Verstärkte Intervention der USA

Kolumbianische Armee belagert Wohngebiet in Medellin

Unterstützt von Panzern und Kampfhubschraubern besetzten kolumbianische Sturmtruppen und Polizeieinheiten am Mittwoch ein Elendsviertel von Medellin, der zweitgrößten Stadt des südamerikanischen Landes.

Die Operation, die größte Maßnahme zur Aufstandsbekämpfung in einem dicht besiedelten städtischen Gebiet während der letzten Jahre, erfolgte auf unmittelbaren Befehl des neuen, rechtsgerichteten kolumbianischen Präsidenten, Alvaro Uribe.

Mindestens vierzehn Menschen wurden während des ersten Kampftages getötet, darunter ein sechzehnjähriger Junge. Zahlreiche Menschen wurden verletzt, die meisten davon Alte, Frauen und Kinder.

Wie der Bürgermeister von Medellin, Luis Pérez, sagte, hatte Uribe die Armee angewiesen, die Operation so lange fortzusetzen, bis sie den Bezirk "Comuna 13" vollständig kontrolliert. Es leben dort ungefähr 130.000 der 2,5 Millionen Einwohner Medellins. General Mario Montoya, der Militärbefehlshaber der Region Medellin, kündigte an, auf der Suche nach Waffen ein Haus nach dem anderen zu durchkämmen.

Dem militärischen Angriff waren gewaltsame Attacken der rechtsgerichteten paramilitärischen Einheiten vorangegangen, die eng mit der Armee zusammenarbeiten.

Sowohl das Militär als auch die rechten paramilitärischen Organisationen versuchen, einer Miliz namens "Bewaffnetes Volkskommando" die Kontrolle über die Region zu entreißen. Diese Miliz ist der zweitgrößten Guerilla-Bewegung Kolumbiens, der "Nationalen Befreiungsarmee", angeschlossen.

Das kolumbianische Büro des Hochkommissars für Menschenrechte bei den Vereinten Nationen drückte seine "tiefe Betroffenheit" über die Zusammenstöße aus.

Viele Bewohner der Umgebung berichteten, dass sie vor dem Militärangriff in ihre Häuser flüchten mussten und nicht arbeiten gehen konnten. Etwa 6.000 Schüler konnten den Unterricht nicht besuchen, und in der Gegend wurden die Krankenhäuser geschlossen. In einigen Fällen gab es Opfer, als schwere Geschosse Fenster und Häuserwände durchschlugen.

Verletzte Zivilisten, die in das Krankenhaus des benachbarten San Javier strömten, berichteten, wie aus einem über ihnen fliegenden bewaffneten Hubschrauber mit einem Maschinengewehr in ein dichtbesiedeltes Wohngebiet geschossen wurde.

"Wir werden mit Maschinengewehren beschossen", berichtete eine verzweifelte Frau den lokalen Medien. "Die Geschosse kommen aus Hubschraubern und treffen unsere Dächer. Es ist grauenvoll. Das ist wie in Vietnam."

Die Zunahme militärischer Unterdrückungsmaßnahmen geht mit einem verstärkten Eingreifen der USA in den seit 38 Jahren andauernden kolumbianischen Bürgerkrieg einher. Washington hat Anfang Monat bekannt gegeben, dass in diesem Monat Spezialeinheiten der US-Armee im Land stationiert werden, um ein neues Bataillon kolumbianischer Spezialkräfte für den Kampf gegen die bewaffnete Guerilla aufzubauen.

Vergangene Woche gab die Bush-Regierung der kolumbianischen Regierung offiziell ihr Einverständnis, die Militärhilfe, die gemäß dem Plan Columbia gewährt wird, für Operationen zur Unterdrückung der Guerillabewegungen einzusetzen. Der Kolumbienplan sollte angeblich den Kokainanbau und Kokainexport bekämpfen. Damit wird auch der Einsatz der von den USA gelieferten Black Hawk Helikopter und anderer Ausrüstung autorisiert.

Vor kurzem ermächtigte auch der Kongress das Pentagon, mit dem Training zweier kolumbianischer Brigaden zu beginnen, die zum ständigen Schutz der Cano-Limon Pipeline eingesetzt werden sollen. Die Pipeline transportiert aus nordkolumbianischen Feldern Öl, das von der Occidental Petroleum, einer Gesellschaft mit Sitz in Los Angeles, gefördert wird.

Die Spezialeinheiten, welche die 5. und 18. Brigade der kolumbianischen Armee für den Schutz der Pipeline ausbilden, sind teilweise bereits im Land. Beiden Brigaden sind von Menschenrechtsgruppen Übergriffe auf die Zivilbevölkerung und eine enge Zusammenarbeit mit den paramilitärischen Todesschwadronen vorgeworfen worden.

Kolumbien ist eines der ärmsten Länder Lateinamerikas. Die Organisation für Ernährung und Landwirtschaft bei den Vereinten Nationen veröffentlichte vor kurzem einen Bericht, dass elf Millionen Kolumbianer, d.h., beinahe jeder dritte, in Armut leben. Selbst die Regierung hat zugegeben, dass die Ursache für die politische Gewalt im Land in dem verbreiteten Elend und der tiefen Kluft zwischen Arm und Reich liegt.

Für amerikanische Wirtschaftsinteressen liegt die strategische Bedeutung Kolumbiens beim Öl. Die bekannten Ölreserven des Landes belaufen sich auf 2,6 Milliarden Barrel, aber nur etwa 20 Prozent der vermuteten kolumbianischen Ölfelder sind erforscht. Selbst jetzt schon produziert Kolumbien ungefähr soviel Öl wie Kuwait unmittelbar vor dem letzten Golfkrieg. Zusammen mit den Nachbarn Venezuela und Ecuador versorgt es den US-Markt mit mehr Öl als alle Produzenten am Persischen Golf zusammen.

Washingtons verstärkte militärischen Aktivitäten in Kolumbien sind hauptsächlich auf die Sicherung des Zugriffs auf das Öl ausgerichtet. Dies schließt nicht nur die Unterdrückung von bewaffneten Guerillas, sondern auch von jeglicher Opposition der Bevölkerung mit ein, die sich gegen die Dominanz der US-Wirtschaft über die natürlichen Ressourcen des Landes richtet. Occidental Petroleum, Amoco, die berüchtigte Enron Corporation - die Centragas, ein 574 Kilometer umfassendes Verteilungssystem für Naturgas im Norden Kolumbiens ihr eigen nannte - und verschiedene andere Energiegesellschaften haben gemeinsam im Kongress und bei der Regierung eine Lobby unterhalten, die auf eine Erhöhung der Militärhilfe und die Einmischung in Kolumbien hingearbeitet hat.

Inzwischen hat Amnesty International einen Bericht veröffentlicht. Er warnt gestützt auf eigene Ermittlungen aber auch auf Untersuchungen der Vereinten Nationen sowie amerikanischer Organisationen, dass die "Sicherheitspolitik von Präsident Uribe nur dazu dienen wird, einen Kreislauf von Gewalt zu verstärken, in den ganz Kolumbien mit hineingezogen wird".

Der Bericht stellt fest, dass seit 1985 über 60.000 Menschen getötet wurden, 80 Prozent davon Zivilisten, wovon der Großteil Opfer der rechtsgerichteten Paramilitärs wurde. Allein letztes Jahr wurden mehr als 4.000 Zivilisten durch politisch motivierte Gewalt getötet. Und es sieht danach aus, dass der Tribut an Menschenleben 2002 noch höher sein wird. Die Vertriebenen, Gefolterten oder "Verschwundenen" zählen nach Hunderttausenden.

Als Marcello Pollack, einer der Ermittler von Amnesty International, den Bericht auf einer Pressekonferenz in Madrid vorstellte, wies er darauf hin, aus dem von der Menschenrechtsorganisation und anderen Organisationen gesammelten Beweismaterial gehe hervor, dass "...die Verbindung zwischen dem Militär und den paramilitärischen Truppen institutionalisierten Charakter hat."

In dem Bericht heißt es: "Da die kolumbianischen Streitkräfte in den letzten Jahren zunehmend mit internationaler Kritik wegen der Menschenrechtsverletzungen konfrontiert worden sind, bedienen sie sich für ihren ‚schmutzigen Krieg’ immer mehr der paramilitärischen Hilfskräfte. Die Sicherheitskräfte können sich nicht mehr auf die traditionelle juristische Straflosigkeit verlassen. International und national wird immer mehr Wert darauf gelegt, diesen Sachverhalt zu ändern, der bisher garantierte, dass Mitglieder der Streitkräfte fast durchweg von Strafverfolgung und den sich daraus ergebenden Strafen verschont blieben. Um diesem Druck auszuweichen und den schmutzigen Krieg ohne Angst vor Strafverfolgung fortsetzen zu können, haben die Verantwortlichen diese Aufgabe auf paramilitärische Kräfte übertragen."

Der Bericht entlarvt auch die Gesetzgebung des US-Kongresses als vorgeschoben, die als Voraussetzung für die Gewährung von Militärhilfe die Beachtung von Menschenrechtsstandards durch die kolumbianische Regierung fordert. Das Gesetz verlangt entschiedene Maßnahmen, um die Verbindungen zwischen dem kolumbianischen Militär und den Paramilitärs zu kappen. Im vergangenen Monat "bestätigte" das US-Außenministerium einmal mehr Kolumbiens Einhaltung dieses Gesetzes und machte damit den Weg für die Freigabe weiterer 70 Millionen Dollar für militärische Ausbildung, Waffen und Munition frei.

Amnesty International verurteilte auch den Versuch der Regierung, ein Netz von zivilen Informanten zu schaffen, das bis zu einer Million Kolumbianer zur Unterstützung von Operationen des Militärs zur Aufstandsbekämpfung rekrutieren soll. Die Armee behauptet, schon 40.000 Personen angeworben zu haben. Diese Initiative, warnt die Menschenrechtsorganisation, wird "unweigerlich zu noch mehr politischer Gewalt führen". Die Schaffung ähnlicher ziviler Einheiten in der Provinz Antioquia zur Zeit, als Uribe dort Gouverneur war, führte zur Entstehung von Todesschwadronen, die in vielen Fällen zu den Vorläufern der heutigen paramilitärischen Einheiten wurden.

Der Report gibt einen detaillierten Bericht über die Terrorherrschaft der kolumbianischen Armee und ihrer paramilitärischen Verbündeten in San Vicente del Caguan, einer der fünf Ortschaften, aus denen die von der Revolutionären Armee Kolumbiens (FARC) kontrollierte demilitarisierte Zone bestand.

Nachdem die Gespräche zwischen der Regierung und den Guerillas im Februar zusammengebrochen waren, wurde die Stadt, die als Hauptquartier der Guerilleros gedient hatte, vom Militär aus der Luft bombardiert und zurückerobert, was eine hohe Zahl ziviler Opfer forderte.

Der Menschenrechtsgruppe zufolge hat das Militär die zivile Bevölkerung des Distrikts als Kollaborateure der Guerillas gebrandmarkt und eine gnadenlose Einschüchterungskampagne gegen sie entfesselt. Dazu gehörte die willkürliche Durchsuchung der Wohnungen von Arbeitern und Bauern, die Zerstörung und der Diebstahl von Eigentum und gelegentlich das Anzünden von Häusern. Das Militär hält auch viele Menschen ohne Anklage gefangen und weigert sich, die Angehörigen über ihre Inhaftierung oder über den Grund der Verhaftung zu unterrichten.

Anwohner dieser Region haben von Fällen berichtet, bei denen die Betroffenen physisch gefoltert wurden, weil man sie zwingen wollte, aus Fotoalben, die die Vernehmungsoffiziere bei sich trugen, FARC-Mitglieder oder -Sympathisanten zu identifizieren. Ein junger Arbeitsloser erzählte Amnesty International, die Soldaten hätten ihm ein nasses Tuch um den Kopf gebunden und ihm Nase und Mund damit verschlossen, und dann hätten sie Wasser über ihn geschüttet, bis er beinahe erstickt war. Als er danach immer noch leugnete, ein Guerilla zu sein, gingen sie zu anderen Methoden über.

"Sie brannten mir mit einer Zigarette in den Nacken", sagte er. "Sie fragten mich, wie lange ich mit den Guerillas zusammen gewesen sei, und ich sagte, ich sei kein Guerilla gewesen, also brannten sie meine Arme und Füße mit der Zigarette [...] Sie rissen mich zu Boden und traten mir in Gesicht, Füße und Arme und begannen, mit einer Machete auf meine Füße und meinen Bauch einzustechen. Sie ergriffen meine Hoden und hielten die Schneide der Machete daran [...] Darauf spürte ich einen Schlag und wurde ohnmächtig."

Siehe auch:
Bush verordnet Lateinamerika Armut, Unterdrückung und Militarismus
(3. April 2002)
Pastrana in Washington: Der kolumbianische Staatspräsident fordert Militärhilfe in Höhe von 1
( 2. Oktober 1999)
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