Die europäischen Regierungen haben auf die Angriffe, die Israel mit amerikanischer Unterstützung gegen den Libanon unternimmt, vollkommen feige und prinzipienlos reagiert. Wer noch glaubte, die Europäische Union sei fähig, eine von Washington unabhängige Außenpolitik zu betreiben, wurde durch ihre Resolution zur Libanonkrise vom 1. August widerlegt. Die europäischen Außenminister rufen darin zu "einer sofortigen Einstellung der Feindseligkeiten gefolgt von einer dauerhaften Waffenruhe" auf.
Die Trennung der Worte "sofort" und "Waffenruhe" ist alles, was an dieser gequälten Formulierung politisch von Bedeutung ist. Die Resolution war eine semantische Übung. Man würde in einem Wörterbuch vergebens nach einer Definition suchen, die eine "sofortige Einstellung der Feindseligkeiten" von einer "Waffenruhe" unterscheidet. Aber diese Wortspiele waren nötig, um die Differenzen zu überdecken, die durch das Treffen offen zu Tage traten und jede Möglichkeit einer tatsächlich praktikablen europäischen Antwort ausschlossen.
Der ursprüngliche Entwurf, der von der finnischen EU-Ratspräsidentschaft stammte, forderte einen sofortigen Waffenstillstand und beinhaltete folgende Warnung: "Missachtung notwendiger Schutzvorkehrungen für die Zivilbevölkerung stellt eine ernste Verletzung internationaler Menschenrechte dar".
Beide Formulierungen wurden fallengelassen, um Großbritannien und Deutschland entgegenzukommen, die sich unterstützt von Tschechien, Polen und Dänemark dem Entwurf widersetzten. Die nun verabschiedete Resolution ruft stattdessen alle Seiten dazu auf "das Möglichste zum Schutz der Zivilbevölkerung zu unternehmen und von Handlungen, die gegen internationale Menschenrechte verstoßen, Abstand zu nehmen." Israel behauptet von sich selbst, eben dies zu tun. Änderungen am Resolutionsentwurf betrafen auch die Reihenfolge, in der Verurteilungen ausgesprochen werden: Die Europäische Union tadelt nunmehr zuerst die Raketenangriffe der Hisbollah auf Israel und danach erst die Tötung libanesischer Zivilisten durch das israelische Militär in Kana.
Paris bezeichnete die Resolution als einen Sieg der französischen Diplomatie, doch in Wirklichkeit bedeutet sie einen herben Rückschlag. Seit Beginn des Konflikts haben wichtige europäische Mächte unter Führung Frankreichs, darunter auch Italien und Spanien, wiederholt einen sofortigen Waffenstillstand gefordert. Trotzdem war die EU nicht in der Lage, eine gemeinsame Position zu erreichen.
Großbritannien war wie gewöhnlich strikt gegen alles, was die Pläne der Bush-Regierung durchkreuzt, den libanesischen Konflikt zu einem größeren Angriff auf Syrien und den Iran auszuweiten und dadurch die amerikanischen Vorherrschaft über den gesamten Nahen Osten sicherzustellen. Anders als beim Irakkrieg wurde diese Position diesmal auch von Deutschland uneingeschränkt geteilt.
Im Vorfeld des Außenministertreffens und als Reaktion auf den blutigen israelischen Angriff in Kana hatte die deutsche Kanzlerin Angela Merkel gemeinsam mit dem britischen Premierminister Tony Blair eine Erklärung abgegeben. Darin übernahmen sie nicht nur die von Washington favorisierte Formulierung der "dauerhaften Waffenruhe" sondern erklärten auch, dass eine solche nur erklärt werden könne, wenn die Bedingungen dies zuließen. Merkel wiederholte ein weiteres Mal die banale und zynische Behauptung, die seit dem ersten Tag des israelischen Angriffs von ihr zu hören war, dass die Hisbollah der Aggressor sei. Auf einer Pressekonferenz hatte sie betont: "Im Zusammenhang mit dem Libanon, muss man, wie ich finde, immer darauf achten, dass man Ursache und Wirkung nicht durcheinander bringt. Der Ausgangspunkt ist die Entführung von Soldaten, und der Ausgangspunkt ist auch das Wirken der Hisbollah."
Das Treffen in Brüssel verdeutlichte die geschwächte Position der französischen Regierung, die bislang ihre gesamte Außenpolitik auf ein französisch-deutsches Bündnis basiert hatte. Die Bush-Regierung bewies hingegen ihre Fähigkeit, einen dominanten Block europäischer Nationen gegen all jene zu formieren, die sich der amerikanischen Linie nicht anschließen.
Durch das Treffen wurde auch klar, dass keine der Regierungen, die einen Waffenstillstand fordern, einschließlich Frankreich, irgendwelche grundsätzlichen Einwände gegen die amerikanische Nahoststrategie haben. Ihre zentrale Sorge besteht vielmehr darin, ihren eigenen Einfluss im Nahen Osten aufrechtzuerhalten und ihre eigene Position zu behaupten, wenn es zu der von US-Außenministerin Condoleezza Rice angekündigten Neugestaltung der Region kommt.
Insbesondere Frankreichs Forderungen nach einem Waffenstillstand sind neben unmittelbaren militärischen Bedenken auch mit politischen Kalkulationen verbunden, die die Wahrung der französischen Interessen in der Region betreffen.
In Vielem stimmen Washington und Paris überein. Frankreich ist weder ein Freund der Hisbollah noch Syriens. Mit dem Libanon ist Frankreich als einstige Kolonialmacht über eine lange und blutige Geschichte verbunden. Gemeinsam mit Washington gehörte Paris zu den maßgeblichen Unterstützern der so genannten "Zedernrevolution", deren Ziel darin bestand, den syrischen Einfluss auf das Land zu brechen und eine stabile prowestliche Regierung durchzusetzen. Der ehemalige libanesische Ministerpräsident Rafik Hariri, der Multimillionär, dessen Ermordung im Jahre 2005 den Vorwand für eine Ausweitung der antisyrischen Offensive bot, war ein persönlicher Freund von Präsident Jacques Chirac.
Im August 2004 formulierte Paris gemeinsam mit Washington die Resolution 1559 der Vereinten Nationen, nach der die syrische Armee aus dem Libanon entfernt und die Hisbollah entwaffnet werden sollte. Nach Hairiris Ermordung im Februar 2005 gab Frankreich gemeinsam mit den USA Syrien die Schuld und forderte der vollständigen Umsetzung der Resolution 1559. Selbst jetzt betont der französische Außenminister Philippe Douste-Blazy: "Die erste Bedingung für einen Waffenstillstand ist natürlich die Entwaffnung der Hisbollah."
Trotzdem war Paris bestürzt über Washingtons Bereitwilligkeit, die Regierung von Premierminister Fuad Siniora zu untergraben und die israelische Zerstörung des Landes zu unterstützen. Dies ist bloß die jüngste Erniedrigung, die Frankreich von Seiten der USA erleidet. Der Irakkrieg hat Frankreich aus einem wichtigen Interessengebiet ausgeschlossen und ähnliche Bedenken kommen angesichts der Schritte gegen den Iran auf, mit dem Frankreich über zahlreiche und bedeutende Investitionen verbunden ist.
Im Gegensatz zur Linie der USA besteht Frankreich darauf, dass Teheran an einer politischen Lösung für die Libanonkrise mitwirken soll. Bei seinem letzten von drei Besuchen im Libanon erklärte Douste-Blazy nachdrücklich, dass der Iran eine "stabilisierende Rolle" in der Region spielen könne. Er bezeichnete den Iran als ein "großartiges Land, eine großartige Bevölkerung und eine großartige Zivilisation". Frankreich, sagte Douste-Balzy, "kann keineswegs die Destabilisierung des Libanon akzeptieren, die zur Destabilisierung der Region führen kann".
Er traf den iranischen Außenminister Manouchehr Mottaki in Beirut und gab zu verstehen, dass er demnächst nach Teheran reisen wird.
Paris ist der Überzeugung, einen Vorteil daraus schlagen zu können, dass Washington jegliche Verhandlung mit Teheran ablehnt. Ebenso glaubt die französische Regierung, dass sich die massive antiamerikanische Stimmung im Nahen Osten zu ihren Gunsten auswirken und den französischen Einfluss in der Region vergrößern wird.
Frankreich will seinen Einfluss auch militärisch ausweiten, indem es eine bedeutende Rolle in der vorgeschlagenen multinationalen Truppe übernimmt, die für die Einhaltung eine mögliche Vereinbarung im Libanon sorgen soll. Aber ein Waffenstillstand und eine politische Übereinkunft aller Parteien hält Paris für eine Vorbedingung, um eine schätzungsweise 5.000 Mann starkes französisches Truppenkontingent zu entsenden.
Amerika ist froh darüber, dass Frankreich eine militärische Rolle erwägt, da die Streitkräfte der USA und ihres Hauptverbündeten Großbritannien im Irak und in Afghanistan bereits stark beansprucht sind. Auch politisch ist es für Washington und London hilfreich, dass eine Militärintervention im Libanon nicht von denselben Kräften ausgeführt wird, die auch in den Irak eingedrungen sind. Aber die Vereinigten Staaten werden keine französische Rolle akzeptieren, die den amerikanischen Plänen zuwiderläuft.
Vergangene Woche brachte Paris im Sicherheitsrat der Vereinten Nationen eine Resolution ein, die alle Hauptelemente der amerikanischen Forderungen enthielt, einschließlich der Einrichtung einer Pufferzone von der israelischen Grenze bis zum Fluss Litani, aber auch die Forderung nach einem sofortigen Waffenstillstand beinhaltete. Washington reagierte darauf mit der Ankündigung, einen eigenen Resolutionsentwurf vorzulegen.
Auf der Sondersitzung des Sicherheitsrats am Sonntag lag kein amerikanischer Resolutionsentwurf vor und die Gespräche wurden ohne Ergebnis abgebrochen. Am Montag drängte Frankreich auf die Verschiebung eines geplanten Treffens, um die Zusammensetzung der multinationalen Truppe zu diskutieren, und drohte damit, ein für Mittwoch zu dieser Frage geplantes Treffen zu boykottieren.
Ein diplomatischer Vertreter Frankreichs erklärte hierzu: "Das Treffen ist verfrüht, weil wir davon ausgehen, dass die Bedingungen für eine Truppenentsendung - mit anderen Worten das sofortige Ende der Kampfhandlungen und eine politische Übereinkunft - noch nicht gegeben sind. Im Augenblick gehen wir nicht von einer Teilnahme aus, aber das wird von den Diskussionen abhängen, die momentan stattfinden."
Das ist die zynischste Art des Kuhhandels. Frankreich hat sich bei der EU-Resolution dem Diktat Amerikas gefügt und wird sich an einer internationalen Truppe beteiligen. Aber Paris kalkuliert, dass bis zu einer Übereinkunft einige Zeit vergehen wird, zumal die USA Israel mehr Zeit geben möchten, um die Angriffe auf den Libanon fortzusetzen.
Die französische Regierung hat deutlich zu verstehen gegeben, dass sie bereit ist, rücksichtslos zu handeln und die Hisbollah zu zerschlagen, sobald eine Einigung erreicht ist. Verteidigungsministerin Michele Alliot-Marie besteht darauf, dass jede Militärtruppe 15.000 bis 20.000 Mann stark, "gut bewaffnet, mit erheblicher Schlagkraft und Panzerung" ausgestattet und ermächtigt sein muss, bei Kampfhandlungen die libanesische Armee zu unterstützen. "Sie muss glaubwürdig und in der Lage sein, sich umfassend Respekt zu verschaffen", sagte sie.
Verschiedene andere europäische Nationen unter den 30 Ländern wollen sich bei Washington einschmeicheln und gleichzeitig durch Teilnahme an der geplanten Truppe einen Fuß in den Nahen Osten setzen. Einige sind weniger gewillt als Frankreich, sich auf eine verfahrene Situation im Libanon einzulassen. Italien unterstützte zwar die französische Position beim Treffen der europäischen Außenminister, will aber nur dann Soldaten entsenden, wenn das geplante Kontingent nicht unter dem Kommando der NATO steht und es sich um keine "Kampftruppe" handelt.
Obwohl sich die Medien im Zuge der diplomatische Konflikte Frankreichs mit Amerika weitestgehend auf die Gespräche mit Teheran konzentriert haben, gibt es Berichte über geheime Gespräche mit Syrien, Libanon und sogar der Hisbollah, an denen so verschiedene Länder wie Italien, Spanien und Großbritannien beteiligt sind.
Die offensten diplomatischen Vorstöße in Hinblick auf Syrien hat Deutschland unternommen und dabei das Ziel verfolgt, Damaskus von Teheran zu spalten. Berichten zufolge hat der deutsche Außenminister Frank Walter Steinmeier (SPD) dem syrischen Präsidenten Baschar Assad einen verbesserten Handel mit der EU angeboten, wenn das Land mit Teheran bricht und die Einsetzung einer multinationalen Truppe unterstützt. Der italienische Außenminister Massimo D´Alema hat ebenfalls Syriens konstruktive Rolle bei der Stabilisierung der Region hervorgehoben.
Es herrscht ernsthafte Besorgnis unter allen europäischen Mächten, dass Washingtons Unterstützung für Israels Angriffskrieg im Gazastreifen und Libanon einen regionalen Flächenbrand auslöst. Doch einig sind sie sich darin, eine offene Konfrontation mit den USA nicht einmal in Erwägung zu ziehen.
Zwei Faktoren sind für diese Appeasementpolitik verantwortlich.
Erstens gehen sie davon aus, dass keine Kombination von europäischen Nationen, auch nicht die gesamte EU, in der Lage ist, es mit den USA militärisch aufzunehmen. Sie sind eingeschüchtert vom aggressiven US-Militarismus, der mit dem ersten Golfkrieg 1991 Bahn gebrochen hat und in Bushs Präventivkriegsdoktrin seinen vollendeten Ausdruck findet. Ihre größte Angst ist, dass politischer Widerstand gegen diesen Kurs Washington dazu bringen könnte, sämtliche Zusammenarbeit mit internationalen Institutionen wie den Vereinten Nationen zu beenden und als globale Supermacht einen unverhohlen unilateralen Weg einzuschlagen.
Zweitens kündigen die Besetzung des Iraks und die fortgeschrittenen Vorbereitungen für Kampfhandlungen gegen den Iran eine Neuordnung nicht bloß des Nahen Ostens sondern des ganzen Planeten an, von der abhängen wird, wer Zugang zu strategischen Ressourcen wie Öl und Gas hat. Die europäischen Mächte erhoffen sich, dass sie als Gegenleistung für ihre Unterwürfigkeit einen Anteil von Washingtons Beute erhalten.