Thailands Interimpremier Surayud Chulanont, der nach dem Militärputsch vom 19. September eingesetzt worden war, legte am 3. November in einer Rede vor der gesetzgebenden Versammlung (NLA) sein Regierungsprogramm vor. Es war die erste wichtige politische Erklärung seit der Absetzung von Ministerpräsident Thaksin Shinawatra und seiner Thai Rak Thai (TRT)-Regierung.
Die Generale haben unter Führung von Armeechef Sonthi Boonyaratkalin die Surayud-Regierung so hinzustellen versucht, als sei sie ein Schritt in Richtung einer Rückkehr zu demokratischer Herrschaft. Die programmatische Rede ließ jedoch erkennen, dass die militärischen Verschwörer über mögliche Äußerungen von Unzufriedenheit zutiefst besorgt und keineswegs bereit sind, das Kriegsrecht aufzuheben.
Surayud forderte ein Ende der sozialen und politischen Konflikte auf und appellierte an die Medien, "dem Volk wahrhaft zu dienen". Er nannte fünf Aufgaben von höchstem Vorrang: die Wiederherstellung der nationalen Einheit, verstärkte Antikorruptionsmaßnahmen, die Förderung von Recht und Gerechtigkeit, eine auf "Selbstversorgung" ausgerichtete Wirtschaftspolitik und die Ausarbeitung einer neuen Verfassung.
Surayuds wirtschaftspolitischen Vorschläge drückten am klarsten aus, wie nervös die Junta ist. Sie sollten vor allem die kleinen Bauern und Geschäftsleute überzeugen, die einen Großteil von Thaksins sozialer Basis ausgemacht hatten. Wie Thaksin versucht nun auch Surayud, es allen Recht zu machen: der "bäuerlichen Basis", dem "freien Markt" und der "Makroökonomie".
Der "Basis" verspricht die Regierung Hilfspakete zur Unterstützung der Kleinbauern. Den Anhängern des "freien Marktes" kündigt sie faire Konkurrenzbedingungen und die Förderung kleiner und mittlerer Unternehmen an, auch solcher im Tourismusbereich. Und auf der Ebene der "Makroökonomie" verspricht sie Infrastrukturprojekte, um die wirtschaftliche Effizienz zu steigern.
Das neue Regime hat Thaksins Privatisierungs- und Deregulierungsprogramm ausgesetzt, das den erbitterten Widerstand der Arbeiter und global weniger konkurrenzfähigen Geschäftsleute hervorgerufen hatte. Als eine der ersten Maßnahmen wurde der geplante Verkauf der thailändischen Stromwerke EGAT gestoppt.
Mit seiner Forderung nach einer "selbstversorgenden Wirtschaft" machte Surayud erneut seine Nähe zu König Bhumibol Adulyadei deutlich, der den Putsch unterstützt hatte. Der thailändische Monarch propagiert seit langem die Vorstellung, den Schwerpunkt der Wirtschaftspolitik auf die nationale Selbstversorgung zu legen, und gerät damit in Konflikt zu den Anforderungen einer globalisierten Produktion. Die Junta versucht sich in einem verzweifelten Balanceakt einerseits bei kleinen Bauern und Geschäftsleuten anzubiedern, andererseits jedoch die ausländischen Investoren und die wirtschaftliche Elite nicht zu verprellen.
Thaksin stand vor demselben Problem. Aus den Wahlen von 2001 und 2005 ging er als Sieger hervor, indem er sich die Opposition der Landbevölkerung gegen die vom IWF diktierten Sparmaßnahmen zunutze machte, die nach der asiatischen Wirtschaftskrise von 1997-98 von der Regierung unter Führung der Demokratischen Partei eingeführt worden waren. Seine Regierung sorgte für eine erschwingliche Gesundheitsversorgung, Finanzspritzen für die Dörfer und niedrige Zinsen für Bankkredite. Gleichzeitig geriet Thaksin unter starken internationalen Druck, das Programm der Marktreformen fortzusetzen, woraufhin Schichten der herrschenden Elite, die ihn vorher unterstützt hatten, auf Distanz zu ihm gingen.
Unmittelbar nach dem Putsch reiste Surayud durch den bäuerlichen Norden und erklärte, die Finanzhilfen für die Dörfer würden nicht gestrichen. Er schaffte sogar die geringen Eigenleistungen für die Gesundheitsversorgung ab. Um die Thaksin-Sympathisanten zu beschwichtigen, nahm das Militär außerdem von der Drohung Abstand, den entmachteten Ministerpräsidenten wegen Korruptionsverdacht vor Gericht zu zerren, weil er im Januar Aktien seiner Familie an dem Telekommunikationskonzern Shin Corp für 1,9 Milliarden US-Dollar verkauft hatte.
Die Junta ist aber trotzdem besorgt. In einem Interview vom 27. Oktober in der Nation erklärte Putschführer General Sonthi, das Militär beobachte Thaksins Sympathisanten auf dem Land sehr genau. "Wir wissen, wer sie sind und was sie vorhaben", sagte er. Am 12. November erklärte Surayud, Thaksin dürfe nicht vor den Wahlen zurückkehren, die für nächstes Jahr angekündigt sind. "Wenn er kommt und unter den Menschen dieses Landes Zusammenstöße provoziert, wäre das etwa passend?"
Nicht nur die ländlichen Gegenden bereiten Sorge. Seit dem Putsch hat das Regime versucht, die bürgerkriegsähnliche Lage im Süden zu befrieden. Thaksin hatte kommunale Stimmungen bewusst angeheizt, indem er die Armee zur Niederschlagung der muslimischen Separatisten in den Südprovinzen einsetzte, was zu Spannungen mit Malaysia führte. Das Militär hat sich offiziell für sein brutales Vorgehen unter Taksin entschuldigt und hat erste politische Konzessionen angeboten. Es hat alle Anklagen gegen Dutzende junger Muslime fallen gelassen. Diese waren 2004 bei Protesten festgenommen worden, die in dem schrecklichen Tak-Bai-Massaker endeten, bei dem mehr als 80 junge Männer ums Leben kamen.
Auf die größten Probleme stößt die Junta in Bangkok. Die Demonstrationen gegen Thaksin, die im Januar nach dem Verkauf der Shin-Corp-Aktien stattfanden, mobilisierten breite Schichten der städtischen Bevölkerung. Angefangen hatte die Bewegung mit wütenden Geschäftsleuten, die sich betrogen fühlten, weil Thaksin immer stärker die IWF-Vorgaben umsetzte und mit Washington Gespräche über ein Freihandelsabkommen aufnahm. Die große Mehrheit der Protestierenden nahm jedoch aus anderen Motiven an den Demonstrationen teil: Es waren Arbeiter, deren Arbeitsplätze durch Privatisierung bedroht waren, Arbeitslose und viele andere, die gegen Thaksins antidemokratische Methoden auf die Straße gingen. Ihre Opposition gegen Thaksin war nicht gleichbedeutend mit einer Unterstützung für die Militärherrschaft. Es ist inzwischen schon wieder zu kleineren Protesten gekommen, die ein Ende des Kriegsrechts und die Wiederherstellung demokratischer Rechte fordern.
Der Putsch hat die scharfen Gegensätze in den herrschenden Kreisen vorübergehend in den Hintergrund gedrängt, die Anfang des Jahres zu einer tiefen politischen und Verfassungskrise geführt hatten. Aber er hat nichts dazu beigetragen, die zugrunde liegenden sozialen Spannungen zu beseitigen. Der internationale Druck auf die Junta steigt, das unpopuläre IWF-Programm weiterzuführen. Seit dem Börsenkrach von 1997-98 herrscht in Asien eine scharfe Konkurrenz um Auslandsinvestitionen, der auch Thailand nicht entgeht.
Finanzkommentatoren verhielten sich dem Putsch gegenüber anfangs gleichgültig, weil Thailand relativ robuste Wirtschaftsdaten vorweisen kann. Obwohl das Wachstum des Bruttoinlandsprodukts (BIP) sich mit geschätzten 4,2 Prozent für das Jahr 2006 verlangsamt hat, wies die Handelsbilanz in den ersten acht Monaten einen Überschuss von 1,6 Mrd. US-Dollar auf, und die Währungsreserven beliefen sich auf 60,9 Mrd. US-Dollar. Viele Analysten akzeptierten die Version, wonach es bei dem Putsch lediglich "um Politik", nicht "um Wirtschaft" gegangen sei.
Aber diese Haltung ändert sich. Die New York Times schrieb am 3. November: "Die Generale geben sich als neue Manager noch etwas unbeholfen." Der UNO-Wirtschafts- und Sozialrat für den asiatisch-pazifischen Raum wurde sogar noch deutlicher. Er warnte Ende Oktober, dass Thailands BIP-Wachstum unter drei Prozent sinken, die Inflation zehn Prozent erreichen und die Währung gegenüber dem US-Dollar um zwanzig Prozent einbüßen könnte.
Jede Rückkehr zu Sparmaßnahmen wird jedoch soziale Unruhen wieder anheizen. So erklärte Surayud am 3. November im thailändischen Fernsehen, das Kriegsrecht werde erst aufgehoben, wenn die Generale "keine Gefahrenherde mehr befürchten" müssten. Die International Herald Tribune bemerkte, "Gefahrenherde" sei das neue "Schlagwort des Putschs". Es sei eine "passende Verklausulierung für Unzufriedenheit und Intrigen, die zu offener Revolte führen könnten".