Europäische Regierungen deckten illegale CIA-Entführungen

Auch in der Europäischen Union sind angebliche Terrorverdächtige vom US-Geheimdienst CIA entführt und in Folterländer verschleppt worden. Die europäischen Regierungen wussten von diesen illegalen Machenschaften und waren zum Teil selbst daran beteiligt.

Zu diesem Schluss gelangt ein erster Zwischenbericht des Sonderausschusses des Europaparlaments, der die illegalen Aktivitäten der CIA in Europa untersucht. Zu einem ähnlichen Ergebnis war im Februar bereits der Sonderermittler des Europarats, Dick Marty, gelangt. Dem Europarat gehören insgesamt 46 europäische Staaten an, im Europaparlament sind die 25 EU-Mitglieder vertreten.

Der Ausschuss des Europaparlaments untersucht seit vier Monaten, ob und in welchem Ausmaß die CIA in Europa Menschen verschleppt und Geheimgefängnisse unterhalten hat. Inzwischen verfügt er über Belege für mehr als tausend nicht angemeldete Flüge, die die CIA seit 2001in Europa durchführte.

Der Zwischenbericht gelangt zum Schluss, "dass die CIA in mehreren Fällen eindeutig für die rechtswidrige Entführung und Inhaftierung mutmaßlicher Terroristen im Hoheitsgebiet der Mitgliedsstaaten sowie außerordentliche Überstellungen verantwortlich war und dass es sich dabei in einigen Fällen um europäische Staatsangehörige handelte".

Die außerordentlichen Überstellungen oder "Renditions" werden als klarer Verstoß gegen das Völkerrecht gebrandmarkt. Sie sollten sicherstellen, heißt es in dem Bericht, "dass die Verdächtigen nicht einem Gerichtsverfahren unterzogen werden". Die CIA habe "Terrorverdächtige auf geheimen Weg entführt, verhaftet und überstellt". Sie seien anderen Ländern (darunter Ägypten, Jordanien, Syrien und Afghanistan) anvertraut worden, "die, wie die Regierung der Vereinigten Staaten im Übrigen selbst zugibt, bei Verhören Folter praktizieren".

Der Autor des Berichts, der Italiener Giovanni Fava (PSE - Sozialdemokratische Fraktion im Europaparlament), kommentierte, es handle sich "nicht um einzelne Episoden, sondern um eine weit verbreitete Praxis, in die die Mehrheit der europäischen Staaten involviert war". Er verwies unter anderem darauf, dass auffälligerweise immer die gleichen Agenten in den CIA-Flugzeugen saßen und dass alleine schon die verwinkelten Flugrouten der Maschinen hätten Verdacht erwecken müssen.

In verklausulierten Formulierungen hält der Bericht eine Beteiligung und Mitwisserschaft der europäischen Regierungen für gegeben. Er betrachtet es als "unwahrscheinlich, dass einige europäische Regierungen nicht Kenntnis von den Aktivitäten im Rahmen außerordentlicher Überstellungen hatten, die in ihrem Hoheitsgebiet und ihrem Luftraum oder auf ihren Flughäfen vor sich gingen".

Insbesondere wird kritisiert, dass die schwedische Regierung die ägyptischen Staatsbürger Mohammad Al Zary und Ahmed Agiza an CIA-Mitarbeiter übergeben habe, obwohl "sie die Risiken von Folterungen und grausamen, unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlungen" kannte, die den beiden bei einer Überstellung nach Ägypten drohten.

Auch die Entführung des ägyptischen Staatsangehörigen Abu Omar durch CIA-Agenten in Mailand im Februar 2003 kann dem Bericht zufolge kaum "ohne vorherige Information der italienischen Regierungsbehörden oder Sicherheitsdienste organisiert und durchgeführt" worden sein.

Bundesregierung wusste seit 2003 Bescheid

Erwähnt wird schließlich auch die Überstellung von sechs Bosniern algerischer Herkunft, die im Januar 2002 von bosnischen Behörden an CIA-Agenten ausgeliefert wurden und seither ohne jegliche Anklage in Guantánamo festsitzen. Dieser Fall rückt die Rolle der UN-Besatzungstruppe SFOR, die unter NATO-Befehl steht, in den Blickpunkt und offenbart eine sehr frühzeitige Mitwisserschaft der deutschen Bundesregierung.

Nach Aussage des US-Anwalts Stephen Olesky, der die sechs Algerier vertritt, wurden die sechs im Oktober 2001 wegen Terrorverdachts von bosnischen Sicherheitskräften festgenommen. Im Januar 2002 wurden sie vom Obersten Gerichtshof Bosnien-Herzegowinas aus Mangel an Beweisen freigesprochen, und die Richter ordneten ihre Freilassung an. In der Nacht vom 17. zum 18. Januar wurden die sechs jedoch offensichtlich an US-Soldaten der SFOR überstellt, obwohl das Gericht für vier der Freigesprochenen die Auslieferung an US-Behörden ausdrücklich verboten hatte.

In einem willkürlichen Akt der Rechtsbeugung hatten die bosnischen Behörden den Männern die Staatsbürgerschaft entzogen, um sie an US-Sicherheitskräfte auszuliefern. Die nun Staatenlosen wurden als Verdächtige präsentiert, die angeblich einen Anschlag auf US-Einrichtungen in Bosnien-Herzegowina geplant hätten.

Die rechtswidrige Überstellung an US-Sicherheitskräfte geschah offenbar unter massivem Druck der Bush-Administration. Olesky sagte bei der Anhörung vor dem Ausschuss: "Von US-Offiziellen wurde der bosnischen Regierung mitgeteilt, dass die USA ihre Hilfe für Bosnien zurückziehen würde, wenn die sechs Männer nicht inhaftiert werden." Olesky ist davon überzeugt, dass die Überstellung unter Umgehung internationalen und bosnischen Rechts von höchsten Stellen in der bosnischen Regierung angeordnet wurde.

Unklar bleibt jedoch, welche Rolle die SFOR-Truppen bei der Überstellung gespielt haben. Bemerkenswert ist zumindest, dass der seit 2002 als Hoher Repräsentant der EU in Bosnien-Herzegowina agierende Paddy Ashdown nichts gegen die illegale Überstellung unternommen hat und nicht einmal auf Gesprächsbemühungen der Anwälte der sechs Männer eingegangen ist.

Anderthalb Jahre später, im Sommer 2003, beschäftigte der Fall auch die in Bosnien stationierte Bundeswehr. Soldaten der deutschen Truppen hatten sich entgegen geltender Dienstvorschriften als Journalisten ausgegeben und nachrichtendienstliche Ermittlungen angestellt. Unter anderem suchten sie Angehörige der sechs Männer auf und sahen Gerichtsdokumente ein.

Über die Verschleierung der Identität der Bundeswehrangehörigen ist in der deutschen Presse berichtet worden, kaum jedoch über ihre brisanten Ermittlungsergebnisse. Das diese zu keinerlei Reaktionen bei der Bundesregierung führten, ist ein weitaus größerer Skandal.

Ein Hauptmann der Bundeswehr hat einen Bericht über die Überstellung der sechs Männer verfasst, der dem Fernsehsender ARD vorliegt. Darin heißt es, die Untersuchung habe den Verdacht erhärtet, "dass zumindest einigen der ‚Sechs’ Unrecht widerfahren ist". Wegen der "eventuell ungerechtfertigten Festnahme" und "höchst zweifelhaften Deportation" sollten "den entsprechenden Fachleuten der deutschen Botschaft" die gewonnenen Informationen vorgelegt werden.

Der Bericht wurde anschließend tatsächlich in den "nationalen deutschen Informationskanal" eingegeben und damit auch dem Verteidigungsministerium in Berlin vorgelegt. Das bedeutet, dass die Bundesregierung bereits im Juli 2003 und damit ein halbes Jahr vor der Entführung des Deutsch-Libanesen Khaled al-Masris von illegalen Aktivitäten der USA in Europa wusste.

Al Masri war Ende 2003 von der CIA aus Mazedonien entführt und nach Afghanistan überstellt worden, wo er gefoltert wurde. Davon will die damalige rot-grüne Bundesregierung erst hinterher erfahren haben. Nun streitet auch das Verteidigungsministerium ab, den Bericht der deutschen SFOR-Truppen zum Fall der sechs Algerier zu kennen. Gegenüber der Tagesschau erklärte das Ministerium lapidar, dass es den Bericht in den Archiven nicht finden könne.

Inzwischen sind einige Fotos des Berichts aufgetaucht, das zugehörige wichtigere Textdokument gilt aber weiterhin als verschwunden. Im Verteidigungsausschuss des Bundestages, in dem der Fall mittlerweile ebenfalls zur Sprache kam, wurden vom zuständigen Staatssekretär Friedbert Pflüger (CDU) wichtige Unterlagen zudem über einen Monat zurückgehalten und erst auf Nachfrage herausgegeben.

Die Bundesregierung agiert auch deswegen nervös, weil die sechs Männer über den US-Militärflughafen im deutschen Ramstein nach Guantánamo ausgeflogen wurden. Die jüngsten Enthüllungen zeigen immer deutlicher, dass die Regierung frühzeitig von den illegalen CIA-Aktivitäten wusste und ihre Komplizenschaft bei den Menschenrechtsverletzungen unter den Teppich kehren will.

Regierungen leugnen

Auch die britische Regierung versucht die Öffentlichkeit zu täuschen. Konfrontiert mit dem Zwischenbericht des Europaparlamentes erklärte der vor kurzem geschasste britische Außenminister Jack Straw gegenüber dem Guardian, er habe keine Beweise, dass die USA britischen Luftraum oder britische Flughäfen benutzten, um Gefangene zu transportieren. Er sei überzeugt, dass Washington ihn über derartige Pläne informiert hätte.

Tatsächlich hat der ehemalige britische Botschafter in Usbekistan, Craig Murray, dem Ausschuss Beweise vorgelegt, dass der britische Geheimdienst MI6 seit Jahren eng mit der CIA zusammenarbeitet und dabei ein ständiger Informationsaustausch stattfindet. Er legte auch ein Dokument des ehemaligen Rechtsberaters von Jack Straw, Michael Wood, vor, das den Standpunkt vertritt, die Benutzung unter Folter gewonnener Informationen sei legal, so lange man nicht selber foltere, sondern die Informationen nur über Dritte erhalte. Diese Position machte sich die britische Regierung zu Eigen, um Geständnisse zu nutzen, die in Usbekistan unter Folter erpresst wurden.

Das bisher vom Ausschuss vorgelegte umfangreiche Material lässt den Schluss zu, dass nicht nur die USA systematisch gegen internationale Menschenrechtskonventionen verstoßen haben, sondern dass sich auch die europäischen Regierungen entweder durch Stillhalten, Nichtstun oder offener Komplizenschaft mit der CIA schwerer Verstöße gegen die Anti-Folter-Konvention der Vereinten Nationen und gegen die Europäische Menschenrechtskonvention schuldig gemacht haben.

In den nächsten Monaten will der Ausschuss gezielt der Frage nachgehen, ob auch in Europa geheime Gefängnisse der CIA existieren. Giovanni Fava selbst erklärte auf der Pressekonferenz: "Wenn wir uns die Anzahl der CIA-Flüge ansehen, könnte man den Schluss daraus ziehen, dass es auch darum ging, Menschen in Gefängnisse in Europa zu bringen."

Dazu passt auch eine Meldung des Nachrichtenmagazins Stern von Anfang April, wonach die CIA in der Nähe des polnischen Ortes Kiejkuty angebliche Terrorverdächtige verhört haben soll. Bei der Anlage soll es sich um ein Ausbildungszentrum des polnischen Geheimdienstes handeln, das von US-Amerikanern mitbenutzt wird. Innerhalb des Camps soll es eine abgeriegelte Zone geben, zu der polnische Geheimdienst-Mitarbeiter keinen Zutritt haben. Der Stern schreibt dazu: "Auf dem Lagergelände parkten zudem Kleinwagen mit verdunkelten Scheiben - ebensolche Modelle, von denen Mitarbeiter des Flughafens Szymany schon zuvor berichtet hatten, sie seien immer zu den CIA-Flugzeugen vorgefahren."

Brüssel blockt ab

Der Sonderausschuss des Europaparlamentes ist innerhalb der Brüsseler Bürokratie ein zahnloser Papiertiger. Direkte Konsequenzen drohen den europäischen Regierungen aus dem Bericht nicht. Der Ausschuss kann weder Akteneinsicht noch Aussagen von Regierungs- oder Geheimdienstmitarbeitern erzwingen. Sanktionen gegen einzelne Staaten kann das Europaparlament nur empfehlen, denn alleine die EU-Kommission oder mindestens ein Drittel der Mitgliedsländer können gegen einzelne Regierungen aktiv werden.

Sowohl der Anti-Terror-Koordinator der EU, Gijs de Vries, und der für die Gemeinsame Sicherheits- und Außenpolitik der EU zuständige Javier Solana wiegelten nach der Vorlage des Ausschussberichts ab.

De Vries sah "keine Beweise" für illegale Gefangenentransporte der CIA in Europa. Befragt zu der Mitwisserschaft europäischer Regierungen, antwortete er bloß: "Ich glaube, dass ist noch nicht nachgewiesen worden." Er räumte ein, dass es zwischen der CIA und europäischen Nachrichtendiensten zwar "eine gegenseitig befruchtende Zusammenarbeit" gebe, diese falle jedoch nicht in die Zuständigkeit der Europäischen Union.

Ähnlich äußerte sich Javier Solana, der am 2. Mai angehört wurde. Er sagte: "Ich habe keine Informationen, die mir mit Gewissheit sagen, dass die Anschuldigungen, Behauptungen, Gerüchte, die es gegeben hat, der Wahrheit entsprechen. Ich habe auch keine Kompetenzen, die Länder zu fragen, wie sie diese Fragen behandeln, und sie haben keine Verpflichtung mir zu antworten."

Während sich die Brüsseler Behörden zur Wahrung der Interessen internationaler Finanzinvestoren, Konzerne und Banken sehr wohl in "innerstaatliche Angelegenheiten" einmischen, wollen sie in Bezug auf Menschenrechte keinerlei Kompetenzen haben. Dieses gespielte Desinteresse steht im krassen Widerspruch zu der Tatsache, dass gerade der Bereich Justiz und Inneres zu den Politikfeldern gehört, in denen die Zusammenarbeit zwischen den EU-Mitgliedsstaaten ständig ausgebaut wird.

Siehe auch:
Bundeskanzlerin Merkel deckt illegale CIA-Praktiken
(8. Dezember 2005)
Rice verteidigt illegale Überstellungen und droht europäische Mitverantwortung bloßzustellen
( 7. Dezember 2005)
Amnesty International legt neue Details über US-Geheimgefängnisse vor
( 25. April 2006)
Loading