Der chinesischen Präsident Hu Jintao stattete Indien vergangene Woche einen viertägigen Besuch ab und reiste dann für drei Tage nach Pakistan weiter.
Die chinesisch-indischen Beziehungen waren lange Zeit angespannt. 1962 gab es einen kurzen Krieg zwischen den beiden Ländern wegen eines Grenzkonflikts, der bis heute ungelöst ist. Im Juni 2003, unmittelbar nach der illegalen Invasion der USA im Irak, leiteten China und Indien eine Wiederannäherung ein. Aber die beiden asiatischen Länder, die einen Weltmacht-Status anstrebend, haben häufig um Investitionen, ausländische Energielieferungen und internationalen Einfluss miteinander konkurriert.
Indiens historischer Rivale Pakistan unterhält eine besondere Beziehung zu China, die auf die Mitte der 1960er Jahre zurückgeht. Die pakistanische Elite spricht über China oft als Pakistans "Freund in guten und in schlechten Zeiten". Das ist eine Spitze gegen die USA, die ihrer Meinung nach Pakistan bei Veränderungen der geopolitischen Weltlage schon häufig im Regen habe stehen lassen.
Hus Südasienreise demonstriert Chinas Bestreben, die Beziehungen zu Indien neu zu definieren, und Indiens Versuch, trotz der wachsenden geopolitischen Kluft zwischen China und den USA den Spagat zwischen den beiden zu schaffen.
Hu bot Indien eine dramatische Ausweitung der bilateralen Beziehungen an, darunter eine stark erweiterte Wirtschaftspartnerschaft, Austausch auf militärischem Gebiet und Kooperation bei ziviler Nukleartechnologie.
Hu und seine Berater sollen auch angedeutet haben, China werde der 45 Staaten umfassenden "Nuklear Supplier Group" nicht im Weg stehen, falls diese Washingtons Vereinbarung mit Neu-Delhi unterstützt. Die Vereinbarung sichert Indien einen einzigartigen Status im weltweiten Nuklearkontollregime, denn Indien erhält damit Zugang zu ausländischem Spaltmaterial und Nukleartechnologie, obwohl es dem Atomwaffensperrvertrag (NPT) nicht beigetreten ist.
Das indisch-amerikanische Nuklearabkommen
Die Bush-Regierung feierte das indisch-amerikanische Atomabkommen als einen bedeutenden diplomatischen Coup. Sie erwartet davon eine Zementierung der strategischen Partnerschaft Indiens mit den USA, die entscheidende Veränderungen der geopolitischen Weltlage im 21. Jahrhundert bewirken soll.
Von dem Abkommen und den daraus resultierenden engeren indisch-amerikanischen Beziehungen in den Bereichen Wirtschaft, Nukleartechnologie, Militär und Außenpolitik versprechen sich die Bush-Regierung und das amerikanische außenpolitische Establishment, Indien für amerikanische Ziele in Asien einspannen zu können. Dabei geht es speziell um das Bestreben der USA, China in Schach zu halten und den amerikanischen Einfluss im ölreichen Zentralasien auszudehnen.
Bis vergangene Woche hatte China Skepsis und Misstrauen gegenüber dem Abkommen signalisiert, ohne es kategorisch abzulehnen. In einem Kommentar vom 30. Oktober schrieb die People’s Daily über das indisch-amerikanische Atomabkommen: "Es ist klar, dass die bewusste Verletzung des Atomwaffensperrvertrags durch die Vereinigten Staaten ein Schritt ist, andere Nationen in Schach zu halten. Die US-Hilfe für Indien ist eine Art nuklearer Weiterverbreitung."
Pekings Charmeoffensive gegenüber Indien zeigt die Entschlossenheit der chinesischen Regierung, den strategischen Vorstoß der USA in Südasien durch ein aggressives Werben um Indien zu kontern. Zweifellos fühlt sich China durch die Tatsache ermutigt, dass die Strategie der Bush-Regierung gescheitert ist, durch die Eroberung des Irak die globale Hegemonie der USA zu behaupten.
Indien ist sich seinerseits äußerst bewusst, dass die USA hoffen, es in eine abhängige Beziehung zu bringen und als Gegengewicht zu China zu nutzen. In den siebzehn Monaten seit der Paraphierung des Atomabkommens durch Ministerpräsident Manmohan Singh und US-Präsident George W. Bush - im März wurde es endgültig unterschrieben -, haben die USA mehrfach starken Druck auf Indien ausgeübt, die US-amerikanische Außenpolitik zu unterstützen; dazu gehörte insbesondere Washingtons Versuch, Teheran wegen seines Atomprogramms unter Druck zu setzen.
Es gibt etliche Gründe, warum sich die von der Kongress-Partei geführte Regierung der Vereinigten Progressiven Allianz und die indischen Großkonzerne gierig nach dem von Washington angebotenen Atomabkommen greifen. Das Abkommen bietet Indien Zugang zu ausländischem Nuklearbrennstoff und -technologie und gibt ihm dadurch die Möglichkeit, seine Mittel auf das eigene Nuklearwaffenprogramm zu konzentrieren. Das Abkommen ist eine De-facto-Anerkennung Indiens als Atommacht und daher ein wichtiger Schritt auf dem Weg zum Status einer Weltmacht, den die indische Elite schon seit langem anstrebt. Das Abkommen hebt die indischen Beziehungen zu den USA auf eine neue Ebene und ebnet den Weg für deutlich gesteigerte Investitionen sowie eine potentiell größere Rolle Indiens in Fragen der Weltpolitik, in denen die amerikanischen und indischen Interessen übereinstimmen, wie der Unterstützung für die Karzai-Regierung in Afghanistan.
Indien hat sich zwar unter der UPA-Regierung stärker den USA zugewandt, bei Treffen der Internationalen Atomenergiebehörde mit ihnen gegen den Iran gestimmt und nur äußerst milde Kritik an der israelischen Invasion des Libanon geäußert, dennoch strebt seine Regierung engere Beziehungen zu anderen großen Weltmächten an, vor allem zu China und Russland. Die Hoffnung der indischen Elite geht dahin, die immer schnelleren Strömungen der Weltpolitik durchschiffen zu können, ohne im Kielwasser einer der Großmächte zu enden, und seine Position als - wie ein CIA-Dokument es ausdrückte - wichtigster "potentieller Pendel-Staat" in der heutigen weltpolitischen Ordnung auszunutzen.
"Keine Rivalen, sondern Partner"
Ein zentrales Thema in den Reden Hus und Manmohan Singhs während des Besuches des chinesischen Präsidenten wie auch in der "Gemeinsamen Erklärung der Republik Indien und der Volksrepublik China" war, dass Indien und China Partner sind, und dass der Aufstieg des einen den Aufstieg des anderen beflügeln und nicht be- oder verhindern kann und sollte.
"Beide Seiten stimmen darin überein", heißt es in der Erklärung, "dass die Beziehung zwischen Indien und China...von globaler und strategischer Bedeutung ist... Beide Seiten sind der Auffassung, dass die Aussichten für ihre gemeinsame Entwicklung viel versprechend sind, und dass sie keine Rivalen oder Konkurrenten, sondern Partner zum gegenseitigen Nutzen sind .... Als zwei bedeutende Länder in einer neu entstehenden multipolaren Weltordnung wird die gleichzeitige Entwicklung Indiens und Chinas einen positiven Einfluss auf das zukünftige internationale System haben."
Manmohan Singh äußerte: "Es gibt genügend Raum für beide Länder, sich gegenseitig zu unterstützen und dabei zu entwickeln. Wie es sich für gute Nachbarn und Partner gehört, werden sie rücksichtsvoll mit den Sorgen und Wünschen des jeweilig anderen umgehen."
Der chinesische Präsident Hu seinerseits erklärte: "Indiens Wachstum ist keine Bedrohung, sondern eine Chance."
Mit dem Ziel, die Verbesserung der chinesisch-indischen Beziehungen "unabänderlich" zu machen, unterzeichneten Indien und China im Verlauf von Hus Besuch dreizehn Protokolle, Abkommen und Absichtserklärungen. Die beiden Staaten verkündeten auch eine Zehn-Säulen-Strategie für die Verbesserung und Erweiterung ihrer bilateralen Beziehungen. Die Strategie sieht folgende Schritte vor: die Verdopplung des chinesisch-indischen Handelsvolumens von 20 Mrd. Dollar auf 40 Mrd. Dollar im Jahr bis 2010 (China ist jetzt schon Indiens zweitgrößter Handelspartner), regelmäßige Gipfeltreffen der beiden Regierungschefs, "die baldige Bereinigung" des Grenzstreits, eine engere Kooperation in Bezug auf die grenzüberschreitenden Flüsse, gemeinsame Initiativen bei der Sicherung ausländischer Energiequellen und Zusammenarbeit als "gemeinsame Führer der sich entwickelnden Welt" bei der Erarbeitung von Strategien für WTO-Verhandlungen und andere internationale Foren.
Präsident Hu behauptete, dass "China in Südasien keine eigennützigen Ziele verfolgt", und bekräftigte Chinas volle Unterstützung für den indisch-pakistanischen Friedensprozess, der Anfang 2003 begonnen hatte. Er bot an, auf Wunsch bei der Aussöhnung Indiens mit Pakistan behilflich zu sein.
Einige indische Presseberichte besagen, chinesische Funktionäre hätten signalisiert, Peking habe keine Einwände gegen einen ständigen Sitz Indiens im UN-Sicherheitsrat. Aber in der gemeinsamen Erklärung verpflichtete sich China nur, "Indiens Bestrebungen [zu unterstützen], eine größere Rolle in den Vereinten Nationen zu spielen".
Es gibt Gerüchte, denen zufolge Hu die Führer der Linksfront, einer von der Kommunistischen Partei Indiens (Marxisten) geführten Koalition, die die UPA im indischen Parlament unterstützt, angewiesen habe, eine "pragmatischere" Haltung gegenüber weiteren neoliberalen Sozialreformen einzunehmen. Die Linksfront, die in den Bundesstaaten, in denen sie die Regierung stellt, eine investorenfreundliche Politik verfolgt und dabei das stalinistische Regime in China als Vorbild anführt, bestreitet die Berichte über den Inhalt der Treffen mit dem chinesischen Präsidenten hinter verschlossenen Türen. Falls Hu die Linksfront tatsächlich gedrängt haben sollte, dem indischen und internationalen Kapital noch weiter entgegen zu kommen, dann unterstreicht das nur, wie weit Hu und die chinesische Führung zu gehen bereit sind, um die indische Regierung und Wirtschaft zu umwerben.
Ein Minenfeld widerstreitender Interessen
Hus Besuch könnte durchaus ein Wendepunkt für die chinesisch-indischen Beziehungen werden. Allerdings haben die beiden Staaten eine lange Geschichte angespannter Beziehungen und ein ganzes Minenfeld gegensätzlicher Wirtschafts- und geopolitischer Interessen, selbst wenn man die Tatsache beiseite lässt, dass China der größte Waffenlieferant Pakistans ist und durch den Bau eines Hafens in Gwadar in der pakistanischen Provinz Belutschistan versucht, eine Flotten-Präsenz im Arabischen Meer und im Indischen Ozean zu schaffen.
Indien und China sind beide in wachsendem Maße von ausländischen Energieimporten abhängig und haben sich in der Vergangenheit Bieterwettbewerbe für die Sicherung von Öl- und Gasvorkommen geliefert.
Während die indische Regierung und Wirtschaft das Wachstum des chinesisch-indischen Handels begrüßen, hat es in einem Teil der indischen Presse besorgte Stimmen über die zunehmende wirtschaftliche Bedeutung Chinas in Gesamt-Südasien gegeben. China hat zum Beispiel kürzlich Indien als wichtigsten Handelspartner Bangladeschs abgelöst. Hu flog von Indien aus nach Pakistan und unterzeichnete dort ein Freihandelsabkommen mit Pakistan. Die indische Elite strebt ein Südasiatisches Freihandelsabkommen (SAFTA) an, um dadurch ihre eigene ökonomische und geopolitische Dominanz auf dem Subkontinent zu konsolidieren. Wegen des indisch-pakistanischen Konflikts und anderer zwischenstaatlicher Rivalitäten sind die indischen Pläne zur Schaffung einer von Indien angeführten südasiatischen Wirtschaftszone aber kaum über das Planungsstadium hinausgekommen.
Auch in Südostasien besteht eine wirtschaftliche und geopolitische Rivalität zwischen Indien und China. Die beiden Länder konkurrieren um Energie aus Burma, und Indien befürchtet, dass China versuchen könnte, Indien daran zu hindern, an einem erweiterten südostasiatischen Handelsblock teilzunehmen.
Nur wenige Tage vor Hus Besuch bekräftigte der chinesische Botschafter in Indien noch einmal die Ansprüche Chinas auf Gebiete im ostindischen Bundesstaat Arunatschal Pradesch. Es wurde die Vermutung geäußert, dass diese Erklärung von Peking lanciert wurde, um eine Kontroverse zu provozieren und Neu Delhi dadurch zu veranlassen, größeres Interesse an einer schnellen Lösung der Grenzstreitigkeiten zu entwickeln. Aber selbst wenn das stimmt, unterstreicht die aufgebrachte Reaktion auf die Bemerkungen des Botschafters, dass die umstrittenen Territorialfragen nicht leicht zu lösen sein werden.
Zu guter Letzt werden auch die USA nicht untätig zuschauen. Das politische Establishment der USA hat auf den Besuch Hus und das Werben Chinas um Indien öffentlich so gut wie nicht reagiert. Aber die Forderung der Bush-Regierung und der Kongressführer, dass Indien der US-Linie zum Iran zu folgen habe, zeigt schon, dass Washington einen hohen Preis für das indisch-amerikanische Nuklearabkommen verlangt.
Auch die zweite Station von Hus Südasien-Reise beinhaltete eine Botschaft an Indien. Sollte Indien das Angebot Chinas für eine Partnerschaft ausschlagen oder sich genötigt sehen, das zu tun, was Washington verlangt, dann könnte China im Gegenzug seine schon sehr enge Allianz mit dem indischen Erzrivalen Pakistan noch enger gestalten.
Das Freihandelsabkommen, das Hu und der pakistanische Diktator General Pervez Musharraf während Hus Besuch in Islamabad unterzeichneten, ist erst das zweite Freihandelsabkommen, das China überhaupt eingeht. Die Regierungen Chinas und Pakistans haben zudem zahlreiche weitere Projekte vereinbart, um eine engere ökonomische und militärische Verflechtung zu fördern. Eines dieser Projekte ist die Einrichtung einer Sonderwirtschaftszone für chinesische Textilfirmen in Faisalabad, und ein anderes die gemeinsame Entwicklung eines Langstreckenflugzeugs mit Frühwarn-Radarsystem.
China ist gegenwärtig an mehreren zivilen Atomkraftwerksprojekten in Pakistan beteiligt. Aber Hu und Musharraf gaben nicht, wie gerüchteweise verlautet war, den Abschluss eines chinesisch-pakistanischen zivilen Atomabkommens nach dem Vorbild des indisch-amerikanischen bekannt. Ein solches Abkommen hätte Pekings Bemühungen unterhöhlt, Indien zu umwerben. Die indische Presse hat den Verzicht auf ein solches Abkommen positiv vermerkt.
Aber China hat ein solches Abkommen für die Zukunft nicht ausgeschlossen.
Bezeichnenderweise argumentiert der Autor des zuvor zitierten Kommentars in der People’s Daily - in dem das indo-amerikanische Nuklearabkommen in Bausch und Bogen verurteilt wird -, dass angesichts der enormen Diskrepanz zwischen den konventionellen Streitkräften Indiens und Pakistans "Pakistan derjenige ist, der Atomwaffen braucht."