The Zone of Interest: Der Kommandant von Auschwitz wird zu „Einem von uns“

The Zone of Interest
USA, Vereinigtes Königreich, Polen 2023
Regie: Jonathan Glazer

Der Film The Zone of Interest des Regisseurs Jonathan Glazer, nach dem gleichnamigen Roman (deutscher Titel: Interessengebiet) von Martin Amis aus dem Jahr 2014, ist ein historisches Drama über Rudolf Höß, den Nazi-Kommandanten des Konzentrationslagers Auschwitz, eine der widerlichsten Gestalten der Weltgeschichte. In seiner eidesstattlichen Erklärung, die Höß 1946 in Nürnberg nach seiner Verhaftung verfasste, schrieb er:

Ich leitete das Lager Auschwitz vom l. Mai 1940 bis zum 1. Dezember 1943 und schätze, dass mindestens zweieinhalb Millionen Menschen durch Vergasung oder Verbrennung umgekommen sind und ausgerottet wurden. Mindestens eine weitere halbe Million starb durch Hunger und Krankheit, was eine Gesamtzahl von drei Millionen Toten ausmacht.

Glazers Film wurde für den Oscar in den Kategorien bester Film, internationaler Film, Regie, Originaldrehbuch und Kamera nominiert. The Zone of Interest ist jedoch in Konzeption und Produktion ein fehlgeleitetes und desorientiertes Werk, das die konkreten historischen Umstände, die jemanden wie Höß hervorgebracht haben, verschleiert und damit die Fähigkeit der heutigen Bevölkerung schwächt, über die faschistische Bedrohung zu siegen und sie zu beseitigen.

Die Filmografie Glazers, der früher Musikvideos und Werbespots drehte, umfasst Werke wie Sexy Bestie (2000) und Unter die Haut (2013), von denen keines einen guten Eindruck hinterlassen hat.

Der Titel „Zone of Interest“ bezieht sich auf das von der SS verwaltete Gebiet rund um das Vernichtungslager Auschwitz in dem von den Deutschen besetzten Südpolen. Während des Zweiten Weltkriegs hatte die SS etwa 9.000 Einwohner aus diesem 24 Quadratkilometer großen Gebiet vertrieben, um zu verhindern, dass Außenstehende Zeugen der Gräueltaten wurden, und um die Gefangenen vom Rest der Welt zu isolieren.

Sanda Hüller in „The Zone of Interest“

Der Film beginnt im Jahr 1943. Höß, einer der Hauptakteure des Holocausts, gespielt von Christian Friedel, lebt mit seiner Frau Hedwig (Sandra Hüller) und den fünf Kindern ein vermeintlich idyllisches Leben in einem Anwesen unmittelbar neben dem KZ. Nur eine Mauer trennt ihr gut ausgestattetes Haus von der Todesfabrik. Die Lagerinsassen verrichten Zwangsarbeit für die Familie. Luxusgüter der Ermordeten werden für sie beschlagnahmt. Hedwigs geliebter Garten wird mit der Asche der verbrannten Leichen gedüngt. Ihr Mann nennt sie liebevoll „Königin von Auschwitz“.

Höß muss einen Angeltag abbrechen, weil menschliche Überreste im See schwimmen. Die Kinder haben eine Sammlung von Goldzähnen und necken sich gegenseitig, indem sie die Geräusche nachahmen, die sie von den schrecklichen Vorgängen hinter der Mauer hören. Ein polnisches Dienstmädchen in der Höß-Villa schleicht sich jede Nacht hinaus und versteckt Lebensmittel an den Arbeitsplätzen der Häftlinge, damit diese sie finden.

In einer Szene präsentieren zwei Personen Höß Entwürfe für einen rotierenden Verbrennungsofen, in dem Leichen effizienter verbrannt werden können. Aus dem Off sind Geräusche von in Panik schreienden Frauen und Kindern zu hören, Lokomotiven rumpeln und zischen. Aus dem Krematorium von Auschwitz steigt Rauch auf.

Der Kommandant erhält die Nachricht, dass er zum stellvertretenden Inspektor aller Konzentrationslager befördert wird und nach Oranienburg bei Berlin umziehen muss. Doch Hedwig bringt der Gedanke, ihr schönes Haus und ihren Garten verlassen zu müssen, aus dem Gleichgewicht, und sie erhält schließlich die Erlaubnis, mit den Kindern in ihrem sorgfältig gepflegten Paradies zu bleiben.

An einer Stelle verkündet ein Nazi-Offizier vor versammelter Mannschaft unverblümt: „Der Führer hat die Deportation der siebenhunderttausend ungarischen Juden zur Vernichtung und, soweit sie körperlich dazu in der Lage sind, zur Kriegsproduktion genehmigt. Mit der neuen ungarischen Regierung wurde eine Vereinbarung getroffen, die Aktion unverzüglich einzuleiten. Sie werden für den Transport nach Auschwitz zusammengetrieben. Vier Züge pro Tag, Dreitausend in jedem, Zwölftausend täglich ...“

The Zone of Interest macht zwar einige empirische Aussagen über den Holocaust, blendet aber, was den monströsen Höß betrifft, dessen soziale und politische Geschichte und den Aufstieg des Faschismus in Deutschland vollständig aus.

Die Filmemacher bemühen sich, die Alltäglichkeit des Lebens auf dem Höß-Anwesen mit den nur angedeuteten Gräueltaten auf der anderen Seite der Mauer zu kontrastieren. Mit anderen Worten: Der Film zeigt, dass „normale“ Menschen die Fähigkeit haben, sich so weit abzuschotten, dass sie ein „normales“ Leben führen können, während sie gleichzeitig am massenhaften Foltern und Morden beteiligt sind.

Wie kann das sein? Offenbar weil wir alle ein „Herz der Finsternis“ in uns tragen. Eine derart irrige, pessimistische Sichtweise ist das Ergebnis eines enormen geistig-moralischen Niedergangs. Es ist der freiwillige Verzicht darauf, den Holocaust, seine Ursachen und seinen Platz in der Geschichte des 20. Jahrhunderts zu untersuchen und zu verstehen.

Glazer sieht die Ursache des Problems in der angeblich ewigen, unveränderlichen menschlichen Natur.

Der Regisseur erklärte dem Guardian : „Ich war wirklich daran interessiert, einen Film darüber zu machen, was diesen [den unmittelbaren Ereignissen] zugrunde liegt. Ich hatte das Gefühl, dass das, was uns antreibt, nämlich die Fähigkeit zur Gewalt, die wir alle besitzen, der Urgrund von allem ist.“ Auf einen Kommentar zum Völkermord in Gaza angesprochen, fügte er hinzu: „Das Abscheuliche an diesem Film ist, dass er aktuell ist und immer aktuell sein wird, bis wir uns irgendwie aus diesem Kreislauf der Gewalt, den wir als Menschen aufrechterhalten, herauswinden können. Und wann wird das geschehen? Nicht zu unseren Lebzeiten. Im Moment scheint es sich umzukehren, und ich bin mir dessen auch bewusst, was den Film und seine Komplexität betrifft.“

Natürlich ist Faschismus möglich, und es gibt faschistische Kräfte, zum Beispiel in Deutschland, in den USA und in Israel. Aber diese entstehen nicht durch eine abstrakte menschliche Natur, durch das „faschistische Innere“, sondern durch konkrete historische und soziale Umstände.

Rudolf und Hedwig Höß wurden von der unlösbaren Krise des deutschen Imperialismus Zug um Zug, von einer Stufe zur nächsten geformt. Trotzki schrieb 1933 über den Nationalsozialismus: „All das, was bei ungehinderter Entwicklung der Gesellschaft vom nationalen Organismus als Kulturexkrement ausgeschieden werden müsste, ist heute durch den Schlund hoch gekommen: Die kapitalistische Zivilisation erbricht die unverdaute Barbarei.“ Dieses Paar ist beispielhaft für diesen Prozess.

Christian Friedel in „TheZone of Interest“

Höß Vater war ein ehemaliger Offizier im kolonialen Deutsch-Ostafrika, seine bürgerliche Familie war streng katholisch. 1916 meldete er sich freiwillig zum Militär und diente während des Ersten Weltkriegs im Nahen Osten. 1920 schloss er sich einem ostpreußischen Freikorps an. Die Freikorps waren prä- oder protofaschistische Truppen, die an der Niederschlagung von „Unruhen“ in Lettland und des Arbeiteraufstandes im Ruhrgebiet beteiligt waren. Die baltische Region war nach der Russischen Revolution eine Brutstätte des Antikommunismus und der rechtsextremen Ideologie.

Durch das Freikorps lernte Höß Anfang 1922 erstmals Hitler kennen. Zu diesem Zeitpunkt war er schon ein erbitterter Feind des Bolschewismus, ein fanatischer deutscher Nationalist und Judenhasser, denn die Juden wurden mit dem Marxismus und dem Internationalismus identifiziert. Im Jahr 1923 war Höß (im Auftrag des späteren Naziführers Martin Bormann) am grausamen Todprügeln eines Lehrers beteiligt. Dieser soll angeblich die französischen Besatzungstruppen über die Sabotageversuche von Albert Schlageter informiert haben. Höß wurde zu zehn Jahren Gefängnis verurteilt, von denen er nur fünf absaß.

1934 wurde Höß Mitglied der SS und kurz darauf der paramilitärischen Nazi-Organisation im Konzentrationslager Dachau zugeteilt. Am 1. August 1938 wurde er Adjutant des Lagerkommandanten des Konzentrationslagers Sachsenhausen. Anfang 1940 wurde er dann zum Kommandanten des neu errichteten Lagers Auschwitz ernannt. Höß verwandelte Auschwitz in ein Vernichtungslager und richtete Gaskammern und Krematorien ein, in denen stündlich 2.000 Menschen getötet werden konnten. „Er zählte die Leichen mit der kühlen Hingabe eines gelernten Buchhalters und ging jeden Abend nach Hause in die liebevolle Umarmung seiner eigenen Familie, die auf dem Lagergelände lebte. Während er zusah, wie Millionen unschuldiger Menschen in den Gaskammern vernichtet, in den Krematorien verbrannt und ihre Zähne zu Goldbarren eingeschmolzen wurden, schrieb Höß Gedichte über die Schönheit von Auschwitz“, heißt es in der Jewish Virtual Library.

Auschwitz wurde zum Tötungszentrum, in dem die meisten europäischen Juden ermordet wurden. Mitte 1942 wurde in Auschwitz mit der massenhaften Vergasung von Juden mit Zyklon-B begonnen. 2,5 bis 3,5 Millionen Menschen wurden durch Vergasung, Verhungern, Krankheit, Erhängen und Erschießen getötet.

Ende 1943 wurde Höß zum Leiter der für die Konzentrationslager zuständigen Amtsgruppe D  im SS-Wirtschafts- und Verwaltungshauptamt (WVHA) ernannt. Er setzte sich mit aller Kraft dafür ein, die „Effizienz“ der anderen Vernichtungszentren zu verbessern. Er erfüllte seine Aufgabe so gut, dass er in einem SS-Bericht aus dem Jahr 1944 gelobt wurde. Darin wurde er aufgrund seiner neuen Ideen und Erziehungsmethoden als „echter Pionier auf diesem Gebiet“ bezeichnet.

Die ungestraft gebliebene Hedwig Höß stand ihrem Mann in ihrem Antisemitismus und ihrer barbarischen Begeisterung für die „Endlösung“ in nichts nach. Stanislaw Dubiel, ein Pole, der als Gärtner der Familie arbeitete, berichtete in seiner Zeugenaussage nach dem Krieg, dass Hedwig „glaubte, dass alle [Juden] von der Oberfläche der Erde verschwinden müssten und dass die Zeit eines Tages auch für die englischen Juden kommen werde“.

Das sind die Individuen, die Glazer uns als stellvertretend für durchschnittliche Menschen mit durchschnittlicher „Gewaltfähigkeit“ präsentiert. Der Verweis auf die „Banalität des Bösen“, eine überstrapazierte Phrase, kann nicht als Ersatz für eine Auseinandersetzung mit konkreten historischen Prozessen dienen.

David North erklärt in seinem Essay zu Daniel Goldhagens „Hitlers willige Vollstrecker“ (1997) über diejenigen, die solche Ansichten propagieren:

Für die Vertreter dieser Ansicht gibt es aus einer Untersuchung der wirtschaftlichen Grundlagen, der Klassenstruktur und der politischen Kämpfe in der europäischen und deutschen Gesellschaft vor Anbruch des Dritten Reiches nichts wirklich Wichtiges zu lernen.

Bestenfalls, so fuhr North fort, fördert

eine solche wissenschaftlich-materialistische Herangehensweise (…) für sie bestenfalls einige Hintergrundinformationen über die gesellschaftliche Ausgangslage zutage, in der dann die Kräfte des Bösen, das tief in der menschlichen Seele oder Psyche wohnt, aufstiegen und unaufhaltsam die moralischen Fesseln der Zivilisation sprengten.

Darüber hinaus ist die Herkunft von The Zone of Interest äußerst unappetitlich, da der Film auf dem Werk eines bösartigen Antikommunisten, des britischen Autors Martin Amis, beruht. In ihrem Nachruf auf Amis vom Juni 2023 wies die WSWS  auf seine schmutzige Rolle hin, als er die britische Linke einer „‘zügellosen‘ Affinität zur Hisbollah“ bezichtigt hatte. Wir schrieben:

Seine Behauptung, dass Israel-Feindschaft der einzige wirkliche Ausdruck von Rassismus sei, fügte sich in eine breit angelegte Hetzkampagne ein, in der behauptet wurde, die „Linke“ sei zutiefst antisemitisch. Dies diente dazu, die vom Staat Israel an den Palästinensern begangenen Verbrechen zu verteidigen, den Sozialismus zu verunglimpfen und die faschistische Rechte zu relativieren und zu entschuldigen.

Glazers Ansichten über den „Faschisten in uns allen“ bringen ihn in Einklang mit einer bestimmten Richtung des postmodernen Denkens. Die Regisseurin des Pro-CIA-Films Zero Dark Thirty, Kathryn Bigelow, bezog sich einmal auf den französischen Semiotiker und Professor an der Columbia University Sylvère Lotringer und seine Behauptung: „In den 1960er Jahren sah man den Feind als etwas außerhalb von einem selbst an, also einen Polizisten, die Regierung, das System. Aber das ist nicht wirklich der Fall; der Faschismus ist sehr heimtückisch, wir reproduzieren ihn die ganze Zeit.“

Abwandlungen dieser ignoranten, trübsinnigen Ansicht, die uns als „radikal“ und „tiefschürfend“ präsentiert wird, sind in pseudolinken Kreisen weit verbreitet. Es ist kein Zufall, dass die Zeitschrift Jacobin den Film The Zone of Interest lobt und behauptet: „Wenn Sie es ernst meinen mit dem Kino und der Meinung sind, dass wir dazu neigen, in einem gemeinsamen Zustand der Nähe zu menschlicher Grausamkeit zu leben, dann beeilen Sie sich, The Zone of Interest anzusehen, solange er noch läuft. Die große Leinwand, die große Dunkelheit und Ihre ungeteilte Aufmerksamkeit sind für das Erlebnis unerlässlich.“

Diese reaktionäre Herangehensweise wird jedoch gerade durch die politische Lage widerlegt: durch die weltweite und massenhafte Wut über den israelischen Völkermord in Gaza. Dagegen gehen seit Monaten Dutzende von Millionen Menschen auf die Straße.

Glazers Ansicht, dass nichts getan werden könne, solange sich die Bevölkerung nicht selbst läutert, lenkt von den konkreten Umständen im verfaulenden Kapitalismus ab, die zum Faschismus und anderen schrecklichen Verbrechen führen, und von den verantwortlichen Akteuren, den Parteien und Einzelpersonen ab. Es steht im Gegensatz dazu, die Menschen zu mobilisieren und gegen den ganzen Schmutz zu ermutigen, und schläfert sie stattdessen ein.

Es spricht für Glazer, dass er seine Dankesrede bei den Oscars (The Zone of Interest erhielt den Oscar für besten internationalen Film) für ein starkes Statement gegen den Genozid in Gaza nutzte. Die WSWS hat ihn in einem Kommentar gegen die darauf folgende Hetzkampagne verteidigt.

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