Eine Fallstudie über imperialistisches Gangstertum: USA und Kanada setzen ihren haitianischen Marionettenherrscher ab

Washington und Ottawa haben den haitianischen Premierminister Ariel Henry – den sie der Bevölkerung aufgezwungen und drei Jahre lang unerschütterlich unterstützt hatten, als er im Auftrag des IWF brutale Sparmaßnahmen durchgeführt und die Präsidentschafts- und Parlamentswahlen ausgesetzt hatte – de facto entführt und durch Einschüchterung kurzerhand zum Rücktritt gezwungen.

Nach einer ganzen Woche imperialistischer Intrigen kündigte Henry am Montagabend in einer Videobotschaft aus dem US-Territorium Puerto Rico, wo er momentan festsitzt, seinen Rücktritt an.

Am 5. März wollte Henry über die Dominikanische Republik von einer diplomatischen Mission nach Kenia zurückkehren. Dort hatte er ein bilaterales Abkommen unterschrieben, das eine von den imperialistischen Mächten unterstützte Intervention von Militär und Sicherheitskräften in dem Karibikstaat unter der Führung der kenianischen Polizei bewilligte.

Der haitianische Premierminister Ariel Henry und US-Außenminister Antony Blinken im Jahr 2023 [Photo: Haitis regjering]

Doch die Dominikanische Republik verweigerte Henrys Flugzeug die Landeerlaubnis – zweifellos auf Befehl Washingtons. Das Flugzeug wurde nach Puerto Rico umgeleitet, und der haitianische Premierminister erhielt noch während des Fluges ein Sendschreiben des US-Außenministeriums, in dem er zum Rücktritt aufgefordert wurde. Bei seiner Ankunft in San Juan erwarteten ihn Agenten des US Secret Service, die ihn stundenlang nicht aus dem Flugzeug ließen.

In den nächsten Tagen machten Vertreter der USA, Kanadas und Frankreichs – die führenden imperialistischen Länder in der „Kerngruppe“ der Vereinten Nationen gegenüber Haiti – deutlich, dass sie Henry nunmehr als Belastung ansehen und er sein Amt niederlegen sollte.

Die Angelegenheit erreichte ihren Höhepunkt am Montag bei einem Treffen der Staatschefs der Karibischen Gemeinschaft (CARICOM), an dem US-Außenminister Antony Blinken sowie mehrere führende haitianische Politiker persönlich und der kanadische Premierminister Justin Trudeau virtuell anwesend waren. Henry, der im Juli 2021 nach der blutigen Ermordung seines Amtsvorgängers Jovenil Moïse von den USA, Frankreich und Kanada eingesetzt worden war, wurde von der Veranstaltung demonstrativ ausgeschlossen. In achtstündigen Verhandlungen einigte man sich auf einen „Übergangsrat“ mit „breitem Rückhalt“, der aus sieben nicht gewählten Mitgliedern bestehen soll, darunter Vertretern der korrupten politischen und wirtschaftlichen Elite, der Römisch-Katholischen Kirche und der „Zivilgesellschaft“.

Diese Übergangsregierung, um deren Zusammenstellung erbitterte Kämpfe ausgebrochen sind, soll der jüngsten imperialistischen Intervention von Militär und Sicherheitskräften im ärmsten Land der westlichen Hemisphäre den Anschein von „Rückhalt in der Bevölkerung“ verleihen.

Scheinbar wehrte sich Henry gegen seine plötzliche Absetzung. Doch kurz nachdem er von Trudeau am Telefon eine letzte Standpauke erhalten hatte, veröffentlichte er das Video, in dem er wie gefordert ankündigte, als Premierminister zurückzutreten, sobald der „Übergangsrat“ gebildet ist.

Nach dem Treffen erklärte Blinken mit beispiellosem Zynismus: „Nur die haitianische Bevölkerung, und niemand sonst, kann und sollte ihre eigene Zukunft bestimmen.“

Henrys plötzliche Absetzung zeigt hingegen erneut, dass die USA die führenden Politiker Haitis – ob gewählt oder nicht gewählt – als Lakaien betrachtet, die jederzeit beseitigt werden können, und dass sie der verarmten haitianischen Bevölkerung mit krimineller Gleichgültigkeit und Feindseligkeit gegenüberstehen.

Hier zeigt der Imperialismus sein wahres Gesicht. Die „regelbasierte Ordnung“, die Washington, Kanada und ihre europäischen Verbündeten ständig im Mund führen, besteht aus den „Regeln“, die sie diktieren und nach eigenem Gutdünken einhalten oder brechen.

Die völlige Gesetzlosigkeit im Zusammenhang mit Henrys Sturz ist zwar im Ausmaß deutlich kleiner, liegt aber auf einer Linie mit der offenen Kriminalität von Washingtons unablässiger Unterstützung für Israels Völkermord an den Palästinensern im Gazastreifen und der rücksichtslosen Eskalation des Krieges gegen Russland ohne Rücksicht auf die Gefahr einer atomaren Katastrophe. Die World Socialist Web Site erklärte dazu Anfang des Jahres: „Alle 'roten Linien', die die Zivilisation von der Barbarei abgrenzen, werden beseitigt. Das Motto der kapitalistischen Regierungen lautet: ‚Nichts Kriminelles ist uns fremd‘.“

Haiti wurde seit über einem Jahrhundert immer wieder Opfer von imperialistischen Besetzungen, Regimewechseln und offener Ausplünderung. Zwischen 1915 und 1934 wurden US-Marines dort stationiert, um „Stabilität“ zu gewährleisten. Zu diesem Zweck stellten sie sicher, dass Haitis Schulden bei den amerikanischen Banken bezahlt wurden, während ein umfangreicher Bauernaufstand brutal unterdrückt wurde.

Die Armee, die während der US-Besatzung ausgebildet wurde, fungierte als zentrale Basis der Diktatur der Duvaliers, welche das Land seit Ende der 1950er mit einem Regime aus Unterdrückung und Folter regierten, bis „Baby Doc“ Duvalier 1986 durch einen Massenaufstand abgesetzt wurde. Washington war ein unerschütterlicher Unterstützer der Diktatur, die im Kalten Krieg ein ebenso wichtiger Verbündeter in der Karibik war wie der Somoza-Clan in Nicaragua. Nach Duvaliers Sturz versuchten die USA, sein Regime gegen eine Aufstandsbewegung der haitianischen Arbeiter und armen Landbevölkerung zu verteidigen.

Seit 1994 hielten US- und kanadische Truppen Haiti mehrere Jahre lang besetzt. Im Jahr 2004 intervenierten sie erneut, um den demokratisch gewählten Präsidenten Jean-Bertrand Aristide abzusetzen. Dabei arbeiteten Washington und Ottawa mit rechtsextremen Banden zusammen, die enge Beziehungen zum alten Duvalier-Regime und seiner faschistischen Geheimpolizei, den Tonton Macoutes, unterhielten. Nachdem im Jahr 2010 ein schreckliches Erdbeben die Hauptstadt zerstört und mehr als eine Viertelmillion Menschen getötet wurden, stationierten die Imperialisten erneut Truppen in dem Inselstaat. Trotz ihrer Versprechen von „humanitärer Hilfe“ drängten sie weiter auf „neoliberale“ Wirtschaftsreformen, die noch mehr Vermögen aus der haitianischen Bevölkerung herauspressen sollten. In den Jahren 2015 und 2016 intervenierten die Obama-Regierung und der neue liberale kanadische Premierminister Trudeau erneut, um den Wahlprozess zu manipulieren und den Sieg von Michel Martellys selbst gewähltem Nachfolger Moïse zu gewährleisten. Diese rechtsextreme Figur unterhielt enge Beziehungen zum alten Duvalier-Flügel der Bourgeoisie.

Demonstranten für den Rücktritt des haitianischen Premierministers Ariel Henry auf der Flucht nach Tränengaseinsatz der Polizei. Aufgenommen in Port-au-Prince im Stadtteil Delmas am 10. Oktober 2022 [AP Photo/Odelyn Joseph]

Diese Unterwerfung und Ausplünderung durch die imperialistischen Mächte, die von allen Fraktionen der korrupten und feigen haitianischen Bourgeoisie unterstützt wurde, ist verantwortlich für die soziale Katastrophe, die jetzt in Haiti herrscht. Mehr als die Hälfte der elf Millionen Einwohner des Landes sind von Lebensmittelhilfen abhängig. Gesundheitsversorgung und andere grundlegende Sozialleistungen existieren nicht. Da mehr als 80 Prozent von Port-au-Prince von schwer bewaffneten Banden kontrolliert wird, sind Wirtschaft und Handel nahezu völlig zum Erliegen gekommen.

Biden, Blinken, Trudeau und ihre Berater organisieren eine weitere Besetzung Haitis durch ausländische Sicherheitskräfte nicht, weil sie von diesem menschlichen Elend gerührt sind. Sie haben in den letzten sechs Monaten gezeigt, dass sie mehr als bereit sind, Israel die Waffen und die politische Deckung zu verschaffen, um wehrlose Männer, Frauen und Kinder wahllos zu massakrieren.

Sie sind so erpicht darauf, bürgerliches „Recht und Ordnung“ in Haiti wiederherzustellen, weil sie befürchten, dass eine Verschlimmerung der humanitären Krise in einem nur 1100 Kilometer von Miami entfernten Land zu einem Strom von zehn- oder sogar hunderttausenden Flüchtlingen in die beiden imperialistischen Mächte Nordamerikas führen könnte - zudem noch in einem Wahljahr für die USA. Sie befürchten außerdem, dass die Krise in Haiti die Karibik destabilisieren könnte. In der Dominikanischen Republik arbeitet das Militär mit Selbstjustizgruppen zusammen, die Haitianer mit Gewalt daran hindern, auf der dominikanischen Seite der Insel Hispaniola Zuflucht zu suchen.

Eine weitere Sorge ist der Schaden für das globale „Prestige“ der USA durch den Zusammenbruch eines Landes in der Karibik - die von Washington und Ottawa lange als ihr „Hinterhof“ betrachtet und mehr als Jahrhundert lang brutal ausgebeutet haben.

Statt direkt US- und kanadische Truppen zur Unterdrückung der haitianischen Massen einzusetzen, delegieren Biden und Trudeau die Aufgabe, die „Ordnung“ in einem von schwerster sozialer Ungleichheit geprägten Land wiederherzustellen, an Kenia, mehrere weitere afrikanische Staaten und die CARICOM. Der Grund ist nicht nur, dass sie mit ihrem Krieg gegen Russland und den Vorbereitungen auf einen Krieg gegen den Iran und China beschäftigt sind. Sie wissen auch, dass in der haitianischen Bevölkerung tiefer Hass auf den US- und den kanadischen Imperialismus herrscht, der eine direkte Intervention in ein blutiges Debakel verwandeln könnte.

Dieser Widerstand muss jedoch von der Arbeiterklasse angeführt werden und sich gegen alle Fraktionen der haitianischen herrschenden Klasse und ihrer Vertreter im Großkapital und dem Kleinbürgertum richten.

Die Pseudolinke in Nordamerika und der Black Congressional Caucus der US-Demokraten propagierten Aristide und die Kräfte um seine Parti Fanmi Lavalas weiterhin als progressiven Widerstand zum Imperialismus und den räuberischsten Teilen der haitianischen Bourgeoisie. Tatsächlich war Aristide, der in seiner Zeit als Priester flammende Reden gegen Ungleichheit und politische Unterdrückung gehalten hatte, das Werkzeug des Imperialismus bei der Entwaffnung der Massenbewegung, die 1986 die Duvalier-Diktatur gestürzt hatten. DIese Rolle spielte er bis zum Militärputsch gegen seine erste Regierung 1991, nur sieben Monate nach seinem Erdrutschsieg in der Präsidentschaftswahl.

Nach seinem Sturz richtete Aristide keine Aufrufe zum Widerstand an die haitianischen Massen oder die internationale Arbeiterklasse. Stattdessen wies er die Massen in Haiti und der Diaspora an, bei den imperialistischen Mächten, die für die Unterdrückung der demokratischen und sozialen Forderungen der haitianischen Bevölkerung verantwortlich sind, um eine Intervention zu appellieren.

Nachdem sich Aristide mehrere Jahre lang Washington unterworfen und der Umsetzung der Spardiktate des IWF und der Begrenzung seiner Präsidentschaft auf eineinhalb statt fünf Jahren zugestimmt hatte, wies US-Präsident Bill Clinton die Marines an, ihn wieder in Port-au-Prince an die Macht zu bringen.

Seine zweite Amtszeit von 2001 bis 2003 war noch armseliger, da er sich dem IWF anbiederte. Als er vom US-Militär entführt und des Landes verwiesen wurde, kam von seiner früheren Hochburg, den Bidonvilles, kaum eine Reaktion.

Am Dienstag arbeiteten Vertreter der Parti Famni Lavalas erneut mit Washington und Ottawa daran, eine neue rechte, pro-imperialistische Regierung zusammenzustellen.

Keine Sektion der haitianischen Bourgeoisie ist in der Lage, einen echten Kampf zur Sicherung der demokratischen und sozialen Interessen der seit langem leidenden haitianischen Massen zu führen. Das Elend Haitis kann nur beendet werden, wenn die Arbeiterklasse in der Region das Programm der permanenten Revolution übernimmt und sich mit ihren Genossen in den imperialistischen Zentren verbündet.

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