1. Mai in China: Auszeichnungen für reiche Elite

Die Liste der "Modellarbeiter", die anlässlich der diesjährigen chinesischen Maifeierlichkeiten ausgezeichnet wurden, offenbart einmal mehr den kapitalistischen und nationalistischen Charakter des stalinistischen Regimes in Peking. Unter den etwa 3000 Menschen, die für ihren angeblichen "selbstlosen Beitrag zum Unterfangen des sozialistischen Aufbaus" geehrt wurden, stachen 30 führende Geschäftsleute und der Star der amerikanischen National Basketball Association (NBA) Yao Ming hervor.

Seit sich die Kommunistische Partei Chinas 1978 für den freien Markt entschied und das Land für ausländisches Kapital öffnete, hat der Maifeiertag seine traditionelle Symbolik für das Regime verloren. Einst als Feier der Arbeiterklasse verklärt und zum Anlass für pseudosozialistische Rhetorik über den Aufbau einer neuen Gesellschaft genommen, werden die einwöchigen Ferien seit Mitte der 90er Jahre als "goldener Urlaub" für die neu entstandene städtische Mittelklasse propagiert, die an diesen Tage einkaufen gehen und Chinas Konsumausgaben stärken können.

Die besondere Aufmerksamkeit der staatlich kontrollierten Medien wurde Yao Ming zuteil, dem von den Houston Rockets verpflichteten Nationalspieler. Die chinesische Regierung erklärte, er habe sich zum Modellarbeiter qualifiziert, da seine bekannte Aussage: "Für das Vaterland bin ich immer im Dienst" ein Beispiel "patriotischen Geistes" sei.

Die Los Angeles Times kommentierte am 28. April: "Für viele seiner Fans ist der ‚kleine Riese’, wie man Yao hier liebevoll nennt, ein patriotisches Aushängeschild. Als Bedingung für seinen Wechsel in die NBA musste er sein halbes Gehalt dort an chinesische Sportverbände abtreten. Es ist unklar, wie viel von den 70 Millionen Dollars sie ihm abnehmen werden, die er voraussichtlich während der nächsten zehn Jahre zusätzlich von Firmen wie McDonalds, Apple, Visa, dem Uhrenhersteller Tag Heuer und dem GPS-Hersteller Garmin kassieren wird."

Neben der nationalistischen Propaganda diente Yaos Ernennung zum Modellarbeiter dem Regime auch dazu, Unterstützung bei Jugendlichen aus der Mittelklasse zu erwerben und die Illusion zu schüren, dass ein Individuum durch Chinas Eingliederung in den kapitalistischen Weltmarkt ein gewaltiges Vermögen anhäufen könne.

Zur Auszeichnung von Privatunternehmern bemerkte die Los Angeles Times : "Um den Auszeichnungen in diesem Jahr mehr Legitimität zu verleihen, nahmen die Autoritäten Veränderungen vor. Kapitalisten, einst als Unterdrücker des Volkes gesehen, können nun die höchste Ehrung der Nation erhalten."

Zu den diesjährigen Modellarbeitern zählt beispielsweise der Geschäftsmann Liu Yonghao, laut Forbes -Magazin reichster Mann Chinas. Ein weiterer Unternehmer, dem dieser Titel zuteil wurde, ist der Präsident der Fujian Hengan Gruppe, dessen Steuerzahlungen sich im letzten Jahr auf 200 Millionen Yuan (24 Mio. US-Dollar) beliefen.

Dutzenden Millionen chinesischen Arbeitern, die lange Arbeitszeiten, schlechte Bezahlung und schreckliche Arbeitsbedingungen ertragen müssen, bedeutete der Feiertag und die Auszeichnung der Modellarbeiter wenig. In vielen Fällen erhielten sie nicht einen einzigen freien Tag, geschweige denn eine "goldene Woche".

Wei Yanzhou, ein 42 Jahr alter Schweißer, der in Peking arbeitet und für einen zwölfstündigen Arbeitstag 100 Dollar monatlich erhält, sagte der LA Times : "Sie werden niemals einen von uns [als Modellarbeiter] auswählen." Der Maurer Zhu Zhou sagte: "Wir essen dreimal täglich Kohl. Manchmal ist Sand im Reis. Fleisch bekommen wir vielleicht zweimal die Woche. Wir bekommen nicht einmal genug Trinkwasser, von einer Dusche ganz zu schweigen." Ein weiterer Arbeiter, Fu Xiewen, erklärte: "Sie sollten uns als Modellarbeiter nehmen. Yao Ming kennt schon jeder. Er ist ein Star. Wir sind Niemande."

Während der einwöchigen Ferien kam es zu Streiks und Aufständen von Arbeitern gegen verschiedene Ungerechtigkeiten. Die Antwort waren polizeiliche Repressionen.

Laut Radio Freies Asien protestierten am Vorabend des Maifeiertages etwa 2000 Kohlebergleute verschiedener staatlicher Minen aus dem Gebiet Gong, Provinz Sezhuan, vor den Gebäuden der lokalen Verwaltung und stießen dabei mit den Ordnungshütern zusammen. Anlass der Proteste waren Spekulationen, sie würden durch die Umstrukturierung und Schließung von Staatsbetrieben ihre Jobs verlieren. Mehrere Arbeiter wurden von der Polizei verletzt und ins Krankenhaus eingeliefert.

Am 5. Mai protestierten in Guangzhou, Hauptstadt der südlichen Provinz Guangdong, etwa 700 Arbeiter einer taiwanesischem Schuhfabrik gegen niedrige Löhne und die Zusammenstreichung der Maiferien auf lediglich einen freien Tag. Eine Stunde lang blockierten Arbeiter eine Hauptverkehrsstraße, bis die Polizei anrückte und die Demonstration auflöste. Die Arbeiter klagten über mehr als 180 Überstunden pro Monat, wobei ihr Monatsgehalt nur 510 Yuan (63 US-Dollar) beträgt - das entspricht einem Stundenlohn von gerade 1,8 Yuan (20 US-Cent).

Am gleichen Tag starben zwölf Kohlebergleute bei einer Gasexplosion in einer Mine im Gebiet Touqiuan in der inneren Mongolei. Jedes Jahr werden bei Arbeitsunfällen Zehntausende chinesischer Arbeiter getötet oder verstümmelt.

Die Instabilität der Klassenbeziehungen in China wurde zusätzlich durch die brutalen Maßnahmen unterstrichen, mit denen Peking gegen Aufrufe zu größeren Protestversammlungen zum Jahrestag der "Bewegung 4. Mai" vorging. Die Organisatoren der jüngsten antijapanischen Proteste hatten solche Versammlungen zum Gedenken an die Ereignisse von 1919 gefordert.

In der Befürchtung, Veranstaltungen zum 4. Mai könnten sich zu Demonstrationen der Arbeiterklasse entwickeln, verhaftete das Regime Dutzende Menschen und schloss viele antijapanische Websites. In Shanghai nahm die Polizei Tang Hua fest, den Organisator der größten Proteste vom 16. April. Er wurde in der Folge zu fünf Jahren Gefängnis verurteilt.

Unter dem Vorwand, der Tiananmen-Platz werde für eine Zeremonie zur Ehrung achtzehnjähriger Schüler benötigt, riegelte die Polizei das Gebiet ab, so dass es zu keiner Massenversammlung kommen konnte. Universitäten der Hauptstadt warnten ihre Studenten, jeder, der an Protesten teilnähme, werde von der Universität entfernt.

Die antijapanischen Proteste des letzten Monats waren vom Regime stillschweigend unterstützt worden. Sie wurden von sozial bessergestellten Schichten dominiert, die vom kapitalistischen Markt profitiert haben. Peking befürchtet jedoch, dass jedwede Bewegung, sei sie auch anfangs regierungsfreundlich, zum Vehikel für Arbeiter werden könnte, ihre sozialen und demokratischen Forderungen zu stellen.

Im vergangenen Monat traten die 10.000 Arbeiter der japanischen Elektronikfirma Uniden, die in der Sonderwirtschaftszone von Shenzhen schnurlose Telefone für Walmart produziert, zum zweiten Mal dieses Jahr in Streik, um eine unabhängige Gewerkschaft zu fordern. Der Streik endete mit brutaler polizeilicher Unterdrückung. Während der antijapanischen Proteste traten weitere 2000 Arbeiter in den Ausstand. Sie protestierten gegen die Arbeitsbedingungen in einer japanischen Fabrik in der nahegelegenen Industriestadt Dongguan. Diese Aktionen eröffneten die Aussicht auf eine breite Bewegung, die sich nicht nur gegen die Bedingungen in japanischen Unternehmen richtet, sondern auch gegen ähnliche Zustände in anderen ausländischen und chinesischen Betrieben.

Ein Editorial der amerikanischen Business Week kommentierte am Vorabend des 4. Mai, Peking werde es nicht zulassen, dass irgendwelche Protestaktionen einen Punkt erreichten, an dem sie "zur Bedrohung für den Zufluss ausländischer Investitionen" oder die politische Stabilität in China werden könnten.

"Natürlich hat Peking nichts gegen antijapanische nationalistische Ausbrüche. Sie wirken wie ein Ventil, das es den über Regierungskorruption, Jobverluste oder unbegrenzte Habgier erbosten Bürgern erlaubt, ein wenig Dampf abzulassen, sich hierbei aber nicht gegen die chinesische Regierung zu wenden. Doch selbst hier bestehen Grenzen, wie weit Peking es seinem Volk gestatten wird, sich auf diese Weise Ausdruck zu verschaffen. Diese Grenzen sind erreicht, wenn die Proteste Chinas Wirtschaftinteressen in Gefahr bringen..."

In anderen Worten: Wohlstand und Privilegien der Minderheit, die das stalinistische Regime an diesem 1. Mai gefeiert hat, beruhen auf der Ausbeutung, Armut und andauernden Unterdrückung der großen Masse von chinesischen Arbeitern und armen Bauern.

Siehe auch:
Anti-japanische Proteste und der reaktionäre Charakter des chinesischen Nationalismus
(12. Mai 2005)
Chinas schlimmste Grubenexplosion seit sechzig Jahren
( 10. März 2005)
China und die SARS-Epidemie
( 8. Mai 2003)
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