Der „Wahlsieg“ al-Sisis in Ägypten

Am Montag verkündete die ägyptische Wahlbehörde den Wahlsieg des Militärdiktators General Abdel Fattah al-Sisi. Bei den dreitägigen Wahlen zwischen dem 10. und 12. Dezember habe er 89,6 Prozent erhalten und könne somit bis mindestens zum Jahr 2030 das Land regieren.

US-Präsident Joe Biden und General Abd al-Fattah as-Sisi [AP Photo/Alex Brandon]

Wenn es inmitten von Israels Völkermord an den Palästinensern noch etwas gebraucht hätte, die Menschenrechtspropaganda der imperialistischen Mächte ad absurdum zu führen, ist es ihre Partnerschaft mit dem Schlächter von Kairo.

Al-Sisi, der sich vor knapp zehn Jahren, am 3. Juli 2013, nach Massenprotesten gegen den islamistischen Präsidenten Mohamed Mursi mit westlicher Unterstützung an die Macht putschte, führt eines der brutalsten Terrorregimes weltweit. Bereits am Beginn seiner Herrschaft stand ein blutiges Massaker.

Am 14. August 2013 stürmten ägyptische Armee- und Polizeikräfte auf al-Sisis Kommando zwei Protestlager von Putschgegnern in Kairo und ermordeten über tausend Menschen, unter ihnen viele Frauen und Kinder. Human Rights Watch nannte das „Massaker“ das „schlimmste Ereignis ungesetzlicher Massentötungen in der modernen Geschichte Ägyptens“.

In der letzten Dekade wurden unter al-Sisis Herrschaft hunderte weitere Regimegegner getötet. Zehntausende politische Gefangene schmoren in den berüchtigten Folterkerkern des Landes. Unabhängige Medien werden zensiert und Streiks und Proteste brutal unterdrückt. Das gleiche gilt für regimekritische Parteien und Organisationen.

Auch die Todesstrafe wird unter al-Sisi exzessiv angewandt. Allein in den Jahren 2017 und 2018 wurden über 1100 Menschen zum Tode verurteilt. 2021 waren es mindestens 356 Menschen. Dies ist, mit Ausnahme von China, die höchste Zahl von Todesurteilen, die Amnesty International im Jahr 2021 weltweit verzeichnete. Dabei werden die Hinrichtungen immer häufiger vollstreckt. 2020 verdreifachte sich die Zahl im Vergleich zum Vorjahr auf 107.

Unmittelbar vor der Wahl verschärfte das Regime die Unterdrückung jeder Opposition. „Al-Sisi hat den gesamten Staatsapparat und die Sicherheitsbehörden eingesetzt, um zu verhindern, dass ein ernsthafter Kandidat überhaupt antritt“, kommentierte der Leiter der regierungsunabhängigen Ägyptischen Initiative für Persönlichkeitsrechte Hossam Bahgatac. „Wie beim letzten Mal hat er seine Gegner handverlesen, die nur zum Schein gegen den Präsidenten kandidieren und seine katastrophale Politik nicht oder nur sehr verhalten kritisieren.“

Al-Sisis „Gegenkandidaten“ – Farid Zahran von der Ägyptischen Sozialdemokratischen Partei (4,49 Prozent), Hazem Omar von der Republikanischen Volkspartei (4,01 Prozent) und Abdel-Sanad Yamama von der Neuen Wafd-Partei (1,86 Prozent) – stammten allesamt aus Parteien, die faktisch Teil des Regimes sind.

Die Kampagne von Ahmed Tantawi, eines früheren Vorsitzenden der nasseristischen Karama-Partei, wurde vom Regime unterdrückt. Am 7. November stellten die Behörden Tantawi, seinen Wahlkampfleiter und 21 bereits zuvor inhaftierte Unterstützer vor Gericht. Die nächste Anhörung wird am 9. Januar 2024 stattfinden.

Das blutrünstige und diktatorische Vorgehen des Regimes tut der Unterstützung al-Sisis durch die imperialistischen Mächte keinen Abbruch. Im Gegenteil: unmittelbar nach Bekanntgabe des Wahlergebnisses gratulierte die US-Botschafterin in Ägypten, Herro Kader Mustafa Garg, dem ägyptischen Gewaltherrscher. Die USA wollten ihre „solide Partnerschaft mit der Regierung von Präsident Abdel Fattah El-Sisi fortsetzen“, erklärte Mustafa in einem Statement.

Laut einem ägyptischen Medienbericht hob sie „die Vielschichtigkeit der Beziehungen zwischen den USA und Ägypten hervor, die ein breites Spektrum an gemeinsamen Prioritäten umfassen“. Dazu gehörten „die Stärkung der regionalen Stabilität und Sicherheit, die Vertiefung der Wirtschafts- und Handelsbeziehungen sowie die Förderung der kulturellen und zwischenmenschlichen Beziehungen zwischen Amerikanern und Ägyptern“.

Die führenden europäischen Mächte und die Europäische Union hatten bereits vor den Wahlen wiederholt ihre Unterstützung für al-Sisi zum Ausdruck gebracht.

„Deutschland steht an der Seite unserer ägyptischen Freunde, um Sie in Krisenzeiten bei der Überwindung bestehender Schwierigkeiten zu unterstützen“, erklärte etwa der deutsche Botschafter in Ägypten, Frank Hartmann, bereits Anfang Oktober. Deutschland sei ein wichtiger Partner bei den „Modernisierungsbemühungen Ägyptens“ und unterstütze „die ehrgeizigen Reformen“ des Landes.

Die enge Kooperation der imperialistischen Mächte mit al-Sisi hat zwei vorrangige Gründe. Zum einen fungiert al-Sisi, wie zuvor schon der 2011 gestürzte Langzeitdiktator Hosni Mubarak, als Statthalter des Imperialismus in der Region – und wird dafür fürstlich belohnt und bis an die Zähne bewaffnet. Allein aus den USA erhält Ägypten jährlich Militärhilfe in Höhe von über einer Milliarde Euro. Deutschland exportiert in kein anderes Land so viele Waffen wie nach Ägypten. Allein 2021 genehmigte Berlin Waffenlieferungen in Höhe von rund 4,3 Milliarden Euro nach Kairo.

Als Gegenleistung erledigt das Regime das schmutzige Handwerk der Imperialisten. Aktuell spielt es eine Schlüsselrolle beim Genozid an den Palästinensern. Al-Sisis Kritik am Vorgehen Israels im Wahlkampf kann nicht darüber hinwegtäuschen, dass Ägypten den Gaza-Streifen vom Süden abriegelt und sich bei der Blockade von Hilfslieferungen und anderen Maßnahmen eng mit dem rechtsextremen Netanjahu-Regime abstimmt.

Auf der Sinai-Halbinsel führt das ägyptische Militär unter dem Deckmantel des Kampfs gegen den „islamistischen Terror“ selbst einen brutalen Krieg gegen die Bevölkerung, der in seinen Methoden dem Vorgehen Israels gegen die Palästinenser ähnelt. Human Rights Watch dokumentierte in einer 2019 veröffentlichten zweijährigen Untersuchung „Verbrechen wie willkürliche Massenverhaftungen, gewaltsames Verschwindenlassen, Folter, außergerichtliche Tötungen und möglicherweise rechtswidrige Luft- und Bodenangriffe auf Zivilisten“.

Der zweite Grund, warum sowohl die imperialistischen Mächte als auch Israel und die anderen arabischen Regierungen sowie Russland und China al-Sisi unterstützen, liegt im Klassencharakter des Regimes. Der Militärputsch 2013 richtete sich nicht einfach gegen die Muslimbruderschaft, der auch Mursi angehörte. Er zielte auf die blutige Unterdrückung der ägyptischen Revolution.

Anfang 2011 hatten Millionen Arbeiter und Jugendliche mit Massenstreiks und Protesten Mubarak gestürzt und den ägyptischen Kapitalismus und die Dominanz des Imperialismus im Nahen Osten erschüttert. Mit al-Sisis Militärdiktatur versuchte die ägyptische Bourgeoisie, die Massenbewegung, die auch unter Mursi weiterging, im Blut zu ertränken.

Nach zehn Jahren brutaler Unterdrückung kommt diese Strategie an ihr Ende. In den letzten Wochen protestierten auch in Ägypten Hunderttausende gegen den Völkermord in Gaza. Am 20. Oktober stürmten im Rahmen weltweiter Massenproteste auch Zehntausende den zentralen Tahrir-Platz in Kairo, das Epizentrum der revolutionären Erhebung, die 2011 zum Sturz Mubaraks führte.

Die bürgerlichen Medien warnen nach dem Wahlsieg vor einer erneuten Eskalation. „Wiedergewählt zu werden, war für Sisi das leichte Unterfangen. Aber Ägypten steht am Abgrund“, lautet der Titel eines Artikels in der Washington Post. Neben der „weit verbreiteten Wut über das Leiden der Palästinenser“ sei das Regime auch mit massivem sozialem Unmut konfrontiert, der sich jederzeit entladen könne.

„Im Grunde genommen war die gesamte Dauer der Präsidentschaft von al-Sisi eine endemische Serie von Wirtschaftskrisen – und es ist nicht nur wirtschaftliche Not, es ist Demütigung“, zitiert die Post Timothy Kaldas, den stellvertretenden Direktor des Tahrir Institute for Middle East Policy. „Während all dies geschieht, sehen die Ägypter zu, wie sich das Regime bereichert.“

Während die globalen Massenproteste gegen Israels Genozid in Gaza weitergehen, entwickeln sich auch neue explosive Klassenkonflikte in Ägypten. Damit diese Kämpfe erfolgreich sein können, gilt es die Lehren aus der ägyptischen Revolution und Konterrevolution zu ziehen. Der Sturz von Mubarak unterstrich 2011 die gewaltige Kraft der Arbeiterklasse, der konterrevolutionäre Putsch al-Sisis zeigte das zentrale Problem der ägyptischen Revolution: das Fehlen einer politischen Perspektive und Führung.

In einer Situation, in der es keine revolutionäre Partei gab, die die Arbeiterklasse für ein internationales sozialistisches Programm und den Kampf um die Macht mobilisierte, gelang es der herrschenden Klasse mit der tatkräftigen Unterstützung pseudolinker Kräfte die Massenbewegung immer wieder dem ein oder anderen Flügel der Bourgeoisie unterzuordnen und so letztlich al-Sisis Gewaltherrschaft den Weg zu ebnen.

Die entscheidende Aufgabe, die sich in Ägypten und weltweit stellt, ist die Entwicklung einer revolutionären Führung, der Aufbau von Sozialistischen Gleichheitsparteien als Sektionen des Internationalen Komitees der Vierten Internationale. Nur so kann die Arbeiterklasse ihre politische Unabhängigkeit herstellen und sich mit einem sozialistischen Programm und Trotzkis Perspektive der permanenten Revolution bewaffnen, um den Kapitalismus zu stürzen und der imperialistischen Unterdrückung und Gewalt ein Ende zu setzen.

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