Wie der Staat gegen Kriegsgegner vorgeht

Totaler Kriegsdienstverweigerer Jörg Eichler verurteilt

Am Mittwoch, den 14. April 1999 wurde der Dresdner Jura-Student Jörg Eichler (23) vom Amtsgericht Amberg zu einer Freiheitsstrafe von neun Monaten verurteilt, die aber zur Bewährung ausgesetzt wurde. Die Umstände um den Fall des Totalen Kriegsdienstverweigerers wie auch das verschärfte Vorgehen gegen Verweigerer und deren immer länger werdende Haftstrafen lassen erkennen, wie sich die Bundesrepublik auf weitere militärische Handlungen vorbereitet und die Gegner des Militarismus einzuschüchtern versucht.

Eichler hatte sich der "Fahnenflucht" schuldig gemacht, weil er seinen Wehrdienst, zu dem er für den 1. Juli 1998 in die Kaserne Pfreimd in der bayrischen Oberpfalz einberufen worden war, nicht angetreten hatte. Da er militärische Konfliktlösung grundsätzlich ablehnt, verweigert das Mitglied der Kriegsdienstverweigerer-Initiative Dresden und Herausgeber des bundesweiten Rundbriefs "OHNE UNS" sowohl die Ableistung des Wehrdienstes bei der Bundeswehr als auch die des Zivildienstes, wegen dessen Eingebundenheit in das Konzept der Zivil-Militärischen-Gesamtverteidigung, wonach die Zivildienstleistenden im Kriegsfall kriegsunterstützend eingesetzt werden können.

Nachdem Feldjäger der Bundeswehr mehrmals Eichlers Wohnung erfolglos durchsucht hatten, erließ das Amtsgericht Amberg am 11. August vergangenen Jahres einen Haftbefehl wegen "Fluchtgefahr". Am 5. November wurde Eichler dann in einer Telefonzelle in Dresden von der Polizei verhaftet und mußte bis zum Prozeß vor zwei Wochen fünfeinhalb Monate in Untersuchungshaft verbringen.

Während dieser Zeit mußte der Radikal-Pazifist allerlei Willkür der Justiz über sich ergehen lassen. Obwohl ein Verhafteter nach dem Gesetz "unverzüglich" einem Ermittlungsrichter vorgeführt werden muß, geschah dieses bei Eichler erst viereinhalb Wochen (!) nach der Festnahme und zwölf Tage nach seinem Eintreffen in der Jugendvollzugsanstalt Amberg. Die Richterin Kelsch unterließ es, den Haftfortdauerbeschluß an eine Vertrauensperson Eichlers weiterzuleiten, wozu sie verpflichtet gewesen wäre.

Ein weiterer beteiligter Richter namens Plößl hatte rechtswidrig Verteidigerpost von Eichler geöffnet, in welcher brisante verfahrensrechtliche Fragen diskutiert wurden, und veranlaßte dann sogar die Weitergabe dieser Post an die Staatsanwaltschaft "zur Stellungnahme und Aktenvorlage". Später beschlagnahmte Plößl einen Brief eines privaten Freundes von Eichler, da dieser angeblich "grobe Beleidigungen" enthalte, was sich aber nicht bestätigte. Die sich stets verlängernde Haft begründete Plößl mit dem Erhalt internationaler Solidaritätspost: "Im Rahmen der Briefkontrolle hat sich gezeigt, daß der Angeschuldigte durchaus über Kontakte zu im Ausland wohnenden Sympathisanten verfügt."

Am Prozeßtag schließlich glich die bayrische Provinzgemeinde einer Stadt im Ausnahmezustand. Mannschaftswagen und gut hundert Polizisten mit bellenden Kampfhunden waren sowohl in der Innenstadt als auch beim Gericht im Einsatz. Zwei Unterstützer von Eichler, die in der Fußgängerzone mit Flugblättern auf den Prozeß hinwiesen, wurden für zweieinhalb Stunden festgenommen. Einem Mädchen, das zwei als Autonome verkleidete Polizisten fotografiert hatte, wurde der Film entwendet.

Was derweil im Gerichtssaal geschah, beschrieb Eichlers Rechtsanwalt Günter Werner aus Bremen später gegenüber der Frankfurter Rundschau: "So etwas habe ich noch nie erlebt. Man könnte meinen, da solle einem brandgefährlichen Verbrecher der Prozeß gemacht werden."

Etwa 60 Zuschauer verfolgten, wie Eichler seine Beweggründe für die Totalverweigerung darlegte. In seinen über eine Stunde dauernden Ausführungen verwies er auch auf den Nato-Krieg auf den Balkan. Gerade in einer Zeit, in der Deutschland sich an einem völkerrechtswidrigen Angriffskrieg gegen Jugoslawien beteiligt, sei es notwendig, dieser Entwicklung entgegen zu treten und sich dem militärischen Zugriff zu verwehren.

Der Staatsanwalt Maier forderte, seine Wut nur mühsam zügelnd, 13 Monate Haft ohne Bewährung, weil Eichler ein führender Vertreter der Kriegsdienstverweigerung sei und so andere zu strafbarem rechtswidrigem Verhalten anstachele. Darüber hinaus habe der Dresdner Demonstrationen und Aufzüge organisiert, was zu Lasten des Angeklagten gewertet werden solle. Zum Abschluß seines Plädoyers meinte Maier, daß es "kein Mann, kein Kamerad" verstehen würde, wenn hier die Chance zur Bewährung eingeräumt würde.

Der Richter Bierast verurteilte Eichler nach achtstündiger Verhandlung zu neun Monaten mit Bewährung. Er erklärte, daß nach seiner Erkenntnis der Angeklagte "ein für allemal eine feststehende Gewissensentscheidung" getroffen habe. Mit der langen U-Haft, die Eichler auf sich genommen habe, habe er bewiesen, daß er nicht einen bequemen Weg wähle. Die Strafe werde zur Bewährung ausgesetzt, so der Richter, weil eine weitere Verweigerung "nur konsequent" sei.

Trotz dieses Prozeßausgangs überreichten zwei Soldaten noch am Verhandlungstag einen Brief mit der Aufforderung zum Dienstantritt am 19. April. Ein Hinweis auf dem Bescheid machte Eichler darauf aufmerksam, daß er sich bei Zuwiderhandlung erneut strafbar mache.

Rechtsanwalt Günter Werner hatte durch das vorausgegangene Verfahren und das Auftreten des Staatsanwaltes den Eindruck gewonnen, "was hier stattfindet, ist in letzter Konsequenz Militärgerichtsbarkeit". Man könne meinen, daß der Staat "das Strafrecht mißbraucht", um militärische Entscheidungen mit Gewalt durchzusetzen. Das Verhalten seines Mandanten sei die "Kehrseite von dem, was zur Zeit deutsche Soldaten in Jugoslawien anrichten". Die Art und Weise, wie die Staatsanwaltschaft arbeite, "läßt mich Böses ahnen für die Zukunft".

Das Strafmaß für totale Kriegsdienstverweigerer wurde schon unter dem ehemaligen Verteidigungsminister Rühe (CDU) verlängert. In einem Erlaß des Verteidigungsministeriums, dem sogenannten "Rühe-Erlaß", werden Totalverweigerer erst aus der Bundeswehr entlassen, wenn sie ein Gericht zu einer Freiheitsstrafe von mindestens sieben Monaten (mit oder ohne Bewährung) verurteilt hat. Falls das Strafmaß darunter liegt, verschickt die Bundeswehr grundsätzlich einen neuen Einberufungsbescheid und organisiert so ein zweites Strafverfahren. Seit Inkrafttreten des Rühe-Erlasses enden rund 20 % aller Gerichtsurteile zur Totalverweigerung mit dem Strafmaß von 7 Monaten. Zuvor gab es in der Regel Urteile von drei bis sechs Monaten. Bei "dienstflüchtigen" Zivildienstleistenden schreibt das Bundesamt für den Zivildienst (BAZ) eine Mindeststrafe von zehn Monaten vor, die nicht zur Bewährung ausgesetzt werden soll.

Unter dem neuen sozialdemokratischen Verteidigungsminister Scharping wurde dann zum erstenmal ein Totalverweigerer - Sönke aus der Umgebung Hamburgs - zum vierten Mal für 21 Tage in Arrest genommen. Die Arrestierung eines Totalverweigerers bei der Bundeswehr bedeutet nach Informationen der DFG-VK (Deutsche Friedensgesellschaft - Vereinigte Kriegsdienstgegner) Einzelhaft unter verschärften Bedingungen: 23 Stunden Einschluß in einer 6 qm großen Zelle, die mit einem Tisch, einem Stuhl und einem zwischen 6.00 und 21.00 Uhr hochgeklappten Bett möbliert ist; eine Stunde Ausgang pro Tag, eine Stunde Besuch pro Woche.

Seit der Wiedereinführung der allgemeinen Wehrpflicht in der Bundesrepublik wurden Totalverweigerer für maximal dreimal 21 Tage arrestiert, also 63 Tage, bevor dann "Dienstverbot" erteilt und ein "rechtsstaatliches Gerichtsverfahren" eingeleitet wurde. Diverse Totalverweigerer-Initiativen verweisen darauf, daß die Arrestierung von Verweigerern eigentlich rechtswidrig sei, da sie nicht den Charakter einer Strafe haben, sondern lediglich eine "Erziehungsmaßnahme" darstellen dürfe. Das Gewissen eines Verweigerers wird sich durch Haft aber wohl kaum für Kriegsdienst gewinnen lassen. Unter Scharping wird der Bundeswehr der Spielraum für Willkür rasch erweitert.

Zur Zeit sitzt u.a. der Totalverweigerer Olaf Szczepanski aus Berlin seit vier Wochen in Disziplinararrest. Der 22jährige leistete seiner Einberufung für den 4. Januar nicht Folge und wurde daher am 22. März bei seiner Mutter aufgegriffen.

Das Verfahren gegen einen weiteren Totalverweigerer, Volker Wiedersberg, wurde inzwischen ausgesetzt. Das Landgericht Potsdam will vom Bundesverfassungsgericht klären lassen, ob die Wehrpflicht bei der veränderten geopolitischen Lage überhaupt noch verfassungsgemäß sei.

Autonome und anarchistische Organisationen jubilierten nach der Potsdamer Entscheidung schon darüber, daß sie der Anfang der Abschaffung der allgemeinen Wehrpflicht sein könne. Es liegt jedoch viel mehr im Interesse eines militärisch operierenden Landes, eine gut ausgebildete Berufsarmee zu haben. Sollte das Bundesverfassungsgericht die Wehrpflicht wirklich als verfassungswidrig einstufen, schafft es nur den Vorwand für die Politik, eine schlagkräftige Berufsarmee aufzubauen.

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