Chinesische Führung will gestürzten Partei-"Reformer" ehren

Die Verwaltung des Zentralkomitees der Kommunistischen Partei Chinas (KPCh) gab vergangenen Monat bekannt, den 90. Geburtstag des ehemaligen Parteivorsitzenden Hu Jaobang am 20. November offiziell zu feiern.

Das Vorhaben ist bemerkenswert, weil Hu mehr als anderthalb Jahrzehnte bewusst aus dem Blick der Öffentlichkeit ferngehalten wurde. Die Tatsache, dass Hu jetzt als verehrter Parteiführer gefeiert werden soll, hat mit der schwierigen politischen Lage zu tun, in der die stalinistische Führung in Peking wegen des Massakers an Studenten und Arbeitern am 4. Juni 1989 auf dem Platz des Himmlischen Friedens (Tiananmen) bis heute noch steckt.

Hu war von 1981 bis 1987 Generalsekretär der KPCh und befürwortete begrenzte politische Reformen. Sein Tod im April 1989 war einer der Gründe, warum sich Studenten auf dem Tiananmen-Platz versammelt hatten. Diese Demonstrationen für mehr demokratische Rechte bezeichnen die stalinistischen Bürokraten bis auf den heutigen Tag als "konterrevolutionäre Aufstände" oder "politische Unruhen", um die blutige Unterdrückung zu rechtfertigen.

Wie schon 1989 stützt sich die Führung der KPCh auf eine sehr schmale gesellschaftliche Basis und versucht aus diesem Grund unter Präsident Hu Jintao ihr Ansehen bei den Mittelschichten zu verbessern. Um das zu erreichen, muss sie aber den Ärger und die Feindschaft besänftigen, die die Ereignisse auf dem Tiananmen-Platz hervorgerufen haben. Die Initiative, Hu Jaobang Respekt zu zollen, ist ein vorsichtiger Schritt in diese Richtung.

Die Feierlichkeiten sollen in Peking in der Großen Halle des Volkes, in Henan, Hus Heimatstadt in der Provinz, sowie in der Provinz Jiangxi, wo er begraben ist, begangen werden. Eine offizielle Biographie und seine "Gesammelten Werke" wurden veröffentlicht. Hu Dezi, der Neffe des verstorbenen Führers, bestätigte, dass die Behörden der Provinz Hunan von Peking angewiesen worden sind, einen Hu-Jaobang-Gedächtnispark mit einem Denkmal, einem öffentlichen Platz und einer Ausstellungshalle zu bauen.

Ein ungenannter Vertreter der Kommunistischen Partei sagte der Washington Post, dass die Führung nicht bereit sei, ihre Position zu den Ereignissen von 1989 grundlegend zu ändern, dass Hus Rehabilitation aber ein Zeichen des Wandels darstelle. "Wenn die Partei ihre Position zu Hu Jaobang ändern kann, dann kann sie auch ihre Position zum 4. Juni und zu politischen Reformen ändern", sagte er. Die KPCh steht nicht kurz davor, ihre Verbrechen einzugestehen, aber sie versucht, ihr Bild in der Öffentlichkeit abzumildern.

Hu Jaobang war ein Protegé des verstorbenen "obersten Führers" Deng Xiaoping und spielte nach Mao Tsetungs Tod 1976 eine zentrale Rolle bei Dengs Aufstieg zur Macht. Mit seiner öffentlichen Kritik an Maos verheerender "Kulturrevolution" der sechziger und siebziger Jahre bereitete Hu die Rehabilitierung Dengs, die Wende zu Marktreformen und die Politik der "Offenen Tür" für ausländisches Kapital vor.

Anfang der achtziger Jahre ging Hu noch weiter. Er ermutigte Kritik an der autokratischen Herrschaft der Partei und erhielt dafür Unterstützung von Schichten kleinbürgerlicher Intellektueller, die eine größere politische Rolle für sich beanspruchten. Hu fiel 1987 einer Säuberung Dengs zum Opfer, als seine Politik zu einer Welle von Studentenprotesten führte, die den Führungsanspruch der Partei in Frage stellten.

Deng befürchtete, das Regime könne von unten bedroht werden, wenn die politische Kontrolle gelockert werde. Seine Politik hatte schon zur Auflösung der Landkommunen geführt, und die Deregulierung der Staatsindustrie brachte wachsende Arbeitslosigkeit mit sich. Diese Prozesse schufen eine stärkere soziale Polarisierung, zumal die Familien der chinesischen Führer sich in die Profitmacherei stürzten und dafür sorgten, dass sich Misstrauen ausbreitete.

Hus Tod im April 1989 bestätigte Dengs Befürchtungen. Pekings Studenten betrauerten Hus Tod und organisierten eine Kundgebung, die ursprünglich die Regierung unterstützte und sich nur gegen die Korruption offizieller Stellen richtete. Doch schnell wurden weitergehende Forderungen erhoben und demokratische Rechte verlangt. Hus Nachfolger als Parteiführer, Zhao Ziyang, bemühte sich, die ständig anschwellenden Demonstrationen auf dem Platz des Himmlischen Friedens mit Versprechen begrenzter politischer Reformen unter Kontrolle zu bringen. Damit wollte er vor allem die Rolle der Staatsbürokratie begrenzen, die Privatwirtschaft fördern und die Unterstützung von Teilen der Mittelschichten gewinnen.

Aber die Demonstrationen gingen weiter und gewannen die Unterstützung Hunderttausender Arbeiter in Peking und anderen Städten, die ihre eigenen Forderungen gegen galoppierende Inflation, wachsende Arbeitslosigkeit und soziale Ungleichheit vorbrachten. Aus Furcht vor einer drohenden Revolte der Arbeiterklasse befahl Deng, Truppen nach Peking zu verlegen und die Proteste zu unterdrücken. Hunderte, wenn nicht Tausende, kamen dabei ums Leben.

Zhao Ziyang wurde entfernt und unter Hausarrest gestellt, weil er die "politischen Unruhen" gefördert habe. Graue Eminenzen der Partei und Armeeführer ersetzten Zhao durch Jiang Zemin. Dieser machte in den neunziger Jahren keinerlei Zugeständnisse in Fragen demokratischer Rechte und reagierte mit rücksichtsloser Unterdrückung auf jedes Anzeichen von Unruhe, besonders unter Arbeitern. Jeder der die offizielle Version der Ereignisse vom Juni 1989 anzweifelte, geriet sofort unter Verdacht und hatte politische Maßnahmen zu gewärtigen.

Jedes Jahr reagiert die chinesische Führung mit großer Nervosität auf den Jahrestag des 4. Juni. Die staatlich kontrollierten Medien zensieren jede Erwähnung des Massakers, die Sicherheitskräfte stehen Gewehr bei Fuß, und bekannte politische Dissidenten werden unter polizeiliche Beobachtung gestellt. Auch dieses Jahr überschwemmten die chinesischen Behörden den Platz des Himmlischen Friedens mit Polizei und Geheimagenten in zivil, um sicherzustellen, dass keine Proteste aufkämen.

Der Tod von Zhao Ziyangs Anfang diesen Jahres sorgte in Peking für eine beträchtliche Krise. Die chinesischen Behörden fürchteten, dass jedes öffentliche Gedenken an Zhao zum Anlass für erneute massenhafte Unmutsbekundungen werden könnte.

Internationales Kapital strömt ein

1989 verurteilten westliche Führer das Massaker auf dem Tiananmen-Platz als ein Verbrechen des Kommunismus an der Demokratie, während Peking betonte, es habe das "sozialistische System" verteidigen müssen. Heute erscheinen diese beiden zynischen Behauptungen als völlig absurd.

Noch ehe die Krokodilstränen getrocknet waren, begannen internationale Investoren Milliarden Dollar nach China zu pumpen. Sie sahen, dass China bereit war, mit den extremsten Methoden gegen politische Opposition, vor allem von Arbeitern, vorzugehen. Die stalinistische Bürokratie reagierte mit einer Beschleunigung der Marktreformen in einem Ausmaß, wie sie es in den achtziger Jahren nicht gegeben hatte.

Der erste Wirtschaftsbericht der OECD zu China vom 16. September lobte enthusiastisch Chinas "große Erfolge" bei der Umstrukturierung der Märkte. Er zeigte auf, dass der private Sektor inzwischen 57 bis 65 Prozent des nicht-landwirtschaftlichen Bruttoinlandsprodukts (BIP) erwirtschaftete. Von 1998 bis 2003 erhöhte sich der Ausstoß privater Unternehmen um das fünffache, das der ausländischen Unternehmen um das dreifache. Von 1995 bis 2005 wurden etwa 150.000 Staatsfirmen, d. h. die Hälfte, geschlossen oder privatisiert. Seit 1998 sind sechzehn Millionen Arbeiter entlassen worden.

In dem sogenannten chinesischen "Wirtschaftswunder" schuften Dutzende Millionen chinesische Arbeiter unter entsetzlichen Bedingungen für minimale Löhne. Die Reihen der Arbeiterklasse werden ständig durch Millionen Bauern verstärkt, die von hohen Steuern, Armut oder Mangel an Land auf der Suche nach Arbeit in die Städte getrieben werden. Armut, Arbeitslosigkeit und eine repressive Bürokratie entfachen zahlreiche Proteste, die zwar isoliert sind, an denen aber dennoch Zehntausende beteiligt sein können.

Eine Studie des chinesischen Arbeits- und Sozialministeriums warnte im vergangenen Monat, dass die sozialen Spannungen bis 2010 ein alarmierendes Ausmaß annehmen und die politische Stabilität unterhöhlen könnten, wenn nichts getan werde, um den Unterschied zwischen Arm und Reich und zwischen Stadt und Land zu reduzieren. Die neue Führung unter Präsident Hu Jintao würde zwar nicht zögern, politische Repressionen einzusetzen, aber sie versucht auch neue politische Mechanismen zu finden, um ihre Herrschaft zu stützen.

Teile der Pekinger Bürokratie versuchen das "politische Reformprogramm" Hu Jaobangs und Zhao Ziyangs aus den achtziger Jahren wiederzubeleben. Ziel ist nicht die Gewährung wirklicher demokratischer Rechte, sondern die Gewinnung der Unterstützung besser gestellter Teile der neuen chinesischen Mittelschichten als Gegengewicht gegen die Opposition der Arbeiterklasse und der Armen in Stadt und Land.

Politische Dissidenten haben schon seit langem vor den Gefahren gewarnt, die drohen, wenn eine solche Strategie unterlassen wird. Ein Kommentar in der Septemberausgabe von Cheng Ming, einer Hongkonger Zeitschrift der "Demokratiebewegung" im Ausland, drängte Peking, den Klassenkonflikt auf die Ebene "parlamentarischer Kämpfe" zu heben. Nur eine solche Reform könne "große Unruhen und Gewalt beseitigen, und Revolution und Bürgerkrieg vermeiden".

Vor seiner Amtsübernahme 2002 billigte Hu Jintao Diskussionen in Kreisen der Intelligenz über Fragen "demokratischer Reform". Auf einer Pressekonferenz am 5. September versprach Ministerpräsident Wen Jibao, dass Wahlen, die jetzt nur auf die dörfliche Ebene beschränkt sind, in den nächsten Jahren auch auf die Städte ausgedehnt werden sollten. Der Plan, Hu Jaobang zu rehabilitieren, ist ein weiterer vorsichtiger Schritt in die gleiche Richtung - man will das Massaker auf dem Platz des Himmlischen Friedens in Vergessenheit geraten lassen und mit Hilfe kosmetischer politischer Reformen künftige soziale Explosionen vermeiden.

Siehe auch:
Neue wütende Proteste in China
(19. Juli 2005)
1. Mai in China: Auszeichnungen für reiche Elite
( 19. Mai 2005)
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