Koalitionsvertrag von SPD und CDU in Hessen: Eine Kriegserklärung an Geflüchtete

Erstmalig in Hessen soll unter Führung der Union eine Große Koalition die Regierungsgeschäfte führen. Am Montag legten die SPD- und CDU-Spitzen in Wiesbaden ihren Koalitionsvertrag für die Zeit von 2024 bis 2029 vor.

Die CDU und auch die SPD Hessens haben auf ihrem jeweiligen Parteitag dem Vertrag zugestimmt, den die Bundesinnenministerin und SPD-Landeschefin Nancy Faeser gemeinsam mit dem hessischen Ministerpräsidenten Boris Rhein (CDU) verantwortet. Er ist nichts weniger als eine offene Kampfansage an Migranten, Geflüchtete und all diejenigen, denen demokratische Rechte nicht gleichgültig sind.

Protest am Flughafen Frankfurt gegen Abschiebungen nach Afghanistan

Zwar lautet das allgemeine Motto für die neue Hessen-Koalition: „EINE – FÜR ALLE“. Das gilt jedoch in keiner Weise für Menschen, die aus Krisen-, Kriegs-, und Bürgerkriegsländern stammen und in Hessen Schutz und Zuflucht suchen. Das Kapitel 4, das sich mit Fragen der „Migration und Integration“ beschäftigt, strotzt nur so von rechten Kampfbegriffen wie „Rückführungsoffensive“, „irreguläre Migration“, „Ausweitung der Abschiebehaft“, „Schutz der Außengrenzen“ oder „Asylverfahren außerhalb der EU“. Der Leser erhält den starken Eindruck, ein AfD-Programm in Händen zu halten.

Die CDU-SPD-Koalition, die vom 18. Januar an in Wiesbaden regieren wird, hat offenbar an sozialen Perspektiven und Zukunfts-Projekten so wenig zu bieten, dass sie an die übelste Ausländerfeindlichkeit appelliert.

Sie schreibt: „Wir starten eine echte Rückführungsoffensive und werden Ausreiseverpflichtungen konsequent und mit allen rechtsstaatlichen Möglichkeiten durchsetzen.“ Die Abschiebehaft soll ausgeweitet werden, neue „Rückführungszentren“ sollen entstehen und auch das Recht auf die Unverletzlichkeit der Wohnung wird ausgehebelt, wo es heißt: Durch „die Erweiterung von Wohnungsbetretungsrechten (…) werden wir sicherstellen, dass staatliche Entscheidungen konsequent umgesetzt werden.“

Selbstredend wollen sie die „Bereitschaft zur freiwilligen Ausreise“ fördern. Allerdings sollen die Ankommenden für alle Fälle in neu zu bauende Haftzentren gezwungen werden, wo sie bis zu zwei Jahren eingesperrt werden können. Der Staat will jederzeit Zugriff auf sie haben: „In diesen Einrichtungen sollte (…) die Erreichbarkeit für Behörden und Gerichte sowie die Durchführung der Ausreise gesichert werden. Insbesondere werden die Personen, die am Flughafen ihre Abschiebung (…) verhindern, direkt in die Rückführungszentren verwiesen.“ Und: „Gerade in diesem Verfahren stärken wir die Befugnisse der Polizei.“

Und dann noch einmal, offen und drohend: „Wir setzen uns für die konsequente Rückführung abgelehnter Asylbewerberinnen und Asylbewerber auf allen Ebenen ein.“

Wie sehr die Regierungsparteien demokratische Grundrechte mit Füßen treten, zeigt sich überall dort, wo sie mit einem Federstrich über geltendes Recht hinweggehen oder ihre Absicht äußern, die Rechtslage zu ändern. Zum Beispiel stellt der Vertrag das grundsätzliche Verbot von Pushbacks ausdrücklich in Frage: „Der Grundsatz der Nichtzurückweisung muss (…) kritisch hinterfragt werden.“

Bisher sind sogenannte „Pushbacks“, eine wahllose Zurückweisung von Menschen, die um Asyl bitten, schlicht illegal. Darin sind sich das UN-Flüchtlingshochkommissariat, das bisherige EU-Recht, die Genfer Flüchtlingskonvention und die Europäische Menschenrechtskonvention völlig einig. Ihnen allen zufolge ist es streng verboten, Menschen gewaltsam abzuschieben und ihre Asylgesuche zu ignorieren, selbst wenn sie keine gültigen Papiere besitzen. Dies stellt der Koalitionsvertrag jetzt ausdrücklich in Frage.

Ein weiteres Beispiel ist auch die im Vertrag geäußerte Absicht, das bisherige Petitionsrecht auszuhebeln, das besagt, dass Menschen nicht abgeschoben werden dürfen, solange eine Petition noch läuft, die sie an ein politisches Gremium gerichtet haben.

Die bestehende Gesetzeslage wird auch dort in Frage gestellt, wo Menschen in irgendeiner Form in Konflikt mit der Justiz geraten, und gerade besonders geschützte Personen (zum Beispiel unbegleitete Minderjährige) sind dabei keine Ausnahme: „Ausweisungen von schutzberechtigten Straftäterinnen und Straftätern müssen leichter möglich sein“, fordert die Koalition.

Dazu hat sich der Paritätische Wohlfahrtsverband bereits in hohem Maße alarmiert geäußert, da infolge des Koalitionsvertrags in Hessen bei minderjährigen Geflüchteten „der Jugendschutz und das Kindeswohl ausgehebelt“ würden.

Was „aufenthaltsrechtliche Situation von Straftäterinnen und Straftätern“ betrifft, so gilt es laut Koalitionsvertrag, das Bundesrecht zu reformieren und „etwaige unionsrechtliche Hemmnisse in diesem Bereich abzubauen“: Schon eine „Anklageerhebung, spätestens aber die Zulassung der Hauptverhandlung im Strafprozess sollte insoweit genügen“ – nämlich um das „Ausweisungsinteresse“ zu bejahen, also eine Person abzuschieben. (Bisher ist diese doppelte Bestrafung, die zusätzlich zum Strafurteil noch die Ausweisung vorsieht, immerhin an eine rechtskräftige Verurteilung geknüpft.)

Der Koalitionsvertrag fordert von den Migranten und Migrantinnen die besondere Verantwortung ein, sich „zu integrieren“. Dazu gehört es nach Ansicht der Hessen-SPD und -CDU nicht nur, sich zu den allgemeinen Werten des Grundgesetzes zu bekennen, sondern darüber hinaus auch, das Existenzrecht Israels bedingungslos anzuerkennen.

Es gibt sogar einen besonderen Abschnitt mit der Überschrift: „Wir bekräftigen die Garantie des Existenzrechts Israels als deutsche Staatsräson“. Darin heißt es explizit: „Bei wem antisemitische oder extremistische Straftaten oder entsprechende gesicherte Aktivitäten festgestellt wurden, der darf die deutsche Staatsbürgerschaft nicht verliehen bekommen“ – wobei jede Kritik an Israel als „antisemitisch“ gewertet wird.

Welche Konsequenzen das hat – und wie weit die neue hessische Landesregierung zu gehen bereit ist – zeigt sich im nächsten Satz, der sich an Menschen richtet, die bereits eingebürgert sind. Dort heißt es: „Gleiches gilt bei Personen mit doppelter Staatsangehörigkeit. Hier wird die deutsche Staatsangehörigkeit entzogen.“

Um es ganz deutlich zu sagen: Die hessische SPD und CDU drohen allen, die die völkermörderische Unterdrückung der Palästinenser kritisieren, mit dem Verlust ihrer deutschen Staatsangehörigkeit!

Auch wollen die Regierungspolitiker das Versammlungsrecht einschränken. Sie schreiben, dass sie „vor dem Hintergrund des terroristischen Angriffs der Hamas auf den Staat Israel“ prüfen wollen, ob das Recht auf Versammlungsfreiheit „gesetzlich angepasst, bzw. verschärft“ werden könne.

Gleichzeitig wird die Polizei massiv aufgerüstet, ihre Zulagen werden verbessert und sie soll neben Schutzausrüstung auch Body-Cams, Taser und Drohnen erhalten. Das Kapitel über Sicherheit und starken Staat ist neben dem Kapitel über die „hessische Heimat“ mit Abstand das längste des Koalitionsvertrags.

In weiteren Kapiteln setzt sich der Vertrag geradezu begeistert für die Bundeswehr, den Rüstungsstandort Hessen, die Wirtschaft sowie das Finanzwesen Hessens ein. An der Schuldenbremse soll festgehalten werden.

Ausdrücklich befürwortet die hessische Landesregierung auch die neuen Beschlüsse der EU zum „Gemeinsamen Europäischen Asylsystem“ (GEAS). Sie sehen unter anderem vor, schutzsuchende Menschen überhaupt nicht mehr nach Europa hereinzulassen, sondern schon außerhalb der Außengrenzen aufzufangen und zurückzuschicken. Entsprechend befürwortet der Vertrag die „Begrenzung der Migration durch Schutz unserer Außengrenzen, u.a. mit stationären Grenzkontrollen“.

Der neue hessische Koalitionsvertrag reiht sich ein in eine ganze Welle von rechtsextremen Angriffen auf Geflüchtete und Migranten. In Frankreich hat Präsident Macron mit den Stimmen des rechtsextremen Rassemblement National von Marine Le Pen eines der schärfsten Einwanderungsgesetze der EU durchs Parlament gebracht. Selbst Jugendliche, die in Frankreich geboren und aufgewachsen sind, erhalten mit 18 nicht mehr automatisch die französische Staatsbürgerschaft. Die Europäische Union schottet mit dem neuen Asylsystem GEAS ihre Außengrenzen ab und setzt das Asylrecht faktisch außer Kraft. Überall übernehmen die Regierungen die Migrationspolitik der extremen Rechten.

Sie versuchen so, die wachsende Radikalisierung der internationalen Arbeiterklasse durch Spaltungen und Polizeistaatsmaßnahmen unter Kontrolle zu bringen. Die Angriffe auf die Geflüchteten, das heißt auf den schwächsten und wehrlosesten Teil der Klasse, sind tatsächlich die Speerspitze der Angriffe auf die gesamte Arbeiterklasse. Deshalb müssen deutsche Arbeiterinnen und Arbeiter sie als Angriff auf sich selbst verstehen. Um sie zurückzuschlagen, benötigen sie ihre eigene Partei.

Die Sozialistische Gleichheitspartei (SGP) ist heute die einzige Partei, die die demokratischen Grundrechte prinzipiell verteidigt. Die SGP tritt gemeinsam mit ihren Schwesterparteien in Großbritannien, Frankreich und der Türkei und mit befreundeten Gruppen in der Ukraine und Russland im nächsten Jahr zu den Europawahlen an. Es geht darum, eine europäische Bewegung aufzubauen, die den Krieg beendet, die sozialen und demokratischen Rechte verteidigt und der kapitalistischen Barbarei die Vereinigten Sozialistischen Staaten von Europa entgegensetzt.

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