Kaum einen Monat nach seinem endgültigen Sieg bei den Vorwahlen und vier Monate vor dem eigentlichen Wahltermin hat der designierte Präsidentschaftskandidat der Demokratischen Partei, Senator Barack Obama, eine Wende in seinem Wahlkampf eingeleitet. Er will, wie er selbst erklärt, seinen Patriotismus unter Beweis stellen.
Mit einem Kotau vor der politischen Rechten will Obama nicht nur Republikanerstimmen fangen, sondern sich in erster Linie jenen Kräften andienen, an denen dem jungen Senator aus Illinois am meisten liegt: Amerikas Wirtschafts- und Finanzelite.
Obama eröffnete seine Patriotismus-Tour mit einer Rede unter dem Motto "Das Amerika, das wir lieben" in der Stadt Independence im Bundesstaat Missouri. Der Ort wurde nicht nur wegen seines Namens gewählt, sondern um die Nähe Obamas zum berühmtesten Sohn der Stadt zu demonstrieren, zu Harry Truman, dem Demokratischen Präsidenten, der Atomwaffen auf Hiroshima und Nagasaki abwerfen ließ.
In den 24 Stunden vor der Rede war das beherrschende Thema des Präsidentschaftswahlkampfs in den Medien die inszenierte Entrüstung über eine Bemerkung des Obama-Sympathisanten General Wesley Clark, die er in einer Fernsehtalkshow am Sonntag gemacht hatte.
Clark wurde in der CBS-Sendung "Face the Nation" vom Moderator darauf angesprochen, dass Obama, anders als sein Republikanischer Rivale, "nie in einem Kampfflugzeug gesessen" habe und "nie abgeschossen worden" sei. Clark bemerkte darauf nur sachlich, wenn jemand mit einem Kampfflugzeug abgeschossen worden sei, qualifiziere es ihn noch nicht unbedingt für das Präsidentenamt.
Als das McCain-Lager darauf in ein entrüstetes Geheul ausbrach, reagierte Obama umgehend, indem er Clark entschieden desavouierte.
Die Feigheit der Demokraten kennt keine Grenzen, und der Kontrast zu der unversöhnlichen Haltung der Republikaner im Wahlkampf von 2004 könnte nicht größer sein. Damals führten sie eine Verleumdungskampagne gegen den Demokratischen Präsidentschaftskandidaten John Kerry mit der Behauptung, er habe über sein Verhalten in Vietnam gelogen.
Heute kriecht der Demokratische Kandidat vor den Angriffen der Republikaner auf Clarks harmlose Äußerung auf dem Bauch. Er will damit beweisen, dass er sehr wohl bereit ist, Krieg zu führen, und keinerlei Vorbehalte gegen den amerikanischen Militarismus hegt. Zu dem Zweck ging er in seiner Rede ebenfalls auf das Thema ein. Er nannte den Kandidaten der Republikaner mit Namen, lobte dessen Militärdienst und verurteilte noch einmal implizit Clarks Äußerung.
Obamas Rede - wenige Tage vor dem 4. Juli, dem amerikanischen Nationalfeiertag - war als Beitrag zum Patriotismus und den "amerikanischen Werten" konzipiert. Es war ein durch und durch reaktionärer Vortrag. Die Worte waren bewusst gewählt, um Anklänge an Themen zu suggerieren, die normalerweise für die republikanische Rechte typisch sind. An jeweils hervorgehobenen Stellen trat der Redner, bildlich gesprochen, jenen linksliberalen Demokraten vors Schienbein, die sich selbst was vormachten und bei anderen versuchten, Illusionen in den wirklichen politischen Charakter seines Wahlkampfs zu schüren.
Obama eröffnete seine Rede mit der rituellen Beschwörung der "Männer von Lexington und Concord, unseren ersten Patrioten", aber er ging mit keinem Wort darauf ein, dass die in der Amerikanischen Revolution verankerten demokratischen Ideale und die in der amerikanischen Verfassung niedergelegten demokratischen Rechte von der aktuellen Republikanischen Regierung mit Füßen getreten werden.
Obama sagte kein konkretes Wort über die Politik der Bush-Regierung. Er kritisierte weder den Aggressionskrieg gegen den Irak, noch die umfassende Zerstörung von Verfassungsrechten, von der Habeas-Corpus-Akte, über "illegale Überstellungen" und Folter bis hin zum Abhören amerikanischer Bürger ohne Gerichtsbeschluss.
Für diesen Prozess sind Obama und die Demokraten in vollem Umfang mitverantwortlich. "Wie können wir unsere Sicherheit verteidigen und gleichzeitig unsere Bürgerrechte erhalten?" fragte der Demokratische Kandidat an einer Stelle rhetorisch. Obama gab keine Antwort auf seine eigene Frage, aber eine Woche vorher hatte er einem Gesetzentwurf der Bush-Regierung zugestimmt, der die Ausspähung amerikanischer Bürger gesetzlich verankert und die Telekommunikationsunternehmen straffrei stellt, die das massive Abhören ohne Gerichtsbeschluss geduldet haben.
Kriegstreiberei und Verrat an den 1960er Jahren
Er führte die Zahl der amerikanischen Kriegstoten und Verwundeten an und erklärte: "Ihr Opfer erinnert uns an die Verpflichtung, die uns an unsere Nation und aneinander bindet." Nicht ein Wort darüber, dass dieses Opfer dem amerikanischen Volk mittels Lügen aufgezwungen wurde, um räuberische imperialistische Ölinteressen durchzusetzen.
Obama machte dann für die Schwierigkeiten in den heutigen Debatten über Patriotismus die "Kulturkriege" der 1960er Jahre verantwortlich. Damit identifizierte er sich bewusst mit den politischen Schlagworten der politischen Rechten. Er verurteilte die "so genannte Gegenkultur der sechziger Jahre", die er mit dem "Verbrennen von Flaggen" identifizierte und mit der "Missachtung der Veteranen, die aus Vietnam zurückkehrten - eine nationale Schande bis auf den heutigen Tag".
Diese Konzeptionen sind direkt dem Kanon des rechten Flügels der Republikanischen Partei entlehnt. Die Behauptung, die "nationale Schande" bestehe darin, dass die Vietnamveteranen nicht "geehrt" worden seien - und nicht darin, dass sie in einen kriminellen Kolonialkrieg geschickt worden waren - ist ein zentrales Thema des amerikanischen politischen Establishments. Man will das "Vietnam-Syndrom" überwinden und die amerikanische Bevölkerung auf neue Aggressionskriege einstimmen.
Mit einem Seitenhieb gegen das linksliberale Online-Magazin MoveOn.org setzte Obama noch eins oben drauf. Er kritisierte dieses Kampagnen-Netzwerk, das ihn in den vergangenen Wochen vielfälltig unterstützt hatte und warf ihm vor, an "diesen alten durchsichtigen Argumenten" festzuhalten. Als Beispiel nannte Obama, dass "ein General, der nach bestem Wissen und Gewissen seinen Rat zum weiteren Vorgehen im Irak gibt, dafür des Verrats bezichtigt wird".
Er bezog sich damit auf eine von MoveOn.org veröffentlichte Anzeige im September 2007 unter der Überschrift "General Petraeus or General Betray US?" [Wortspiel mit dem Namen des Generals und dem Ausdruck to betray - verraten]. Sie stellte die Glaubwürdigkeit der Aussagen des obersten US-Kommandeurs im Irak vor dem Kongress zur Verteidigung des militärischen "Truppenaufbaus" der Bush-Regierung in Frage.
Die Republikanische Rechte entfesselte eine wüste Kampagne gegen die Anzeige und drückte - mit erheblicher Demokratischer Unterstützung - eine Kongressresolution durch, die die Anzeige als einen Affront gegen das amerikanische Militär verurteilte.
Die provokative Überschrift der Anzeige bezog sich darauf, dass Petraeus ein politischer General war, der keine Mühe scheute, die Politik der Bush-Regierung zu stützen, die von anderen hohen Kommandeuren abgelehnt wurde. Das ist in breiten Kreisen des Militärs ein offenes Geheimnis und Obama gewiss nicht verborgen geblieben. Dennoch sieht er sich jetzt veranlasst, sich mit den Republikanern gemein zu machen und den General als Opfer der Intoleranz der Antikriegs-Linken hinzustellen.
Obama kam dann auf das Thema Militär und Patriotismus zurück und pries die Truppen, die in Vietnam und im Irak gekämpft haben, für ihre Opferbereitschaft "im Dienst einer größeren Sache". Was diese Sache ist, teilte er nicht mit. Aber er fuhr fort: "Der Ruf, für das größere Ganze des Landes Opfer zu bringen, bleibt unverzichtbare Bürgerpflicht. Traurig genug, dass dieser Ruf, zu dienen, in den letzten Jahren, inmitten von Kriegen an zwei Fronten, nicht erfolgte."
Wieder keinerlei Hinweis darauf, dass diese Kriege an "zwei Fronten" auf Lügen beruhende Aggressionskriege sind. Stattdessen scheint er jetzt selbst der Jugend diese "unverzichtbare Bürgerpflicht" abzufordern und von ihr zu verlangen, sich in diesen Kriegen zu opfern.
Am gleichen Tag, als Obama seine Rede in Independence hielt, trat bezeichnenderweise sein Chefberater in Fragen der nationalen Sicherheit, der ehemalige Staatssekretär für die Navy, Richard Danzig, vor die Presse. Er erklärte, eine Demokratische Regierung habe nur geringe Möglichkeiten, das gigantische Budget des Pentagon zu reduzieren.
"Es ist nicht zu erkennen, wie wir kurzfristig weniger für das Militär ausgeben könnten", sagte Danzig der Nachrichtenagentur Reuters. Der Berater betonte, Obama werde den Rat der US-Kommandeure im Irak in der Frage des Truppenrückzugs nicht in den Wind schlagen. Er fügte hinzu, dass Obama sich "für eine kraftvollere Präsenz" in Afghanistan einsetzen werde. Danzig versicherte ebenfalls, dass Obama die Bemühungen um ein US-Raketenabwehrsystem fortsetzen werde.
"Erneuerung im Glauben"
Nach seiner Rede in Missouri trat Obama in Zaneville, Ohio, auf, wo er versprach, das von der Bush-Regierung initiierte Programm erheblich auszuweiten, das kirchliche Wohlfartsgruppen mit staatlichen Geldern fördert. Mit dieser Initiative unterstützt er ein Projekt, das ein frontaler Angriff auf das Verfassungsprinzip der Trennung von Kirche und Staat ist. Gleichzeitig leistet er dem Betrug Vorschub, diese Kirchengruppen könnten der massiven sozialen Krise in den USA Herr werden.
"Wir wissen, dass Glaube und Werte eine Quelle der Stärke in unserem Leben sein können", sagte Obama. "Jedenfalls war das bei mir so. Das ist auch für viele Amerikaner so. Aber sie können mehr als das sein. Sie können die Grundlage für ein neues Projekt amerikanischer Erneuerung sein."
Die amerikanische Wirtschaft steht am Rande einer ausgewachsenen Rezession, Millionen müssen um den Verlust ihrer Arbeitsplätze und Häuser fürchten und das Realeinkommen schrumpft ständig durch steigende Treibstoff- und Lebensmittelpreise. In dieser Lage von einem auf Religion begründeten "Projekt der Erneuerung Amerikas" zu faseln, ist nicht nur absurd, es ist auch durch und durch reaktionär.
Die Geschwindigkeit, mit der sich Obama nach rechts entwickelt, nachdem er die Vorwahlen mit dem Versprechen von Wandel und einem Ende des Irakkriegs gewonnen hatte, wird in den Medien breit kommentiert.
"Ich bin überrascht von der Geschwindigkeit und Entschiedenheit, mit der er ins Zentrum rückt", sagte Will Marshall, Präsident des Progressive Policy Institutes, einer Institution des rechten Democratic Leadership Councils, voller Anerkennung.
Am 28. Juni erkannte die Los Angeles Times, dass Obama "in umstrittenen Fragen Positionen der Mitte, ja sogar konservative Positionen einnimmt". Sie wies auf seine Unterstützung für das Gesetz zur Überwachung amerikanischer Bürger hin, auf seinen Standpunkt, dass den Bundesstaaten erlaubt sein sollte, Vergewaltiger von Kindern hinzurichten, und auf seine Unterstützung für die Entscheidung des Obersten Gerichts, das Verbot von Handfeuerwaffen in der Hauptstadt Washington für illegal zu erklären. "Diese Änderungen sind nicht ohne Risiko für Obama, weil sie sein mühsam aufgebautes Image als Führer, der neue Methoden in Washington einführen will, beschädigen könnten", warnte die Zeitung.
Die Positionen, die Obama jetzt einnimmt, sind nicht als cleverer Stimmenfang konzipiert. Hier zeigt er sein wahres Gesicht. Er ist ein durch und durch korrupter und reaktionärer Politiker, der seinen Weg in der politisch verkommenen Chicagoer Parteimaschine der Demokratischen Partei nach oben gemacht hat. Er ist bereit, alles für seinen Erfolg zu tun, und alles zu tun, was notwendig ist, um die Interessen der herrschenden Elite durchzusetzen, der beide großen Parteien dienen.
Einer bestimmten Schicht so genannter Linker, die sich an der Demokratischen Partei orientieren, wird das alles egal sein. Sie werden nur noch intensiver versuchen, die Menschen davon zu überzeugen, dass Obama lediglich unter dem Druck der Rechten stehe und durch Druck von Links wieder auf Kurs gebracht werden könne.
Dieser Standpunkt wird am Klarsten von dem Magazin Nation formuliert, das kürzlich die Kontroverse um Obamas Berufung eines rechten Wirtschaftsberaters kommentierte.
"Jetzt muss Obama peinliche Fragen beantworten, wie er es denn mit seinem Versprechen des Wandels hält", schrieb sie am 19. Juni in einem Leitartikel. "Es wäre nicht das erste Mal, dass ein Demokratischer Präsidentschaftskandidat von weitgehendem Wandel spricht, die Parteianhänger und einfachen Wähler damit begeistert und sie dann mächtigen Interessen opfert. Aber wir glauben, dass Obama anders ist..."
The Nation schürt die krassesten Illusionen in Obama und durch ihn in die Demokratische Partei und das Profitsystem, das sie verteidigt. Allerdings wird das immer schwieriger, je schärfer Obama nach rechts geht, und je mehr die wirtschaftliche und soziale Krise die Bedingungen für eine breite Linksentwicklung amerikanischer Jugendlicher, Studenten und Arbeiter schafft.
Die politische Entwicklung Obamas ist der schlagendste Beweis, dass der Kampf gegen Krieg und soziale Reaktion nur geführt werden kann, wenn es einen Bruch mit den Demokraten gibt und eine neue unabhängige Partei der Arbeiterklasse mit einem sozialistischen Programm aufgebaut wird.