Als letzte Woche IG-Metallchef Klaus Zwickel Lohnforderungen von bis zu sieben Prozent für die Lohnrunde 2002 ankündogte, rieben sich nicht Wenige verwundert die Augen. Vertreter der Arbeitgeberverbände erklärten sofort: "Das kann nicht erst genommen werden. Das wäre ein Beitrag zur Verlängerung der Rezession."
Vor allem aber der rot-grünen Regierung kämen Lohnkämpfe ausgerechnet im Jahr der nächsten Bundestagwahl äußerst ungelegen. Vergeblich hatte sich daher Bundeskanzler Gerhard Schröder im Vorfeld um moderate Lohnerhöhungen bemüht. Ebenso wie vor zwei Jahren sollten sich die Gewerkschaften noch vor Weihnachten in einer Bündnisrunde für Arbeit auf Lohnzurückhaltung verpflichten.
Wäre es nach dem IG Metallvorsitzenden Zwickel und seinem Wunschnachfolger Berthold Huber, dem IG-Metallchef in Baden-Württemberg gegangen, wäre Schröders Rechnung zweifellos aufgegangen. Bereits im Oktober trafen sich nämlich Zwickel und der Vorsitzende der IG BCE Hubertus Schmoldt in Hannover - beide enge Vertraute von Bundeskanzler Schröder -, um die nächste Lohntarifrunde abzusprechen. Man war übereingekommen, dass angesichts von 4 Millionen Arbeitslosen und einer sich vertiefenden Wirtschaftskrise eine zweite Amtszeit der Regierung Schröder nur durch Ruhe an der Tariffront sichergestellt werden könne.
Der Plan sah vor, dass die IG-Metall einen relativ hohen Lohnabschluss vereinbart, der aber nur von April bis zur Bundestagswahl am 22. September 2002 gelten sollte. Danach sollten moderate und vor allem - als tarifpolitische Neuerung - erfolgsabhängige Lohnabschlüsse eingeführt werden.
Von derart gestalteten Löhnen würden die Beschäftigten nur in den Firmen profitieren, die gegenwärtig noch erfolgreich sind. Diese befinden sich aber überwiegend im Südwesten des Landes. Hunderttausende Beschäftigte in vielen Krisenregionen würden noch stärker das vorhandene Lohngefälle zu spüren bekommen.
Entgegen den Beteuerungen von Kanzler Schröder, er mische sich grundsätzlich nicht in Tarifauseinandersetzungen ein, wurde jetzt auch bekannt, das ein "geheimer Emissär der Bundesregierung", so die Süddeutsche Zeitung, bei Berthold Huber in Stuttgart vorstellig geworden war, um ihn als Partner für solche erfolgsabhängige Lohnabschlüsse zu gewinnen. Huber musste nicht überzeugt werden.
Die Bundesregierung musste allerdings überraschend zur Kenntnis nehmen, dass Zwickel und Huber sich in der IG Metallführung nicht durchsetzen konnten. Öffentlich musste Zwickel einräumen, er habe die Stimmung in den eigenen Reihen falsch eingeschätzt. Es herrsche "Misstrauen gegenüber der IG Metall" und zugleich die "große Sorge" unter den Gewerkschaftern, die IG Metall könnte mit ihrer Tarifpolitik "Kanzler-Geschenke" machen.
Der maßgebliche Gegenspieler von Klaus Zwickel ist sein Stellvertreter Jürgen Peters. Er nutzt die aufgeheizte Stimmung in den Betrieben, um seinen Anspruch auf den Chefposten durchzusetzen, und stellte sich daher wortgewaltig an die Spitze der Siebenprozent-Forderung.
Seit Monaten ist unübersehbar ein Streit um die Nachfolge von Klaus Zwickel in der IG Metall ausgebrochen. Spätestens seit seinen Verwicklungen in der Mannesmann-Fusion - als er Abfindungen in Millionenhöhe für Spitzenmanager erst absegnete, dann vor der Presse verurteilte und schließlich zugeben musste, dass er nicht dagegen gestimmt hatte - gilt Zwickel als angeschlagen.
Seitdem lässt Peters keine Gelegenheit aus, um sich gegen seinen Mitrivalen Huber zu profilieren. Das Spiel ist sattsam bekannt. Auch Zwickel hatte sich als Linker gebärdet, bevor er das Erbe von Franz Steinkühler antrat. Doch Peters wirkliche Rolle ist unübersehbar. Als Tarifexperte der IG Metall ist er für die drastischen Reallohnsenkungen der vergangenen Jahre verantwortlich, die in den Betrieben viel Unmut auslösten und die viele IG-Metallmitglieder jetzt nicht länger hinnehmen wollen. Auch an der Durchsetzung des neuen VW-Tarifmodell 5000 x 5000 hat Peters maßgeblich mitgewirkt.
Die Art und Weise wie Peters jetzt an die Kampfbereitschaft der Beschäftigten in der Metallindustrie appelliert und Streiks für das Frühjahr in Aussicht stellt, ist in doppelter Hinsicht zynisch. Die Auswirkungen für viele Arbeiter und ihre Familien interessieren ihn nicht. In Zeiten einer sich anbahnenden Rezession Arbeiter in Kämpfe um tarifliche Lohnerhöhungen zu schicken, ohne auch nur die geringste Antwort auf die Probleme zu geben, die sich daraus unweigerlich ergeben werden, ist schlicht verantwortungslos. Die Drohung, mit Betriebsschließungen und Entlassungen zu reagieren, ist durchaus real, und am Schluss werden die Mitglieder wie immer im Regen stehen gelassen.
Die gegenwärtige Auseinandersetzung ist aber nicht nur auf einen Machtkampf um die Thronnachfolge der Metallergewerkschaft beschränkt. Peters vertritt vielmehr einen Flügel der Gewerkschaftsbürokratie, der nicht mehr bereit ist, die eigenen Interessen der Wiederwahl der Schröderregierung unterzuordnen. Weil diese Funktionäre aber keine eigenständigen Antworten auf die großen sozialen Probleme haben, sondern nur an der Verteidigung ihrer eigene privilegierten Stellung in der Gesellschaft interessiert sind, bedeutet dieser Schritt vor allem die Bereitschaft mit einer konservativen oder gar rechten Regierung zusammenzuarbeiten. So verbirgt sich hinter dem radikalen Geschrei über Lohnerhöhungen in Wahrheit eine Rechtswendung der Bürokratie.
Etwas Ähnliches konnte man schon 1982 beobachten. Damals hatten Gewerkschaftsführer wie Franz Steinkühler, die im Ruf standen links zu sein, Massendemonstrationen gegen den Sozialabbau der SPD-geführten Schmidt-Regierung organisiert, ohne den Arbeitern auch nur die geringste politische Alternative aufzuzeigen. Kurz danach kam Helmut Kohl durch ein parlamentarisches Manöver an die Macht und die Gewerkschaften fanden sich sechzehn Jahre lang lammfromm mit seiner Herrschaft ab.