Ein führendes Mitglied der Ligue Communiste Révolutionnaire (LCR), Christian Piquet, wandte sich auf einem Treffen am 4. November in Paris gegen die Forderung nach einem Rückzug der Bereitschaftspolizei aus den Arbeiterwohnvierteln, obwohl die französische Regierung sich gerade vorbereitet, die polizeiliche Unterdrückung massiv auszuweiten.
Auf dem Treffen wurde der Text für ein Flugblatt diskutiert, das bei einer nationalen Demonstration und Proteststreiks am 8. November verteilt werden sollte. Zu diesen haben die Gewerkschaften und linken Parteien aufgerufen, um gegen die weitgehenden Privatisierungen zu protestieren, die die Regierung plant oder bereits durchsetzt.
Seit zehn Tagen kämpfen die Jugendlichen in den Arbeitervororten gegen die massive Intervention der schwer bewaffneten Bereitschaftspolizei CRS in ihren Wohngebieten. Die Unruhen wurden durch den Tod zweier Jungen am 27. Oktober ausgelöst, die sich auf der Flucht vor der Polizei befanden. Der führende Sprecher der LCR, Alain Krivine, hatte in einem Kommunique auf der Web Site seiner Partei die "progressiven Kräfte" eingeladen, sich mit seiner Partei zu treffen, um über eine Reaktion auf die Situation zu beraten. Reporter der WSWS besuchten dieses Treffen.
Im Verlauf des Treffens, das von Piquet, einem Führungsmitglied der LCR und Journalisten ihrer Wochenzeitung Rouge geleitet wurde, schlugen Mitglieder der LCR-Jugendorganisation, der Jeunesse Communiste Révolutionnaire, vor, in dem Flugblatt den Rückzug der Bereitschaftspolizei aus den Trabantenstädten zu fordern. Mehrere Teilnehmer bestätigten, dass dies die Hauptforderung der Jugendlichen und Bewohner der Vorstädte sei.
Piquet sagte: "Ich stimme mit der Forderung überein, die Bereitschaftspolizei zurückzuziehen. Aber ich bin nicht sicher, ob die KPF [Kommunistische Partei] oder die LDH [Menschenrechtsliga] zustimmen werden." Andere meinten, das Problem sei nicht nur die KPF. Auch andere Organisationen, besonders die stalinistisch beeinflusste CGT und weitere Gewerkschaften, würden den Aufruf nicht unterzeichnen, wenn er diese Forderung enthielte.
Piquet stimmte zu, die Forderung vorläufig aufzunehmen, erklärte aber unmissverständlich: "Wenn sie zum Rückzug von Organisationen führt, dann werden wir die Forderung aus dem Text herausnehmen müssen." Jedem Anwesenden war klar, dass das nichts anderes heißt, als dass die LCR selbst gegen diese Forderung ist.
Der Schreiber dieser Zeilen bat Piquet, seine Erklärung noch einmal zu wiederholen, was dieser auch tat, und fragte dann alle Anwesenden, ob sie die Forderung nach dem Rückzug der CRS aus den Wohnsiedlungen unterstützten. Die meisten nickten oder ließen ihre Zustimmung auf andere Weise erkennen. Keiner wandte sich gegen die Forderung.
Einige rechtfertigten ihre Unterstützung für Piquets Position damit, dass die breitest mögliche Einheit entscheidend sei. Nach dem Treffen fragte der Autor dieses Artikels mehrere Versammlungsteilnehmer, ob sie bereit seien, mit Organisationen zusammenzuarbeiten, die die Anwesenheit der Bereitschaftspolizei in den Trabantenstädten duldeten. Im Interesse der "Einheit" wollte keiner diese Frage zu einer Bruchstelle machen. Die JCR-Vertreter hatten auch die Forderung nach einer Amnestie für die Jugendlichen, die aufgrund ihrer Proteste gegen die Polizeiprovokationen ins Gefängnis gekommen sind, erfolglos aufgeworfen. Die Antwort auf die Frage, was sie davon hielten, dass ihre Vorschläge übergangen worden waren, blieben sie schuldig.
Piquet sagte auf der Versammlung, die LCR habe alle Parteien und Organisationen der Linken eingeladen. Ungefähr zwanzig Personen waren anwesend. Die Kommunistische Partei hatte sich entschuldigt, und Annick Coupé von der linken Gewerkschaft Sud Solidaires, die ihr Erscheinen zugesagt hatte, glänzte durch Abwesenheit. Lediglich ein Vertreter der Grünen war anwesend. Außer den Mitgliedern der LCR und eines Vertreters einer kleinen, linken Gruppe kamen die übrigen Teilnehmer von antirassistischen, feministischen und anderen Protestbewegungen.
Auf einer Linie mit dem Establishment
Die Weigerung der LCR, unmissverständlich den Rückzug der CRS zu fordern, zeigt, dass sie sich auf die Seite des bürgerlichen Establishment geschlagen hat, das in der einen oder anderen Weise die gewaltsame Unterdrückung der rebellierenden Jugendlichen fordert.
Die CRS wurde nicht in die Vorstädte geschickt, um "die Menschen zu schützen", sondern um die Jugendlichen zu unterdrücken. Sie ist für ihre Brutalität und ihren Rassismus berüchtigt. Ähnlich wie Sarkozys aufstachelnde Bemerkungen über den "Abschaum" und das "Gesindel" in den Wohnstädten ist schon die Anwesenheit der CRS eine permanente Provokation.
Die "Einheit", von der die LCR spricht, ist nicht die Einheit der gesamten Arbeiterklasse, einschließlich der unterdrückten Jugendlichen der Vorstädte, sondern vielmehr das Bündnis der LCR mit den KPF-Stalinisten, den Grünen und Teilen der Sozialistischen Partei. Diese Parteien waren unter Präsident François Mitterand und der Regierung von Lionel Jospin für die Politik verantwortlich, die zur Krise in den Vorstädten geführt hat. Außerdem werden die meisten betroffenen Kommunen seit Jahrzehnten von kommunistischen und sozialistischen Bürgermeistern regiert.
Die Sozialistische Partei ruft schamlos nach polizeilicher Unterdrückung. In einer Erklärung ihrer nationalen Sprecherin für Innere Sicherheit, Delphine Batho, heißt es: "Die Sozialistische Partei erklärt ihren Respekt für die Arbeit der Sicherheitskräfte [der Polizei und CRS], der Feuerwehrleute und Sozialarbeiter in dieser extrem schwierigen Situation."
Und der Fraktionsvorsitzende der Sozialistischen Partei in der Nationalversammlung, Jean-Marie Ayrault, forderte harte Strafen für die Jugendlichen: "Ein Auto anzustecken ist kein Kavaliersdelikt und muss hart bestraft werden."
Die Kommunistische Partei gab eine Erklärung ihres Nationalkomitees unter dem Titel "Schluss mit Provokation und Verantwortungslosigkeit!" heraus. Dort heißt es: "Die Wiederherstellung von Recht und Ordnung ist von äußerster Wichtigkeit." Sie macht zwar Sarkozy für die Revolte verantwortlich und fordert seinen Rücktritt, aber sie appelliert in keiner Weise an die Arbeiterklasse, die unterdrückte Jugend in den Vorstädten zu verteidigen. Eine Dringlichkeitsliste zur Milderung der schlimmsten sozialen Probleme in den Vorstädten gipfelt in der Forderung nach mehr Geld für "die Gefängnisse".
Es ist bezeichnend, dass die LCR, die ständig allgemeine zum "Zusammenführen" der Kämpfe aufruft, alles tut, um die Jugend in den Trabantenstädten von den Millionen Arbeitern zu isolieren, die gegen die pro-kapitalistische und neoliberale Politik der französischen Unternehmer und des politischen Establishments kämpfen. Auch diese Arbeiter haben mit zunehmender polizeilicher Unterdrückung zu kämpfen. Um diese Politik zu besiegen, ist es notwendig, die Kämpfe der Jugend gegen Armut, Arbeitslosigkeit, Diskriminierung und Unterdrückung mit denen der übrigen Arbeiterklasse in einem politischen Kampf gegen den Kapitalismus zu vereinen. Genau dem geht die LCR aus dem Weg.
Die elementare Revolte der Jugend ist ein Ausdruck der Krise, die schon Anfang des Jahres zur Ablehnung der EU-Verfassung des politischen Establishments geführt hatte. Sie wird von den gleichen gesellschaftlichen Gegensätzen angetrieben, die zu einer überwältigenden Unterstützung der französischen Bevölkerung für die Streiks und Demonstrationen vom 4. Oktober geführt haben und die hinter den Kämpfen der Seeleute und der Beschäftigten des öffentlichen Nahverkehrs in Marseille gegen Privatisierungen, Arbeitslosigkeit und die Zerstörung des Lebensstandards stehen. Die Kommunistische Partei und die CGT haben alles in ihrer Macht Stehende getan, um jeden einzelnen dieser Kämpfe zu begrenzen, zu isolieren und klein zu kriegen.
Die LCR deckt jeden Verrat der Gewerkschaftsbürokratie ab, wie man vor kurzem beim Ausverkauf der Fährarbeiter durch die CGT erneut sehen konnte. Gleichzeitig geht sie in ihren Publikationen kaum auf die Revolte in den Vororten ein. Über die Ereignisse, die die Fünfte Republik in den letzten elf Tagen in ihren Grundfesten erschüttert haben, gibt es auf ihrer Web Site nur einen kurzen, vier Absätze umfassenden Kommentar aus der letzten Ausgabe von Rouge.
So viel ist klar: Die LCR ist eine Partei der Ordnung. In der zweiten Runde der Präsidentschaftswahlen von 2002 unterstützte sie stillschweigend die Kandidatur von Jacques Chirac, Frankreichs führendem bürgerlichen Politiker, als angeblich kleineres Übel im Vergleich mit dem Rechtsradikalen Jean Marie Le Pen. Krivine, Piquet und die anderen Führer der LCR sind der "linke Flügel" des französischen Establishments.
Hinter der Weigerung der LCR, eine klare Haltung für den Rückzug der CRS einzunehmen, steht ihr Bestreben, ein Bündnis mit den französischen Stalinisten und den anderen Parteien der so genannten Pluralen Linken einzugehen. Olivier Besancenot, der Präsidentschaftskandidat der LCR in der ersten Runde der Präsidentschaftswahl von 2002, hat bereits eine mögliche "anti-kapitalistische" Wahlallianz mit der Kommunistischen Partei und dem SP-Flügel, der gegen die Europäischen Verfassung war, vorgeschlagen. Es ist nicht zu übersehen, dass die LCR auf einen Ministerposten in der Neuauflage einer Regierung der Pluralen Linken spekuliert.
Lionel Jospins Regierung der Pluralen Linken wurde 2002 von den Wählern wegen ihrer unternehmerfreundlichen Politik ganz klar abgewählt. Die LCR ist bereit, ihre Dienste anzubieten, um eine neue Koalition aus KP und SP von links abzudecken und ihr Glaubwürdigkeit als angebliche Alternative zur Politik von Chirac, Villepin und Sarkozy zu verleihen.
Für alle politischen Kräfte von rechts bis links hat die polizeiliche Unterdrückung der Jugendrevolte im Moment oberste Priorität.
Alle Mitglieder der LCR, die noch über ein elementares Klassenbewusstsein und einen Sinn für politische Prinzipien verfügen, müssen von der feigen Haltung Krivines und anderer Führer der LCR angewidert sein.
Die französischen Arbeiter müssen alle prinzipienlosen Aufrufe zur Einheit der Bürokratien der verschiedenen "linken" Organisationen zurückweisen. Sie zielen darauf ab, Arbeiter und Jugendliche in ihrem Kampf gegen die Wirtschaftsinteressen und ihre Vertreter im politischen Establishment zu isolieren. Diese Politik führt nur dazu, die Arbeiterklasse und den Sozialismus in den Augen der unterdrückten Jugend zu diskreditieren.
Die Forderung nach der Verteidigung der Jugendlichen in den Trabantenstädten und dem Rückzug der Bereitschaftspolizei muss Teil des Kampfs sein, die Arbeiterklasse hinter einem sozialistischen Programm zu vereinen. Dieses hat zum Ziel, das Profitsystem durch ein System zu ersetzen, das die Reichtümer der Gesellschaft zur Befriedigung ihrer Bedürfnisse, nicht zur Bereicherung der Elite nutzt.