UN-Bericht über Aids zeichnet ein Bild der Verwüstung - Teil 1

Der Bericht der Vereinten Nationen und der Weltgesundheitsorganisation (WHO) über Aids zeichnet ein Bild der Verwüstung in Afrika und warnt vor einer Katastrophe in vielen anderen Regionen der Welt, aber einen Ausweg aus dieser wütenden Epidemie zeigt er nicht auf.

Der "Bericht - Über die weltweite HIV-Aids-Seuche - Juni 2000", der vergangene Woche in Vorbereitung auf den 13. Welt-Aids-Kongress in Südafrika herausgegeben wurde, sollte das Ausmaß der weltweiten Epidemie aufzeigen und den Tenor für die Konferenz angeben.

Dieser Artikel, der erste von zwei Teilen über den UN/WHO-Bericht, befasst sich mit dem Ausmaß der Zerstörung, welche durch Aids vor allem in Afrika, aber auch in andern Regionen verursacht wird. Der zweite Artikel wird die Krise im Gesundheitswesen untersuchen und sich mit den Lösungsvorschlägen auseinandersetzen, die von der UN, bzw. der WHO gemacht werden.

Was diesen zweiten Aspekt des Berichts angeht, so beschleicht den Leser das unheimliche Gefühl, dass diejenigen, die ihn verfasst haben, selbst die Abschnitte über das Ausmaß der Epidemie kaum gelesen haben können. Auch wenn die Vorschläge der UN, bzw. der WHO vollständig umgesetzt würden, könnten sie die Infektion und das Sterben von Millionen Menschen Jahr für Jahr nicht aufhalten. Eine Prüfung der Informationen, die von UN/WHO zur Verfügung gestellt werden, führt unvermeidlich zum Schluss, dass Aids nicht bloß eine Krise des Gesundheitswesens, sondern eine massive soziale Krise darstellt.

Obwohl in den letzten fünf Jahren hoch wirksame Behandlungsmethoden für Aids entdeckt worden sind, hat die weltweite Ausbreitung der Immunschwäche eine Katastrophe für Millionen von Menschen und für ganze Regionen dieser Erde hervorgebracht. Letztes Jahr sind wiederum 5,4 Millionen Menschen mit dem HIV-Virus infiziert worden, fast zwei Millionen mehr als die UN in ihren Schätzungen vom vergangenen Dezember angenommen hatte. Von diesen 5,4 Millionen neuen Fällen sind 4,7 Millionen Erwachsene, 2,3 Millionen davon sind Frauen und 620.000 Kinder.

Über 34,3 Millionen Menschen leben zur Zeit mit HIV-Aids, darunter 15,7 Millionen Frauen, das ist fast die Hälfte der 33 Millionen erkrankten Erwachsenen. Etwa 1,3 Millionen Kinder unter 15 Jahren haben Aids. Der größte Teil der Kinder, die mit dem Virus leben, sind von ihrer Mutter angesteckt worden.

Über 18,8 Millionen Menschen sind gestorben, seitdem in den späten siebziger Jahren die HIV-Aids-Epidemie erstmals festgestellt wurde - 15 Millionen Erwachsene, darunter 7,7 Millionen Frauen, und 3,8 Millionen Kinder unter 15 Jahren. Allein im vergangenen Jahr sind 2,8 Millionen Menschen gestorben - 2,3 Millionen Erwachsene und eine halbe Million Kinder.

Während das Zentrum der HIV-Aids-Epidemie in Afrika liegt, greift die Seuche auch stark in Asien, Lateinamerika, Osteuropa und der Sowjetunion um sich.

Eine Katastrophe in Afrika

Weitaus am schlimmsten wütet die Aids-Epidemie in den afrikanischen Ländern südlich der Sahara. In der Sub-Sahara leben zur Zeit 24,5 Millionen Menschen mit HIV-Aids, vier Millionen von ihnen haben sich 1999 angesteckt. In den meisten Ländern südlich der Sahara werden die Menschen heute häufiger mit HIV infiziert als jemals zuvor.

Letztes Jahr starben in der Sub-Sahara 2,2 Millionen Menschen an Aids, das sind fast achtzig Prozent der 2,8 Millionen weltweiten Aids-Todesopfer. Seit Beginn der Epidemie wurden in der Sub-Sahara 14,8 Millionen Menschen durch Aids getötet, dreimal mehr als die UN 1991 vorausgesagt hatte.

Aids ist heute der Killer Nummer eins in dieser Region und verursacht mehr als einen von fünf Todesfällen. Aids tötete vergangenes Jahr mehr Menschen als jede andere Todesursache, auch als Krieg, Malaria oder Tuberkulose.

In 16 Ländern sind ein Zehntel der erwachsenen Bevölkerung zwischen 15 und 49 Jahren mit HIV infiziert. In sieben Ländern leben zwanzig Prozent mit HIV-Aids. In Botswana sind bereits 35,8 Prozent der Erwachsenen infiziert. In Südafrika, wo 4,2 Millionen Menschen infiziert sind, haben weltweit am meisten Menschen HIV-Aids. 19,9 Prozent der erwachsenen Bevölkerung sind dort bereits infiziert, während es vor zwei Jahren noch 12,9 Prozent waren.

Der UN/WHO-Bericht warnt: "Wenn der Kampf gegen die Epidemie nicht drastisch verstärkt wird, ist der bereits entstandene Schaden gering im Vergleich mit dem, was noch kommt. Dies mag dramatisch klingen, aber es ist schwer, die Auswirkungen einer Seuche herunterzuspielen, die drauf und dran ist, über die Hälfte der jungen Erwachsenen in den Ländern zu töten, wo sie am stärksten wütet - die meisten von ihnen, noch ehe sie die Möglichkeit haben, ihre Kinder großzuziehen oder ihre alten Eltern zu versorgen."

Frauen und Kinder

Junge Frauen in der Region werden immer schneller mit dem HIV-Virus infiziert. Elf Studien über die Infektionsraten unter Teenagern und Frauen in den Zwanzigern zeigen in mehreren städtischen und ländlichen Gebieten alarmierend hohe Raten.

"Die Raten unter weiblichen Teenagern und besonders unter Frauen unter 25 Jahren spotten jeder Beschreibung," heißt es im Bericht. "In sieben der elf Untersuchungen waren zwanzig Prozent der Frauen Anfang zwanzig mit dem Virus infiziert; ein großer Teil von ihnen wird ihren dreißigsten Geburtstag nicht erleben. In der südafrikanischen Stadt Carletonville waren beinahe sechs von zehn Frauen aus dieser Altersgruppe HIV-positiv."

Die Infektionsrate junger afrikanischer Frauen ist viel höher als die junger Männer. In den elf Bevölkerungsstudien, die hier vorgestellt wurden, war die Durchschnittsrate unter den weiblichen Teenagern fünfmal höher als unter den männlichen. Die Forscher nannten als Ursachen für die unterschiedlichen Infektionsraten die sexuellen Beziehungsmuster, besonders die Tendenz älterer Männer, Verkehr mit jüngeren Frauen zu haben, und die Tatsache, dass Frauen weniger Einfluss auf den Einsatz von Kondomen haben.

Die hohe Infektionsrate junger Frauen hat zu einer tragischen Zunahme sowohl der Anzahl von Kindern geführt, die mit dem Virus infiziert sind, als auch der Kinder, die infolge der Seuche zu Waisen werden. Seit Beginn der Aids-Epidemie haben 13,2 Millionen Kinder unter 15 Jahren entweder ihre Mutter oder beide Eltern infolge von Aids verloren. Viele dieser Kinder sind selbst gestorben, weil sie durch ihre Mutter angesteckt wurden. 95 Prozent der Waisen leben in Afrika.

In dem Bericht heißt es:

"1997 ist die Anzahl der Kinder, die ein Elternteil oder beide Eltern verloren haben, in vielen afrikanischen Ländern auf sieben Prozent hochgeschossen und hat in einigen Fällen sogar erstaunliche elf Prozent erreicht. In einigen Ländern Afrikas hat es auch früher schon lange, schwere Epidemien gegeben, aber Aids bringt Waisen mit solchem Tempo hervor, dass die Familienstrukturen damit nicht länger fertig werden. Traditionelle Strukturen lösen sich in dem Maße auf, wie junge Erwachsene an dieser Krankheit sterben. Familien und Gemeinden können kaum für sich selber sorgen, geschweige denn für die Waisen. Typischerweise infizieren sich die Hälfte aller 25-Jährigen mit HIV, erleben den Ausbruch von Aids und sterben, ehe sie 35 Jahre alt sind. Sie hinterlassen eine Generation von Kindern, die von ihren Großeltern aufgezogen werden oder in von Kindern geführten Haushalten sich selbst überlassen sind."

Letztes Jahr sind 480.000 Kinder unter 15 Jahren an Aids gestorben, 430.000 von ihnen im sub-saharischen Afrika. Seit Beginn der Epidemie sind 3,8 Millionen Kinder an Aids gestorben, 3,3 Millionen von ihnen im sub-saharischen Afrika. Zur Zeit leben 1,3 Millionen Kinder mit dem HIV-Virus, eine Million von ihnen im sub-saharischen Afrika. Die allermeisten von ihnen werden in zehn Jahren tot sein.

Der größte Teil der HIV-infizierten Kinder wurden von Müttern zur Welt gebracht, die selbst angesteckt waren. Diese Kinder erhalten das Virus entweder schon in der Gebärmutter, während der Geburt oder kurz danach durch das Stillen. Studien haben gezeigt, dass etwa jedes dritte Kind einer HIV-infizierten Mutter ebenfalls angesteckt ist, und dass die Hälfte der Infizierten das Virus mit der Muttermilch erhielten.

Trotz alledem haben die Frauen in der Sub-Sahara keinen Zugang zu den Methoden, mit denen HIV-infizierte Mütter in den hochindustrialisierten Ländern schon seit einigen Jahren behandelt werden, und durch welche die Wahrscheinlichkeit, mit der das Virus von der Mutter auf das Kind übertragen wird, stark reduziert werden kann. Darüber hinaus haben die allermeisten HIV-infizierten Mütter gar nicht die Möglichkeit, ihr Kind mit der Flasche zu füttern, weil es an Babynahrung und sauberem Trinkwasser mangelt.

Lebenserwartung nimmt ab

Als Ergebnis der Aids-Epidemie in Afrika hat die Lebenserwartung massiv abgenommen und die meisten, wenn nicht alle Errungenschaften seit Ende des Zweiten Weltkriegs zunichte gemacht. In Botswana ist die Lebenserwartung, die in den späten achtziger Jahren auf über sechzig Jahre angestiegen war, auf 47 Jahre abgesunken. In Südafrika ist sie auf 55, in Simbabwe auf 44, in Sambia und Uganda auf 40 Jahre gesunken.

Die Kindersterblichkeit, die ebenfalls bereits abgenommen hatte, ist wieder im Steigen, und das einzig und allein infolge von Aids.

Der Bericht erklärt, dass diese Zahlen im allgemeinen unterschätzt werden, weil Angaben über die Todesrate durch Erhebungen unter den Haushalten gewonnen werden, und viele Haushalte, die am stärksten von der Immunschwäche betroffen und infolgedessen komplett ausgelöscht worden sind, gar nicht mehr mitgezählt werden.

So ist die Wahrscheinlichkeit, dass ein junger Mann, der nicht mit HIV angesteckt ist, das Virus erhalten wird, wesentlich höher als die aktuellen Infektionsraten annehmen lassen. Und dies stimmt sogar, falls die Infektionsraten in Zukunft abnehmen würden.

Eine Bevölkerungsstudie aus Simbabwe kam zum Schluss, dass tatsächlich die Hälfte der Männer, die im Jahr 1997 15 Jahre alt waren, damit rechnen müssen, vor ihrem fünfzigsten Geburtstag zu sterben. Dies wird sogar eintreffen, falls die Infektionsrate halbiert werden könnte. 1983 mussten nur 15 Prozent der 15-jährigen Männer damit rechnen, vor ihrem fünfzigsten Geburtstag zu sterben.

In Botswana beträgt die Wahrscheinlichkeit, dass ein 15-jähriger Junge vor seinem fünfzigsten Geburtstag stirbt, neunzig Prozent.

Im Bericht heißt es: "Die Situation der Frauen war ebenso schlimm. Die Wahrscheinlichkeit, dass eine 15-Jährige vor Ende ihrer fruchtbaren Jahre sterben werde, hat sich von elf Prozent in den frühen achtziger Jahren auf über vierzig Prozent 1997 vervierfacht."

Entwicklungskosten

Der UN/WHO-Bericht verwendet viele Seiten darauf, detailliert nachzuweisen, was für ein ökonomischer Schaden Aids in der Sub-Sahara verursacht. Am Anfang heißt es: "Vor zehn Jahren wurde HIV-Aids im Wesentlichen als ernsthafte Krise für das Gesundheitswesen betrachtet. ... Heute ist es klar, dass Aids eine Entwicklungskrise ist, und dass es sich in einigen Teilen der Welt außerdem rasch zu einer Sicherheitskrise auswächst."

Familien in den Städten der Elfenbeinküste, die ein HIV-infiziertes Mitglied haben, mussten ihre Ausgaben für Erziehung halbieren und die Ausgaben für den Nahrungsmittelkonsum um 41 Prozent reduzieren, während sich die Gesundheitskosten um das Vierfache erhöhten.

Die Zentralafrikanische Republik hat ein Drittel weniger Lehrer als sie bräuchte. Zwischen 1996 und 1998 sind fast ebenso viele Lehrer gestorben, wie in Rente gingen. Infolge von Personalmangel wurden 107 Schulen geschlossen, während nur 66 Schulen offen blieben. In Sambia sind in den ersten zehn Monaten des Jahres 1998 1.300 Lehrer gestorben.

Eine Untersuchung im ländlichen Distrikt Bukoba in Tansania ergab, dass eine Frau mit einem erkrankten Ehemann sechzig Prozent weniger Zeit auf die Landwirtschaft verwendet als normalerweise. Eine Untersuchung in Namibia kam zum Schluss, dass ein von einer Frau geführter Haushalt im allgemeinen das Vieh verliert, so dass die Versorgung der restlichen Mitglieder mit Nahrungsmitteln gefährdet ist.

Eine Aids-Organisation in Südafrika warnt, dass es in Simbabwe in den nächsten zwanzig Jahren zu einer Krise der Lebensmittelversorgung kommen könnte, weil die Bevölkerung im arbeitsfähigen Alter abnimmt und immer weniger Landfläche bebaut wird. Der Ertrag der landwirtschaftlichen Selbstversorgung hat in den letzten fünf Jahren um fünfzig Prozent abgenommen, was zum größten Teil, wenn auch nicht ausschließlich, auf die Aids-Epidemie zurückgeht. Die Mais-Produktion ist um 54 Prozent zurückgegangen. Der Baumwolleertrag ist um 47 Prozent abgesunken, derjenige an Erdnüssen und Sonnenblumen um 40 Prozent.

HIV-Aids-Epidemie breitet sich in andern Weltregionen aus

Während Aids in der Sub-Sahara bei weitem am schlimmsten wütet, dokumentiert der UN/WHO-Bericht jedoch auch beunruhigende Entwicklungen in Asien, Lateinamerika, Osteuropa und den Ländern der ehemaligen Sowjetunion.

Die Raten, mit denen die Krankheit in Asien zunimmt, sind im allgemeinen wesentlich niedriger als in Afrika. Nur in drei asiatischen Ländern - Kambodscha, Burma und Thailand - sind über ein Prozent der Bevölkerung zwischen 15 und 49 Jahren mit HIV infiziert. In Indonesien haben nur fünf von 10.000 Menschen das HIV-Virus (0,05 Prozent), und auf den Philippinen sind es sieben von 10.000 (0,07 Prozent).

Diese Zahlen sagen jedoch nicht die ganze Wahrheit. Weil viele dieser Länder so bevölkerungsreich sind, bedeutet auch eine geringe Prozentzahl eine enorme Anzahl an HIV-infizierten Menschen. So leben in Indien, wo nur 0,7 Prozent der Einwohnern infiziert sind, 3,7 Millionen Menschen mit dem Virus; damit steht Indien nach absoluten Zahlen hinter Südafrika weltweit an zweiter Stelle.

Außerdem ist die Aids-Epidemie bisher auf untere Bevölkerungsschichten und bestimmte Gebiete begrenzt, wo die Infektionsrate wesentlich höher ist als im nationalen Durchschnitt. Sollte sich das Virus ausbreiten, könnte es zu einer Katastrophe von afrikanischem Ausmaß führen.

In Lateinamerika und in der Karibik haben 1,7 Millionen Menschen HIV-Aids. Einige karibische Nationen weisen außerhalb Afrikas die höchste Aids-Konzentration der Welt auf. Über fünf Prozent der Erwachsenen in Haiti sind mit dem HIV-Virus infiziert, während die Zunahmerate unter den Erwachsenen auf den Bahamas vier Prozent und in der Dominikanischen Republik 2,5 Prozent beträgt.

Die Zahl der Erkrankten in der ehemaligen Sowjetunion ist zwar noch relativ niedrig, aber sie nimmt weltweit mit der größten Geschwindigkeit zu. In der Ukraine ist die Zahl der Menschen, die neu mit HIV angesteckt wurden, von fast Null (1995) auf etwa 20.000 pro Jahr hochgeschnellt. Während die Krankheit sich noch stark auf Drogenabhängige konzentriert, bringt der Zusammenbruch der Gesundheitsfürsorge die Gefahr einer Ausbreitung der Epidemie auf die ganze Bevölkerung mit sich.

Siehe auch:
UN-Bericht über Aids zeichnet ein Bild der Verwüstung - Teil 2
(22. Juli 2000)