dass die kanadische Elite bereitwillig ihren Bürgern die Last von Kriegen aufbürden wird, um die ökonomischen und geopolitischen Interessen ihrer Partner an der Wall Street zu bedienen. Er hob deswegen die "echten Verluste" hervor, die das kanadische Militär bei der Unterdrückung der Taliban in Südafghanistan erlitten hat, und erinnerte an die insgesamt 120.000 kanadischen Toten aus den beiden Weltkriegen und dem Koreakrieg.
Der Zweck von Harpers Rede bestand im Wesentlichen darin, die amerikanische Wirtschaftselite für eine noch engere US-kanadischen Partnerschaft zu gewinnen. Er betonte daher die Vorteile für die amerikanische Seite und die Bereitschaft seiner Konservativen Regierung, alle Hindernisse für eine solche Partnerschaft aus dem Weg zu räumen - wie sie sich am Beispiel des jüngsten Abkommens zur Beendigung des Holzstreits gezeigt habe.
Aber der kanadische Premierminister nannte auch zwei Punkte der aktuellen US-amerikanischen Politik, in denen Meinungsverschiedenheiten zwischen den beiden Ländern herrschen. Erstens warnte er vor "wenig durchdachten oder schlecht umgesetzten" Sicherheitsmaßnahmen, die den Handelsaustausch stören könnten. Als Beispiel führte er ein US-Gesetz an, das ab 2008 von allen Amerikanern und Kanadiern für die Einreise oder Rückkehr in die USA einen Pass oder ein passähnliches Dokument verlangt.
Seit dem September 2001 ist die kanadische Wirtschaft von der Angst besessen, dass die Verschärfung der amerikanischen Grenzsicherung ihren "Freihandel" mit den USA ernsthaft beeinträchtigen könnte. Um dies zu verhindern, propagiert sie die Idee eines gemeinsamen kanadisch-amerikanischen Sicherheitsraums.
Harper machte in seiner New Yorker Rede auch ein weiteres Mal klar, dass Kanada Anspruch auf große Teile des Nordpolarmeers erhebt und von den Vereinigten Staaten die Anerkennung dieser Territorialansprüche erwartet, die diese bislang verweigern. Diese Gewässer sind potentiell reich an Öl und anderen Bodenschätzen. Außerdem ist Ottawa sehr daran interessiert, die Kontrolle über die Nordwestpassage zugesprochen zu bekommen, weil die globale Erwärmung sie zu einer bedeutenden Seeverbindung zwischen Asien und Europa machen könnte.
Die kanadische Tageszeitung National Post, die über sehr enge Verbindungen zu den Konservativen verfügt, forderte vergangenen Monat in einem Leitartikel, die Harper-Regierung solle als Gegenleistung für ihre Gefolgschaft gegenüber der Bush-Regierung auf Weltebene die Anerkennung des kanadischen Anspruchs auf die arktischen Gewässer durchsetzen.
Harper verpackte seine Kritik an der amerikanischen Politik in respektvolle, gar unterwürfige Worte.
Wie ein Schakal, der der Spur eines größeren Raubtiers folgt, weiß der kanadische Imperialismus, wo sein Platz ist. Dass er sich einem mächtigeren Verbündeten beugen muss, lässt er wiederum an Schwachen und Angeschlagenen aus. Daher die Begeisterung in den kanadischen Mainstream-Medien über die Beteiligung Kanadas an der kolonialistischen Aufstandsbekämpfung in Afghanistan.
Die Mehrheit der Kanadier ist gegen die Bush-Regierung, die sie zu Recht mit Aggressionskriegen gegen die Bevölkerung im Irak und in Afghanistan sowie mit einer reaktionären Sozialpolitik im eigenen Land in Verbindung bringt.
Aber in Wirtschaftskreisen gibt es starke Unterstützung für den Kurs der Harper-Regierung, eine noch engere Beziehung mit dem US-Imperialismus anzustreben.
Kanadas führende Tageszeitung Globe and Mail titelte am Freitag: "Kanada soll wieder eine Rolle auf Weltebene spielen." Sie lobte Harper für seine Rede vor dem New Yorker Wirtschaftsclub und eine weitere Rede, die er am nächsten Tag vor den Vereinten Nationen gehalten hatte. In dieser Rede versuchte er vor allem, die kanadische Beteiligung an der Aufrechterhaltung des von Amerika eingesetzten Marionettenregimes in Afghanistan als eine Mission für Demokratie zu verkaufen und "als eine glücklicherweise konsequente Vision der immer wichtigeren internationalen Rolle Kanadas".
Der Globe schloss: "Zusammengenommen ergibt sich aus den beiden Reden die realistische Einschätzung einer schwierigen Weltlage. Sie enthält Idealismus [gemeint ist das Gerede über die Verbreitung von Demokratie]. Sie enthält eine mutige Einschätzung des Möglichen. Und sie lässt keinen Zweifel daran aufkommen, dass die kanadischen Interessen im Zentrum stehen. Gut so."
Nicht weniger deutlich war die Unterstützung des Ottawa Citizen für die Politik, Kanada noch enger an die USA zu binden - und damit an eine Großmacht, die sich das Recht anmaßt, illegale "Präventivkriege" zu führen, und die mit Entschlossenheit jeden anderen Staat und jede Koalition von Staaten davon abhalten will, auch nur potentiell die weltweite Vorherrschaft der Vereinigten Staaten in Frage zu stellen.
"Unser Land", erklärte der Citizen, "hat globale Handelsinteressen und braucht Verbündete und Bündnisse, um seine Sicherheit und Prosperität im Innern zu sichern. Es braucht eine weitsichtige, pragmatische und kraftvolle Politik. [...] Mr. Harper gibt uns nach den vielen Jahren der Gleichgültigkeit wieder ein Gefühl dafür, wo unser Platz in der Welt ist."