Warum die Hetze gegen Roger Waters?

Der Rock-Musiker Roger Waters beendete am 28. Mai mit einem Konzert in Frankfurt seine erfolgreiche Deutschlandtournee. Während ihm zehntausende Fans zujubelten, organisierten Politik und Medien eine beispiellose Hetzkampagne. Alle im Bundestag vertretenen Parteien, von der Linken bis zur AfD, und die Mehrzahl der Medien beteiligten sich daran. Keine Verleumdung war zu abwegig, keine Lüge zu absurd, um gegen den 79-jährigen Mitgründer der Band Pink Floyd geschleudert zu werden.

Roger Waters auf der Bühne (Foto: Vala Jeyhani)

Waters, der sich nicht nur als genialer Musiker, sondern auch als unbeugsamer Kämpfer gegen Ungerechtigkeit, Unterdrückung, Krieg und Faschismus einen Namen gemacht hat, wurde als „Judenhasser“, sein Konzert als „Zivilisationsbruch“ (der Frankfurter Oberbürgermeister Mike Josef, SPD) denunziert. Als „Zivilisationsbruch“ hatte man bisher in Deutschland den Holocaust bezeichnete. Der israelische UN-Botschafter Danny Danon beschimpfte Waters als „einen der größten Judenhasser unserer Zeit“.

Waters konnte noch so oft beteuern, dass er kein Antisemit, sondern ein Gegner jeder Form von Rassismus und Unterdrückung sei, die Angriffe gegen ihn wurden lauter. Auch ein Gerichtsurteil, das er in Frankfurt erstritt, nachdem Stadt- und Landesregierung versucht hatten, sein Konzert zu verhindern, beeindruckte seine Gegner nicht.

Die Lügen und Verdrehungen nahmen kafkaeske Züge an. So veröffentlichte der Deutschlandfunk einen Kommentar von Sebastian Engelbrecht: „Entschlüsselung eines antisemitischen Weltbildes“. Er entlarvt den Aufruf „Widersteht dem Kapitalismus! Widersteht dem Faschismus! Widersteht dem Krieg!“, der während Waters Show eingeblendet wird, als „faschistische Demagogie“. Beweis: „Waters bietet gröbste Vereinfachungen, wie wir sie von Rechtspopulisten kennen.“ Nach dieser bestechenden Logik kann man auch weiß als schwarz und schwarz als weiß „entschlüsseln“.

Die Berliner Polizei nahm sogar offiziell Ermittlungen wegen des Verdachts der Volksverhetzung gegen Waters auf, was von den Medien gierig ausgeschlachtet wurde. Waters Bühnenkleidung, so der Verdacht der Polizei, verletze die Würde von Opfern des Nationalsozialismus und verherrliche die Nazi-Herrschaft.

Der „Verdacht“ der Polizei bezieht sich auf den Ledermantel, den Waters während des Songs „In the Flesh“ trägt, in dem er einen durchgeknallten faschistischen Demagogen darstellt. Waters führt diesen Song seit 43 Jahren auf. Er stammt aus der Rockoper „The Wall“ von Pink Floyd. Im Film „The Wall“ übernahm der Musiker Bob Geldof – inzwischen Sir Bob Geldof – die Rolle. In diesen 43 Jahren war nie jemand auf die Idee gekommen, der Song, der sich gegen jede Form von Faschismus, Ungerechtigkeit und Bigotterie richtet, verherrliche die Nazis, statt sie zu denunzieren. Darauf kamen erst die Berliner Polizei und ihre politischen Auftraggeber.

Auch Waters Unterstützung für die Bewegung BDS (Boycott, Divestment and Sanctions) ist kein Ausdruck von Antisemitismus. BDS richtet sich gegen die Unterdrückung der Palästinenser und orientiert sich dabei an den Methoden der südafrikanischen Antiapartheidbewegung. In Wirklichkeit geht es Waters Gegnern darum, jede Kritik an der israelischen Regierung zu unterdrücken, in der inzwischen offene Rassisten und Rechtsextreme, wie Polizeiminister Itamar Ben-Gvir, den Ton angeben.

Weshalb wird Waters so erbittert bekämpft und angegriffen? Offensichtlich geht es dabei nicht nur um seine Person. Geschlagen wird Waters, gemeint ist die weitverbreitete Opposition gegen Krieg, Faschismus und soziale Ungleichheit.

Die Meinungsmacher in den Ministerien, den Parteizentralen und den Redaktionen haben mit Schrecken verfolgt, wie in Frankreich wochenlang Millionen gegen das Rentendiktat von Präsident Macron rebellierten. Sie wissen, dass die militärische Aufrüstung und die Eskalation des Ukrainekriegs durch die Nato trotz 24-stündiger Dauerpropaganda auf Skepsis und Ablehnung stoßen. Und sie fürchten, dass der Widerstand gegen die massiven, inflationsbedingten Reallohnsenkungen der Kontrolle der Gewerkschaften entgleitet. Sie fürchten einen sozialen Aufstand.

Deshalb soll an Waters ein Exempel statuiert werden. Dass der bald 80-Jährige den rebellischen Geist seiner Jugend bewahrt hat und – im Gegensatz zu vielen anderen seiner Generation, die Karriere gemacht und reich geworden sind – nicht bereit ist, mit den Wölfen zu heulen, stachelt ihre Wut an.

Die Verleumdung Waters soll jeden einschüchtern, der es wagt, aufzumucken oder eine andere Meinung zu vertreten – insbesondere im Kultur- und Wissenschaftsbetrieb und in den Medien, den wichtigsten ideologischen Stützen der kapitalistischen Herrschaft. Deshalb ist ihm hoch anzurechnen, dass er nicht nachgibt.

Als Zweites zielt die Kampagne gegen Waters darauf ab, die historischen Verbrechen der Nazis zu verharmlosen und so neue Verbrechen vorzubereiten. Die Aufrüstung Deutschlands und seine Rückkehr zu einer militaristischen Großmachtpolitik erfordert eine Neuinterpretation der Geschichte und eine Umwertung aller Werte. Grundsätze wie „Nie wieder Krieg, nie wieder Faschismus“, die seit den 1970er Jahren eine Art gesellschaftlichen Grundkonsens bildeten, können nicht länger toleriert werden.

Deshalb werden Begriffe wie Zivilisationsbruch und Antisemitismus, die in Deutschland mit den schlimmsten historischen Verbrechen verknüpft sind, vollständig entkernt. Nicht die Nazis der AfD, die den Holocaust als Fliegenschiss verharmlosen, sind demnach Antisemiten, sondern deren Gegner. Der Antifaschist Waters wird zum Antisemiten gestempelt, während wirkliche Antisemiten und Faschisten rehabilitiert werden.

Am deutlichsten zeigt sich das in der Ukraine, wo die Bundesregierung eng mit dem Selenskyj-Regime zusammenarbeitet, das Denkmäler für Nazi-Kollaborateure und Massenmörder wie Stepan Bandera errichtet und zahlreiche Straßen nach ihnen benennt. Rechtsradikale Einheiten wie das Asow-Bataillon, das sich mit SS-Symbolen schmückt, werden aufgerüstet und als Freiheitskämpfer verherrlicht.

In Estland ist die deutsche Botschaft Mitorganisatorin einer Sommerschule des Estonian Institute of Historical Memory, die das Ziel verfolgt, Führer der Roten Armee, die Europa unter unsäglichen Opfern von der Terrorherrschaft der Nazis befreite, als Kriegsverbrecher zu verurteilen.

Die Sozialistische Gleichheitspartei kämpft seit vielen Jahren gegen die Rehabilitierung und die Rückkehr des Faschismus. Wir empfehlen unseren Lesern das Buch „Warum sind sie wieder da? Geschichtsfälschung, politische Verschwörung und die Wiederkehr des Faschismus in Deutschland“ des SGP-Vorsitzenden Christoph Vandreier, das diese Entwicklung detailliert nachzeichnet. Es erschien im Oktober 2018 im Mehring Verlag und bietet eine wichtige Grundlage, um die heutigen Ereignisse zu verstehen.

Es ist bezeichnend, dass sich in den Medien und im kleinbürgerlichen Milieu kaum jemand findet, der bereit wäre, Waters zu verteidigen oder auch nur objektiv darzustellen. Die taz, das Hausblatt der Grünen, denunziert ihn als „Putins britischer Nachtwolf“.

Die Grünen selbst, aus dem antifaschistischen und pazifistischen Milieu hervorgegangen, haben sich zu den übelsten Kriegstreibern entwickelt. Sie vertreten städtische Mittelschichten, die sich am Aktien- und Immobilienboom und an der neoliberalen Wirtschaftspolitik bereichert haben, während der Lebensstandard der breiten Massen sank. Sie haben ihr Schicksal untrennbar mit den räuberischen Zielen des deutschen Imperialismus verknüpft.

Die Rückkehr von Militarismus, Krieg und Faschismus kann nur durch eine internationale Bewegung der Arbeiterklasse gestoppt werden, die für den Sturz des Kapitalismus kämpft.

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