Internationale SEP-Schulungswoche 2023

Der anhaltende Kampf gegen den Pablismus, der Zentrismus der OCI und die Anzeichen einer Krise im IKVI

Den folgenden Vortrag hielten Samuel Tissot, ein Mitglied der Parti de l'égalité socialiste (PES, französische Sektion des IKVI) und Peter Schwarz, Sekretär des IKVI und Führungsmitglied der Sozialistischen Gleichheitspartei (SGP), im Rahmen der internationalen SEP-Schulungswoche, die vom 30. Juli bis 4. August 2023 stattfand.

Der Eröffnungsbericht des Vorsitzenden der internationalen WSWS-Redaktion, David North, mit dem Titel „Leo Trotzki und der Kampf für den Sozialismus in der Epoche des imperialistischen Kriegs und der sozialistischen Revolution“ ist am 12. August 2023 erschienen. In deutscher Sprache gibt es bisher den zweiten Vortrag: „Die historischen und politischen Grundlagen der Vierten Internationale“, den dritten Vortrag: „Der Ursprung des pablistischen Revisionismus, die Spaltung in der Vierten Internationale und die Gründung des Internationalen Komitees“, den vierten Vortrag: „Die kubanische Revolution und die Opposition der SLL gegen die prinzipienlose Wiedervereinigung von 1963 mit den Pablisten, sowie den fünften Vortrag: „Der ‚große Verrat‘ in Ceylon, die Gründung des Amerikanischen Komitees für die Vierte Internationale und die Gründung der Workers League“.

Alle weiteren Vorträge der Schulung wird die WSWS in den kommenden Wochen ebenfalls veröffentlichen.

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Wie schon in den früheren Vorträgen betont wurde, geht es bei den Kämpfen der trotzkistischen Bewegung gegen den Pablismus nicht um rein abstrakt falsche Ideen. Vielmehr sind die falschen Konzeptionen, von denen diese Schulung handelt, Ausdruck sehr konkreter Klasseninteressen, die unter ganz bestimmten, objektiven historischen Bedingungen Druck auf die trotzkistische Weltbewegung ausgeübt haben.

Beim Rückblick auf diese Periode der Geschichte des Internationalen Komitees ist es außerdem wichtig, die ungünstigen subjektiven Faktoren zu verstehen, denen sich die trotzkistische Bewegung gegenübersah, nachdem die Socialist Workers Party im Jahr 1963 ihre prinzipienlose Wiedervereinigung mit den Pablisten vollzogen hatte.

Mitte der 1960er Jahre waren die Socialist Labour League (SLL) in Großbritannien und die Organisation communiste internationaliste (OCI) in Frankreich die zwei noch verbliebenen großen Sektionen des Internationalen Komitees (IKVI). Zu dieser Zeit erfuhren diese beiden Sektionen auch ein bedeutendes nationales Wachstum, das aber nicht von internationalen Erfolgen begleitet war.

Dies führte dazu, dass sich ein erheblicher nationalistischer Druck aufbaute. 1966 war es dem SLL-Führer Gerry Healy möglich, die internationale Revolution als reines Nebenprodukt eines erfolgreichen Sturzes der britischen Bourgeoisie zu betrachten. Er schrieb:

Auf den Schultern der Socialist Labour League liegt jetzt eine enorme Verantwortung: der Aufbau einer revolutionären Massenpartei, welche die Arbeiterklasse an die Macht führen wird. Dadurch wird sie Revolutionäre in allen Ländern inspirieren, ähnliche Parteien aufzubauen und dasselbe zu tun.[1]

Gerry Healy

Spätere Ereignisse sollten zeigen, dass auch die Führung der französischen Sektion zu diesem Zeitpunkt den Vorrang des IKVI gegenüber den nationalen Sektionen bereits zurückwies.

Auch war die Frage des Pablismus innerhalb der trotzkistischen Bewegung bei der Spaltung von 1963 nicht geklärt worden. Der Klassendruck, den der Pablismus zum Ausdruck brachte – die Vorherrschaft kleinbürgerlicher Agenturen des Imperialismus (also sozialdemokratischer, bürgerlich-nationalistischer und stalinistischer Kräfte) über die Arbeiterklasse – bestand nach wie vor. Diese arbeiterfeindlichen Kräfte setzten das IKVI trotz seines Kampfs gegen die Wiedervereinigung mit den Pablisten weiterhin unter Druck.

In den 1960er Jahren hatte sich die OCI unter Führung von Pierre Lambert von ihrer früheren aktiven Rolle im theoretischen und politischen Kampf gegen den Pablismus zurückgezogen. Obwohl sie sich 1963 zu Recht auf die Seite der SLL gegen die Wiedervereinigung gestellt hatte, leistete sie in dieser Krise des IKVI keinen Beitrag zum theoretischen Kampf gegen die Pablisten.

Das steht im Gegensatz zum ersten internationalen Kampf gegen den Pablismus ein Jahrzehnt zuvor, als Marcel Bleibtreu, der Führer der Internationalistischen Kommunistischen Partei (PCI), der Vorgängerorganisation der OCI, die ersten Dokumente gegen Pablo verfasste, nachdem dieser 1951 die Mehrheit der französischen Sektion ausgeschlossen hatte.

Marcel Bleibtreu

In den 1970er Jahren kapitulierte die OCI schließlich vor dem Bündnis der sozialdemokratischen mit der stalinistischen Bürokratie, das in Frankreich die zahlreichen gewerkschaftlich organisierten Arbeiter dominierte. Mit Unterstützung des Großkapitals wurde 1971 die Sozialistische Partei (PS) gegründet, die von der OCI im Rahmen des Wahlbündnisses „Union de la gauche“ (Union der Linken) unterstützt wurde.

Viele Mitglieder der OCI übernahmen später führende Positionen innerhalb der PS, als diese an der Spitze des französischen kapitalistischen Staats stand. Der wichtigste von ihnen war Lionel Jospin, der spätere französische Premierminister. Auch Jean-Luc Mélenchon, im Jahr 2023 führende Figur der französischen Pseudolinken, war in dieser Zeit Mitglied der OCI.

Die revolutionäre Situation von 1968–1975

Die zentristische Degeneration der OCI war nicht in erster Linie das Ergebnis individueller politischer Fehler oder persönlicher Unzulänglichkeit, sondern eine Folge der Tatsache, dass die Partei auf die Massenkämpfe, die in dieser Zeit ausbrachen, politisch nicht vorbereitet war.

Nachdem Europa nach dem Zweiten Weltkrieg (1944–1953) von revolutionären Kämpfen heimgesucht worden war, folgte eine Zeit der Reaktion. Doch zwischen 1968 und 1975 brach in Frankreich und international eine massive Welle revolutionärer Kämpfe aus.

Wie schon in den Kämpfen unmittelbar nach dem Zweiten Weltkrieg konnte die Bourgeoisie auch jetzt nur dank der verräterischen Rolle überleben, die die kleinbürgerlichen Agenten des Imperialismus in der stalinistischen Bürokratie und den sozialdemokratischen Parteien spielten.

In diese Zeit fallen der französische Generalstreik von 1968, die Massenbewegung gegen den Vietnamkrieg und der Zusammenbruch der Nixon-Regierung, der Zusammenbruch der faschistischen Diktaturen in Griechenland, Portugal und Spanien, der Prager Frühling gegen die stalinistische Herrschaft in der Tschechoslowakei, der Sturz der Regierung der konservativen Heath-Partei in Großbritannien, die westdeutsche Studentenbewegung, der Canberra-Putsch in Australien, der blutige Sturz Allendes durch Pinochet, den die USA unterstützten, die Dollarkrise und das Ende des Bretton-Woods-Abkommens.

Prager Frühling: Demonstrierende überwältigen einen sowjetischen Panzer [Photo: WikiMedia Commons]

Diese objektiv revolutionäre Situation eröffnete große Chancen für die trotzkistische Bewegung, aber auf der Arbeiterklasse lastete ein gewaltiger Druck. Damit wurde die Assimilierung der Lehren aus dem Kampf gegen den Revisionismus (insbesondere dem Kampf gegen den Pabloismus) zur zentralen politischen Frage.

In Frankreich spielten die Pablisten im Mai 1968 eine kriminelle politische Rolle, die sich gegen die Arbeiterklasse richtete. Alain Krivines Revolutionäre Kommunistische Jugend (JCR) und Pierre Franks pablistische PCI sorgten dafür, dass die radikale Jugendbewegung die Vorherrschaft der stalinistischen Bürokratie über die Arbeiterklasse nicht wirklich in Frage stellte, was in diesem revolutionären Kampf die entscheidende politische Frage war.

Stattdessen erklärten sie die Studenten zu einer neuen revolutionären Avantgarde, und sie förderten Illusionen in den Castroismus und Maoismus. Sie führten die Studenten in eine Reihe abenteuerlicher Aktionen, die aber die politische Kontrolle der Stalinisten in der CGT oder der Kommunistischen Partei Frankreichs (PCF) nicht bedrohten.

Die OCI als französische Sektion des IKVI stand in dieser Zeit vor der Aufgabe, in einem kompromisslosen politischen Kampf die reaktionäre Rolle dieser arbeiterfeindlichen Kräfte zu entlarven und die Arbeiter von der stalinistischen Dominanz zu befreien.

Die Socialist Labour League (SLL) warnte die OCI ein Jahr vor dem Mai 1968 vorausschauend:

In einem solchen Stadium der Entwicklung besteht immer die Gefahr, dass eine revolutionäre Partei auf die Situation in der Arbeiterklasse nicht in revolutionärer Weise reagiert, sondern sich dem Niveau des Kampfes anpasst, auf das die Arbeiter durch ihre eigene Erfahrung unter ihrer alten Führung beschränkt sind, d.h., an die unvermeidliche anfängliche Konfusion. Solche Abweichungen vom Kampf für die unabhängige Partei und das Übergangsprogramm verbergen sich oft hinter Formulierungen wie ,näher an die Arbeiterklasse herankommen‘, ,Einheit mit allen, die im Kampf stehen‘, ,Verzicht auf Ultimaten‘, ,den Dogmatismus aufgeben‘, etc.[2]

Auf welchem Niveau bewegte sich der Kampf zu dieser Zeit? Zwei kritische Faktoren der internationalen Situation erzeugten einen enormen kleinbürgerlichen Druck auf das IKVI. Erstens wurden die Arbeitermassen politisch immer noch von den stalinistischen und sozialdemokratischen Bürokratien beherrscht. Zweitens war in ganz Europa und in den USA eine massive linksgerichtete Jugendbewegung der Mittelschicht entstanden.

Dies bedeutete, dass das Wachstum der OCI in dieser Zeit zu einem großen Teil darauf zurückzuführen war, dass radikale Studierende und Jugendliche gewonnen wurden. Dadurch entstand ein kleinbürgerlicher Druck, den nur ein konsequenter Kampf um die Klärung programmatischer und theoretischer Fragen überwinden konnte.

Demonstration in West-Berlin, westdeutsche Studentenbewegung 1967/1968 [Photo: WikiMedia Commons]

Zu dieser Zeit war die Jugend stark von den Theorien der Frankfurter Schule beeinflusst, insbesondere von Hannah Arendt und Herbert Marcuse, die von dem subjektiven idealistischen Philosophen und Nazi-Anhänger Martin Heidegger ausgebildet worden waren. In Frankreich kristallisierten sich diese Konzepte im Existentialismus von Jean-Paul Sartre und in Albert Camus‘ demoralisierter Philosophie des Absurden. Diese unzähligen Theorien hatten alle ein zentrales Thema: die Zurückweisung des marxistischen Beharrens darauf, dass die Arbeiterklasse in der heutigen Gesellschaft die wesentliche, entscheidende und führende revolutionäre Kraft ist.

Viele Studierende und Jugendliche, die sich zum Trotzkismus hingezogen fühlten, waren auch stark vom schwarzen Nationalismus, der Frauenemanzipation und von der auf die Bauern gestützten Politik Maos und Castros beeinflusst, die alle in der einen oder anderen Form die revolutionäre Rolle nicht der Arbeiterklasse, sondern einem anderen Teil der Gesellschaft zuschrieben. Viele neue Mitglieder wurden rekrutiert, ohne dass sie in den grundlegenden Lehren des Trotzkismus ausgebildet wurden, geschweige denn im Kampf gegen den Pablismus und in den Lehren von 1953 und 1963. Dies machte die OCI anfällig dafür, rasch entlang nationalistischer und arbeiterfeindlicher Linien zu degenerieren.

Dazu schrieb David North:

In dem Maße, wie die Implikationen und Lehren aus der Spaltung von 1963 nicht ständig studiert und vertieft wurden, hatte die politische Radikalisierung der Mittelklasse Mitte der 1960er Jahre, obwohl sie im Wesentlichen eine Vorwegnahme der revolutionären Bewegung des internationalen Proletariats war, weitgehende Auswirkungen auf die SLL und das IKVI. Der wachsende Druck des kleinbürgerlichen Radikalismus fand seinen Ausdruck sowohl in der SLL als auch in der Organisation communiste internationaliste (so hatte sich die PCI umbenannt), wenn auch in etwas verschiedenen Formen.[3]

Dieser objektive Druck in Verbindung mit der Isolation des IKVI nach 1963 führte dazu, dass die OCI auf ihr schnelles Wachstum in der Zeit von 1968 bis 1975 nicht vorbereitet war. Dies begünstigte eine zentristische Degeneration, die sich theoretisch als Erstes darin äußerte, dass sie die Bedeutung des Kampfs des IKVI gegen den Pablismus leugnete.

Kontroverse über den „Wiederaufbau“ der trotzkistischen Bewegung

Die zentristische Tendenz der OCI entwickelte sich nicht über Nacht; sie trat nicht eines Tages im Jahr 1971 plötzlich auf. Die ersten Anzeichen für ihre künftige ausdrückliche Zurückweisung des Kampfs gegen den Pablismus gab es 1965, als Stéphane Just, ein führendes OCI-Mitglied, den ersten Band seines Werks „Défense du trotskysme“ (Verteidigung des Trotzkismus) veröffentlichte.

Justs Werk widersprach zwar den Argumenten der pablistischen Revisionisten und unterstützte die Verteidigung des trotzkistischen Programms durch das IKVI, räumte aber ein, dass die Pablisten das IK erfolgreich „zerstört“ hätten und es daher „wiederaufgebaut“ werden müsse. Just argumentierte, dass die Mitgliederzahl des IKVI der Maßstab dafür sei, ob sie existiere oder nicht.

Er schrieb:

Es ist notwendig, eine genaue Vorstellung davon zu haben, was das Internationale Komitee ist. Es wäre kindisch von ihm, sich als eine internationale Führung zu betrachten, die sich nur als Führung der Internationale proklamieren muss, um es zu sein. Das Internationale Komitee der Vierten Internationale ist nicht die Vierte Internationale. Diese wurde durch den Pablismus zerstört.[4]

Auf dieser Grundlage rief Just zum „Wiederaufbau der Vierten Internationale“ unter Führung der SLL und der OCI auf.

Stéphane Just

Aus dieser Haltung folgte, dass der Kampf gegen den Pablismus keinerlei Bedeutung hatte. Damit warf Stéphane Just die Kämpfe des ersten Teils der dritten Phase der trotzkistischen Bewegung – den Offenen Brief von 1953, die Gründung der SLL 1959, den Kampf gegen die Wiedervereinigung, die Gründung des Amerikanischen Komitees für die Vierte Internationale, den Kampf gegen den Verrat der LSSP – einfach in den Mülleimer.

Auf dieser Grundlage konnten der Kampf gegen den Revisionismus abgetan und prinzipienlose politische Bündnisse mit allen möglichen politischen Gruppierungen gerechtfertigt werden. Während der gesamten 1960er Jahre pflegte die OCI unter der Führung Pierre Lamberts, der selbst Gewerkschaftsfunktionär war, prinzipienlose Beziehungen zu Voix Ouvrière (der späteren Lutte Ouvrière, LO) und anderen Gruppen, die sich an der nationalistisch und stalinistisch dominierten französischen Gewerkschaftsbürokratie orientierten und sie zu einem beträchtlichen Teil ausmachten.

Nachdem die OCI in den frühen 1950er Jahren den Kampf gegen Pablo und Mandel anfangs angeführt hatte, leugnete sie 1967 ausdrücklich die Bedeutung des Kampfs gegen den Pablismus, erklärte die Vierte Internationale und das Internationale Komitee für tot und wandte sich gegen die Grundsätze des revolutionären Marxismus.

Die Geschichte des Begriffs „Wiederaufbau“ ist widersprüchlich. Wie bei allen Wörtern änderte sich seine Bedeutung im Laufe der Zeit, und wofür er später stehen sollte, war der trotzkistischen Bewegung nicht von vorneherein klar. Auch die SLL verwendete den Begriff zu dieser Zeit, allerdings nicht mit demselben antitrotzkistischen Inhalt. Die Auffassung der SLL vom „Wiederaufbau“ hatte eine diametral entgegengesetzte politische Bedeutung: nämlich, dass die Kräfte der Vierten Internationale nur auf der Grundlage des historischen Kampfs gegen den pablistischen Revisionismus, den das IKVI seit 1953 geführt hatte, aufgebaut werden konnten.

Die Resolution der siebten Jahreskonferenz der Socialist Labour League, die am 7. Juni 1965 angenommen wurde, bringt diese richtige Orientierung zum Ausdruck:

Der erfolgreiche Kampf des IKVI gegen den Revisionismus und die Arbeit ihrer Sektionen beim Aufbau einer Führung der Arbeiterklasse bilden die Grundlage für den Wiederaufbau der Vierten Internationale.[5]

Der Dritte Weltkongress des IKVI

1966 hielt das IKVI seinen dritten Weltkongress in London ab. Auf dieser Versammlung wurde der Klassenunterschied zwischen den beiden Auffassungen des „Wiederaufbaus“ deutlich. Auf dem Kongress äußerten zwei anwesende politische Gruppen, die Arbeiterstimme (Voix Ouvrière, VO) und die Spartakisten, ihre Feindschaft gegenüber dem IKVI und seinem Kampf gegen den Pablismus.

VO wurde von Robert Barcia alias Hardy geleitet, der aus der Barta-Gruppe stammte, einer zentristischen Organisation, die die Gründung der Vierten Internationale abgelehnt hatte. Da die VO enge organisatorische Beziehungen zur OCI unterhielt, war sie als Beobachter zum Kongress eingeladen worden. Sie nahm teil, weil sie mit dem „Wiederaufbau“ übereinstimmte, soweit dieser die Kontinuität der trotzkistischen Bewegung und die Bedeutung des Kampfes des IKVI gegen den Pablismus leugnete.

Die Spartakisten, eine Sektion ehemaliger SWP-Mitglieder, die sich nicht dem Amerikanischen Komitee für die Vierte Internationale angeschlossen hatten, brachten ebenfalls ihre Feindschaft gegen das IKVI zum Ausdruck, indem sie einen wichtigen Änderungsantrag zur Kongressresolution ablehnten und sich auf dem Kongress völlig prinzipienlos verhielten.

Diese Gruppen nahmen nur deshalb an dem Kongress teil, weil sie mit einem ersten Entwurf der Kongressresolution übereinstimmten, in dem von der „Zerstörung“ der Vierten Internationale durch die Pablisten die Rede war. Im Laufe des Kongresses wurde den Führern der SLL bewusst, dass dies ein falsches Zugeständnis an Gegner der Vierten Internationale war. Um dieses Problem zu lösen, schlug Michael Banda in Zusammenarbeit mit Gerry Healy folgende Änderung der Resolution vor:

Der Satz, der sich auf die Zerstörung der Vierten Internationale durch die pablistischen Revisionisten bezieht, wird gestrichen und durch den folgenden ersetzt: „Die Vierte Internationale hat den Bemühungen des kleinbürgerlichen Opportunismus, sie politisch und organisatorisch zu zerstören, erfolgreich widerstanden und sie besiegt. Diese Bemühungen hatten die Form einer verhärteten revisionistischen Tendenz angenommen, die alle Teile der trotzkistischen Bewegung durchdrang. Der Kampf gegen diese Tendenz war und ist die notwendige Vorbereitung für den Wiederaufbau der Internationale als zentralisierte proletarische Führung.“[6]

Die OCI stimmte für den Antrag der SLL, während VO und die Spartakisten dagegen stimmten. Eine zweite Resolution, die einen Mittelweg zwischen den beiden Positionen vorschlug, wurde vom ungarischen Delegierten Varga (Balázs Nagy) mit Unterstützung Cliff Slaughters eingereicht. Sie war ein Zugeständnis an die Vertreter des „Wiederaufbaus“. Vargas Resolution versuchte, die Einheit mit ihnen zu wahren, indem er die Bedeutung ihres Angriffs auf den Kampf der trotzkistischen Bewegung gegen den Pablismus herunterspielte. Auch dies wurde vom Kongress zu Recht als Zugeständnis an die Behauptung, die Vierte Internationale sei zerstört worden, zurückgewiesen.

Dritter Kongress des IKVI (1966): Hinten v.l.n.r.: M. Banda, C. Slaughter, vorne: P. Lambert, G. Healy, M. Rastos, S. Just

Mit dieser Abstimmung waren die damaligen Differenzen zwischen der französischen und der britischen Sektion nicht vollständig ausgeräumt. In späteren Polemiken mit der SLL stellte die OCI fest, dass ihrer Meinung nach die von Just aufgeworfenen Fragen auf dem Dritten Kongress nicht geklärt worden seien, weil die Auseinandersetzung mit dem Verhalten von Robertsons Spartakisten und den Positionen der VO vordringlicher gewesen sei. Später sollte sich herausstellen, dass die Unterstützung des Änderungsantrags der SLL durch die OCI nur ein vorübergehendes Zugeständnis war: Schon kurze Zeit später kehrte sie zu dem Argument zurück, welches die VO auf dem Kongress vertreten hatte, dass nämlich die Vierte Internationale durch den Pablismus zerstört worden sei.

Dennoch war der Dritte Weltkongress im Kampf gegen den Revisionismus ein erster Schritt vorwärts. Im Verlauf des Kongresses wurde deutlich, welche revisionistischen Vorstellungen hinter dem „Wiederaufbau“ standen. Der Kongress zeigte auch, dass Gruppen wie die VO und die Spartakisten dem Trotzkismus feindlich gegenüberstanden, und dass man sie aktiv bekämpfen musste, um die revolutionäre Führung der Arbeiterklasse aufzubauen.

Die OCI entwickelt eine zentristische Orientierung

Obwohl die OCI für die Änderung der Resolution von 1966 stimmte, wurde 1967 immer deutlicher, dass sie unter starkem kleinbürgerlichem Druck stand. Dies äußerte sich in Form einer politischen Annäherung an die stalinistischen und sozialdemokratischen Bürokratien in Frankreich, unter denen die OCI ihre organisatorische Arbeit ausweitete. Auch VO bewegte sich als politische Tendenz in diesem Bereich.

Anfangs drückte sich dieser zentristische Kurs in Form von organisatorischen Differenzen zwischen der OCI und der SLL innerhalb des IKVI aus. Es kam beispielsweise zu Streitigkeiten über das Niveau des politischen Aktivismus und zu Konflikten über die Herausgabe einer gemeinsamen Publikation. Natürlich kann auch ein gesundes Streben nach Ausweitung der politischen Arbeit bestimmte Reibungen in solchen Fragen erzeugen. Aber es wurde bald klar, dass dies bei der OCI nicht der Fall war. Vielmehr verrieten die Differenzen der OCI einen zentristischen Druck, der sich darin ausdrückte, dass man den organisatorischen Errungenschaften, insbesondere der Gewerkschaftsarbeit, Vorrang vor dem Kampf gegen den Revisionismus und der Klärung politischer und historischer Fragen im IKVI einräumte.

Die OCI begann, die Argumente der VO gegen das IKVI nachzuplappern, zu der sie weiterhin organisatorische Beziehungen im Bereich der Gewerkschaftsarbeit und der Zeitungsproduktion unterhielt. Die Vierte Internationale sei zerstört worden und der Beweis dafür sei angeblich die kleinbürgerliche Zusammensetzung des IKVI. Auf dieser Grundlage argumentierte die OCI, es sei wichtiger, dass die Kader Arbeiterberufe ergriffen und sich von der Intelligenz distanzierten, als dass sie einen aktiven politischen Kampf gegen den Revisionismus führten. Dieses Argument vertrat die VO explizit bei einem Treffen mit der OCI im März 1966, einen Monat vor dem Dritten IK-Kongress.

Bei diesem Treffen hatte Voix Ouvrière erklärt:

Unserer Meinung nach lagen die Ursachen des Pablismus im kleinbürgerlichen Charakter der Organisationen der Vierten Internationale.[7]

Mit anderen Worten: Der Pablismus entstand nicht aus dem Klassendruck, der in objektiven Ereignissen wurzelte, die nach dem Zweiten Weltkrieg auf die trotzkistische Bewegung einwirkten: der relativen Stabilisierung des US-amerikanischen und europäischen Kapitalismus und der Erweiterung geopolitischen Position der stalinistischen UdSSR. Vielmehr war sie ein Produkt der persönlichen Eigenschaften der Führung.

In demselben Dokument, in dem sie die frühere Erklärung der VO zitiert, wiederholt die OCI auch Justs Behauptung, der Pablismus habe das IKVI erfolgreich zerstört, eine Zurückweisung ihrer Zustimmung zum Änderungsantrag auf dem Kongress:

Nachdem wir den Bankrott der pablistischen Führung festgestellt haben, können wir nicht einfach behaupten, dass die Vierte Internationale schlicht und einfach weiterbesteht, wobei das IKVI den Platz des pablistischen IS einnimmt. Es war keine Kleinigkeit, kein unbedeutender Zwischenfall, dass die gesamte alte Führung der Vierten Internationale unter dem Druck des Imperialismus und des Stalinismus kapituliert hat, ohne dass die wichtigsten Sektionen darauf reagierten.[8]

Schließlich gelangte die OCI, nur ein Jahr nachdem sie die Resolution zur Verteidigung des IKVI unterstützt hatte, zu dem Schluss: „Das IK ist nicht die Führung der Vierten Internationale.“[9]

Auch andere revisionistische Auffassungen fanden Eingang in die Politik der OCI, einschließlich Skepsis gegenüber dem dialektischen Materialismus und Verachtung für die Prinzipien des demokratischen Zentralismus. Die politische Konsequenz war, dass die OCI es nicht für nötig hielt, eine trotzkistische Partei aufzubauen, die sich auf einen entschlossenen Kampf gegen den Opportunismus und auf ein Programm für die Unabhängigkeit der Arbeiterklasse stützte. Nachdem sie die Lehren aus mehr als einem Jahrhundert marxistischen Kampfs aufgegeben hatte, konnte sie nun prinzipienlose Beziehungen mit VO eingehen, um organisatorische Gewinne in den französischen Gewerkschaften und auf internationaler Ebene in bürgerlich-nationalistischen Gruppen zu erzielen, wie etwa in der Revolutionären Arbeiterpartei von Guillermo Lora in Bolivien.

Mit solchen Vorstellungen war die OCI in den Zentrismus abgerutscht. Mit diesem Begriff bezeichnete die trotzkistische Bewegung die „realistische“ Opposition gegen die Gründung der Vierten Internationale durch Trotzki im Jahr 1938. Genosse North erläuterte ihr Hauptargument wie folgt:

Die Zentristen behaupteten zwar beharrlich, in der Einschätzung des Stalinismus keine Meinungsverschiedenheiten mit Trotzki zu haben, hielten die Gründung der Vierten Internationale aber dennoch für ein aussichtsloses Unterfangen. Sie führten an, die trotzkistische Bewegung sei zu klein und zu isoliert, um eine neue Internationale „auszurufen“, und vergaßen dabei geflissentlich, dass Lenins Stimme, als er in den Anfangsjahren des Ersten Weltkriegs zur Bildung der Dritten Internationale aufrief, unter den lärmenden chauvinistischen Proklamationen der Zweiten Internationale kaum wahrnehmbar war.[10]

Dreißig Jahre später hatte sich erneut eine zentristische Tendenz herausgebildet, diesmal jedoch innerhalb der französischen Sektion der trotzkistischen Bewegung, die argumentierte, die Vierte Internationale sei so klein, dass sie als unabhängige politische Kraft nicht mehr existiere, und sie müsse daher auf einer neuen, d.h. nicht-trotzkistischen Grundlage „wiederaufgebaut“ werden.

Im Rückblick auf die Spaltung hat das IKVI den Zusammenhang zwischen der Forderung der OCI nach „Wiederaufbau“ und ihrer Hinwendung zum Zentrismus wie folgt erklärt:

Die beharrliche Behauptung der Franzosen, die Vierte Internationale müsse „wiederaufgebaut“ werden, bedeutete nicht einfach einen Streit um Worte. Sie beinhaltete vielmehr unter dem Deckmantel einer politischen Umgruppierung eine Orientierung hin zu zentristischen Kräften. Auf diese Weise setzte die OCI die Errungenschaften aus dem Kampf gegen den pablistischen Revisionismus aufs Spiel. Indem sie jenen Zugeständnisse machte, die behaupteten, die Vierte Internationale sei „tot“ und müsse „wiederaufgebaut“ werden, erklärte die OCI, wenn auch nur implizit, dass die Lehren aus den vergangenen Kämpfen gegen den Revisionismus nicht von so entscheidender Bedeutung seien. So steuerte sie direkt in den politischen Sumpf des Zentrismus, wo jeder mit jedem zusammengehen konnte, ganz gleich was die politische Geschichte der Tendenzen war, die sie vertraten.[11]

Die Verteidigung des Trotzkismus durch die Socialist Labour League

Gegen dieses zentristische Abdriften der OCI verteidigte die SLL die Kontinuität der trotzkistischen Bewegung. Obwohl sie zu dieser Zeit selbst erhebliche politische Schwächen zeigte und die Probleme mit der französischen Sektion nicht auf prinzipielle Weise durcharbeitete, spielte die SLL immer noch die entscheidende Rolle bei der Verteidigung der Kontinuität der trotzkistischen Bewegung. Ohne diesen Kampf wäre die Kontinuität der trotzkistischen Bewegung, die im IKVI verkörpert ist, verloren gegangen.

Die Dokumente in Band 5 von „Trotskyism vs. Revisionism“ zeigen, dass die SLL den Kampf gegen den Pablismus verteidigte und die OCI vor den Folgen einer Ablehnung dieses Kampfes warnte, insbesondere im Vorfeld einer Periode revolutionärer Umwälzungen. Im vierten Abschnitt ihrer Antwort, der mit „Die Vierte Internationale ist nicht tot“ überschrieben ist, erklärte die SLL:

Der Kampf um die Theorie und um die Kontinuität, den unsere beiden Sektionen geführt und gewonnen haben, war der Prüfstein. Die französischen Genossen müssen daher ihren neuen Kurs stoppen und umkehren … [Auf dem Dritten Kongress] stimmten die OCI-Delegierten für den Änderungsantrag der SLL, dass die Vierte Internationale nicht zerstört worden sei. Nur auf dieser Grundlage ist es möglich, vorwärts zu gehen und revolutionäre Parteien aufzubauen.[12]

Die SLL wies ausdrücklich darauf hin, wie wichtig es ist, alle Formen der politischen Parteiarbeit dieser programmatischen Grundlage unterzuordnen:

Nachdem wir dort [auf dem Dritten Kongress] auf der Kontinuität der Vierten Internationale bestanden und die Formel „Die Vierte Internationale ist tot“ als eine kleinbürgerliche, pessimistische Ablehnung der revolutionären Rolle der Arbeiterklasse und des revolutionären Bewusstseins zurückgewiesen hatten, formulierten wir in der Kommission für die Aufgaben des Internationalen Komitees die zentralen Prinzipien der Art von Partei, die wir aufbauen, einer bolschewistischen Partei. Wir betonten, dass alle Gewerkschaftsarbeit, Jugendarbeit usw. dieser Aufgabe untergeordnet ist.[13]

In demselben Dokument betonte die SLL die Bedeutung des Kampfs gegen den Pablismus:

Es ist ein großer Fehler, den langen Kampf gegen den pablistischen Revisionismus als bedauerliche Unterbrechung zu betrachten [...] Im Gegenteil bestand das Leben der Vierten Internationale in diesen Jahren im lebendigen Kampf gegen den Pablismus und in der Ausbildung von Kadern und Parteien auf der Grundlage dieses Kampfs. Er enthält die wichtigsten Lehren aus dieser ganzen Periode.[14]

Die SLL warnte:

Wenn die französischen Genossen nicht bewusst von diesem theoretischen Kampf ausgehen, werden sie einen hohen Preis zahlen.[15]

Diese Zitate sind der wichtigste Beweise für die zentrale historische These des ersten Teils dieses Vortrags: dass die SLL Recht hatte, als sie darauf beharrte, dass der „Prüfstein“ für die Arbeit des IKVI in einer heranreifenden revolutionären Situation der Kampf gegen den Revisionismus sei.

Leo Trotzki

Die Behauptung der OCI, die Existenz der trotzkistischen Bewegung bestimme sich allein an der Zahl ihrer Mitglieder, war ein Angriff auf die Vierte Internationale, wie sie von ihrem Gründer, Leo Trotzki, konzipiert wurde. Auf die Behauptung, die Vierte Internationale sei wegen der geringen Anzahl ihrer Kader unbedeutend, erwiderte die SLL, dass die Vierte Internationale nur insofern existiere, als sie das Programm und die Tradition des Trotzkismus verteidige.

In ihrer Polemik gegen die OCI wies die SLL zu Recht darauf hin, dass Trotzki selbst dies am Ende des Übergangsprogramms betont hatte:

Die Vierte Internationale, antworten wir, braucht nicht „proklamiert“ zu werden. Sie besteht und kämpft. Ist sie schwach? Ja, ihre Reihen sind wenig zahlreich, weil sie noch jung ist. Es sind bislang vorwiegend Kader. Aber diese Kader sind die einzigen Bürgen der Zukunft. Außer diesen Kadern gibt es auf unserem Planeten keine einzige revolutionäre Tendenz, die dieses Namens würdig wäre. Ist unsere Internationale zahlenmäßig auch noch schwach, so ist sie doch stark aufgrund ihrer Lehre, ihres Programms, ihrer Tradition und der unvergleichlichen Festigkeit ihrer Kader.[16]

Dem fügte die SLL hinzu:

Es besteht nicht der geringste Zweifel, ob Trotzki darauf warten wollte, dass die Internationale „die Führung eines bestimmten Teils der Klasse“ übernommen hat, bevor sie „existiert“. Die Kriterien waren: Lehre, Programm, Tradition und die unvergleichliche Festigkeit der Kader.[17]

Würde man zugestehen, dass die trotzkistische Bewegung 1953 durch den Pablismus zerstört wurde, welchen Status hatte sie dann nach 1945, nachdem fast eine ganze Generation von europäischen Revolutionären in den Konzentrationslagern umgekommen war? Oder in den späten 1930er Jahren, als die Vierte Internationale gegründet wurde, als Zehntausende von Linksoppositionellen in der Sowjetunion ermordet wurden? Ganz zu schweigen natürlich von der Ermordung Trotzkis selbst im Jahr 1940.

Während all dieser tragischen Ereignisse und historischen Verbrechen setzten sich „Lehre, Programm, Tradition und die Festigkeit der Kader“ in einer ununterbrochenen historischen Kette fort. Die Bedeutung des erfolgreichen Kampfs des IKVI gegen den Pablismus zu leugnen, ist der erste Schritt zur Leugnung der Bedeutung der trotzkistischen Bewegung selbst.

Die Kontinuität der trotzkistischen Bewegung inmitten einer neuen Welle von revolutionären Kämpfen

Die zentrale politische Frage, um die es in der Auseinandersetzung um den „Wiederaufbau“ ging, war die Anpassung an die stalinistischen und sozialdemokratischen Gewerkschaftsbürokratien. Während die OCI auf dem Dritten Kongress zunächst die richtige Position unterstützte, legte ihre Weigerung, einen entschlossenen politischen und theoretischen Kampf gegen kleinbürgerliche Tendenzen zu führen (insbesondere gegen die VO in Frankreich und gegen bürgerlich-nationalistische Regime auf internationaler Ebene), im Kontext eines massiven internationalen Aufschwungs revolutionärer Kämpfe den Grundstein für ihre Abkehr vom Trotzkismus.

Die trotzkistische Bewegung kann nur für eine revolutionäre Perspektive kämpfen, wenn sie sich auf die Kontinuität ihres Programms stützt, das die Verteidigung der historischen Wahrheit und der materialistischen Philosophie einschließt, und daran festhält, dass die Arbeiterklasse in der Epoche des Imperialismus die führende und entscheidende revolutionäre Klasse ist. Wie David North vor über 40 Jahren in „Leo Trotzki und die Entwicklung des Marxismus“ erklärte:

Man kann die Geschichte des Trotzkismus nicht verstehen, wenn man sie als eine Reihe zusammenhangsloser Episoden betrachtet. Auf theoretischer Ebene ergab sich seine Entwicklung aus der fortlaufenden Analyse der kapitalistischen Weltkrise und der Kämpfe des internationalen Proletariats durch seine Kader. Diese lückenlose politische Analyse aller grundlegenden Erfahrungen im Klassenkampf über eine ganze historische Epoche hinweg bildet den enormen Reichtum des Trotzkismus als der einzigen Weiterentwicklung des Marxismus nach Lenins Tod im Jahre 1924.[18]

In der Spaltung mit der OCI verteidigte die SLL diese ungebrochene Kontinuität.

Die Verteidigung der Kontinuität der trotzkistischen Bewegung durch die SLL inmitten der zentristischen Degeneration der OCI ist eine entscheidende Episode in der Geschichte unserer Partei. Sie liefert entscheidende Lehren für unsere politische Praxis im dritten Jahrzehnt des 21. Jahrhunderts, wenn wir am Beginn der fünften Phase der Geschichte der Vierten Internationale stehen.

Erneut sind wir auf allen Kontinenten mit einer schnell wachsenden und sich radikalisierenden Bewegung der Arbeiterklasse und der Jugend konfrontiert. Der imperialistische Krieg, das massenhafte Sterben in der Pandemie und der sinkende Lebensstandard haben in Frankreich zu gewaltigen Kämpfen gegen Macron geführt, während sich auf der ganzen Welt Millionen Arbeiter an Streiks beteiligen.

In einer auf der WSWS veröffentlichten Erklärung unserer europäischen Parteien vom 10. Februar 2023 heißt es, dass auf dem gesamten Kontinent eine objektiv revolutionäre Situation entstanden sei. Die Bestimmung der 2020er Jahre als das Jahrzehnt der sozialistischen Revolution war nicht bloßes Wunschdenken, sondern eine wissenschaftliche Prognose der fortgeschrittenen Krise des heutigen Weltimperialismus. In den letzten drei Jahren hat sich diese Analyse durch die Entwicklung der Ereignisse Tag für Tag bestätigt.

Demonstration während des Kampfs gegen Macrons Rentenreform in Paris, 2023

Im Gegensatz zu der Periode, die in diesem Vortrag behandelt wird, existieren die sozialdemokratischen und stalinistischen Bürokratien heute entweder nur noch in stark geschwächter Form, oder sie sind durch die Kräfte der Geschichte zerstört worden. Dies bedeutet jedoch nicht, dass der kleinbürgerliche Druck, sich an das politische Niveau der aktuellen Kämpfe anzupassen, nicht mehr existiert.

Wie die Kontroverse über den „Wiederaufbau“ Mitte der 1960er Jahre zeigt, können sich hinter scheinbar oberflächlichen Differenzen über Terminologie, Philosophie oder Geschichte antimarxistische Auffassungen verbergen, die den Druck klassenfremder Kräfte auf die trotzkistische Bewegung ausdrücken.

Inmitten revolutionärer Situationen entwickeln sich alle möglichen Tendenzen, auch in der Führung der revolutionären Partei. Wir müssen begreifen, dass diese nur auf der Grundlage eines unermüdlichen Bemühens um die Aneignung der Lehren aus der Geschichte unserer Bewegung bekämpft werden können.

Dabei muss in erster Linie das trotzkistische Programm verteidigt werden, mit dem unsere Bewegung ein Jahrhundert lang für die Befreiung der Arbeiterklasse vom Einfluss bürgerlicher Kräfte gekämpft hat. Nur auf dieser Grundlage kann die revolutionäre Partei – unsere Partei – die historischen Aufgaben, die ihr im 21. Jahrhundert gestellt werden, meistern und die internationale Arbeiterklasse in eine sozialistische Revolution führen.

Die zentristische Entartung der OCI

Die zentristische Orientierung der OCI, die ihren schärfsten Ausdruck in der Leugnung der Kontinuität des IKVI und in der Ablehnung der Bedeutung des Kampfs des Internationalen Komitees gegen den Pablismus fand, führte zu einer politischen Katastrophe. Als 1968 in Frankreich eine revolutionäre Welle von ungeheurer Wucht ausbrach, wurde die OCI, anstatt sie anzuführen, von ihr mitgerissen.

Das IKVI analysierte diese Erfahrung in „Wie die Workers Revolutionary Party den Trotzkismus verraten hat“. Es schrieb:

Unter den Bedingungen des politischen Aufschwungs der Arbeiterklasse und studentischen Jugend in Frankreich 1968 bekamen diese zentristischen Schwankungen für die politische Entwicklung der OCI und des IKVI eine gewaltige Bedeutung. Die französische Organisation, die seit Jahren darum kämpfte, wenigstens ihre Rechnungen zu bezahlen und in der Arbeiterbewegung vertreten zu sein, wuchs plötzlich wie ein aufgeblasener Ballon. [...] Doch die OCI-Führung um Lambert und Just passte sich an kleinbürgerliche Elemente, wie Charles Berg, an, die in die Bewegung hineinströmten. Es dauerte nicht lange, und der rechte Schwanz wedelte mit dem Hund, der Partei.[19]

In nur drei Jahren wurde die OCI in Frankreich zu einem Pfeiler der bürgerlichen Herrschaft und auf internationaler Ebene zu einer verfaulten zentristischen Organisation. Daraus lassen sich enorme Lehren ziehen, wie sich unsere Partei auf die kommende revolutionäre Periode vorbereiten muss.

Der politische Sturm, der 1968 ausbrach und Frankreich an den Rand der sozialen Revolution führte, entwickelte sich unter einer Oberfläche der politischen Reaktion.

1958 – nach einem Putschversuch französischer Offiziere in Algerien – errichtete Charles de Gaulle die Fünfte Republik, die die Macht in den Händen des Präsidenten konzentrierte. Die OCI bewertete dieses Ereignis äußerst pessimistisch. Sie interpretierte es als einen bonapartistischen Staatsstreich und verlegte ihre Arbeit weitgehend in den Untergrund.

Das de Gaulle-Regime war zweifelsohne reaktionär. Aber unter diesem Regime vollzog sich ein rascher sozialer Wandel. Mit staatlicher Unterstützung wurden riesige Industrien in den Bereichen Automobil, Flugzeug, Luft- und Raumfahrt, Rüstung und Atomkraft aufgebaut. Frankreich, am Kriegsende noch ein landwirtschaftlich geprägtes Land, entwickelte sich zu einer führenden Industrienation. In nur zwanzig Jahren verließen zwei Drittel der französischen Bauern ihr Land und zogen in die Städte. Zusammen mit Migranten ergänzten sie die Arbeiterklasse um eine junge, kämpferische Schicht, die für die Gewerkschaftsbürokratie nur schwer zu kontrollieren war.

Dem Generalstreik vom Mai–Juni 1968 ging eine Studentenrevolte voraus, die in den Vereinigten Staaten und in Deutschland ihren Ursprung hatte und von dort aus auf Frankreich übergriff.

Die Studentenbewegung wurde von den antimarxistischen Vorstellungen der Neuen Linken beherrscht. Anstatt die Arbeiterklasse als revolutionäre Klasse zu betrachten, sahen sie die Arbeiter als eine rückständige Masse, die durch Konsum und Medien vollständig in die bürgerliche Gesellschaft integriert war. Anstelle der kapitalistischen Ausbeutung betonte die Neue Linke in ihrer Gesellschaftsanalyse die Rolle der Entfremdung – wobei sie Entfremdung in einem streng psychologischen oder existenzialistischen Sinne interpretierte.

Jean-Paul Sartre, Philosoph und Gründer der Revolutionären Demokratischen Versammlung, war die führende Figur der Neuen Linken der Nachkriegszeit in Frankreich [Photo: WikiMedia Commons]

Nicht die Arbeiterklasse sollte die „Revolution“ anführen, sondern die Intelligenz und verschiedene Gruppen am Rande der Gesellschaft. Für die Neue Linke waren die treibenden Kräfte nicht die Klassenwidersprüche der kapitalistischen Gesellschaft, sondern das „kritische Denken“ und die Aktivität einer aufgeklärten Elite. Das Ziel der Revolution war nicht mehr die Umgestaltung der Macht- und Eigentumsverhältnisse, sondern gesellschaftliche und kulturelle Veränderungen, wie die Veränderung der sexuellen Beziehungen.

Die Pablisten lösten sich vollständig in diesem kleinbürgerlichen Milieu auf. Ernest Mandel erklärt die Studierenden zur neuen revolutionären Avantgarde. Pierre Frank, der Führer der pablistischen PCI, behauptete, dass die kleinbürgerlichen Gruppen, die die Studentenproteste anführten, „in einem revolutionären marxistischen Sinne ein sehr hohes politisches Niveau“ aufwiesen. In Wirklichkeit waren sie durch und durch antimarxistisch.

Alain Krivine, der Führer der pablistischen Jeunesse communiste révolutionnaire (JCR), hatte keine nennenswerten politischen Differenzen mit dem Anarchisten Daniel Cohn-Bendit, dem Maoisten Alain Geismar und anderen Studentenführern, die bei den Ereignissen von 1968 eine Rolle spielten. Sie traten bei öffentlichen Versammlungen und bei den Straßenkämpfen im Quartier Latin Seite an Seite auf. Die JCR selbst war, wie ein Historiker feststellte, „eher guevaristisch als trotzkistisch“, d.h. sie war näher an Che Guevara als an Trotzki.

Alain Krivine

Nach einem brutalen Polizeieinsatz gegen protestierende Studierende an der Pariser Sorbonne am 11. Mai 1968, bei dem Hunderte verletzt und verhaftet wurden, intervenierte die Arbeiterklasse. Die Gewerkschaften sahen sich gezwungen, zu einem eintägigen Generalstreik gegen die Polizeigewalt aufzurufen.

Sie verloren sofort die Kontrolle. Eine Welle von Besetzungen breitete sich über das ganze Land aus. Überall wurden rote Fahnen gehisst, und in vielen Fabriken geriet die Geschäftsleitung in Gefangenschaft. Die Aktionen betrafen Hunderte von Fabriken und Büros. In den besetzten Fabriken und den umliegenden Gebieten wurden Arbeiter- und Aktionskomitees gebildet.

Eine Woche später hatte sich der Generalstreik auf das ganze Land ausgedehnt, obwohl weder die Gewerkschaften noch andere Organisationen zu einem solchen Streik aufgerufen hatten. Zehn Millionen der 15 Millionen Beschäftigten Frankreichs beteiligten sich an diesen Streiks.

De Gaulle verließ das Land, um sich mit seinen führenden Generälen in Deutschland zu treffen. Schließlich rettete die stalinistische Gewerkschaft CGT sein Regime. Sie handelte ein Abkommen aus, das die Arbeiter im Gegenzug zu massiven sozialen Zugeständnissen der Regierung an die Arbeit zurückschickte.

Bei der Vertuschung des stalinistischen Verrats spielten die Pablisten eine zentrale Rolle. Sie stellten die Vorherrschaft des Stalinismus über die Arbeiterklasse nie in Frage und enthielten sich jeglicher politischer Initiative, die die Beziehungen zwischen der Arbeiterklasse und der stalinistischen Führung verschärft hätte.

Während die Stalinisten die Studentenführer als Linksradikale und Provokateure denunzierten, konnten sie, politisch gesehen, durchaus mit ihnen leben. Die anarchistisch inspirierten Straßenkämpfe im Quartier Latin trugen nichts zur politischen Erziehung der Arbeiter und Studierenden bei und stellten für den französischen Staat nie eine ernsthafte Bedrohung dar.

Der Generalstreik in Frankreich löste eine Welle internationaler Klassenkämpfe aus, die sieben Jahre lang andauerte und weite Teile Europas und der Welt erfasste, darunter Großbritannien, Deutschland und die stalinistisch regierte Tschechoslowakei. In Spanien und Portugal wurden die faschistischen Diktaturen gestürzt.

Anders als die Pablisten löste sich die OCI nicht in der Studentenbewegung auf. Sie arbeitete und rekrutierte zwar an den Universitäten, aber der Schwerpunkt ihrer politischen Arbeit lag auf der Arbeiterklasse und den Fabriken.

Durch ihre Ablehnung der Kontinuität der Vierten Internationale wurde sie jedoch gegenüber dem kleinbürgerlichen Druck entwaffnet. Die OCI zog zahlreiche neue Kräfte an, vor allem Jugendliche und Studierende. Aber sie bildete sie nicht auf der Grundlage des Kampfs gegen den Pablismus aus. Sie rekrutierte sie auf der Grundlage einer zweideutigen zentristischen Taktik.

Die OCI selbst fasste ihre politische Linie während des Streiks wie folgt zusammen:

Die Strategie und Taktik des Proletariats im Kampf um die Macht [...] besteht im Kampf für die Klasseneinheitsfront der Arbeiter und ihrer Organisationen, ein Kampf, der im Mai 1968 die spezifische Form der Parole des nationalen Generalstreikkomitees annahm.[20]

Die zweideutige Formel „Klasseneinheitsfront der Arbeiter und ihrer Organisationen“ verwischte den unversöhnlichen Konflikt zwischen der Arbeiterklasse und den stalinistischen und reformistischen Organisationen. Ein „Generalstreikkomitee“, wie die OCI es sich vorstellte, wäre von den verschiedenen Gewerkschaftsbürokratien dominiert worden und hätte niemals einen „Kampf um die Macht“ geführt.

Während Hitlers Aufstieg zur Macht in Deutschland hatte Trotzki zu einer Einheitsfront aus Sozialdemokratischer und Kommunistischer Partei aufgerufen. Was er jedoch vorschlug, war ein praktisches Verteidigungsbündnis gegen die Nazis, nicht eine Vermischung der politischen Banner. Als die Stalinisten und Sozialisten später in Frankreich eine Einheitsfront bildeten, warnte Trotzki:

Die Einheitsfront eröffnet vielfältige Möglichkeiten. Aber auch nicht mehr. Die Einheitsfront allein entscheidet nichts. Nur der Kampf der Massen entscheidet.[21]

Die Forderung nach einer „Einheitsfront der Arbeiter“ war in der Folgezeit die zentrale Losung der OCI. 1971 bedeutete dies schließlich die bedingungslose Unterstützung der „Union der Linken“, des von François Mitterrand geführten Bündnisses aus Sozialdemokraten und Stalinisten, das in den nächsten dreißig Jahren das Hauptinstrument der bürgerlichen Herrschaft in Frankreich sein sollte.

Mitterrand war ein skrupelloser politischer Drahtzieher, der sowohl mit der extremen Rechten als auch mit der extremen Linken zusammenarbeiten konnte. Er begann seine politische Karriere in einer faschistischen Organisation, die das Vichy-Regime von rechts bekämpfte. Danach war er Beamter des Vichy-Regimes und gründete schließlich seine eigene Widerstandsbewegung in Konkurrenz zu der von de Gaulle und den Stalinisten geführten Bewegung.

In der Vierten Republik gehörte er als bürgerlicher Politiker elf verschiedenen Regierungen an. Auf dem Höhepunkt des Algerienkriegs, als Tausende von Widerstandskämpfern gefoltert und ermordet wurden, war er Innen- und Justizminister.

Der zukünftige französische Präsident François Mitterand im Jahr 1947 [Photo: WikiMedia Commons]

Unter de Gaulles Präsidentschaft erfand sich Mitterand neu. Er verstand sehr früh, dass de Gaulle, eine anachronistische Figur in seinen Siebzigern, nicht in der Lage sein würde, eine schnell wachsende Arbeiterklasse zu kontrollieren. Er suchte nach einem Weg, die Kommunistische Partei, die den Gewerkschaftsverband CGT kontrollierte und immer noch die einflussreichste Partei in der Arbeiterklasse war, in die Regierung zu integrieren.

1965 kandidierte Mitterrand als gemeinsamer Kandidat der „Linken“ gegen de Gaulle für das Präsidentenamt und erhielt im zweiten Wahlgang 45 Prozent der Stimmen. 1971 übernahm er die Führung der Sozialistischen Partei, die erst ein Jahr zuvor durch den Zusammenschluss der maroden Sozialdemokraten mit mehreren anderen Gruppierungen gegründet worden war. 1972 initiierte er die Union der Linken, ein Bündnis mit den Stalinisten auf der Grundlage eines gemeinsamen Regierungsprogramms. Neun Jahre später, 1981, wurde er zum französischen Staatspräsidenten gewählt, ein Amt, das er bis 1995 innehatte.

Der französische Präsident François Mitterand mit Ronald Reagan [Photo: WikiMedia Commons]

Die OCI spielte eine zentrale Rolle bei der Förderung von Mitterrands Karriere. Bereits 1970 war er ein wichtiger Redner auf einer von der OCI organisierten Massenkundgebung anlässlich des hundertsten Jahrestags der Pariser Kommune.

Im Jahr 1971 wurden Dutzende von OCI-Mitgliedern in die Sozialistische Partei entsandt, um Mitterrand zu unterstützen, während sie weiterhin unter der Disziplin der OCI arbeiteten. Mitterrand lud sie sogar ein, der Sozialistischen Partei beizutreten.

Charles Berg, der seither unter dem Namen Jacques Kirsner eine erfolgreiche Karriere als Filmproduzent gemacht hat, hat über die Ereignisse von 1971 kürzlich öffentlich ausgesagt:

Einige Monate nach dem Kongress von Epinay [auf dem Mitterrand die Führung der PS an sich gerissen hatte] informiert mich Robert Pontillon, dass Mitterrand den Nationalsekretär der AJS sehen möchte. Ich zögere. Ich spreche Lambert darauf an, der mir den Auftrag gibt, dorthin zu gehen, da er es für unnötig hält, zu diesem Zeitpunkt mit dem Politischen Büro darüber zu sprechen. Zu dieser Zeit ist unser Verhältnis ausgezeichnet. Wir sprechen jeden Tag miteinander.

Ich treffe mich mit dem ersten Sekretär der PS [Mitterrand] im [Pariser Restaurant] Lipp, alle anderen sind draußen. (…) Er gratuliert mir zu den Fortschritten der AJS – die Versammlung am 1. Februar 1970 hat ihn sichtlich beeindruckt. Wir dürfen nicht vergessen, dass die PS damals organisatorisch noch klein war. Und dann erklärt er mir irgendwann, dass er nichts dagegen hätte, wenn ein Teil der AJS-Aktivisten öffentlich und „mit wehenden Fahnen“ in die PS eintreten und gegen „die Stalinisten draußen und die Kleinbürger drinnen“ – also den CERES – eine Tendenz gründen würden.

Ich sage ihm, dass dieser Zustand nicht lange anhalten würde. Er pflichtet mir bei. „Wenn die Differenzen zu groß werden“, sagt er, „werdet ihr gehen.“ Ich füge hinzu: „Oder ihr schmeißt uns raus!“ Er lacht und nickt. Ich verspreche eine schnelle Antwort.[22]

Letztendlich betrat die OCI die PS nicht „mit wehenden Fahnen“, sondern heimlich.

Der berühmteste unter denen, die in die Sozialistische Partei eintraten, war Lionel Jospin, der Mitte der 1960er Jahre der OCI beigetreten war. Noch als Mitglied der OCI war er einer der engsten Mitarbeiter Mitterrands. Von 1997 bis 2002 war Jospin Premierminister von Frankreich.

Ein weiteres Mitglied der OCI, das sich in den 1970er Jahren der Sozialistischen Partei anschloss, war Jean-Luc Mélenchon, der heutige Vorsitzende der Partei La France insoumise (LFI).

Jean-Luc Melenchon in Marseille, 11. Mai 2019 (AP Photo/Claude Paris)

Außerdem kontrollierte die OCI die größte französische Studentengewerkschaft und den Gewerkschaftsverband Force Ouvrière (FO), die beide eine wichtige Rolle bei der Förderung Mitterrands spielten. Pierre Lambert traf sich jede Woche mit dem FO-Vorsitzenden André Bergeron, und sein Gehalt und das vieler anderer OCI-Führungskräfte wurde von der FO gezahlt.

Bei ihrer internationalen Arbeit verachteten die OCI-Führer das Internationale Komitee immer mehr. Sie gingen dazu über, ihre eigene internationale Organisation aufzubauen, die sich auf der ganzen Welt mit Zentristen zusammenarbeiteten.

Zu ihren prinzipienlosesten Beziehungen zählte die zur bolivianischen POR unter der Führung von G. Lora. Lora hatte Pablo 1953 unterstützt und arbeitete seit langem mit bürgerlichen Nationalisten zusammen.

Im August 1971 führte die bolivianische Armee einen Staatsstreich durch, der zum Sturz des „linken“ Militärregimes von General Torres und zur Zerschlagung der Volksversammlung führte. Da Lora die Torres-Regierung unterstützt hatte und davon ausgegangen war, dass dieses Militärregime die Arbeiterklasse im Falle eines Putsches mit Waffen versorgen würde, war er tief in das politische Desaster verstrickt.

Als die Workers League mit Zustimmung der SLL eine Kritik an der Politik von Loras POR veröffentlichte, berief die OCI eine Sitzung ihrer internationalen Fraktion in Paris ein und gab eine Erklärung heraus, die die SLL und die Workers League anprangerte, sie hätten vor dem Imperialismus kapituliert, indem sie die POR öffentlich angriffen. Außerdem behauptete sie fälschlicherweise, Lora sei Mitglied des IKVI.

Einen Monat vor dem bolivianischen Staatsstreich organisierte die OCI in der deutschen Stadt Essen eine Jugendkundgebung auf einer völlig zentristischen Grundlage. Eingeladen waren Vertreter der spanischen POUM, die eine wichtige Rolle bei der Niederlage des spanischen Proletariats gespielt hatte, die amerikanischen Robertson-Anhänger und die US National Students Association, die Geld von der CIA erhalten hatten.

Essener Jugendversammlung 1971 [Photo: Élie Kagan / La contemporaine]

Als die britischen Young Socialists auf der Versammlung eine Resolution einbrachten, die die Jugend aufforderte, sich dem Kampf für die Entwicklung des dialektischen Materialismus zu widmen, stimmte die OCI öffentlich dagegen.

Die Spaltung mit der OCI

Am 24. Oktober 1971 erklärte die IKVI-Mehrheit unter Führung der SLL öffentlich ihren Bruch mit der OCI.

Es steht außer Frage, dass ihre Charakterisierung der OCI als zentristische Organisation politisch korrekt war. Doch im Gegensatz zum Kampf mit der Socialist Workers Party wurde die Spaltung ohne eine umfassende Diskussion innerhalb des IKVI und unter seinen Kadern in den nationalen Sektionen vollzogen.

Sie fand wie eine Scheidung im gegenseitigen Einvernehmen statt. Beide Seiten erklärten sie für abgeschlossen, bevor eine ernsthafte Diskussion begonnen hatte. Anders als 1953 und danach, als zahlreiche Dokumente verfasst und in der gesamten Mitgliedschaft des IKVI diskutiert wurden, und als 1963, als die US-Genossen noch ein Jahr lang einen geduldigen Kampf innerhalb der SWP führten, gab es keine ernsthaften Bemühungen, die politischen Fragen zu lösen. Die SLL unternahm keinen systematischen Versuch, Unterstützung in der französischen Sektion zu gewinnen, wie es das IKVI in der britischen Sektion während der Spaltung mit der WRP 1985–1986 erfolgreich tun sollte.

In „Wie die WRP den Trotzkismus verraten hat“ kommentierte das IKVI:

Unter diesen Umständen war die Spaltung – betrachtet man sie vom Standpunkt der Erziehung der Kader des Internationalen Komitees und der Klärung der politischen Fragen bei den fortgeschrittensten Arbeiterschichten in der ganzen Welt – entschieden verfrüht. Sie stellte einen Rückzug der Socialist Labour League von den internationalen Verantwortlichkeiten dar, die sie 1961 übernommen hatte, als sie den Kampf gegen die Degeneration der Socialist Workers Party aufnahm.[23]

Bald danach sollte die SLL behaupten, dass die Spaltung über die Frage des dialektischen Materialismus und nicht über Fragen des Programms und der Perspektive stattgefunden habe. Die „Erklärung des IKVI (Mehrheit)“ vom 1. März 1972 betont:

Tatsächlich fand die Spaltung über die Frage des Stellenwerts der marxistischen Theorie als Grundlage der revolutionären Partei statt.[24]

Im „Manifest der Vierten Konferenz des IKVI“ vom 14. April 1972 heißt es:

Der Bruch hat über die grundlegendste aller Fragen stattgefunden. Was der Degeneration des Pablismus zugrunde lag – die marxistische Methode.[25]

Dies war eine falsche Polemik. So notwendig die Kritik an den methodologischen Wurzeln des Zentrismus auch war, die Frage des dialektischen Materialismus erschöpfte die grundlegenden politischen und programmatischen Fragen nicht, die geklärt werden mussten, noch ging sie darüber hinaus.

Die einseitige Betonung der Frage der Methode und der Erkenntnistheorie wurde zu einem Mittel, um einer Diskussion über zentrale politische Fragen auszuweichen, und das unter Bedingungen, unter denen die Differenzen in den Reihen der britischen Sektion selbst zunahmen. Später wich der dialektische Materialismus einer idealistischen Interpretation der Dialektik durch Gerry Healy, die als Deckmantel für die politische Degeneration der britischen Sektion dienen sollte. Aber das ist das Thema der Vorlesung 10 dieser Schule.

Eines sollte jedoch hervorgehoben werden. Während die SLL die Philosophie zum zentralen Thema der Spaltung mit der OCI erklärte, schenkte sie der ideologischen Offensive gegen den Marxismus, die ihr Zentrum in Frankreich hatte und nach 1968 an Intensität zunahm, praktisch keine Beachtung. Sartre, Althusser und Bernard-Henri Lévy, ganz zu schweigen von Foucault und vielen anderen Vertretern der Postmoderne haben heute an allen Universitäten der Welt einen großen Einfluss. Erst nach der Spaltung mit der WRP hat sich das IKVI in der Polemik gegen Steiner und Brenner mit diesen wichtigen Themen auseinandergesetzt.

Zentristische Tendenzen in der SLL

Warum zog sich die SLL aus ihrer internationalen Verantwortung zurück und vollzog den Bruch mit der OCI mit einer politischen Eile, die nur ein Erbe der Verwirrung hinterlassen konnte?

Infolge ihres prinzipienfesten Kampfs gegen die pablistische Wiedervereinigung hatte die SLL in den 1960er Jahren in Großbritannien beeindruckende Erfolge erzielt. In einer Zeit, in der sich die Pablisten in der kleinbürgerlichen Protestpolitik auflösten und den Stalinismus und den bürgerlichen Nationalismus unterstützten, baute die SLL ihren Einfluss in der Arbeiterklasse und unter der Jugend stetig aus.

1963 hatte die SLL die Mehrheit der nationalen Führung der Young Socialists, der Jugendbewegung der Labour Party, und ihrer Zeitung rekrutiert. Als die Labour Party die Führung der Young Socialists ausschloss, machte die SLL daraus ihre eigene Jugendsektion. Im Jahr 1964 schlug Healy die Herausgabe einer trotzkistischen Tageszeitung vor, und 1969 erschien die erste Ausgabe der Tageszeitung Workers Press. Die SLL etablierte ihre Präsenz in den Fabriken und rekrutierte hervorragende Künstler.

Als das IKVI – nach der Spaltung mit der OCI – im April 1972 zu seinem Vierten Kongress zusammentrat, hatte es nicht nur seine Sektion in Sri Lanka und die Workers League in den USA konsolidiert, sondern auch neue Sektionen in Deutschland und Australien gegründet. Doch während die SLL den Höhepunkt ihres organisatorischen Erfolgs erlebte, bewegte sie sich in eine gefährliche zentristische Richtung. Wie David North in seiner Biografie über Healy erklärt:

Aber in der SLL-Führung griff die Auffassung um sich, dass das materielle Wachstum der britischen Sektion und nicht die Entwicklung und Festigung ihrer internationalen politischen Linie die entscheidende Voraussetzung und wesentliche Grundlage für den Aufbau des Internationalen Komitees sei. Daraus folgte eine falsche und immer nationalistischere Auffassung über das Verhältnis zwischen der SLL und dem Internationalen Komitee der Vierten Internationale.[26]

Diese Auffassung wurde bereits 1966 in „Problems of the Fourth International“ formuliert, das Healy vier Monate nach dem Dritten Kongress des IKVI geschrieben hatte, und das wir bereits zu Beginn dieses Vortrags zitiert haben.

Es gibt eine weitere Passage in „Problems of the Fourth International“, die den wachsenden Druck zum Ausdruck brachte, den Kampf gegen die Pablisten auf die nationale Achse der praktischen Arbeit in Großbritannien zu verlagern. Healy präsentierte eine neue und nicht-marxistische Interpretation des Verrats an der SWP. Er behauptete, die Ursache für die Kapitulation der SWP vor dem Pablismus liege „nicht in den schwierigen Bedingungen des Kalten Krieges und des Booms, unter denen die SWP in den Vereinigten Staaten“ gearbeitet habe, sondern vielmehr in ihren nichtrevolutionären Ursprüngen.

Trotzkis theoretischer Genius entstammte der gesamten revolutionären Erfahrung der Sowjetunion in ihrem Triumph und ihrer Degeneration. Cannons Politik dagegen leitete sich vor allem aus der Periode der sowjetischen Degeneration und der Niederlagen der internationalen Arbeiterklasse außerhalb der UdSSR ab.[27]

Dies war ein Zugeständnis an die zentristischen Tendenzen, die sich Trotzkis Entscheidung, 1938 die Vierte Internationale zu gründen, mit der Begründung widersetzt hatten, eine neue Internationale könne nur als Produkt einer erfolgreichen Revolution entstehen. Und es war ein Zugeständnis an Voix Ouvrière (VO), die sich weigerte, der Vierten Internationale wegen ihrer angeblich kleinbürgerlichen sozialen Zusammensetzung beizutreten. Sie minderte die historische Bedeutung der theoretischen Tätigkeit von Marxisten herab, die das internationale Programm der sozialistischen Revolution ausarbeiten und verteidigen.

Vom individuellen, psychologischen Standpunkt aus betrachtet, war Healys Reaktion verständlich. Er empfand die Kapitulation Cannons, den er bewundert und von dem er gelernt hatte, als einen persönlichen Verrat. In „Problems of the Fourth International“ ist seine Wut darüber deutlich zu spüren.

James P. Cannon

Und Healy besaß einen eisernen Willen, sich dem kleinbürgerlichen Druck nicht zu beugen und die Arbeiterklasse zum Sieg zu führen. Er war in der Lage, dies einem großen Publikum zu vermitteln. Diejenigen von uns, die ihn in den frühen 1970er Jahren kannten, können sich noch lebhaft daran erinnern.

Dennoch war dies, wie David North erklärte, eine falsche und gefährliche Auffassung, die die politische Achse der SLL in eine nationalistische und zentristische Richtung lenkte:

Diese Formulierung reduzierte die Weltpartei auf eine einfache Summe ihrer nationalen Teile und ersetzte die Zusammenarbeit von Marxisten in einer vereinten Internationale dadurch, dass eine nationale Gruppe den Erfolgen einer anderen nacheiferte. [...] Die Vorstellung, die Vierte Internationale werde als Nebenprodukt der Machteroberung in Großbritannien aufgebaut, war falsch. Zum einen stand sie im Gegensatz zu der dialektischen Wechselwirkung zwischen der Weltkrise des Imperialismus, dem internationalen Klassenkampf und den besonderen Formen, die diese in Großbritannien annahmen. Zum anderen leugnete sie, dass die Organisation von Marxisten in jedem Land nur als Bestandteil der Weltpartei der sozialistischen Revolution möglich ist.[28]

Und:

Wie wichtig die Erfolge der SLL innerhalb der britischen Arbeiterbewegung auch sein mochten, die Zukunft des Internationalen Komitees lag in der Vertiefung des internationalen Kampfes gegen den pablistischen Opportunismus und der Aneignung seiner theoretischen und politischen Lehren. Die Degeneration der SWP hatte doch gerade bewiesen, dass weder eine „proletarische Orientierung“ noch ein organisatorischer Bruch an sich den Kampf gegen den Revisionismus entscheiden kann. Das Vorherrschen des Opportunismus ist ein historisches Phänomen mit tiefen gesellschaftlichen Wurzeln; und deswegen ist der Kampf gegen ihn ein derart langer und schwieriger Prozess.[29]

Die Verlagerung des Kampfs gegen den Pablismus auf die nationale Achse der praktischen Aufbautätigkeit in Großbritannien untergrub die Widerstandskraft der SLL gegenüber dem kleinbürgerlichen Druck:

Das Problem des pablistischen Revisionismus war durch die Spaltung mit der SWP nicht endgültig gelöst und konnte es auch gar nicht sein. Die Ablehnung der Wiedervereinigung machte die SLL und das IKVI nicht immun gegen den anhaltenden Druck klassenfeindlicher Kräfte. In dem Maße, wie die Implikationen und Lehren aus der Spaltung von 1963 nicht ständig studiert und vertieft wurden, hatte die politische Radikalisierung der Mittelklasse Mitte der 1960er Jahre, obwohl sie im Wesentlichen eine Vorwegnahme der revolutionären Bewegung des internationalen Proletariats war, weitgehende Auswirkungen auf die SLL und das IKVI.[30]

Die Probleme der SLL verschärften sich, als innerhalb ihrer Führung Positionen mit eindeutig pablistischem Charakter auftauchten, die politisch nicht geklärt wurden, weil man die organisatorischen Erfolge nicht gefährden wollte.

Gerry Healy, Michael Banda und Cliff Slaughter auf dem Podium einer Versammlung der Workers Revolutionary Party, 13. März 1983

Michael Banda schwärmte auf peinliche Weise für Mao Zedong, Ho Chi Minh und sogar Abdel Nasser, was nie systematisch in Frage gestellt wurde. Slaughter zeigte Sympathien für die Position der OCI, dass die Vierte Internationale „wiederaufgebaut“ werden müsse, und vernachlässigte zunehmend seine Verantwortung als IKVI-Sekretär. Doch Healy befürchtete, dass ein offener Konflikt innerhalb der SLL-Führung die Erfolge der praktischen Arbeit gefährden würde, und so wurden die Differenzen unter den Teppich gekehrt. David North schreibt:

Wenn es um organisatorische Problemen ging – d. h. um die oberflächlichen Formen, in denen die tiefergehenden politischen Fragen ihren alltäglichen Ausdruck finden – zögerte Healy nicht, rücksichtslos gegen jeden anzugehen, der die praktische Arbeit der Partei untergrub. Aber wenn es um Fragen des Programmes ging, wich er direkten Zusammenstößen aus; und dadurch dienten Healys heftige Ausbrüche oft nur zur Ablenkung von der Quelle der Probleme in der SLL.[31]

Healy war immer mehr davon überzeugt, dass er Probleme entweder unterdrücken oder entschärfen konnte, indem er so genannte „neue Praktiken“ entwickelte. Die Tageszeitung war eine solche Praxis. Ältere Mitglieder der deutschen (und vieler anderer) Sektionen erinnern sich mit Schrecken an die Euro-Märsche. Wir zogen monatelang durch Europa, um für ein Programm zu werben, das weitgehend reformistisch war. Zum Zeitpunkt der Spaltung mit der OCI bewegte sich die SLL selbst in eine zentristische Richtung. Das ist der Grund, warum sie nicht bereit war, einen systematischen und geduldigen politischen Kampf zu führen, wie sie es zehn Jahre zuvor getan hatte.

Dies hätte korrigiert werden können. Aber die neuen Sektionen des IKVI waren damals zu jung und unerfahren, um die Fehler Healys, der aufgrund seiner Rolle im Kampf gegen die pablistische Wiedervereinigung enorme Autorität genoss, offen in Frage zu stellen. Die amerikanische Workers League und die Sektion in Sri Lanka waren aus dem Kampf gegen die Wiedervereinigung und den „Großen Verrat“ in Sri Lanka hervorgegangen. Sie waren tief im Kampf gegen den Pablismus verwurzelt, was es ihnen ermöglichte, die führende Rolle im Kampf gegen die WRP von 1982 bis 1986 aufzunehmen.

Für die deutsche und die australische Sektion, die 1971 und 1972 gegründet wurden, war die zentristische Ausrichtung der SLL ein großes Handicap. Zwar kannten sie die wichtigsten Dokumente des Kampfs gegen den Pablismus, aber diese Lehren bildeten nicht die Grundlage für eine systematische Ausbildung der Kader. Dies wurde erst nach der Spaltung 1985–1986 korrigiert. „Das Erbe, das wir verteidigen“, „Wie die WRP den Trotzkismus verraten hat“ und andere Schriften des IKVI, die übersetzt und im Rahmen mehrerer Sommerlager studiert wurden, spielten bei der Neuausrichtung des Kaders eine entscheidende Rolle.

Die deutsche Sektion ging aus einer Minderheitsfraktion der IAK (Internationale Arbeiterkorrespondenz) hervor, die nach 1963 von der OCI in Deutschland aufgebaut worden war. Die Minderheit stand in engem Kontakt mit der SLL und Gerry Healy. Sie lehnte die Unterordnung der OCI unter die Sozialdemokratie entschieden ab. Die OCI hatte die IAK 1969 angewiesen, vollständig in die SPD einzutreten, weil sie der Meinung war, dass diese bürgerliche Partei zur Bildung einer echten Arbeiterregierung gezwungen werden könne. Die Minderheit teilte diese Einschätzung nicht. Doch der Kampf gegen den Pablismus spielte bei der Spaltung in Deutschland nur eine untergeordnete Rolle. Stattdessen wurde die Spaltung als Ergebnis eines Konflikts über den dialektischen Materialismus dargestellt.

Für ihre zunehmend zentristische Ausrichtung sollte die SLL einen hohen Preis zahlen. Sie führte schließlich zu ihrer Zerstörung.

Sechs Jahre nach der Abspaltung von der OCI vertrat sie politische Positionen, die sich nicht von denen der Pablisten unterschieden: Sie unterstützte kritiklos mehrere bürgerlich-nationalistische Bewegungen wie die PLO, das Gaddafi-Regime in Libyen und sogar die Baathisten im Irak und baute Söldnerbeziehungen zu ihnen auf. Sie passte sich an Teile der Sozialdemokratie, der Gewerkschaften und der stalinistischen Bürokratie an. Und sie behandelte das IKVI mehr und mehr als Anhängsel der britischen Sektion und nutzte es für ihre schmutzigen Manöver aus.

Ein Meilenstein in der zentristischen Degeneration der SLL war die Gründung der Workers Revolutionary Party im Jahr 1973. David North schreibt in seiner Biographie über Healy:

Die Massenbewegung, die Healy vorausgesehen hatte, entstand nach der Wahl von Edward Heath im Jahr 1970 und der Verabschiedung von Antigewerkschaftsgesetzen durch die neue Tory-Regierung. Aber die Reaktion der Socialist Labour League darauf war gezeichnet von ihrem zentristischen Abgleiten über die vorangegangenen Jahre hinweg: Ihre Anpassung an den kleinbürgerlichen Radikalismus der 1960er Jahre wurde nun ergänzt durch eine Anpassung an die spontane Militanz der Bewegung gegen die Tories.

Anstatt dafür zu kämpfen, die fortgeschrittensten Teile der Arbeiterklasse auf der Grundlage einer revolutionären sozialistischen Politik für die Partei zu gewinnen, verwässerte die SLL ihr Programm, um es der elementaren Feindschaft der Arbeiterklasse gegen die Heath-Regierung anzupassen. Und auf der Grundlage eines Programms, das sich auf die Verteidigung der „Grundrechte“ und die Wahl einer neuen Labour-Regierung beschränkte, schlug Healy „die Praxis der Verwandlung der SLL in eine revolutionäre Massenpartei“ vor. [...]

Es wurde zwar nicht ausgesprochen, aber der wesentliche Inhalt dieser Umwandlung war die Verwandlung der Socialist Labour League in eine zentristische Organisation.[32]

Die WRP wurde ohne jegliche Diskussion im IKVI gegründet. Die neue Partei basierte nicht auf einer internationalen Strategie für die Weltrevolution, sondern auf einer Taktik, um eine Labor-Regierung in Großbritannien an die Macht zu bringen. Viele derjenigen, die sich der neuen Partei anschlossen, wussten nicht einmal, dass sie einer internationalen Organisation beitraten.

In „Wie die WRP den Trotzkismus verraten hat“ heißt es dazu:

Dem Inhalt und der zugrundeliegenden Konzeption nach hatte das Programm, auf dessen Grundlage die WRP gegründet wurde, absolut nichts mit Trotzkismus zu tun. Kein einziger Abschnitt ging über die Grenzen des Zentrismus hinaus. Dies hing eng mit der im Kern nationalistischen Perspektive zusammen, mit der die WRP gegründet wurde.[33]

Wenige Monate nach der Gründung der WRP wurde die Forderung, auf die sich die neue Partei stützte, verwirklicht: Ein Bergarbeiterstreik brachte die Tory-Regierung von Edward Heath zu Fall und Labour kehrte an die Macht zurück. Dies löste eine Krise in der WRP aus. Neue Mitglieder, die der Partei beigetreten waren, waren nicht damit einverstanden, dass die WRP nun gegen Labour antrat und eigene Kandidaten für die Wahlen aufstellte.

Das Versäumnis der WRP, den Konflikt mit der OCI im Jahr 1971 auszutragen, rächte sich nun. Die OCI rekrutierte Alan Thornett, den Leiter der Gewerkschaftsarbeit der WRP, der aufgrund einer Verteidigungskampagne, die die WRP in seinem Namen geführt hatte, internationales Prestige genoss. Thornett bildete eine Fraktion, die hinter dem Rücken der Partei arbeitete. Ohne Wissen der Parteimitglieder verfasste die OCI deren Fraktionsdokumente. Dies war ein klarer Verstoß gegen die Parteidisziplin, der Thornetts sofortigen Ausschluss rechtfertigte.

Wie das IKVI jedoch in „Wie die WRP den Trotzkismus verraten hat“ feststellte, war es „eine ganz andere Frage“,

ob die Führung klug gehandelt hat, als sie Thornett auf organisatorischer Grundlage ausschloss, noch bevor eine gründliche Diskussion über die politischen Differenzen stattgefunden hatte, und zwar unabhängig davon, wo diese ihren Ursprung hatten. [...]

Thornett [vertrat], ungeachtet seiner prinzipienlosen Methoden, einen großen Teil von WRP-Mitgliedern – für deren politische Verwirrung Healy und Banda verantwortlich waren, und die sie erst für den wirklichen Trotzkismus gewinnen mussten. [...] Die Tendenz von Thornett widerspiegelte starke sozialdemokratische Neigungen innerhalb der britischen Arbeiterklasse, und ein organisatorisches Vorgehen gegen diejenigen, die diese Tendenz zum Ausdruck brachten, konnte sich nur nachteilig auf die Parteiarbeit innerhalb der Gewerkschaften auswirken.[34]

Durch den Kampf gegen Thornett verlor die WRP einen großen Teil ihrer Mitglieder aus der Arbeiterklasse. Dies hatte den Nebeneffekt, dass kleinbürgerliche Elemente, die die WRP unter Filmemachern, Schauspielern und Journalisten rekrutiert hatte – Leute wie Vanessa und Corin Redgrave und Alex Mitchell, die nur ein sehr oberflächliches Verständnis des Marxismus hatten – eine weitaus größere Rolle in der Parteiführung spielten.

Als die Labour-Regierung unter Wilson begann, die Arbeiterklasse anzugreifen, vollzog die WRP einen ultralinken Schwenk. Sie forderte nun den Sturz der Labour-Regierung, für deren Wahl sie zuvor gekämpft hatte. Dies führte zu einer tiefen politischen, organisatorischen und finanziellen Krise, auf die die WRP-Führung reagierte, indem sie jeden Anspruch auf einen Kampf gegen den Pablismus fallen ließ. Sie diente sich denselben Kräften an, vor denen Pablo und Mandel und später Hansen und Lambert kapituliert hatten: bürgerlichen Nationalisten, Reformisten und Stalinisten.

Die Lehren aus der zentristischen Degeneration der SLL/WRP sind für heute von zentraler Bedeutung. Um das Zitat aus David Norths Healy-Biografie zu wiederholen:

Weder eine „proletarische Orientierung“ noch ein organisatorischer Bruch an sich [kann] den Kampf gegen den Revisionismus entscheiden. Das Vorherrschen des Opportunismus ist ein historisches Phänomen mit tiefen gesellschaftlichen Wurzeln; und deswegen ist der Kampf gegen ihn ein derart langer und schwieriger Prozess. [...]

Notwendig war vor allem ein kontinuierliches Studium der theoretischen und politischen Formen, in denen sich der Druck feindlicher Klassenkräfte in den Reihen der revolutionären Partei manifestiert. Nur auf dieser Grundlage kann der Neigung bestimmter Schichten in der marxistischen Partei und ihrer Führung, sich an die kleinbürgerlichen Agenturen des Imperialismus anzupassen, entgegengewirkt werden.[35]

Natürlich ist es unsere Aufgabe, um Marx‘ These über Feuerbach zu paraphrasieren, die Welt zu verändern und sie nicht nur verschieden zu interpretieren. Aber unter revolutionärer Praxis verstehen wir eine theoretisch geleitete Praxis, eine Praxis, die auf einer politischen Perspektive beruht, die sich aus einer materialistischen Analyse des Klassenkampfs ableitet, eine Praxis, die sich in einer ständigen Polemik gegen die feindlichen Klassenkräfte entwickelt.

Die führende Rolle der SLL im internationalen Kampf gegen die pablistische Wiedervereinigung und den „Großen Verrat“ in Ceylon ebnete den Weg für ihre politischen und organisatorischen Erfolge in den 1960er Jahren. Sie verspielte diese Erfolge in dem Maße, wie sie diesen Kampf aufgab und sich auf rein nationale und organisatorische Aufgaben konzentrierte.


[1]

Gerry Healy, „Problems of the Fourth International“ (1966), zitiert in: David North, Gerry Healy und sein Platz in der Geschichte der Vierten Internationale, Essen 1992, S. 69

[2]

„Trotskyism vs Revisionism, Band 5, London 1975, S. 113, zitiert in: Socialist Equality Party (USA), Die historischen und internationalen Grundlagen der Socialist Equality Party, Absatz 144

[3]

David North, „Gerry Healy und sein Platz in der Geschichte der Vierten Internationale“, Essen 1992, S. 74

[4]

Stéphane Just, „Reconstruire la IV° Internationale“, in : Défense du trotskysme (1), 1965 (aus dem Französischen)

[5]

„Trotskyism vs Revisionism„, Band 5, S. 5 (aus dem Englischen)

[6]

Ebd. S. 5 (aus dem Englischen)

[7]

Ebd., S. 77 (aus dem Englischen)

[8]

Ebd., S. 91 (aus dem Englischen)

[9]

Ebd., S. 95

[10]

David North, „Leo Trotzki und der Kampf für Sozialismus im 21. Jahrhundert”, Mehring Verlag 2024, S. 59

[12]

Trotskyism vs Revisionism“, Band 5, S. 113 (aus dem Englischen)

[13]

Trotskyism vs Revisionism”, Band 5, S. 113 (aus dem Englischen)

[14]

Ebd., S. 114

[16]

Leo Trotzki, „Das Übergangsprogramm“, Essen 1997, S. 132

[17]

Trotskyism vs Revisionism”, Band 5, S. 119 (aus dem Englischen)

[18]

David North, „Leo Trotzki und der Kampf für Sozialismus im 21. Jahrhundert”, Mehring Verlag 2024, S. 44

[20]

Zitiert in: Peter Schwarz, „1968 – Generalstreik und Studentenrevolte in Frankreich“, Teil 5

[21]

Leo Trotzki, „Wohin geht Frankreich?“, Essen 2023, S. 38 (Hervorhebung im Original)

[22]

« Crise du POI... Témoignage de Charles Berg », (aus dem Französischen)

[24]

Trotskyism versus revisionism”, Band 6, S. 77 (aus dem Englischen)

[25]

Ebd., S.  124 (aus dem Englischen)

[26]

David North, „Gerry Healy und sein Platz in der Geschichte der Vierten Internationale“, Essen 1992, S. 69

[27]

Gerry Healy, „Problems of the Fourth International“, 1966, zitiert in: David North, Gerry Healy und sein Platz in der Geschichte der Vierten Internationale, Essen 1992, S. 70

[28]

Ebd., S. 69–70

[29]

Ebd., S. 68

[30]

Ebd., S. 74

[31]

Ebd., S. 76

[32]

Ebd., S. 80, S.81

[35]

David North, „Gerry Healy und sein Platz in der Geschichte der Vierten Internationale“, Essen 1992, S. 68–69

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