4.1. Die Vierte Internationale wurde im September 1938 in Paris auf einem Geheimtreffen von dreißig Delegierten aus elf Ländern gegründet. Auch drei asiatische Parteien – aus China, Französisch-Indochina und Australien – schlossen sich als Sektionen der Vierten Internationale an, obwohl sie keine Delegierten schicken konnten. In dem von Trotzki verfassten Übergangsprogramm: Der Todeskampf des Kapitalismus und die Aufgaben der 4. Internationale, das auf der Konferenz angenommen wurde, hieß es: „Alles Gerede, dass die geschichtlichen Bedingungen noch ‚nicht reif‘ seien für den Sozialismus, ist ein Erzeugnis von Unwissenheit oder bewusstem Betrug. Die objektiven Voraussetzungen für die proletarische Revolution sind nicht nur ‚reif‘, sondern beginnen bereits zu verfaulen. Ohne eine sozialistische Revolution, und zwar in der nächsten geschichtlichen Periode, droht der gesamten menschlichen Kultur eine Katastrophe. Alles hängt nunmehr vom Proletariat ab, das heißt vor allem von seiner revolutionären Vorhut. Die geschichtliche Krise der Menschheit läuft auf die Krise der revolutionären Führung hinaus.“[3] Das Programm umfasst ein „System von Übergangsforderungen,... die von den heutigen Bedingungen und dem heutigen Bewusstsein breiter Schichten der Arbeiterklasse ausgehen und stets zu ein und demselben Schluss führen: zur Machteroberung des Proletariats.[4] Das Übergangsprogramm sollte die revolutionäre Initiative und das Bewusstsein der Arbeiter entwickeln, statt es dem bestehenden Bewusstsein entsprechend zu verwässern.
4.2. Das Gründungsdokument formulierte dann die Perspektive der Permanenten Revolution auf Grundlage der kombinierten und ungleichzeitigen Entwicklung des Kapitalismus: „Die kolonialen und halbkolonialen Länder sind ihrer Natur nach rückständige Länder. Aber rückständige Länder sind Teil einer Welt, die vom Imperialismus beherrscht wird. Deshalb hat ihre Entwicklung einen kombinierten Charakter: sie vereinigt die primitivsten Wirtschaftsformen mit dem letzten Schrei der kapitalistischen Technik und Kultur. Damit ist auch die Politik des Proletariats der rückständigen Länder vorgezeichnet. Es ist gezwungen, den Kampf um die elementarsten Aufgaben der nationalen Unabhängigkeit und der bürgerlichen Demokratie mit dem sozialistischen Kampf gegen den Weltimperialismus zu kombinieren. ´Die Forderungen der Demokratie, die Übergangsforderungen und die Aufgaben der sozialistischen Revolution sind in diesem Kampf nicht durch historische Epochen geschieden, sondern gehen unmittelbar auseinander hervor.“[5]
4.3. Im Juli 1939 ging Trotzki in einem Brief an die indischen Arbeiter noch näher auf die politischen Fragen ein, vor denen sie angesichts des drohenden Krieges standen. „Agenten der britischen Regierung schildern die Sache so, als solle der Krieg für die Prinzipien der ‚Demokratie‘ geführt werden, die vor dem Faschismus gerettet werden müsse. Alle Klassen und Völker müssten sich um die ‚friedlichen‘, ‚demokratischen‘ Regierungen scharen, um die faschistischen Angreifer zurückzuschlagen. Dann werde die ‚Demokratie‘ gerettet und der Friede für immer gesichert sein. Dieses Evangelium ist eine bewusste Lüge. Wenn die britische Regierung wirklich am Gedeihen der Demokratie interessiert wäre, gäbe es eine sehr einfache Möglichkeit, das zu beweisen, indem sie Indien die völlige Freiheit gewährte.“[6]
Trotzki verharmloste zwar nicht die Gefahr des Faschismus, bestand aber darauf, dass der Hauptfeind der unterdrückten Klassen und Völker im eigenen Land sitze. In Indien war das der britische Imperialismus, dessen Sturz allen Unterdrückern einen schweren Schlag versetzen würde, auch den faschistischen Diktatoren.
4.4. Trotzki unterwarf die indische Bourgeoisie vernichtender Kritik: „Sie ist eng mit dem britischen Kapitalismus verbunden und von ihm abhängig. Sie zittert um ihren eigenen Besitz. Sie fürchtet sich vor den Massen. Sie sucht um jeden Preis Kompromisse mit dem britischen Imperialismus zu schließen und lullt die indischen Massen mit Hoffnungen auf Reformen von oben ein. Der Führer und Prophet dieser Bourgeoisie ist Gandhi. Ein falscher Führer und ein falscher Prophet! Gandhi und seine Standesgenossen haben eine Theorie entwickelt, der zufolge Indiens Lage sich ständig verbessern wird, seine Freiheiten sich ständig vergrößern und Indien allmählich, auf dem Weg friedlicher Reformen, ein sich selbst regierendes Land des Britischen Staatenbundes wird. Später kann es sogar die vollständige Unabhängigkeit erlangen. Diese ganze Perspektive ist von Grund auf falsch.[7]
4.5. Mit Blick auf die Rolle des Stalinismus erklärte Trotzki, dass die Sowjetbürokratie die Interessen der indischen Massen ihren diplomatischen Manövern mit den „demokratischen Mächten“ untergeordnet habe, wie sie es auch in allen anderen Ländern gemacht habe – sie forderte das Recht auf Selbstbestimmung für Völker unter faschistischer Herrschaft, während die britischen, französischen und amerikanischen Kolonien unterdrückt blieben sollten. Der Kampf gegen den britischen Imperialismus und den nahenden Krieg erforderte den vollständigen Bruch mit dem Stalinismus. Das war genau die Frage, mit der sich die LSSP-Führung auseinandersetzte, als sie sich der Vierten Internationale zuwandte. Selina Perera wurde 1939 nach Großbritannien und in die Vereinigten Staaten geschickt, um sich mit trotzkistischen Führern in Europa und Nordamerika in Verbindung zu setzen und sich mit Trotzki zu treffen. Letzteres scheiterte allerdings.
4.6. Im Dezember 1939 warf die trotzkistische Fraktion den Anhängern des Stalinismus in der LSSP den Fehdehandschuh hin, indem sie folgenden Antrag an das Exekutivkomitee richtete: „Da die Dritte Internationale nicht im Interesse der revolutionären Bewegung der Arbeiterklasse gehandelt hat, erklärt sich die Lanka Sama Samaja Party, zwar mit der Sowjetunion, dem ersten Arbeiterstaat, solidarisch. Hat aber kein Vertrauen in die Dritte Internationale.“ Der Antrag wurde mit 29 zu fünf Stimmen angenommen. Die Stalinisten und ihre Anhänger brachen daraufhin mit der Partei und gründeten im November 1940 zuerst die United Socialist Party, und im Juli 1943 die Kommunistische Partei Ceylons
4.7. Leslie Goonewardene schrieb eine Kritik des Stalinismus mit dem Titel: „Die Dritte Internationale ist verurteilt“, in der er die opportunistischen Kurswechsel der Kommunistischen Parteien in Großbritannien und Frankreich 1939 angriff, die den imperialistischen Krieg erst unterstützten und dann dagegen waren. Er erklärte, dass die wilden politischen Schwingungen von den Kehrtwenden der Kremlführung diktiert wurden, die nach prinzipienlosen Manövern mit den „demokratischen Mächten“, Großbritannien und Frankreich, im August 1939 den Hitler-Stalin-Pakt unterzeichnet hatte. Er kam zu dem Schluss: „Die Zweite Internationale hat im Krieg von 1914 bis 1918 die Arbeiterklasse verraten. Heute verübt die Dritte Internationale einen weiteren Verrat, da sie die internationale revolutionäre Bewegung der sowjetischen Außenpolitik unterordnet. Es ist unsere Pflicht, darauf hinzuweisen.“[8]
4.8. Der Austritt der Stalinisten und die Neuorientierung zur Vierten Internationale waren ein entscheidender Wendepunkt in der Klassenachse und der politischen Orientierung der Partei auf der Grundlage der Theorie der Permanenten Revolution. Vor allem erkannten die LSSP-Führer an, dass der Kampf gegen imperialistische Unterdrückung und für den Sozialismus in Sri Lanka unlösbar verbunden mit den Kämpfen der Arbeiterklasse in Indien und der ganzen Welt war. In einem weitsichtigen Schritt forderte die LSSP die Bildung einer gesamtindischen Partei als Sektion der Vierten Internationale, um die Kämpfe der Arbeiter auf dem ganzen Subkontinent gegen den britischen Imperialismus miteinander zu verbinden. Zu diesem Zweck wurde 1942 die Bolschewistisch-Leninistische Partei Indiens (BLPI) gegründet.
The available histories of the LSSP, reflecting its subsequent degeneration in the 1950s, either ignore the experience of the BLPI or treat it as a hopeless adventure in revolutionary romanticism.
In den vorhandenen Geschichtsaufzeichnungen der LSSP, die ihre Degeneration in den 1950er Jahren zeigen, wird die Erfahrung der BLPI entweder ignoriert oder als hoffnungsloses Abenteuer abgetan, geboren aus revolutionärer Romantik. Aber genau mit diesem Bruch mit der radikalen nationalistischen Perspektive des Samasamajismus und der Umorientierung auf Grundlage des proletarischen Internationalismus machte die BLPI einen unauslöschbaren Beitrag zum Kampf für den Marxismus in Südasien und weltweit, aus dem Arbeiter und Jugendliche heute noch wichtige Lehren ziehen können.
4.9. Als der Krieg näher rückte, machte sich Stalin daran, die neugeschaffene Vierte Internationale zu zerstören und, vor allem, Trotzki selbst zu eliminieren. Stalin fürchtete, dass die revolutionären Konvulsionen, die durch den Krieg unweigerlich entstehen würden, die trotzkistische Bewegung sogar in der Sowjetunion immens stärken würden und eine direkte Gefahr für die Sowjetbürokratie werden könnten. Noch vor der Gründung der Vierten Internationale konnte die GPU mithilfe eines Netzwerkes von Agenten innerhalb der trotzkistischen Bewegung Erwin Wolf, einen von Trotzkis Sekretären ermorden; ferner den GPU-Überläufer Ignaz Reiss, der seine Unterstützung für Trotzki erklärt hatte sowie Trotzkis Sohn und engen Mitarbeiter Leo Sedow; und Rudolf Klement, Sekretär der Vierten Internationale. Nach einem gescheiterten Anschlag im Mai 1940 verübte der GPU-Agent Ramon Mercader am 20. August 1940 in seinem Haus in Coyoacan in Mexiko einen Anschlag auf Trotzki. Er starb am darauffolgenden Tag. Trotzkis Ermordung war eines der großen politischen Verbrechen des 20. Jahrhunderts und ein schwerer Schlag für die internationale Arbeiterklasse. Er hatte zusammen mit Lenin die Russische Revolution angeführt, war ein unversöhnlicher Gegner des Stalinismus und der letzte große Repräsentant der Traditionen des klassischen Marxismus, der die revolutionären Massenbewegungen der Arbeiter im späten 19. und frühen 20. Jahrhundert inspiriert hatte.
Leo Trotzki, Das Übergangsprogramm (Essen: Arbeiterpresse Verlag, 1997) S. 84.
Hervorhebung im Original; ibid, S. 86.
Hervorhebung im Original; ibid, S. 114.
Leo Trotzki: Die nationale Frage und nationale Minderheiten, S. 9 http://www.internationalesozialisten.de/Buecher/Klassiker/Trotzki/Nationale Frage und nationale Minderheiten.pdf
Ibid, S. 8.
Blows Against the Empire: Trotskyism in Ceylon the Lanka Sama Samaja Party, 1935–1964 (London: Porcupine Press: Socialist Platform, 1997) S. 64–67.