Anfang November wurden Pläne der EU-Innenminister bekannt, eine gemeinsame Grenzschutzbehörde zu gründen, die ab 2005 den Schutz der EU-Außengrenzen koordinieren und den Zugang von Einwanderern und Flüchtlingen zusätzlich erschweren bzw. verhindern soll. Die geplante Behörde soll außerdem für die Abschiebung von Ausländern und Asylsuchenden ohne legalen Aufenthaltsstatus mit eigens dafür gecharterten Sammelflügen zuständig sein. Zu diesem Zweck beschlossen die Innenminister der EU bei ihrer letzten Ratstagung in Brüssel eine detaillierte Kosten- und Kompetenzaufteilung.
Italien, das derzeit den EU-Ratsvorsitz innehat, legte einen Antrag zur "Organisation von Sammelflügen zur Rückführung von Drittstaatsangehörigen, die individuellen Rückführungsmaßnahmen unterliegen, aus dem Hoheitsgebiet von zwei oder mehr Mitgliedsstaaten" vor.
Dieser Antrag wie auch der Plan für die Schaffung einer gemeinsamen Grenzschutzagentur soll im Dezember beim nächsten Gipfeltreffen der Staats- und Regierungschefs der EU verabschiedet werden. Hintergrund dieser Maßnahmen sind die verschärfte Abschreckungspolitik gegenüber Flüchtlingen und Einwanderern in praktisch allen EU-Ländern, die Vorbereitung auf die EU-Osterweiterung im nächsten Jahr und Kosteneinsparungen.
Die geplante Grenzschutzagentur soll zwar keine hoheitlichen Aufgaben wahrnehmen, die nach wie vor den staatlichen Organen der einzelnen EU-Staaten vorbehalten sind. Sie soll aber technische Hilfen anbieten, die Grenzüberwachung koordinieren und Sammelabschiebungen organisieren und finanzieren.
Bereits in der Vergangenheit gab es Sammelabschiebungen von Menschen ohne Aufenthaltserlaubnis aus Belgien, den Niederlanden und Deutschland in extra dafür gecharterten Flügen. Diese sollen nun ausgeweitet und kosteneffektiver gestaltet werden.
Ein wichtiger Grund für die verstärkte Nutzung von Charterflügen bei Abschiebungen sind auch das Aufsehen und die Proteste, die vor allem Zwangsabschiebungen in Linienflugzeugen hervorgerufen haben. So mussten mehrmals Versuche zur zwangsweisen Abschiebung abgebrochen werden, weil sich Fluggäste oder Flugpersonal für die Opfer einsetzten oder gegen die Gewaltanwendung durch Polizeibeamte protestierten.
In Deutschland und anderen europäischen Ländern haben gewaltsame Abschiebeversuche bereits mehrere Todesopfer gefordert. Das hat die verantwortlichen Innenminister der EU allerdings nicht veranlasst, die unmenschliche und barbarische Abschiebepraxis einzustellen. Stattdessen haben sie eine Liste von Verhaltensmaßregeln oder Mindestanforderungen aufgestellt, die ebenso allgemein wie unverbindlich sind.
Darin heißt es unter anderem: "Bei der Anwendung von Zwang ist die Verhältnismäßigkeit zu wahren." Und, in Anspielung auf den Erstickungstod mehrerer Abschiebehäftlinge in den letzten Jahren, bei Zwangsmaßnahmen müsse die "freie Atmung des Zurückzuführenden" gewährleistet sein. Zur Ergänzung heißt es dann zynisch: "Die Immobilisierung Widerstand leistender Personen kann durch Maßnahmen erreicht werden, die deren Würde und körperliche Unversehrtheit nicht verletzen."
Auch in den Chartermaschinen soll jedem Abzuschiebenden ein "Flugbegleiter" zugeordnet werden. Dieser muss jedoch kein Polizeibeamter sein, sondern kann nach den neuen Richtlinien auch von einem privaten Wachdienst gestellt werden.
Man muss davon ausgehen, dass sich die Gefahr von Misshandlungen und Todesfällen vergrößert, wenn für Abschiebungen eigens organisierte Charterflüge eingesetzt werden, weil die Öffentlichkeit damit völlig vom Geschehen ausgeschlossen wird.
Laut einem Bericht der Süddeutschen Zeitung vom 7. November plante der deutsche Innenminister Otto Schily (SPD) einen noch weitergehenden Vorstoß gegen das Asylrecht. Der Zeitung liegt ein Sprechzettel vor, laut dem Schily auf der Konferenz der EU-Innen- und Justizminister Anfang dieses Monats in Brüssel durchsetzen wollte, dass künftig auch nichteuropäische Staaten als "sichere Drittstaaten" gelten.
Der Begriff "sicherer Drittstaat" wurde 1993 im Zusammenhang mit der weitgehenden Abschaffung des deutschen Asylrechts eingeführt. Er bedeutet, dass ein Asylsuchender, der aus einem Land einreist, das nach Annahme der deutschen Behörden sicher ist, ohne Einzelfallprüfung und Anhörung seiner Fluchtgründe dorthin zurückgeschickt werden kann.
Schily wollte dies nun auch für Staaten gelten lassen, die die Genfer Flüchtlingskonvention und die Europäische Menschenrechtskonvention nicht unterzeichnet haben und deren Anwendung nicht gewährleisten. Es sollte auch keine Rolle spielen, ob der angeblich "sichere Drittstaat" überhaupt Asylverfahren anbietet und durchführt.
Schily musste zwar sein Vorhaben aufgrund von Einwänden des Außen- und das Justizministeriums zunächst zurückstellen. Sein geplanter Vorstoß liegt aber auf der von ihm seit langem verfolgten Linie, die inzwischen auch von den Regierungen anderer EU-Länder wie Großbritannien unterstützt wird.
Im Zusammenhang mit dem 1993 verschärften Asylrecht hat Deutschland all seine Nachbarstaaten zu sicheren Drittstaaten erklärt, was dramatische Folgen für viele Schutzsuchende hatte. Für die politisch Verantwortlichen in Deutschland und zunehmend auch in der EU ergibt sich daraus eine bürokratische Logik, die Heribert Prantl in dem Artikel der Süddeutschen Zeitung vom 7. November treffend charakterisiert hat:
"Wer also über Polen, Österreich oder Tschechien nach Deutschland geflohen ist, kann noch so glaubhaft von politischer Verfolgung berichten, er kann sogar die Spuren der Folter auf seinem Körper vorweisen, er kann den Behörden sein Todesurteil vorlegen - das alles zählt nicht. Es zählt nur der Weg, auf dem der Flüchtling gekommen ist. Auf diesem Weg wird er dann sofort und ohne weitere Prüfung zurückgeschickt.
Nach dem Willen Schilys soll diese Regelung, die zum Kern des neuen deutschen Asylrechts zählt, im Zuge der neuen EU-Richtlinie,Mindestnormen für Asylverfahren' erstens übernommen und zweitens aber auch noch erheblich verschärft werden. Nach diesen Vorstellungen könnte dann praktisch jeder Staat, überall auf der Welt, zu einem sicheren Drittstaat erklärt werden."
Auch verschiedene Menschenrechtsgruppen haben bereits im Vorfeld der EU-Innenministerkonferenz vor einer weiteren Verschärfung des Asylrechts durch die EU gewarnt.
Über eine Liste "sicherer Drittstaaten" wird schon seit längerer Zeit diskutiert. Nach der EU-Osterweiterung könnten alle zukünftigen Anrainerstaaten der EU wie Russland und Weißrussland 2004 und Moldawien ab 2007 zu "sicheren Drittstaaten" erklärt werden. Für den Fall, dass sich die EU nicht auf eine gemeinsame Liste "sicherer Drittstaaten" einigen sollte, soll es jedem Mitgliedsstaat freigestellt werden, eigene Listen solcher Staaten aufzustellen, in die Schutzsuchende postwendend und ohne Rücksicht auf die Folgen für politisch Verfolgte zurückgeschickt werden können.