Israel und die Palästinenser: Ein Staat, gegründet auf Enteignung und ethnischer Säuberung

Teil 2

Letzter Teil einer zweiteiligen Serie. Teil 1 erschien am 25. Oktober 2023.

Das Projekt Groß-Israel

Der Krieg im Jahr 1967 war ein Wendepunkt in der Entwicklung des Projekts Groß-Israel, das auf eine dauerhafte Annexion des eroberten Landes abzielte.

Israelische Panzer rücken auf den Golanhöhen vor, Juni 1967 [Photo by Government Press Office (Israel) / CC BY-SA 4.0]

Mit dem Krieg wurden die faktischen Grenzen Israels ausgeweitet, zudem führte er zu einer neuen Welle von Flüchtlingen und Binnenvertriebenen. Die Regierung der nationalen Einheit unter Ministerpräsident Levi Eshkol von der Awoda (Arbeitspartei) errichtete in den neu eroberten Gebieten Siedlungen in kolonialer Art und verstieß damit gegen internationale Abkommen. Die Siedlungen führten zur Entstehung einer sozialen Schicht, die ein persönliches Interesse an der Expansionspolitik Israels hatte und ein Anziehungspunkt für einige der reaktionärsten Kräfte darstellte, deren faschistische Erben heute an der Regierung sind und die Politik diktieren. Diese Kräfte rückten die politische Landschaft Israels in den 1970er Jahren rasch nach rechts, was die soziale Instabilität verstärkte und die Regierungsmacht der Arbeitspartei zu Fall brachte.

Von links: General Uzi Narkiss, Verteidigungsminister Moshe Dayan und Stabschef Jitzchak Rabin – später israelischer Ministerpräsident der Arbeitspartei (Awoda) – in der Altstadt von Jerusalem nach der Einnahme durch israelische Truppen im Sechstagekrieg [Photo by National Photo Collection of Israel, Photography dept / CC BY-SA 3.0]

Militärherrschaft, kollektive Bestrafungen, die Zerstörung von Häusern, Zwangsdeportationen und Inhaftierungen ohne Gerichtsverfahren verschärften die Unterdrückung, mit der die Besetzung von palästinensischem Land im Westjordanland und dem Gazastreifen durchgesetzt wurde. Gleichzeitig wurden die Palästinenser von israelischen Arbeitgebern als billige Arbeitskräfte ausgebeutet. Die Führung der Palästinenser zog zuerst nach Jordanien, bis sie dort in einem brutalen Krieg vertrieben wurde, und dann in den Libanon.

Nach dem Wahlsieg von Likud-Parteichef Menachem Begin im Jahr 1977 leitete Israel eine mörderische Expansionspolitik im Libanon ein. Dazu gehörte eine Serie von Razzien, Überfällen und verdeckten Operationen in Zusammenarbeit mit libanesischen faschistischen Kräften gegen die Palästinenser und ihre Verbündeten während des 15-jährigen libanesischen Bürgerkriegs. Diese Kriege und verdeckten Operationen sollten 30 Jahre andauern.

Nach dem Massaker an Palästinensern in den Lagern Sabra und Shatila, das von den libanesischen Streitkräften unter Mitwirkung hochrangiger Mitglieder des Kabinetts und der Streitkräfte Israels gesteuert und von christlichen Phalangisten und Mitgliedern der südlibanesischen Armee durchgeführt wurde [Photo: Robin Moyer, USA, Black Star for Time. Beirut, Lebanon, 18 September 1982. ]

Während des Bürgerkriegs wurden schätzungsweise 32.000 Palästinenser und zahllose Libanesen getötet, während Israel 1.500 Todesopfer verzeichnete. Zu den Operationen gehörte auch das Massaker an 3.000 Palästinensern in Sabra und Shatila, einem palästinensischen Flüchtlingslager in Beirut. Dieses Verbrechen wurde im September 1982 von Israels Verbündeten in der libanesischen Partei Kata’ib (Phalange) unter dem Schutz der IDF verübt.

Der Betrug von Oslo

Israels Angriffe auf die Palästinenser im Libanon und seine Menschenrechtsverletzungen in den besetzten Gebieten führten zur ersten Intifada, dem spontanen Aufstand der Palästinenser von 1987 bis 1993, der außerhalb der Kontrolle der Palästinensischen Befreiungsorganisation (PLO) ausbrach. Er wurde von Israel brutal niedergeschlagen und kostete mehr als 1.000 Palästinensern das Leben, mehr als sechsmal so viel wie die Zahl der getöteten jüdischen Israelis.

Der israelische Ministerpräsident Jitzchak Rabin, US-Präsident Bill Clinton und der PLO-Vorsitzende Yassir Arafat am 13. September 1993

1993 unterzeichneten der israelische Awoda-Ministerpräsident Jitzchak Rabin und PLO-Führer Arafat vor dem Weißen Haus das Osloer Abkommen, in dem sich Arafat und die PLO verpflichteten, Israel anzuerkennen und dem Terrorismus abzuschwören.

Das Abkommen sollte zur Gründung eines palästinensischen Kleinstaats mit einer Hauptstadt in Abu Dis führen, einem Vorort von Ost-Jerusalem – die sogenannte Zwei-Staaten-Lösung. Arafat und die Palästinensische Autonomiebehörde sollten im Auftrag Israels die palästinensischen Massen in einem geteilten Staat kontrollieren. Dieser würde aus nicht zusammenhängenden Enklaven (Bantustans) bestehen, die zwar von Israel getrennt, aber ein Teil Israels sein würden. Damit war jede Möglichkeit von Demokratie für die Palästinenser ausgeschlossen.

Die israelischen Ultranationalisten und ihre politischen Repräsentanten in der Likud und anderen rechtsextremen und religiösen Parteien lehnten selbst diese Farce eines palästinensischen Staates auf dem Land ab, das sie haben wollten. Nur zwei Jahre später, im Oktober 1995, organisierten rechte religiöse Nationalisten, die von den kriegslüsternen Oppositionsführern Ariel Sharon und Benjamin Netanjahu angestachelt wurden, eine wütende Demonstration in Jerusalem, bei der Rabin als Verräter angeprangert wurde. Einen Monat später wurde Rabin von einem religiösen Fanatiker ermordet.

Israel benutzte das Osloer Abkommen, um die Siedlungen im Westjordanland noch schneller auszubauen als zuvor, die Kontrolle über Wasser und andere Rohstoffe zu übernehmen, Straßen zu bauen und mehr als 600 Kontrollpunkte zu errichten, wodurch die Bewegungsfreiheit in der gesamten Region unterbrochen und ihre Wirtschaft ruiniert wurde. Die Siedlungen, in denen mittlerweile mindestens 500.000 Israelis oder fast ein Fünftel der Bevölkerung leben, kontrollieren einen weitaus größeren Teil des Landes, einschließlich der fruchtbarsten und ertragreichsten Regionen.

Israel annektierte völkerrechtswidrig Ost-Jerusalem und einen Teil des Westjordanlands, dessen palästinensische Einwohner nach dem Bau von etwa 200.000 Siedlerhäusern nur noch eine knappe Bevölkerungsmehrheit stellen. In den letzten Jahren kam es wiederholt zu Zusammenstößen zwischen Palästinensern und der Polizei wegen der drohenden Vertreibung von palästinensischen Familien aus den Stadtteilen Scheich Jarrah und Silwan auf Betreiben rechtsextremer und religiöser Gruppen unter der Führung von Ben-Gvir.

Der 14-jährige Faris Odeh wirft während der zweiten Intifada einen Stein auf einen Panzer der Israelischen Verteidigungskräfte in Gaza. Dieses Foto wurde am 29. Oktober 2000 aufgenommen; Odeh wurde zehn Tage später am 8. November erschossen, als er wieder Steine auf israelische Soldaten warf [Photo: Associated Press/Laurent Rebours)]

Diese Bedingungen führten zum Ausbruch der zweiten Intifada im September 2000, nachdem Ariel Sharon in provokanter Weise mit militärischer Eskorte durch das Gelände der Al-Aqsa-Moschee marschiert war, um Israels Kontrolle über die drittheiligste Stätte des Islam zu bekräftigen. Die Intifada war ebenso ein Aufstand gegen die Führung der PLO, die das katastrophale Oslo-Abkommen gebilligt hatte. Zwischen 2000 und 2008 wurden fast 5.000 Palästinenser von israelischen Sicherheitskräften getötet – etwa fünfmal so viele wie Israelis von Palästinensern getötet wurden.

Die Sperranlagen und die Blockade des Gazastreifens

Dann ordnete Sharon den Bau der berüchtigten Sperranlagen an, durch den weitere zehn Prozent palästinensischen Gebiets geraubt wurden, um Israel von den Palästinensern abzuschotten und Tausende von Palästinensern von ihren Familien und Arbeitsplätzen abzuschneiden. Gezielte Morde an palästinensischen Führern wurden zur Routine, während die extreme Rechte einen „Bevölkerungsaustausch“ und Maßnahmen forderte, die einer ethnischen Säuberung gleichkamen, um die „demografische Zeitbombe“ abzuwehren. Die Einwohnerzahl der Palästinenser übersteigt inzwischen die Zahl der Juden in den international anerkannten Grenzen Israels und den besetzten Gebieten.

Die ersten israelischen Sperranlagen im Westjordanland im Jahr 2003 [Photo by joeskillet/Flickr / CC BY 2.0]

Im Jahr 2005 löste Sharon 14 israelische Siedlungen auf und zog das Militär aus dem Gazastreifen ab. Gleichzeitig behielt er jedoch die Kontrolle über die Einreise auf dem Land-, See- und Luftweg. Dies kaschierte einen noch größeren Landraub im Westjordanland, für den die Bush-Regierung grünes Licht gegeben hatte.

Zwei Jahre später, nachdem die Hamas einen Putschversuch der Fatah abgewehrt hatte, verhängte Israel eine erdrückende Blockade, die den Gazastreifen in ein verarmtes Ghetto verwandelte und die Lebensgrundlage der Einwohner zerstörte. Israel verweigert dem Gazastreifen jegliche Unabhängigkeit und stellt nur das absolute Minimum an lebenswichtigen Dienstleistungen wie Wasser und Strom zur Verfügung. Ein Großteil der öffentlichen Infrastruktur, Wohngebäude, Krankenhäuser, Schulen und Moscheen wurde bei brutalen Angriffen auf die Enklave zerstört, die als „Rasenmähen“ bezeichnet wurden. Dazu gehören die Operation „Gegossenes Blei“ (2008–2009), die Operation „Säule der Verteidigung“ (November 2012) und die Operation „Schützende Schneide“ (2014). Insgesamt wurden bei mehr als sieben Großangriffen der mächtigsten Luftwaffe des Nahen Ostens auf den Gazastreifen mindestens 4.164 Palästinenser getötet, bei nur 102 israelischen Opfern.

Die israelische Luftwaffe wirft eine Streubombe mit weißem Phosphor auf ein bewohntes Gebiet im Gazastreifen ab. Aufgenommen während der Operation „Gegossenes Blei“ von Dezember 2008 bis Januar 2009 [Photo by Al Jazeera Creative Commons Repository / CC BY 3.0]

Da kein Wiederaufbau in Gaza möglich war, herrschte schon lange vor dem jüngsten Angriff eine katastrophale wirtschaftliche Lage. Etwa drei Viertel der Haushalte in Gaza sind in irgendeiner Form auf Hilfe durch die Vereinten Nationen oder andere Organisationen angewiesen, die nach Angaben der Europäischen Union derzeit „auf dem Prüfstand“ steht. Im Jahr 2012 prognostizierten die UN, die belagerte Enklave würde bis 2020 unbewohnbar sein. Diese Einschätzung wurde im Jahr 2017 dahingehend revidiert, dass die „Rückentwicklung“ noch schneller vonstatten gehe als zuvor prognostiziert.

Palästinenser, die Staatsbürger Israels sind und etwa 20 Prozent der Bevölkerung ausmachen, leben in einer prekären Situation. Ihre Gemeinden, die zu den ärmsten des Landes gehören, werden von den Behörden vernachlässigt und bei der finanziellen Unterstützung benachteiligt. Armut und Arbeitslosigkeit sind so große Probleme, dass rivalisierende kriminelle Banden die Kontrolle über arabische Städte und Dörfer übernommen haben, wodurch seit Anfang des Jahres mehr als 180 Menschen getötet wurden.

Im Mai 2021 fanden Streiks, Proteste und Unruhen der palästinensischen Israelis statt, ausgelöst von der gewaltsamen Erstürmung der Al-Aqsa-Moschee durch die Polizei und brutale ethnische Säuberungen in Ostjerusalem. Das war das erste Mal, dass sie sich mit den Palästinensern in den besetzten Gebieten zu einem Generalstreik zusammenschlossen, um gegen den Angriff auf den Gazastreifen und Israels Apartheid-Verfassung zu protestieren. Netanjahus rechtsextreme Koalition will palästinensischen Knesset-Abgeordneten das Mandat entziehen und ihren Parteien die Teilnahme an Wahlen verbieten.

Ein Aufstand der Unterdrückten

Dieses immense Leid hat zum Aufstand der Palästinenser vom 7. bis zum 8. Oktober geführt. Obwohl er einem Massenselbstmord gleichkam, war dieser Aufstand die Revolte eines unterdrückten Volkes, das entschlossen ist, aus dem Konzentrationslager auszubrechen, wo es von Israel mit Unterstützung aller Großmächte eingesperrt wird.

Feuer und Rauch nach einer Explosion in einem palästinensischen Wohnhaus, das bei einem israelischen Luftangriff in Gaza-Stadt zerstört wurde, 7. Oktober 2023 [AP Photo/Adel Hana]

Die World Socialist Web Site erklärte dazu: „Ein Staat, der auf dieser Grundlage und inmitten der ständigen Unterdrückung der Palästinenser gegründet wurde, musste immer unfähig bleiben, eine wirklich demokratische Gesellschaft zu entfalten. Stattdessen entwickelte er sich zu einem Garnisonsstaat des US-Imperialismus, der sich wiederholt im Krieg mit seinen arabischen Nachbarn befand und in einen permanenten Kriegszustand mit den Palästinensern steht. Er verfolgt eine expansionistische ,Groß-Israel‘-Politik und stützt sich immer stärker auf die rechtsradikale Siedlerbevölkerung in den besetzten Gebieten und auf US-Militärsubventionen, um die destabilisierenden Auswirkungen der akuten sozialen Ungleichheit auszugleichen, die zu den höchsten der Welt gehört. Dies alles hat den Weg für das Frankenstein-Monster der Netanjahu-Regierung geebnet.“

Israels völkermörderischer Krieg gegen Gaza entlarvt endgültig den reaktionären Charakter des Zionismus. Ein kapitalistischer Staat, der den Juden eine sichere Zuflucht bieten soll, hat stattdessen jahrzehntelang Tod, ethnische Säuberungen und Enteignungen der Palästinenser gebracht und die israelischen Juden in ständigen Konflikt mit ihren arabischen Nachbarn geführt.

Das Internationale Komitee der Vierten Internationale (IKVI) schrieb am 9. Oktober:

Die herrschende Klasse Israels ... ist nun an einem Punkt angelangt, an dem sie diese reaktionäre Politik nur noch durch Massenmord und ethnische Säuberung aufrechterhalten kann. Jüdische Arbeiter sollen unter der Führung faschistischer Krimineller einen Krieg führen, der den Auftakt zu einem weiteren Flächenbrand neben dem Nato-Krieg gegen Russland in der Ukraine sowie einem Krieg gegen den Iran und seinen Verbündeten in Syrien und der Hisbollah im Libanon bilden und unvorstellbare Opferzahlen bringen wird.

Israels schmutziger Krieg kann nur durch das politisch unabhängige Handeln der Arbeiterklasse im gesamten Nahen Osten und auf internationaler Ebene beendet werden, einschließlich der israelischen Arbeiter, die zum Kampf gegen die nationalistische Fremdenfeindlichkeit all ihrer Führer und Parteien bereit sind.

Während der neun Monate andauernden Protestbewegung gegen Netanjahus Justizputsch und seine Versuche, diktatorische Vollmachten zu erlangen, warnte die WSWS davor, dass alle selbst ernannten Führer der Proteste Netanjahus expansionistische Politik auf Kosten der Palästinenser unterstützen. Das bewahrheitet sich jetzt, da die Führer der nationalen Einheit – der ehemalige IDF-Stabschef Benny Gantz und Gadi Eisenkot – sich an seiner faschistischen Regierung beteiligen, um den Krieg fortzuführen. Nachdem sie behauptet hatten, Massendemonstrationen gegen Netanjahu, Ben Gvir und Smotrich zu unterstützen, rufen sie jetzt Hunderttausende von Reservisten auf, unschuldige Zivilisten zu töten und ihr Leben zu geben. In den Augen der Welt werden sie für immer mit einem der größten Verbrechen des 21. Jahrhunderts in Verbindung gebracht werden.

Das IKVI betont, dass der Feind der Arbeiter und Jugendlichen in Israel nicht die Palästinenser sind, sondern die Netanjahu-Regierung und die herrschende Klasse Israels:

Die gegenwärtige Situation ist von einem großen historischen und politischen Widerspruch geprägt: Die israelische Arbeiterklasse kann ihre eigenen demokratischen Rechte nicht verteidigen, ohne für die demokratischen Rechte der palästinensischen Bevölkerung gegen die zionistische Unterdrückung zu kämpfen. Und die Palästinenser können ihren Kampf für demokratische Rechte und soziale Gleichheit ohne ein Bündnis mit der israelischen Arbeiterklasse nicht verwirklichen. Die einzige realistische Perspektive ist nicht der Mythos der ,Zweistaatenlösung‘, sondern ein vereinigter sozialistischer Staat jüdischer und arabischer Arbeiter...

Der Aufstand in Palästina ist Teil der Wut und Welle des Widerstands, die sich in Massenstreiks und Protesten auf der ganzen Welt Bahn bricht. Diese soziale Bewegung muss ausgeweitet und von einem bewussten sozialistischen und revolutionären Programm geleitet werden, um den imperialistischen Krieg zu stoppen und der Ungleichheit und allen Formen der Unterdrückung ein Ende zu setzen. Das ist die Perspektive und das Programm der trotzkistischen Vierten Internationale unter der Führung des Internationalen Komitees.

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