Dies ist ein Nachruf auf den bekannten Nazi-Jäger Simon Wiesenthal, der am 20. September im Alter von 96 Jahren in Wien starb.
"Nur eine Gesellschaft, die sich zur historischen Wahrheit bekennt, kann aus der Vergangenheit lernen"
Simon Wiesenthal war ein couragierter Mann, der nach dem Zweiten Weltkrieg eine bedeutende Rolle dabei spielte, Nazi-Größen vor Gericht zu bringen.
In seinen Bemühungen "Recht, nicht Rache" zu erreichen und Zehntausende aufzuspüren, die im Dritten Reich am Völkermord beteiligt waren, war er geradezu verbissen. Als Überlebender fühlte er sich verpflichtet für die Toten zu sprechen, die Grundlage für die moralische Wiedergutmachung der Juden zu schaffen und zukünftige Generationen gegen die Empfänglichkeit für den Faschismus immun zu machen.
Er war der Auffassung, die größte Abschreckung vor Verbrechen gegen die Menschlichkeit bestehe darin, dass die Verantwortlich fürchten müssen, gejagt und von einem Gericht zur Verantwortung gezogen zu werden - mit den größtmöglichen Auswirklungen auf das öffentliche Bewusstsein.
Während Kriegsverbrechertribunale heute als Schauprozesse für offen imperialistische Zwecke benutzt werden (wie in den Fällen Slobodan Milosevic und Saddam Hussein), setzten die Nürnberger Prozesse nach dem Zweiten Weltkrieg ein eindrucksvolles Vorbild. Sie rückten die Nazi-Verbrechen ins Licht der Öffentlichkeit und schufen ein öffentliches Bewusstsein für die Verbrechen der Schuldigen.
Wiesenthal half dabei, 1.100 ehemalige Nazis vor Gericht zu bringen, und machte dies zu seiner Lebensaufgabe. Seine Haltung war stets umstritten: Er widersprach jenen Zionisten, die einfach die Hinrichtung aller gefangenen Nazis forderten, stellte sich gegen die vom Autor Daniel Goldhagen vorgebrachten Argumente einer "Kollektivschuld", wies Eli Wiesels Haltung zurück, Millionen nichtjüdischer, durch die Nazis ermordeter Menschen nicht zu erwähnen - und nutzte dazu jede Möglichkeit medialer Aufmerksamkeit und Öffentlichkeit.
Wiesenthal war in vieler Hinsicht ein Anti-Intellektueller, und seine politische Laufbahn schwankte sowohl nach links als auch nach rechts. Vom Standpunkt seiner selbst gewählten Aufgabe gesehen ist es ein großer Mangel, dass er nie versuchte, die grundlegenden politischen Zusammenhänge zu verstehen, die zum Aufstieg des europäischen Faschismus führten. Diese intellektuell und politisch schwierigen Fragen umging er und blieb ein unkritischer bürgerlich Liberaler.
In schwierigen politischen Entwicklungen machte ihn das orientierungslos. Und wie viele andere seiner Generation wurde er politisch immer konservativer.
Während seine Arbeit in früheren Jahren die westlichen Mächte in Verlegenheit brachte, spielte er ab den 70er Jahren eine nützliche, halboffizielle Rolle für sie und wurde in vielen Kreisen zu einer Celebrity für "Menschenrechte". Er passte sich rechten Kreisen an - von Helmut Kohl bis Ronald Reagan - und sah weg, wenn die Arbeiterklasse angegriffen wurde. Insbesondere billigte er die Verbrechen des Staates Israel an der palästinensischen Bevölkerung. Er hat niemals eine Verbindung zwischen dem Kapitalismus, den ihm innewohnenden sozialen Spannungen und dem Aufkommen des Faschismus hergestellt. Da er diesen Zusammenhang nicht verstand, konnte er keinen Weg vorwärts und keine Zukunftsperspektive aufzeigen. Stattdessen stärkten seine politischen Verbindungen die Rechten und verwirrten jene, die ihn respektierten.
Stalinistische Verfolgung
Simon Wiesenthal wurde 1908 in Galizien in der Ukraine geboren, das in der Zwischenkriegszeit zu Polen gehörte. Als er sieben Jahre alt war, zog seine Familie nach Wien um, wo er aufwuchs. Als junger Mann studierte er in Prag Architektur und gründete dann ein kleines Büro in Lemberg, der größten Stadt Galiziens.
1939 wurde Galizien den Vereinbarungen des Hitler-Stalin-Paktes gemäß unter sowjetische Hoheit gestellt. Der NKWD (der sowjetische Geheimdienst) begann Mitglieder der jüdischen Intelligenz zu verhaften. Wiesenthals Stiefbruder wurde erschossen und sein Stiefvater starb in einem sowjetischen Gefängnis. Simon gelang es, einen Beamten zu bestechen und für sich und seine Frau Papiere für die Flucht zu bekommen. Die verbliebenen Juden wurden weitgehend nach Sibirien deportiert.
Diese Erfahrungen mit dem Stalinismus bildeten die Grundlage für seinen lebenslangen Antikommunismus. Seine Biographin, Hella Pick, bemerkte zu Wiesenthals Haltung: "Es erfordert nicht sonderlich viel Nachdenken: In Galizien hatten wir genug Erfahrungen aus erster Hand mit dem Kommunismus.’" Er fühlte sich erst durch rechte Zionisten angezogen, danach durch die Jabotinski-Revisionisten, sympathisierte später mit dem moderaten Zionismus und endete mit der Haltung: "Ich stimme für Personen, nicht für politische Parteien."
Im Juni 1941 brachen die Deutschen den Nichtangriffspakt mit der Sowjetunion und besetzten das sowjetisch kontrollierte Polen. SS-Truppen unter dem Kommando von Reinhard Heydrichs kamen mit Einsatzgruppen, die den Befehl hatten, die "bolschewistische Intelligenz" zu exekutieren, womit Juden und Sozialisten gemeint waren.
In seiner Autobiographie "Die Mörder sind unter uns" erinnert sich Wiesenthal, wie er den Nazis das erste Mal nur knapp entkommen konnte. Er hatte sich im Keller seines Hauses versteckt und spielte mit einem jüdischen Freund Schach. Man fand sie und steckte sie ins Brigidki-Gefängnis. Im Hof des Gefängnisses waren bereits etwa 40 Juden, Lehrer, Rechtsanwälte, Ärzte. Ihnen wurde befohlen, sich in einer Reihe aufzustellen und die Arme in den Nacken zu legen. Bei jedem dieser Männer stand eine Holzkiste. Dann begann die Erschießung. Von links nach rechts der Reihe nach wurde jedem Juden ins Genick geschossen.
Nach jedem Schuss verging etwas Zeit, bis man den Körper in die Kiste gelegt und fortgebracht hatte. Als Wiesenthal an der Reihe war, begannen die Glocken zu läuten und ein Ukrainer rief: "Genug, Abendmesse". Die Erschießung wurde für diesen Tag beendet. Die 20 verbliebenen Juden wurden in zwei Zellen gebracht. Wiesenthal wurde später aus der Zelle von einem Bauarbeiter befreit, mit dem er zusammen gearbeitet hatte. Sechstausend Juden wurden in diesem Gebiet ermordet.
Wie bei vielen andern, die die Kombination der stalinistischen Verfolgungen mit dem Hitler-Stalin-Pakte erlebten, bewirkten diese bitteren Erfahrungen auch bei Wiesenthal, dass er seine Hoffnungen auf einen liberalen Kapitalismus setzte und die Möglichkeit eines unabhängigen sozialistischen Weges der Arbeiterklasse zurückwies.
Vier Jahre in den Lagern der Nazis
Wiesenthal wurde wieder aufgegriffen und verbrachte insgesamt vier Jahre in Nazi-Lagern wie dem Arbeitslager Janowska, den Eisenbahnreparaturwerken im Osten und den Konzentrationslagern Plaszow und Mauthausen.
Die Erfahrungen in Mauthausen, wo 119.000 Menschen - davon 38.000 Juden - umgebracht wurden, überzeugten Wiesenthal, dass alle Opfer das gleiche Recht hatten, erinnert zu werden. In diesem Lager waren Sinti und Roma, Homosexuelle, Zeugen Jehovas und Spanienkämpfer. Zusammengenommen waren Gefangene aus 25 Ländern dort, einschließlich aus Ländern wie China, Ägypten, den USA, Kanada und Albanien. "Ich trenne die Opfer nicht", sagte Wiesenthal noch Jahre später.
Neunundachtzig Mitglieder seiner Familie kamen in den Lagern um, einschließlich seiner Mutter, die er das letzte Mal sah, als man sie auf einen LKW verlud, dessen Ziel das Vernichtungslager Belzec war.
Nach seiner Befreiung aus Mauthausen verbrachte er kurze Zeit in einem Vertriebenenlager. Sofort erklärte er sich freiwillig bereit, die Amerikaner bei der Verfolgung der Nazis zu unterstützen. Er arbeitete vom Juni 1945 bis zum Ende desselben Jahres für das Office of Strategic Services (OSS), sammelte Informationen und verhaftete Mitglieder der SS. Das OSS schloss sein Büro und verwies Wiesenthal an das CIC (Counterintelligence Corps). Ein Großteil seiner lebenslangen Arbeit drehte sich um Fälle aus diesen wenigen Nachkriegsmonaten, als es noch relativ leicht war, SS-Leute aufzuspüren.
Die Nürnberger Prozesse
Diese anfängliche Arbeit der Amerikaner mündete in die berühmten Nürnberger Prozesse. Zurückgehend auf einen Vorschlag Roosevelts, wurden die Prozesse von den Aliierten durchgeführt, um die Nazi-Führung anzuklagen. Beim ersten und bedeutsamsten Prozess, durchgeführt von einem internationalen Militärgericht der Alliierten, wurden zwölf Nazigrößen zum Tod durch den Strang verurteilt. Unter ihnen befanden sich Hermann Goering, Julius Streicher, Joachim von Ribbentrop und Hans Frank. Sieben weitere wurden zu Gefängnis verurteilt.
Bereits zur Zeit des ersten Prozesses veränderte sich die politische Lage. Am 5. März 1946, mitten in der Anklagephase, hielt Winston Churchill seine Rede vom "Eisernen Vorhang" und signalisierte damit das Zerbrechen der Nachkriegsallianz.
Mit dem Einsetzen des Kalten Krieges hatten die USA immer weniger Interesse an der Verfolgung der Nazis. Elf Prozesse folgten dem ersten in Nürnberg, führten aber nur zu etwa 175 Verurteilungen. Im Vergleich dazu listete das in Ludwigsburg ansässige Zentrale Büro zur Koordinierung der Aufklärung von Kriegsverbrechen etwa 100.000 Verdächtige auf.
Wie man heute weiß, wurden Tausende Nazis - besonders die bekannteren - nach Lateinamerika geschleust, wieder in die höchsten Ebenen der deutschen Gesellschaft integriert oder von den Amerikanern mit antikommunistischen Aufgaben betraut.
Wiesenthal war über den zunehmend nachlassenden Eifer der Amerikaner enttäuscht - vor allem von der Weigerung, eine intensive Suche nach Adolf Eichmann einzuleiten, von dem man annahm, dass er sich in der österreichischen US-Zone aufhielt.
1947 gründete er sein eigenes Jüdisches Historisches Dokumentationszentrum. Er besuchte die Vertriebenenlager und erfasste die Berichte Überlebender: wo sie gewesen waren, wen sie gesehen hatten und was sie bezeugen konnten. Nach sechs Monaten hatte er eine Liste mit etwa 1.000 Orten von Verbrechen und Zeugen dafür.
Seine Arbeit sprach sich unter den Überlebenden schnell herum, und er erhielt weiterhin Informationen aus ganz Deutschland und Österreich. Wiesenthal wollte sie sammeln und den Amerikanern übergeben. Sein Leben war asketisch. Zuweilen schrieb er Zeitungsartikel, um ein Einkommen für sein Überleben zu haben.
In dieser Zeit begann die Fehde zwischen Wiesenthal und dem Jüdischen Weltkongress (WJC) zu eskalieren. Wiesenthal war ein ausgesprochener Gegner der Linie der Brichah (einem Vorläufer des Mossad), mittlere Nazis einfach hinzurichten. Wiesenthal war viel mehr daran interessiert, die Nazis vor Gericht zu stellen.
Tatsächlich gehörte Wiesenthal niemals zur zionistischen Elite. Oft versorgte er sie mit Informationen und drängte sie zu handeln, wurde aber zumeist schroff abgewiesen. Er kam zu dem Ergebnis, dass sie nicht wirklich daran interessiert war, Nazis aufzuspüren, und es ihm verübelte, dass er es auf eigene Faust tat. Obwohl er weiterhin auf die Hilfe Israels hoffte, zog er es vor, wie er sagte, "in die Höhle des Löwen zu gehen" und die Massenmörder selbst aufzuspüren.
In dieser Zeit arbeitete Wiesenthal vor allem am Eichmann-Fall. Eichmann war nicht nur Teilnehmer der Wannsee-Konferenz von 1942 gewesen, auf der die "Endlösung der Judenfrage" beschlossen wurde, sondern er hatte die Aufgabe übernommen, sie umzusetzen. Er verkörperte den Typ des Schreibtischtäters, den aufzuspüren Wiesenthals Spezialität war.
Nach dem Krieg gab es keine Spur von Eichmann und seine Ehefrau versuchte, ihn für tot erklären zu lassen, was damals ein üblicher Trick der Ehefrauen von Kriegsverbrechern war. Wiesenthal setzte diesem Versuch eidesstattliche Erklärungen von Zeugen entgegen, die Eichmann lebend gesehen hatten. Später erfuhr er, dass Eichmann in einem Kloster bei Rom versteckt und nach Argentinien gebracht worden war.
Er brauchte nun eine Organisation mit größeren Möglichkeiten, um den aus Europa entwichenen Eichmann zu erreichen. Er informierte Nahum Goldman, den Präsidenten des WJC und übergab ihm detaillierte Informationen. Obwohl Goldman ihm versicherte, dass der WJC den Informationen nachgehen würde, gerieten sie nicht nur in Vergessenheit, sondern Goldman leugnete später, sie jemals erhalten zu haben. Es war außerdem offensichtlich, dass die israelische Regierung keine Hilfe gewähren würde, weil sie mit der Kontrolle über die Palästinenser beschäftigt war.
Wiesenthal arbeitete in Wien überwiegend allein und wurde durch die Korrespondenz aus aller Welt unterstützt. Seine Methode war es, aus Tausenden Quellen die Informationen über die Naziverbrechen, ihren Ort und die Zeugen zusammenzutragen. Danach zwang er die Rechtsorgane aktiv zu werden. Das war eine Vorgehensweise, deren Erfolg weitgehend von der öffentlichen Meinung und sympathisierenden Regierungsbeamten abhing.
1954, mittellos und niedergeschlagen, schloss er sein Dokumentationszentrum und übergab seine gesamte Informationssammlung an das Yad-Vashem-Archiv in Jerusalem. Er hielt nur einen Dokumentensatz zurück - den über Eichmann.
Geopolitische Interessen halten die Entnazifizierung in Grenzen
Es gab einen Grund für das mangelnde Interesse der Behörden, in der Zeit des aufkommenden Kalten Krieges Wiesenthals Verfolgung der Nazi- Kriegsverbrecher zu unterstützen. Seine Bestrebungen durchkreuzten die Politik der Großmächte. Die Engländer und Amerikaner zeigten kein Interesse, die Nazis zu bestrafen, beendeten die beschränkte Entnazifizierung und integrierten die Deutschen in ihre Allianz des Kalten Krieges. Die Israelis wiederum waren damit beschäftigt, ihren Landraub in Palästina zu sichern, und waren nicht bereit, Wiesenthal zu helfen.
Um Wiesenthals Arbeit einzuordnen, muss man diese geopolitischen Veränderungen der Nachkriegsperiode untersuchen.
Nachdem der Kalte Krieg ernsthaft begonnen hatte, setzten die USA auf die Wiederbewaffnung Deutschlands. Die deutsche Oberschicht forderte als Preis, dass die Nazivergangenheit unter den Teppich gekehrt wurde. Ein Leitartikel der Saturday Evening Post warnte damals: "Die Nürnberger Urteile hemmen die Bereitschaft Deutschlands, den Westen zu verteidigen", und behauptete, die Prozesse wären eine "unrealistische Mischung aus Moral und Vergeltung". [1]
Wiesenthal berichtete von den Worten eines amerikanischen Offiziers, der damit beschäftigt war, die Archive in Nürnberger zu schließen: "Europa kann nicht ohne die Deutschen gegen die Russen verteidigt werden. Wir müssen die deutsche Armee wieder aufbauen, aber das gelingt nicht, wenn die deutsche Offizierskaste im Gefängnis sitzt."
Als sich der Ost-West-Konflikt verschärfte, wurde in der amerikanischen Presse nur noch im Zusammenhang mit Angriffen auf Stalin und den Sowjetblock von Völkermord gesprochen.
Die USA begannen ein intensives Wettrennen mit der UdSSR, um die besten Köpfe unter den Nazi-Wissenschaftlern, Geheimdienstspezialisten und anderen nützlichen Berufen in die USA zu holen. Der Rahmen war weit gesteckt. Das American Office of Special Investigations gab später zu, dass zwischen 1948 und 1952 mindestens 10.000 Nazis in die USA kamen. (Bis 1995 sind nur 44 abgeschoben worden.)
Die Kriegsbeute
Christopher Simpson schreibt in seinem Buch Blowback : "Alle bedeutenden Mächte betrachteten die deutschen Wissenschaftler als Kriegsbeute. Die Amerikaner, Briten und die Sowjets hatten spezielle Teams gebildet, deren Aufgabe es war, deutsche Forschungseinrichtungen, Industriepatente und moderne Gerätetechnik in ihren Besitz zu bekommen. Wissenschaftler wurden allgemein nur als ein weiterer technischer Posten angesehen, den man auch in seinen Besitz bringen musste."
Die Haltung der US-Regierung wurde durch den Direktor der Joint Intelligence Objectives Agency (einer Geheimdienstabteilung, die für die "Operation Paperclip" zur Anwerbung deutscher Wissenschaftler verantwortlich war) auf den Punkt gebracht: "Vom Standpunkt der nationalen Sicherheit sollte der Nationalsozialismus bei deutschen Wissenschaftlern keine Rolle mehr spielen, wenn die viel größere Bedrohung des Kommunismus jetzt die ganze Welt herausfordert ... Wenn man die Nazizugehörigkeit weiterhin als ernsthaftes Problem betrachtet, kann man sich die Mühe sparen."
Die Amerikaner und Briten bildeten ein gemeinsames Komitee, das Combined Intelligence Objectives Subcommittee, das in Italien, Frankreich, Deutschland und den Niederlanden Kommandounternehmen durchführte, um solche Männer aufzuspüren. Wie Simpson erläutert, wurden dabei die Methoden entwickelt, mit denen man später eine große Anzahl Nazis und ihre Kollaborateure in die USA holte. Die Rechtfertigung dafür, "so gut wie jeden Antikommunisten anzuwerben, egal was er oder sie im Krieg getan hatte", wurde dabei schrittweise ausgeweitet.
Die Amerikaner importierten aber nicht nur Nazis in die USA, sondern errichteten auch ein internationales Netzwerk für antikommunistische Zwecke. Simpson schreibt: "Griechenland 1947 und Italien 1948 lehrten die CIA, dass sie ehemalige Nazi-Kollaborateure im großen Stil bei geheimen Operationen einsetzen und damit ungeschoren davonkommen konnte." Man schätzt, dass die USA im Jahr 1948 fünf Millionen Dollar an Ex-Nazis zahlten, die jetzt in rechten Emigrantenorganisationen arbeiteten. Im Rahmen eines Projekts namens Bloodstone’ wurden zahlreiche Organisationen in die USA gebracht, die mit den Nazis kollaboriert hatten und die man bei der politischen Kriegführung in Osteuropa für nützlich hielt.
Man holte diese Nazi-Kollaborateure in die USA oder heuerte sie in Europa für spezielle politische Sabotage- und Attentatsaufträge an. "Die Männer und Frauen, die für Bloodstone gewonnen wurden, waren keine kleinen Gangster, KZ-Wächter oder brutale Schläger, jedenfalls nicht im herkömmlichen Wortsinne. Sie waren im Gegenteil die crème de la crème der Nazis und ihrer Kollaborateure, die Führer, die Geheimdienstexperten, Gebildete, die ihr Können für die Zwecke der Nazis eingesetzt hatten", stellt Simpson fest. Diese Männer wurden in der CIA in einer separaten Abteilung zusammengefasst, die für besondere Projekte und geheime Kriegführung zuständig war.
Ein Beispiel dafür, wozu man diese Elemente nutzte, schilderte ein hoher Berater dem Diplomaten George Kennan: "Wir hatten das Problem mit den kommunistischen Gewerkschaften in Frankreich. Die (US-Gewerkschaft) AFL versuchte mit ihren Leuten, diese große subversive Kraft in Frankreich zu bekämpfen. Wir konnten nicht einfach die 82. Flugstaffel hinschicken. Auch konnten wir es mit diplomatischen Mitteln nicht tun. Wir taten also, was damals ging." Man kann sich vorstellen, dass die Nazis mit großer Freude unter Führung der Amerikaner an solche Aufgaben herangingen.
Bis zum Ende des Jahres 1947 hatte die US-Armee mindestens ein halbes Dutzend umfangreicher, offizieller Programme zum Anwerben von ehemaligen SS-Leuten und deutschen Geheimdienstveteranen gestartet - beispielsweise die Programme Pajamas, Project Dwindle, Apple Pie, Project Panhandle und Project Credulity.
Die wahrscheinlich größte Bedeutung kam hierbei jedoch Reinhard Gehlen zu, Hitlers Chef des Militärgeheimdienstes der Ostfront. Gehlen und seine gesamte Organisation (die vor allem aus SS- oder SD-Leuten einschließlich gut bekannter Führer bestand) wurden in den Dienst der amerikanischen OSS gestellt, wo sie weiterhin ihrer Spezialität nachgingen, die Russen auszuspionieren. Gehlens Position und Ruf im Dritten Reich beruhte auf der Masse an Informationen, die er durch Folter, Verhöre und den Mord durch Verhungern aus rund vier Millionen sowjetischen Kriegsgefangenen herauspresste.
Gab es gegenüber der neuen amerikanischen Politik Proteste von Seiten der offiziellen jüdischen Organisationen, war sie eine heftig umstrittene Streitfrage? Kaum, schreibt Norman Finkelstein in seinem Buch Die Holocoust-Industrie. Diese Organisationen stimmten in der Nachkriegszeit mit der Politik überein, die Naziverbrechen herunterzuspielen, und unterstützten die neue antikommunistische Linie.
"Der wirkliche Grund für die Stille um die Nazi-Verbrechen in der Öffentlichkeit war die konformistische Politik der Führungen der jüdischen Organisationen in den USA und das politische Klima im Nachkriegsamerika. Sowohl in nationalen als auch internationalen Angelegenheiten arbeitete die jüdische Elite eng mit der offiziellen US-Politik zusammen ... Das Amerikanische Jüdische Komitee (AJC) war das erste, das die Tugenden der neuen Bündnissysteme entdeckte. Der prozionistische Jüdische Weltkongress (WJC) ... gab seinen Widerstand auf, nachdem Anfang der 50er Jahre die Entschädigungsvereinbarungen mit Deutschland unterzeichnet waren", erklärt Finkelstein. Er macht darauf aufmerksam, dass das Gedenken an den Nazi-Holocaust als kommunistenfreundlich galt und dass beide, das AJC und der ADL, bemüht waren, sich von linken Organisationen zu distanzieren. Sie beteiligten sich aktiv an der Hexenjagd McCarthys und boten ihre Akten der Regierung. Das AJC befürwortete sogar die Todesurteile gegen Julius und Ethel Rosenberg und verstieg sich dabei zur Behaupten, sie seien nicht wirklich jüdisch.
Wiesenthal stand damals in offener Opposition zur Linie Israels und jüdischer Gruppen wie dem WJC, die Druck auf Deutschland ausübten, um "Entschädigungszahlungen" an den neuen jüdischen Staat zu erhalten. Damit sollte seiner Meinung nach vertuscht werden, dass Deutschland nicht weiter entnazifiziert und die Nazi-Verbrecher nicht bestraft wurden. 1952 willigte die israelische Regierung in einen Deal ein, über zwölf Jahre verteilt Reparationsgelder in Höhe von 862 Millionen Dollar von Westdeutschland zu kassieren, und schockierte damit viele Juden auf der ganzen Welt. Diese Gelder bildeten neben den Anleihen aus den USA den wichtigsten Faktor, um ihre Haushaltskrise in den Griff zu bekommen.
Diese Ereignisse machen deutlich, warum Wiesenthal in diesen Jahren in Isolation und Armut arbeitete.
Zurück zum Fall Eichmann
Obwohl Wiesenthals genaue Rolle im Eichmann-Prozess umstritten ist, gibt es doch keinen Zweifel, dass er von diesem Fall besessen war. Über die Jahre hinweg sandte er den israelischen Behörden Informationen und beschämte sie letztlich, weil Eichmann ohne ihn nicht entdeckt und entführt worden wäre.
Als der israelische Geheimdienst Mossad Eichmann gefunden hatte, lebte dieser unter dem Namen Ricardo Klements in Buenos Aires. Er wurde 1960 gekidnappt, nach Israel gebracht und vor Gericht gestellt. Er wurde wegen 15 Strafvergehen verurteilt und 1962 gehängt. Wiesenthal fühlte sich durch die Gefangennahme seines "Hauptdelinquenten" und besonders durch die ihm zukommende öffentliche Aufmerksamkeit bestärkt. Er schrieb sein Buch Ich jagte Eichmann, welches weithin als extreme Eigenwerbung empfunden wurde. Das Buch machte ihn auf einen Schlag zu einer Legende. Kurz darauf wurde sein Dokumentations-Zentrum in Wien wiedereröffnet.
Er arbeitete die nächsten vier Jahrzehnte in zwei bescheidenen Drei-Raum-Büros und machte sich sein fotografisches Gedächtnis und sein computergleiches Gehirn zunutze, um die Spuren Tausender geflohener Nazis zusammenzutragen. Er "jagte" nicht eigentlich Nazis. Er erfasste und analysierte Informationen und erstellte Akten.
Zu seinen großen Erfolgen gehörten die Gefangennahmen Karl Silberbauers, des ehemaligen Polizeichefs und Gestapo-Gehilfen von Wien, der Anne Frank und ihre Familie festgenommen hatte; Franz Stangls, des Kommandanten der Vernichtungslager Treblinka (bis zu 800.000 Menschen wurden dort vergast, als er Kommandant war) und Sobibor und von Hartheim, wo Euthanasie-Experimente durchgeführt worden waren; der Österreicherin Hermine Braunsteiner, Wache in Ravensbrück und Majdanek, einem Todeslager in Polen, in dem 200.000 Menschen umgekommen waren; Gustav Franz Wagners, eines Kommandanten von Sobibor; Josef Schwammbergers, eines SS-Offiziers, der wegen der Ermordung von Gefangenen und Sklavenarbeitern in Polen, verurteilt wurde.
Nach dem arabisch-israelischen Krieg vom Juni 1967 drehte sich der politische Wind erneut. Der militärische Erfolg Israels bestärkte die Entscheidung der USA, Israel zu seinem Hauptverbündeten in Nahost zu machen. Israel wurde zu einem Angelpunkt der Weltpolitik.
Allmählich wurde der Holocaust als eine Frage wieder entdeckt, mit der man öffentliche Unterstützung für Israel gewinnen konnte. In dem Maße, wie der Holocaust wieder zu einem öffentlichen Thema wurde, war Wiesenthal kein Ausgestoßener mehr. Ihm wurden Ehrendoktortitel von Universitäten aus der ganzen Welt verliehen, und in öffentlichen Ansprachen wurde er geehrt. Leider stand Wiesenthal der Tatsache, dass die Naziverfolgung nun im Sinne der US-Außenpolitik war, unkritisch gegenüber, und er verteidigte viele Verbrechen der Zionisten am palästinensischen Volk.
Wiesenthal und Wiesel
In Übereinstimmung mit dieser neuen Außenpolitik kündigte US-Präsident Jimmy Carter 1978 an, dass eine Kommission für die Schaffung eines nationalen Holocaust-Denkmals gebildet werde. Dahinter steckte seine politische Absicht, die amerikanischen Juden versöhnlich zu stimmen, die sein Entgegenkommen gegenüber den Palästinensern als inakzeptabel empfanden.
Das geplante Museum wurde sofort zu einem heftigen Streitpunkt zwischen Wiesenthal und Elie Wiesel. Wiesel, der Präsident der Kommission Carters, bestand darauf, dass das Denkmal lediglich der sechs Millionen Juden gedenken sollte, während Wiesenthal alle elf Millionen Opfer der verschiedensten Nationen einbeziehen wollte.
Es spricht für Wiesenthal, dass er Wiesels Auffassung entsetzt zurückwies, der Holocaust sei lediglich ein Element der zweitausendjährigen Judenverfolgung durch Nichtjuden, und seine Ansicht ablehnte, die Juden seien die einzigen wirklichen Opfer. Das war für Wiesenthal eine emotionale und prinzipielle Frage.
Außerdem wies Wiesenthal Wiesels mystische und pessimistische Ansicht des Holocausts zurück, die es unmöglich machte, ihm zu widerstehen, etwas daraus lernen oder praktische Schlussfolgerungen daraus zu ziehen. Wiesel war der Meinung: "Auschwitz kann weder erklärt werden noch kann man es sich vorstellen ... Der Holocaust steht außerhalb der Geschichte ... Die Toten sind im Besitz eines Geheimnisses, das wir Lebenden zu erfassen weder würdig noch imstande sind ... Der Holocaust ist das letzte Geheimnis, das größte Mysterium, das man nie begreifen oder weitergeben kann". (2)
Letztendlich wurde ein Kompromiss gefunden. Aber viele hatten das Gefühl, Wiesenthal habe seine Einstellung zum Denkmal (besonders sein Eintreten für die Einbeziehung der Sinti und Roma) den Friedensnobelpreis gekostet, was für ihn, dem Ansehen und Beifall viel bedeuteten, eine große Enttäuschung war.
Wiesel erhielt schließlich den Preis allein und wurde mehr oder weniger Amerikas anerkannte Autorität in Fragen des Holocaust. Die Entscheidung für Wiesel lag ganz auf der Linie der "Identity Politics" und des Postmodernismus.
Wiesenthals allseits bekannte Schwäche war sein Geltungsbedürfnis. Er war darum bemüht, seine Person zu einer überlebensgroßen Bedrohung für seine Opfer zu machen, und verhielt sich damit letztlich unklug. Er erklärte sich damit einverstanden, dass der orthodoxe Rabbi Marvin Hier seinen Namen für die Errichtung eines Simon Wiesenthal Zentrums in Los Angeles verwenden durfte. Dieses Zentrum und das dazugehörige multimediale Toleranzzentrum wurden zu großen und reichlich ausgestatteten Touristenattraktionen - zu dem, was Finkelstein als "die Holocaust-Industrie" bezeichnet. Obwohl sich Wiesenthal dieses Zentrum als eine Stätte vorgestellt hatte, die Menschenrechte und Toleranz vermittelt, ist es de facto eine Millionendollar-Werbung und ein Sprachrohr für den Staat Israel.
Das Fehlen einer komplexen Analyse
Die persönlichen Schwächen Wiesenthals hatten ihre Ursache in seiner Politik. Sein Antikommunismus aus jungen Jahren, den er nie durch ernsthaftes politisches Hinterfragen oder Studium überprüft hatte, mündete in eine sich verhärtende Verteidigung rechter Regimes, einschließlich Israels.
Ein Verständnis der verhängnisvollen Geschichte, die sein Leben prägte, hätte eine komplexe Analyse erfordert. Er wählte den einfacheren Weg, die Toten zu rächen und die Täter zu verfolgen. Das hat bestenfalls einen sehr begrenzten gesellschaftlichen Effekt und ermöglicht es, dass die Krise des Kapitalismus, der Wurzel des Faschismus, weiter schwelt und sich vertieft.
In einer aufschlussreichen Passage beschreibt die Biografin Helle Pick Wiesenthals Jugend und hebt hervor: "Selbst Wiesenthals Elterngeneration ... verstand vermutlich die Feinheiten der sozialdemokratischen Taktik während der Jahre des ersten Weltkrieges nicht sehr gut ..., aber als er erwachsen wurde ..., gewann er die Überzeugung, dass die von der jüdischen Intelligenz unterstützten oder sogar bestärkten Sozialdemokraten ein mangelndes Gespür für die Gefahren hatten, die den österreichischen Juden drohten."
Diese "Feinheiten" spalteten die Sozialdemokratie in einen revolutionäre und einen reformistischen Flügel und führten schließlich dazu, dass die größte Partei der Arbeiterklasse, die Sozialdemokratische Partei Deutschlands, vor Hitler kapitulierte, ohne dass ein einziger Schuss fiel.
Das Warum und Wie der Machtergreifung Hitlers hat Wiesenthal nie ernsthaft interessiert. Er reduzierte alles auf die Schuld und Unschuld einzelner Menschen und unterließ es, die sozialen Ursachen zu untersuchen und so die politischen Lehren dieser Erfahrungen ans Licht zu holen, was die einzig mögliche Garantie gegen eine Wiederholung solcher Gräueltaten ist.
Anmerkungen:
1. Peter Novick: The Holocaust in American Life, 1999, Houghton Mifflin Co.
2. Elie Wiesel: "Trivializing the Holocaust," New York Times, 16 April 1978.