Die Bedeutung der Einwandererdemonstrationen für den Klassenkampf in Amerika

Die Demonstrationen, Streiks und Boykottaktionen eingewanderter Arbeiter in den Innenstädten ganz Amerikas kennzeichnen eine Verschärfung des Klassenkampfs in den Vereinigten Staaten und auf der ganzen Welt.

Am 1. Mai strömten in Los Angeles, New York, Miami, Seattle und Dutzenden weiteren Städten Millionen Menschen auf die Straße. Die Massenprotestbewegung hat sich seit März aufgebaut und hat in der Geschichte an Größe und Ausbreitung nichts Vergleichbares.

Die Menschen demonstrierten und streikten ungeachtet der Drohungen von Präsident Bush und von Politikern der Demokraten. Sie trotzten der offenen Einschüchterung durch eine Welle bundesweiter Fabrikrazzien, durch drohende Verhaftungen und Abschiebungen und durch Gewaltakte rechtsextremer Elemente.

Eine Arbeiterschicht, die bisher von der US-Regierung als soziale Parias behandelt wurde, hat sich plötzlich als militante, effektive und lautstarke soziale Kraft gezeigt.

Diese Aktionen der unterdrücktesten und am meisten ausgebeuteten Schicht der amerikanischen Arbeiterklasse haben tiefe soziale und politische Wurzeln und eine weit reichende objektive Bedeutung. Gleichzeitig zeigen sie, dass das die Probleme, die der Entwicklung von politischem Bewusstsein innerhalb der ganzen Arbeiterklasse im Wege stehen, dringend überwunden werden müssen.

Die Demonstrationen finden statt, während sich in den USA starke Spannungen und instabile politische Bedingungen entwickeln. Umfrage auf Umfrage zeigt, dass die Bush-Regierung kaum noch von einem Drittel der amerikanischen Bevölkerung unterstützt wird. Was hat diesen beispiellosen politischen Einbruch bewirkt? Weder die Massenmedien noch die so genannte Oppositionspartei der Demokraten stellen für das Weiße Haus eine ernstzunehmende Herausforderung dar, sei es in der Kriegsfrage, der Frage der massiven Angriffe auf demokratische Grundrechte oder der Innenpolitik, die in der Umverteilung des Reichtums von der Mehrheit der arbeitenden Bevölkerung zum obersten einen Prozent besteht.

Dennoch zeigt sich drei Jahre nach dem illegalen Krieg gegen den Irak, dass das Vorgehen der Bush-Regierung, die zunehmende Verschlechterung des Lebensstandards und die historisch beispiellose soziale Polarisierung tiefe Spuren im Bewusstsein der Bevölkerung hinterlassen haben.

Die Massenbewegung ausländischer Arbeiter ist zu einem erheblichen Teil durch diese Veränderungen entstanden. Sie hat sich weitgehend außerhalb des Einflusses der Demokratischen Partei oder der Gewerkschaften entwickelt, und genau aus diesem Grund hat sie eine so massive und explosive Form angenommen. Der verknöcherte Gewerkschaftsapparat und die kapitalistischen Politiker der Demokratischen Partei dienen nur dazu, wirkliche soziale Protestbewegungen zu beschwichtigen und abzuwürgen.

Der wachsende Anteil an ausländischen Arbeitskräften ist nur Teil der radikalen Veränderungen, die insgesamt in der sozialen Zusammensetzung der Arbeiterklasse in Amerika vor sich gehen. Ihre Reihen sind stark angewachsen, weil ein großer Teil dessen, was man früher als amerikanische "Mittelklasse" bezeichnet hat, ihre soziale Stellung, wie auch den sicheren Arbeitsplatz, die Rente, die unternehmensfinanzierte Gesundheitsfürsorge und andere soziale Grundleistungen verloren hat.

Parallel zu diesem Prozess hat sich die soziale Kluft zwischen der großen Mehrheit der arbeitenden Bevölkerung und der Finanzoligarchie von Konzernvorständen, Wall Street Bankiers und Superreichen, die einen wachsenden Anteil am gesellschaftlich erzeugten Reichtum monopolisieren, enorm verstärkt. Während ein Vorstandsvorsitzender vor 25 Jahren für jeden von einem Durchschnittsarbeiter verdienten Dollar etwa zehn Dollar erhielt, beträgt heute das Verhältnis 431 zu eins.

Dieser scharfe gesellschaftliche Gegensatz schafft Bedingungen für soziale Aufstände in Amerika. Und zweifellos wird man die heutigen Einwandererproteste später einmal als Prolog massiver Klassenschlachten im Herzen des Weltkapitalismus verstehen.

Die Binsenweisheit, dass Amerika eine "Einwanderernation" sei, hat immer dazu gedient, die starken Konflikte und scharfen sozialen Widersprüche zu verschleiern, die mit der Masseneinwanderung in die USA einhergingen. Die Einwandererwelle aus Europa am Ende des neunzehnten und Beginn des zwanzigsten Jahrhunderts war die wichtigste Quelle von Arbeitskräften, die das explosive Wachstum der amerikanischen Fabriken benötigte. Und die Radikalisierung dieser Einwanderer führte zu den ersten mächtigen Kämpfen der modernen amerikanischen Arbeiterklasse.

Auswirkungen der kapitalistischen Globalisierung

Die neue Immigrantenwelle wird ohne Zweifel ebenso tief greifende Auswirkungen haben. Aber sie findet unter radikal veränderten Bedingungen statt. Die USA sind nicht mehr eine aufsteigende kapitalistische Macht, sondern sind zur weltgrößten Schuldnernation geworden. Sie greifen zu Militarismus, um den relativen Niedergang ihrer Position auf den Weltmärkten rückgängig zu machen.

Außerdem findet die Einwanderung heute im Kontext großer Veränderungen der Produktion im Weltkapitalismus statt. Transnationale Konzerne und internationale Banken nutzen die Entwicklung der Computertechnologie, der Telekommunikation und des Transports, um den Produktionsprozess in wahrhaft globalem Ausmaß zu organisieren.

Global mobiles Kapital erfordert die Öffnung nationaler Grenzen und die Beseitigung aller Restriktionen, die ihm bei der Ausbeutung von Arbeitskräften, Märkten und Rohmaterialien in jedem Winkel der Erde im Wege stehen. Die Folgen davon sind die Zerstörung der nationalen Industrie und der Arbeitsplätze sowie ein katastrophaler Niedergang des Lebensstandards, was die Einwanderung mächtig ankurbelt. Das gilt ganz besonders für Mexiko und Zentral- und Südamerika, die Ursprungsländer der meisten Arbeiter ohne Aufenthaltsrecht in den USA.

Die politischen Vertreter derselben amerikanischen Konzerne, die offene Grenzen für ihre Investitionen fordern, schüren die Hysterie gegen Arbeiter, die auf der Suche nach einem Arbeitsplatz amerikanische Grenzen zu überqueren versuchen, und fordern, die zweitausend Meilen lange Grenze zu Mexiko abzusperren und aufzurüsten.

Diese Forderung nach offenen Grenzen für das Kapital und deren Abschottung gegen Arbeitskräfte bestimmt nicht nur die Politik der US-Regierung, sondern wird in der einen oder anderen Form von jeder kapitalistischen Großmacht praktiziert.

Das politische Establishment in Amerika ist unfähig, die von den protestierenden Einwanderern erhobenen Forderungen auf fortschrittliche Weise zu erfüllen. Während ein Teil der Demokratischen Partei und der Gewerkschaften versuchen, die Proteste als dringenden Ruf nach einer "neuen Bürgerrechtsbewegung" zu vereinnahmen, stellen die Demonstrierenden in Wirklichkeit soziale Forderungen und verlangen ihr Recht als Arbeiter.

Die herrschende Elite in Amerika wird keine begrenzten Zugeständnisse mehr machen, wie die als "Krieg gegen die Armut" bezeichneten Programme der sechziger Jahre, mit denen sie auf die Bürgerrechtskämpfe reagierte. Zum größten Teil sind diese Programme bereits zurückgefahren worden, und was von ihnen noch übrig ist, steht unter Beschuss.

Der amerikanische Kongress ist über die Einwanderungs-"Reform" gespalten und führt eine reaktionäre Debatte, wie hart "illegal" eingewanderte Arbeiter bestraft werden sollen. Das Repräsentantenhaus fordert in dem bisher einzig verabschieden Gesetz, illegal Eingewanderte als Kriminelle zu behandeln und die Grenzen abzuschotten. Der Senat hat noch gar kein Gesetz verabschiedet, nachdem die Republikaner einen so genannten Kompromiss angegriffen haben. Auch dieser sah vor, dass Millionen Menschen das Land verlassen müssen, während er für einige, die schon sehr lange in den USA leben, einen langwierigen Weg zur Legalisierung vorsah.

Die Sackgasse, in die der Senat geraten ist, zeigt die unlösbaren politischen Widersprüche, die die Einwanderungsfrage für die amerikanische herrschende Elite darstellen. Auf der einen Seite will das Kapital einen ständigen Zufluss an billigen Arbeitskräften, die es ausbeuten kann, und auf der andern schürt es Nationalismus und Fremdenfeindlichkeit, um seine Politik des globalen Militarismus im "Krieg gegen Terrorismus" zu untermauern und um die Arbeiterklasse zu spalten.

Die Washington Post berichtete am Dienstag, als Reaktion auf die Blockade im Kongress hätten verschiedene Staatsparlamente in ganz Amerika ihre eigenen, ausländerfeindlichen Gesetze verabschiedet - in 43 Staaten seien 463 Gesetze verabschiedet worden. Die meisten von ihnen fordern Strafmaßnahmen wie zum Beispiel Gefängnis für Einwanderer ohne Papiere, verweigern ihnen soziale Grundleistungen oder den Führerschein und weisen die staatliche wie die lokale Polizei an, bei Einwanderern immer auch den Status zu überprüfen, selbst wenn sie wegen geringfügiger Verkehrsdelikte gestoppt werden.

Die Massenmedien betonen immer wieder, die Einwanderer hätten sich den "amerikanischen Traum" zu eigen gemacht.

Ohne Zweifel leidet diese massive und politisch amorphe Protestbewegung an mancherlei Illusionen - sowohl in die Demokratische Partei als auch in die Fähigkeit, Reformen durch Druckausüben zu erreichen - und an naiven Vorstellungen über den Charakter der amerikanischen Gesellschaft. Diese Illusionen stellen eine wirkliche Gefahr dar und müssen durch einen politischen Kampf überwunden werden.

In Wahrheit sind die Einwanderer Teil eines wachsenden amerikanischen Albtraums. Latino-Soldaten sind im Irakkrieg zu Hunderten gestorben. Steigende Gas- und Ölpreise treffen Immigranten ebenso hart wie jede andere Schicht der Arbeiterklasse.

Diese gemeinsame Interessenlage ist für die Feindschaft verantwortlich, mit der die herrschende Elite dem Aufruf zum nationalen "Boykott" der Arbeitsplätze und Läden am 1. Mai entgegengetreten ist, einer Aktion, die zur Schließung einer großen Zahl von Betrieben geführt und zum Beispiel einen großen Teil der fleischverarbeitenden Industrie betroffen hat. Man fürchtet, dass andere Arbeiterschichten diese Aktion beobachten und sich fragen: "Warum können wir das nicht auch?"

Ein organisierter "Gegenschlag" gegen die Einwanderer

Das ist der Hintergrund für den organisierten "Gegenschlag" gegen die Aktion der Einwanderer. Der reaktionärste, heuchlerischste und politisch gefährlichste Ausdruck dieses Phänomens war die Reaktion des Weißen Hauses, das eine scheinbar absurde Kontroverse über eine spanischsprachige Version der Nationalhymne hoc putschte, die von einigen Latino-Künstlern aufgenommen worden war.

Bush selbst soll mehrfach an Wahlveranstaltungen teilgenommen haben, bei denen spanischsprachige Versionen der Sternenbannerhymne gespielt wurden, ohne dass er daran erkennbaren Anstoß genommen hätte. Das Thema wurde jetzt von politischen Beratern der Republikaner künstlich aufgebauscht, um die rechten fremdenfeindlichen Schichten der Republikanischen Partei zufrieden zustellen, die die eigentliche politische Basis der Regierung bilden.

Die Stupidität und Unverantwortlichkeit dieses Appells ist atemberaubend. Das vom Präsidenten befürwortete Konzept, Englisch zur offiziellen Sprache zu machen - was in der amerikanischen Verfassung nicht vorkommt - droht intensive gesellschaftliche Konflikte auszulösen, wie sie in einigen Ländern schon zu Bürgerkriegen geführt haben.

Parallel zu dieser rückständigen nationalistischen Propaganda läuft eine rechte populistische Agitation von so unterschiedlichen Elementen wie dem CNN-Kommentator Lou Dobbs, der zu einer nationalen politischen Figur geworden ist, den faschistischen Minutemen-Vigilanten und Teilen der Gewerkschaftsbürokratie. Sie alle begründen ihre Feindschaft gegenüber Einwanderern mit ihrer Sorge um die amerikanische Arbeiterklasse, deren Arbeitsplätze angeblich gestohlen und deren Löhne durch die Anwesenheit von zwölf Millionen Arbeitern ohne Papiere angeblich gedrückt werden.

Das ist eine reaktionäre Lüge. Für die Angriffe auf Arbeitsplätze, Lebensstandard und Sozialleistungen sind nicht die Einwanderer verantwortlich, sondern die globale Krise des kapitalistischen Systems - des Wirtschaftssystems, das von all denen verteidigt wird, die die Arbeiter ohne Papiere zu Sündenböcken machen wollen.

Es gibt keine Chance, die Rechte und die in der Vergangenheit erkämpften Errungenschaften der Arbeiterklasse in Amerika durch die Abschottung der nationalen Wirtschaft gegen Einwanderer zu verteidigen. Die Vergeblichkeit eines solchen Konzepts wird durch das völlige Versagen der offiziellen Gewerkschaftsbewegung in den USA belegt, die sich seit Jahren bemüht, Arbeiter davon zu überzeugen, sie und die Wirtschaft hätten ein gemeinsames Interesse daran, "amerikanische Arbeitsplätze" gegen ausländische Firmen und ausländische Arbeiter zu verteidigen. Das Ergebnis war die Schließung einer Fabrik nach der anderen und die Zerstörung Hunderttausender Arbeitsplätze, weil amerikanische transnationale Konzerne ihre Produktion nach Mexiko, China und anderswo verlagerten, um von immer niedrigeren Lohnkosten zu profitieren.

Die Arbeiterklasse kann nur erfolgreich kämpfen, wenn sie sich gegen das global agierende Kapital international organisiert. Die einzige Antwort auf die unaufhörlichen Forderungen der Unternehmer nach noch niedrigeren Löhnen und schlechteren Arbeitsbedingungen, oder auf den Verlust von Arbeitsplätzen an Niedriglohnländer ist ein gemeinsamer internationaler Kampf der Arbeiter auf der Grundlage einer internationalistischen und sozialistischen Perspektive.

Das muss mit einer prinzipiellen Verteidigung des Rechts jedes Arbeiters verbunden sein, in dem Land seiner Wahl mit vollen demokratischen und sozialen Bürgerrechten zu leben und zu arbeiten - d.h. auch in den USA.

Es ist kein Zufall, dass erst vor wenigen Wochen in Frankreich Massenproteste ausbrachen, mit denen sich Studenten, Arbeiter und Einwandererjugendliche gemeinsam gegen Versuche der Chirac-Regierung wehrten, die Rechte junger Arbeiter anzugreifen und die Arbeiterklasse insgesamt für die Krise des französischen Kapitalismus zahlen zu lassen.

Die Bedingungen für eine mächtige gemeinsame Offensive der internationalen Arbeiterklasse gegen den globalen Kapitalismus entwickeln sich. Die Globalisierung hat nicht nur den Bankrott der alten nationalreformistischen Orientierung der Gewerkschaften entlarvt, sie hat auch die Anzahl der Arbeiter weltweit dramatisch erhöht und zwingt ihnen in allen Ländern immer ähnlichere Bedingungen auf.

Der Kampf, die amerikanischen Arbeiter mit ihren Kolleginnen und Kollegen in Europa, Asien und Lateinamerika auf der Grundlage einer gemeinsamen sozialistischen und internationalistischen politischen Perspektive zusammenzuschließen, erfordert einen kompromisslosen Bruch mit der Demokratischen Partei. Es muss eine neue sozialistische Massenbewegung der Arbeiterklasse aufgebaut werden, die nicht nur Arbeitsplätze und Lebensstandard verteidigt, sondern auch die Rechte der Einwanderer und demokratische Rechte.

Die Socialist Equality Party nimmt an den Wahlen 2006 mit eigenen Kandidaten Teil, um die politische Grundlage für eine solche Bewegung zu legen. Wir werden im Wahlkampf einen unversöhnlichen Kampf gegen alle Formen von einwandererfeindlichem Chauvinismus führen und werden uns bemühen, den Forderungen eingewanderter Arbeiter Gehör zu verschaffen und ihre Kämpfe mit denen der einheimischen Arbeiter und den Arbeitern in aller Welt zu verbinden.

Wir appellieren an alle, die die Rechte von Einwanderern unterstützen und die Sache der arbeitenden Bevölkerung insgesamt voranbringen wollen, unser Programm zu studieren, sich an der Kampagne zu beteiligen, unseren Kandidaten die Teilnahme an der Wahl zu ermöglichen und mit der SEP für den Aufbau einer neuen revolutionären Führung der Arbeiterklasse zu kämpfen.

Siehe auch:
Für eine sozialistische Alternative in den US-Wahlen 2006
(19. Januar 2006)
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