Hessenwahl: Der AfD-Wahlkampf der SPD

Ältere Einwohner Hessens erinnern sich mit Abscheu an die rechtsextreme Kampagne, mit welcher der CDU-Politiker Roland Koch 1999 die hessische Landtagswahl gewann. Mit einer Unterschriftenkampagne gegen die doppelte Staatsbürgerschaft heizte er ausländerfeindliche Stimmungen an und schuf ein Klima, in dem rechtextreme Terrorgruppen, wie die des späteren Lübcke-Mörders, und schließlich die AfD gedeihen konnten.

Bundesinnenministerin Nancy Faeser im Bundestag [Photo by DBT / Leon Kügeler / photothek]

Bei der diesjährigen Landtagswahl, die am 8. Oktober stattfindet, ist es die SPD, die mit Ausländerhetze Wahlkampf macht. SPD-Spitzenkandidatin Nancy Faeser, die CDU-Ministerpräsident Boris Rhein an der Spitze der Landesregierung ablösen will, hat eigens ihr Amt als Bundesministerin behalten, um sich im Wahlkampf als Law-and-Order-Politikerin zu profilieren.

Als Bundesinnenministerin ist Faser nicht nur federführend am Ausbau der Festung Europa beteiligt, die Millionen Flüchtlinge autoritären Regimes ausliefert, in unmenschliche Lager sperrt und im Meer ertrinken oder in der Wüste verdursten lässt. Es vergeht auch keine Woche, in der sie nicht mit neuen Vorschlägen an die Öffentlichkeit tritt, die verbliebenen demokratischen Rechte von Geflüchteten und Asylsuchenden zu schleifen.

Anfang August legte Faesers Ministerium einen „Diskussionsentwurf“ vor, der auf 35 Seiten brutale – und teilweise sadistische – Gesetzesverschärfungen auflistet, die elementare demokratische Grundsätze verhöhnen. Man könnte das Papier mit dem Titel „Ausländer raus!“ überschreiben.

Insgesamt zwölf gesetzliche Maßnahmen sollen die Abschiebung von Geflüchteten und Asylsuchenden erleichtern. Diese können sich zwar weiterhin auf bestimmte Rechte berufen, aber das hat keine praktische Bedeutung mehr, weil sie trotzdem abgeschoben werden.

So sollen Klagen gegen Einreise- und Aufenthaltsverbote künftig keine aufschiebende Wirkung mehr haben; wer einen Asylantrag stellt, kann trotzdem in Abschiebungshaft gesperrt werden; die Zahl der Fälle, an denen ein Staatsanwalt beteiligt werden muss, wird stark vermindert; die Höchstdauer des Ausreisegewahrsams wird von zehn auf 28 Tage verlängert; und die Behörden bekommen weitgehende Rechte, Unterkünfte zu betreten.

Besonders niederträchtig ist der Plan, dass Abschiebungen auch bei langjährig Geduldeten künftig nicht mehr angekündigt werden müssen. Die Polizei kann dann Betroffene ohne Vorankündigung bei Nacht und Nebel abholen und außer Landes bringen. Bisher müssen Menschen, die sich seit mehr als einem Jahr geduldet in Deutschland aufhalten, mindestens einen Monat vorher über ihre bevorstehende Abschiebung informiert werden.

Man kann sich ausmalen, was das bedeutet. Familien, die seit Jahren in Deutschland leben, aber bisher nur „geduldet“ werden, müssen jede Nacht zittern, dass die Polizei klingelt, sie ins nächste Flugzeug setzt und in ein Land verfrachtet, in dem sie keine Lebensgrundlage haben. Zum letzten Mal gab es einen solchen psychischen Terror in Deutschland unter dem Nazi-Regime.

Mehr als 6000 Jugendliche, die derzeit als Geduldete eine Berufsausbildung absolvieren, werden von Faesers neuen Plänen bedroht. Über die Hälfte aller Geduldeten, 136.000 Personen, leben seit über fünf Jahren in Deutschland. Die meisten gehen einer geregelten Arbeit nach, haben eine eigene Wohnung und schicken ihre Kinder in die Schule.

Ein anderer Vorschlag, den Faeser in den letzten Wochen propagandawirksam verbreitete, ist die Einführung von Sippenhaftung unter dem Vorwand der sogenannten Clan-Kriminalität. Angehörige von Familien, die als kriminelle Clans bezeichnet werden, sollen auch dann abgeschoben werden, wenn sie gar nicht straffällig geworden sind. Auf skeptische Nachfragen in der Rheinischen Post betonte Faeser, ihr gehe es um „effektive Lösungen“: „Der Rechtsstaat muss hier Zähne zeigen.“

Flüchtlinge protestieren im Juli 2016 in Berlin gegen menschenunwürdige Unterbringung

Warum führt die SPD in Hessen einen Wahlkampf, der Kochs berüchtigte Kampagne von 1999 weit rechts überholt?

Die Antwort auf diese Frage liegt nicht einfach in Faesers Person, sondern in den veränderten politischen Umständen. Die SPD führt heute eine Bundesregierung, die die größte militärische Aufrüstung seit Hitler durchführt und den Nato-Krieg gegen Russland ohne Rücksicht auf Verluste eskaliert, auch wenn sie damit einen Atomkrieg riskiert.

Die Kosten für diese Politik lädt die Bundesregierung in Form von Sozialabbau und sinkenden Reallöhnen rücksichtslos auf die arbeitende Bevölkerung ab. Faeser ist als Innenministerin nicht nur für die Flüchtlingspolitik verantwortlich, sondern auch für die Tarifverhandlungen im öffentlichen Dienst, wo sie mit Unterstützung der Dienstleistungsgewerkschaft Verdi massive Reallohnsenkungen erzwang.

Auch die Bundespolizei, das Bundeskriminalamt und der Verfassungsschutz fallen in Faesers Verantwortungsbereich und werden von ihr systematisch aufgerüstet. Während rechtsterroristische Netzwerke im Staatsapparat unbehindert agieren, beobachtet der Verfassungsschutz die Sozialistische Gleichheitspartei (SGP) und denunziert sie als „linksextremistisch“, weil sie mit demokratischen Mitteln für eine sozialistische Gesellschaft streitet. Im Vorwort des neusten Verfassungsschutzberichts lässt Faeser erkennen, dass alle Standpunkte, die den deutschen Kriegsanstrengungen zuwiderlaufen, aus der öffentlichen Diskussion verbannt werden sollen.

Für die Kriminalisierung von Klimaaktivsten, wie der „Letzten Generation“, trägt Faeser ebenfalls die Verantwortung.

Diese Politik, die aus dem Wahlprogramm der AfD stammen könnte, wird von allen Parteien unterstützt. Das gilt nicht nur für die Grünen, die Mitglied der Bundesregierung sind und in Hessen mit der CDU regieren, sondern auch für die Linkspartei, die in Hessen lange von der derzeitigen Bundesvorsitzenden Janine Wissler geführt wurde.

Wissler hat sich jahrelang bemüht, in Hessen eine Koalitionsregierung mit Faesers SPD zu bilden. Im Dezember 2021 gratulierte sie ihr zur Vereidigung als Bundesinnenministerin und pries sie absurderweise als „Mitstreiterin im Kampf gegen rechte Gewalt“. Dies unterstreicht, dass die Linkspartei ebenso wie die SPD den Kapitalismus und den bürgerlichen Staat verteidigt und bereit ist, ihn gegen Opposition aus der Arbeiterklasse einzusetzen.

Faeser, die aus Schwalbach/Taunus stammt, vertritt bei Wahlen den Hochtaunuskreis, den sogenannten „Frankfurter Speckgürtel“, der das höchste pro-Kopf-Einkommen Deutschlands aufweist, doppelt so hoch wie Offenbach, Duisburg oder Gelsenkirchen. Als Juristin hat sie in der Frankfurter Wirtschaftskanzlei GÖRG gearbeitet.

Treibendes Motiv hinter Faesers ausländerfeindlichem Wahlkampf ist die Angst vor einer Rebellion der Arbeiterklasse. Während der Widerstand gegen Krieg und Sozialkahlschlag wächst, ist er der verzweifelte Versuch, die arbeitende Bevölkerung durch Nationalismus und Ausländerfeindlichkeit zu spalten. Der Angriff auf die demokratischen Rechte von Flüchtlingen, der Schwächsten der Gesellschaft, dient als der Auftakt, um alle demokratischen Rechte der Arbeiterklasse abzuschaffen.

Loading